BGer 5P.282/2001
 
BGer 5P.282/2001 vom 12.02.2002
[AZA 0/2]
5P.282/2001/mks
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
12. Februar 2002
Es wirken mit: Bundesrichter Bianchi, Präsident der II. Zivilabteilung,
Bundesrichter Meyer, Ersatzrichter Zünd und
Gerichtsschreiber Schett.
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In Sachen
Baugenossenschaft A.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Bühler, Denkmalstrasse 2, Postfach 6453, 6000 Luzern 6,
gegen
Steueramt der Stadt Luzern, Hirschengraben 17, 6002 Luzern, Kantonale Behörde für die direkte Bundessteuer Luzern, Buobenmatt 1, 6002 Luzern, Beschwerdegegnerinnen, beide vertreten durch Rechtsanwalt Pius Huber, c/o Steuerverwaltung des Kantons Luzern, Buobenmatt 1, 6002 Luzern, Obergericht (I. Kammer) des Kantons Luzern,
betreffend
Art. 9 BV
(Anspruch im Widerspruchsverfahren gemäss Art. 108
Abs. 1 SchKG), hat sich ergeben:
A.- Das Steueramt der Stadt Luzern und die Kantonale Behörde für die direkte Bundessteuer Luzern machen gegenüber B.________, der Wohnsitz in Monte Carlo hat, Steuerausstände für die Jahre 1971 bis 1990 in Höhe von gesamthaft rund Fr. 25'000'000.-- geltend. Am 27. Mai 1997 wurden Sicherstellungsverfügungen und gestützt darauf Arrestbefehle erlassen. Verarrestiert wurde neben dort liegendem beweglichen Vermögen das Grundstück Nr. 1../GB C.________, das sich laut Grundbuch im Eigentum der Baugenossenschaft A.________ befindet. Das Betreibungsamt C.________ leitete in der Folge das Widerspruchsverfahren ein. Mit Eingaben vom 7. Juli 1997 an das Amtsgericht Luzern-Land stellten das Steueramt der Stadt Luzern und die Kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer Luzern das Begehren, der Anspruch der Baugenossenschaft A.________ auf das Eigentum am Grundstück Nr. 1.., Plan 13/GB C.________ sei für das Arrestverfahren Nr. 20 (Kläger 1) und Nr. 21 (Klägerin 2) im Sinne von Art. 108 Abs. 1 SchKG abzuerkennen und das Grundstück für die Arrestprosequierung dem Vollstreckungssubstrat von B.________, Monte Carlo, zuzurechnen. Das Amtsgericht Luzern-Land vereinigte die beiden Verfahren und hiess die Klagen mit Urteil vom 7. Mai 1999 vollumfänglich gut, was das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 12. Juni 2001 bestätigte.
B.- Gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 12. Juni 2001 reichte die Baugenossenschaft A.________ mit Eingabe vom 22. August 2001 staatsrechtliche Beschwerde sowie Berufung an das Bundesgericht ein. Sie beantragt mit jener, das Urteil des Obergerichts aufzuheben.
C.- Vernehmlassungen sind im bundesgerichtlichen Verfahren nicht eingeholt worden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Die Beschwerdeführerin wurde 1975 gegründet.
Gründer und Genossenschafter waren damals die Baugenossenschaften D.________, E.________, F.________, G.________ und H.________, die I.________ AG und das Treuhandbüro J.________. Zweck der Beschwerdeführerin war der Erwerb von Ferienwohnungen, Hotels und Pensionen für die verbilligte Vermietung an die Genossenschafter und deren Angestellte sowie das Erstellen und die Verwaltung von Ferienwohnungen unter gemeinsamer Mitwirkung der Genossenschafter. Nach den Feststellungen der kantonalen Gerichte entfaltete die Beschwerdeführerin nie dem Zweck entsprechende Tätigkeiten.
Im Wesentlichen habe sie die 1978 erworbene Liegenschaft in K.________ gehalten und das Haupthaus dem Nichtgenossenschafter B.________ zur Verfügung gestellt. Am 18. Oktober 1996 sei der statutarische Zweck auf Erwerb von Bauland und die Erstellung von Häusern sowie die Vermietung und Verwaltung solcher Häuser geändert worden. Diese Statutenänderung sei jedoch nicht gesetzeskonform beschlossen worden, denn an der sog. Generalversammlung vom 18. Oktober 1996 sei entgegen der Bezeichnung im Protokoll keiner der Anwesenden Genossenschafter gewesen. Die damals gefassten Beschlüsse seien nichtig. Der gleiche Nichtigkeitsgrund sei auch gegeben für die Generalversammlungen, die zwischen 1993 bis 1996 stattgefunden hätten. Was den Vorstand betreffe, so sei festzustellen, dass zumindest seit 1991 mindestens zwei der drei Vorstandsmitglieder nicht Genossenschafter gewesen seien. Der damalige Vorstandspräsident, J.________, wisse nicht mehr, wie lange er Genossenschafter gewesen sei. Die Herren L.________ und M.________ seien es jedenfalls nicht gewesen. Ab 1993 sei keines der Vorstandsmitglieder mehr Genossenschafter gewesen. Die Wiederwahl der Herren L.________ und M.________ und die Wahl von N.________ sei sodann nichtig gewesen. Beschlüsse eines nichtig gewählten Vorstandes seien ihrerseits nichtig.
Die Beschwerdeführerin macht nun geltend, wenn ihre Beschlüsse allesamt nichtig gewesen seien und auch der Vorstand nicht rechtsgenüglich bestellt worden sei, es somit keine ordnungsgemäss bestellte Organe gebe, so habe die Genossenschaft auch für die Prozessführung nicht durch diese Organe bzw. die von ihnen bevollmächtigten Anwälte vertreten werden können. Indem somit bezüglich Prozessführung von der Gültigkeit der Beschlüsse ausgegangen werde, materiell jedoch von der Nichtigkeit, verfalle das Obergericht in Willkür.
b) Die kantonalen Gerichte sind zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beschwerdeführerin von B.________ restlos beherrscht wurde und wird. Wer formal als Genossenschafter bezeichnet wurde und an Generalversammlungen teilnahm, soweit solche überhaupt stattfanden und darüber Protokolle vorliegen, und wer dem Vorstand angehörte, war ohne Bedeutung.
Es waren Strohmänner von B.________, und die getroffenen Beschlüsse sollten dazu dienen, den Schein zu wahren.
Wer heute Genossenschafter ist, vermochte die Beschwerdeführerin ausgehend von der Gründung der Genossenschaft nicht darzulegen. Entsprechend qualifizierten die kantonalen Gerichte die gefassten Beschlüsse als nichtig. Die Beschwerdeführerin will nun daraus im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren ableiten, dass mangels korrekt bestellter Organe es ihr an der Prozessfähigkeit fehle. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Prozessfähigkeit als prozessuale Seite der Handlungsfähigkeit abschliessend durch das Bundesrecht geregelt wird und daher im Berufungsverfahren überprüft werden kann (BGE 117 II 494 E. 2; 116 II 385 E. 4; 108 II 398 E. 2a; 77 II 7 E. 1). Aufgrund der Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 84 Abs. 2 OG) ist daher auf die Frage nicht einzutreten, ob es an den kantonalen Gerichten gelegen hätte, zu veranlassen, dass der Beschwerdeführerin eine Beistandschaft gestellt würde.
c) Die Frage der Prozessfähigkeit stellt sich allerdings auch für die Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde selbst. Art. 393 Ziff. 4 ZGB sieht die Bestellung eines Beistandes zur Vermögensverwaltung vor "bei einer Körperschaft solange die erforderlichen Organe mangeln und nicht auf andere Weise für die Verwaltung gesorgt ist". Die Massnahme wird mit Zurückhaltung angewendet, wenn die Verwaltung der Gesellschaft sonst überhaupt nicht besorgt würde oder Gefahr bestände, dass sie durch jemanden besorgt würde, der dafür nicht ernstlich in Betracht käme oder ausserstande wäre, in der für die Verwaltung nötigen Weise auf das Vermögen einzuwirken (BGE 78 II 369 E. 3c S. 375/376, mit Hinweisen).
Es wird demnach als zulässig angesehen, dass vorübergehend die juristische Person durch nicht ordnungsgemäss bestellte Personen, allenfalls nach Massgabe der Geschäftsführung ohne Auftrag vertreten wird (Huguenin Jacobs, Kommentar zum Schweiz. Privatrecht, Schweiz. Zivilgesetzbuch I, Basel 1996, N. 5 zu Art. 54/55; Riemer, Berner Kommentar, N. 14 zu Art. 54/55 ZGB). Vorliegend erscheint es nicht zwingend, der Beschwerdeführerin für das Widerspruchsverfahren eine Beistandschaft bestellen zu lassen, da ihre Interessen sachgerecht durch die im Handelsregister eingetragenen Personen und durch den Anwalt, den sie bestellt haben, vertreten werden. Etwas anderes könnte auch ein von der Vormundschaftsbehörde zu bestimmender Beistand nicht vorkehren.
2.- a) Die Beschwerdeführerin hat in erster Instanz verschiedentlich L.________ als Zeugen angerufen, doch hat das Amtsgericht Luzern-Land die Einvernahme abgelehnt, weil L.________ als Vorstandsmitglied nur als Partei befragt werden könnte, eine Parteibefragung aber nur in Betracht falle, wenn es die Gegenpartei beantrage. Das Obergericht hat hierzu festgehalten, dass eine Einvernahme als Zeuge möglich geworden sei, nachdem L.________ zwischenzeitlich nicht mehr Organ sei, wie aus einem neuen Handelsregisterauszug hervorgehe.
Doch lehnte das Obergericht die Befragung dennoch aus mehreren Gründen ab. Zunächst führte es aus, dass im Appellationsverfahren ein Beweisbegehren nur genüge, wenn ein Bezug zu in der Appellationsschrift vorgetragenen bestimmten Tatsachenbehauptungen hergestellt werde. Hiefür reiche der blosse Verweis auf die Seiten 15 und 16 des erstinstanzlichen Urteils nicht aus. Lediglich zu drei Beweisthemen sei L.________ als Zeuge angerufen. Auch in diesen Punkten erübrige sich aber eine Befragung, zunächst weil er mit B.________ sehr eng verbunden sei und somit nicht massgebend auf ihn abgestellt werden könnte. Schliesslich brauche er aber zum Projekt O.________ wie auch zur Nutzung der Liegenschaft W.________ nicht einvernommen zu werden, da ein Zusammenhang zwischen der Zweckbestimmung der Genossenschaft (verbilligte Vermietung zu Ferienzwecken an Genossenschafter und Angestellte) und der tatsächlichen oder geplanten Nutzung der Grundstücke zum Vornherein nicht gegeben sei.
b) Die Beschwerdeführerin erachtet es als überspitzt formalistisch, einen Verweis auf zwei Seiten des angefochtenen Urteils erster Instanz nicht genügen zu lassen, aus welchen sich die Sachverhaltsbehauptungen, zu denen der Zeuge angerufen worden sei, ergeben hätten. Das Obergericht geht demgegenüber davon aus, dass im Appellationsverfahren die Beweismittel und die dazugehörigen Beweisthemen ausdrücklich zu nennen sind. Mit dem einschlägigen kantonalen Prozessrecht setzt sich die Beschwerdeführerin nicht näher auseinander, so dass es diesbezüglich an einer (hinreichenden) Begründung (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 110 Ia 1 E. 2a) fehlt und die Auslegung des kantonalen Rechts nicht zu überprüfen ist. Fragen kann sich daher nur, ob es überspitzt formalistisch ist, zu verlangen, dass Beweismittel und Beweisthemen im Appellationsverfahren ausdrücklich genannt werden. Das aus Art. 29 Abs. 1 BV (früher aus Art. 4 aBV) fliessende Verbot des überspitzten Formalismus wendet sich gegen prozessuale Formenstrenge, die als exzessiv erscheint, durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder gar verhindert (BGE 127 I 31 E. 2a/bb S. 34). Das aber lässt sich von den Anforderungen, die das Obergericht an die Appellationsschrift stellt, nicht sagen. Diese Anforderungen wollen sicherstellen, dass der Appellationsinstanz unzweifelhaft klar ist, welche tatsächlichen Feststellungen der ersten Instanz gestützt auf welche Beweismittel nach Ansicht des Rechtsmittelklägers zu überprüfen sind. Das ist weder Selbstzweck noch lässt sich sagen, die Verwirklichung des materiellen Rechts werde in unhaltbarer Weise erschwert, wenn Tatsachenbehauptungen und Beweismittel, die aufrechterhalten werden, genau angegeben werden müssen.
c) Zu den bezüglich des Zeugen L.________ in der Appellationsschrift ausdrücklich genannten Beweisthemen hat das Obergericht nicht nur, wie in der staatsrechtlichen Beschwerde beanstandet, ausgeführt, auf seine Aussagen könnte nicht massgebend abgestellt werden. Vielmehr hat das Obergericht auch dargetan, dass sich seine Befragung in den entsprechenden Punkten erübrigt, weil es auf diese Aussage gar nicht ankomme. Damit setzt sich die staatsrechtliche Beschwerde nicht auseinander. Bei mehreren Begründungen müsste aber dargetan werden, dass der angefochtene Entscheid nach jeder von ihnen verfassungswidrig ist (BGE 87 I 374; 119 II 314 E. 4b/aa S. 18; 107 Ib 264 E. 3b S. 268; 105 Ib 221 E. 2c), woran es nach dem Gesagten fehlt.
3.- Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin, bei verschiedenen Zeugen habe das Obergericht aufgrund ihrer Nähe zu B.________ die ihr günstigen Aussagen vorsichtig und kritisch gewürdigt, was nicht angehe, wenn gleichzeitig auf nachteilige Aussagen abgestellt werde. Diese pauschale Rüge - ohne Bezug zu den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts - genügt den Anforderungen an die Substantiierung einer staatsrechtlichen Beschwerde zum Vornherein nicht. Im Übrigen kann es nicht verfassungswidrig sein, Beweisaussagen kritisch zu würdigen.
4.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die bundesgerichtlichen Kosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet, da Vernehmlassungen nicht eingeholt wurden und den Beschwerdegegnerinnen im bundesgerichtlichen Verfahren somit auch keine Kosten erwachsen sind.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 25'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Obergericht (I. Kammer) des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 12. Februar 2002
Im Namen der II. Zivilabteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: