BGer U 141/2000
 
BGer U 141/2000 vom 21.11.2001
[AZA 7]
U 141/00 Gi
IV. Kammer
Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger und Bundesrichter Kernen; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold
Urteil vom 21. November 2001
in Sachen
B.________, 1959, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Michel Béguelin, Dufourstrasse 12, 2502 Biel,
gegen
Zürich Versicherungs-Gesellschaft, Generaldirektion Schweiz, Rechtsdienst, Alfred-Escher-Strasse 50, 8022 Zürich, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecher Rolf P. Steinegger, Laupenstrasse 19, 3008 Bern,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
A.- B.________ (geboren 1959) war seit 1. Mai 1991 bei der Wohnstätte A.________ als Koch tätig und durch seine Arbeitgeberin bei der Zürich Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Zürich) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 2. Juni 1993 erlitt er einen Autounfall, bei welchem ein anderer Fahrer von rechts kommend seinen Vortritt missachtete und mit ihm kollidierte. Nach einer 24-stündigen Beobachtung in der Notfallaufnahme des Spitals X.________ sowie einer Nachuntersuchung am 14. Juni 1993 wurde er mit der Diagnose HWS-Schleudertrauma und Verdacht auf commotio cerebri in die Nachbehandlung bei seinem Hausarzt entlassen.
In ihrem Gutachten vom 26. November 1993 kamen PD Dr. med. M.________, stellvertretender Chefarzt, und Dr. med. C.________, Assistenzarzt, Neurologisch-Neurochirurgische Klinik der Universität Y.________, Spital F.________, zum Schluss, B.________ leide an einem HWS-Schleudertrauma, chronischen Lumbalgien sowie chronischen Schulterschmerzen nach AC-Arthritis, wobei die Schulterschmerzen nicht in Zusammenhang mit dem Unfall stünden; aus medizinischer Sicht rechtfertige sich eine Arbeitsunfähigkeit nicht. Am 25. April 1994 erstatteten Dr. med. S.________, Chefarzt, und Dr. med. D.________, Assistenzarzt, Abteilung für Orthopädische Chirurgie, Spital X.________, ein Gutachten, welches ein Schleudertrauma der HWS, eine schmerzhafte, skoliotische Fehlhaltung der LWS, eine Übergangsanomalie L5/S1 mit fehlendem Bogenschluss S1 sowie unklare Restschmerzen der rechten Schulter bei Status nach einer AC-Resektion im August 1992 festhielt; die Arbeitsunfähigkeit betrage unfallbedingt 100 %. Im polydisziplinären Gutachten der Klinik E.________ vom 25. Oktober 1994 diagnostizierten die Ärzte einen Zustand nach Distorsionsverletzung der HWS durch ein Beschleunigungstrauma mit chronischen, therapieresistenten und teilweise invalidisierenden Schmerzen im Kopf-, Nacken- und Schulterbereich, einer mittelschweren neuropsychologischen Funktionsstörung sowie Chronifizierung der Beschwerden infolge psycho-sozialer Faktoren und einer Persönlichkeitsvariante; als Koch sowie auch in anderen ähnlichen und zumutbaren Tätigkeiten bestehe eine Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit von 50 %.
Die Zürich erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Mit Verfügung vom 8. Februar 1995 sprach sie B.________ eine Übergangsrente bei einer Invalidität von 50 % sowie eine Integritätsentschädigung von Fr. 48'600.-- zu. Nachdem die Zürich vom parallel geführten Zivilprozess Kenntnis erhalten und Einsicht in diese Unterlagen genommen hatte, gab sie ein weiteres unfalltechnisches Gutachten in Auftrag. Am 4. Juni 1997 zog sie ihre Verfügung vom 8. Februar 1995 in Wiedererwägung und stellte die Rentenzahlungen infolge fehlendem adäquatem Kausalzusammenhang per 30. Juni 1997 ein; von der Rückforderung der bereits geleisteten Betreffnisse wurde abgesehen. Nachdem B.________ hatte Einsprache einreichen lassen, verneinte die Zürich auch den natürlichen Kausalzusammenhang und hielt im Übrigen an ihrer Verfügung vom 4. Juni 1997 fest (Einspracheentscheid vom 1. September 1997).
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 6. März 2000 ab.
C.- B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es seien der kantonale Entscheid aufzuheben, ihm eine Invalidenrente per 1. März 1998 und eine Integritätsentschädigung auszurichten sowie die Sache an die Vorinstanz zur Festlegung der Höhe der Invalidenrente und der Integritätsentschädigung zurückzuweisen.
Die Zürich schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff des Unfalls (Art. 9 Abs. 1 UVV; BGE 122 V 232 Erw. 1 mit Hinweisen) und den Anspruch auf eine Rente der Unfallversicherung (Art. 18 UVG) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Leistungsvoraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs (BGE 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen), insbesondere die Grundsätze bei Verletzungen der Halswirbelsäule ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle (BGE 117 V 359 und die hiezu ergangene Rechtsprechung: BGE 122 V 415; RKUV 1999 Nr. U 341 S. 407, 1998 Nr. U 297 S. 243, 1997 Nr. U 272 S. 167, je mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.
2.- Wie die Vorinstanz richtig dargelegt hat, geht es bei der Verfügung vom 4. Juni 1997 nicht um die Wiedererwägung der Übergangsrente, sondern um die erstmalige Zusprechung einer definitiven Rente. Streitig ist somit der Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung.
Soweit der Beschwerdeführer die Ausrichtung einer Integritätsentschädigung verlangt, ist festzuhalten, dass eine solche bereits mit Verfügung vom 8. Februar 1995 zugesprochen wurde, die Zürich in ihrer Verfügung vom 4. Juni 1997 auf die Integritätsentschädigung nicht zurückkommt und auf die Rückforderung von zu viel bezahlten Leistungen verzichtet, weshalb die Frage einer Integritätsentschädigung nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Auf den entsprechenden Antrag ist somit nicht einzutreten.
3.- Für die Beurteilung der Gesetzmässigkeit einer Verwaltungsverfügung ist in der Regel der Sachverhalt zur Zeit des Einspracheentscheides massgebend (RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101 Erw. 2a), mithin der 1. September 1997.
Der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichte Bericht vom 4. April 2000 des Dr. med. G.________, Facharzt für Rheumatologie und Physikalische Medizin, den der Versicherte seit 25. November 1998 konsultiert, vermag somit nichts über den hier massgeblichen Sachverhalt auszusagen.
4.- Die Vorinstanz hat zu Recht den adäquaten Kausalzusammenhang anhand der für Schleudertraumata der HWS ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle entwickelten Kriterien beurteilt (BGE 117 V 359). Zwar hält Dr. med. Z.________, Facharzt für Neurologie, im neurologischen Teilgutachten vom 13. September 1994 eine organische Hirnschädigung für wahrscheinlich; allerdings müssten die angegebenen Defizite fremdanamnestisch noch erhärtet und mit früheren Befunden verglichen werden. Frau Dr. phil. W.________, Psychologin, schreibt in ihrem Bericht vom 10. Oktober 1994, dass die Befunde auf eine organische Läsion hinweisen würden; eine eindeutige Feststellung einer organischen Schädigung erfolgt jedoch nicht. Auf Grund der übrigen Teilgutachten und gestützt auf die Anamnese wurde denn auch in der abschliessenden Beurteilung eine organische Hirnverletzung ausgeschlossen (Gutachten vom 25. Oktober 1994). Dies stimmt mit dem Gutachten des PD Dr. med. M.________ und des Dr. med. C.________ überein, welche keine organische Hirnschädigung erwähnen (Bericht vom 26. November 1993).
5.- a) Das kantonale Gericht ist von einem leichten Unfall ausgegangen. Dies ist nicht zu beanstanden, da sich der Unfall nicht unter aussergewöhnlichen Verhältnissen abspielte, der Versicherte den Aufprall kommen sah und darauf gefasst war sowie noch eine Bremsung einleiten konnte, sodass beide beteiligte Fahrzeuge im Kollisionszeitpunkt eine geringe Geschwindigkeit aufwiesen. Obwohl der Unfall als leicht einzustufen ist, zeitigte er unmittelbare Folgen, welche nicht offensichtlich unfallunabhängig sind, sodass die für mittelschwere Unfälle entwickelten Kriterien herbeizuziehen sind, welche für die Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs jedoch in gehäufter Weise gegeben sein müssen (RKUV 1998 Nr. U 297 S. 243).
b) Gemäss dem im straf- und zivilrechtlichen Verfahren erstellten Ablauf des Geschehens liegt kein besonders eindrücklicher Unfall vor. Auch sind entgegen der Auffassung des Versicherten keine Verletzungen besonderer Art gegeben, zumal die angebliche Hospitalisation lediglich in einer Beobachtung von 24 Stunden bestand und die erlittenen Verletzungen keine Operationen erforderlich machten; die Diagnose eines Schleudertraumas vermag für sich allein keine besondere Art der Verletzungen zu begründen. Die Dauer der ärztlichen Behandlung ist als nicht besonders lang zu beurteilen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Versicherte nach wie vor einen Arzt konsultiert. Denn der Beschwerdeführer hat sich wiederholt jeglichem therapeutischen Ansatz gegenüber ablehnend gezeigt, sodass gar keine Behandlung im eigentlichen Sinne erfolgen konnte bzw. die angefangenen Therapien abgebrochen werden mussten. Hingegen kann das Vorliegen von Dauerschmerzen bejaht werden. Unbestrittenermassen liegt weder eine ärztliche Fehlbehandlung noch ein schwieriger Heilungsverlauf vor. Zu bejahen ist jedoch das Kriterium betreffend Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit, da über zwei Jahre nach dem Unfall noch eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % attestiert wurde (Gutachten vom 25. Oktober 1994).
c) Nach dem Gesagten sind lediglich zwei der sieben möglichen Kriterien als erfüllt zu betrachten, weshalb die für den adäquaten Kausalzusammenhang notwendige Häufung nicht gegeben ist. Bei diesem Ergebnis kann die Frage des natürlichen Kausalzusammenhangs offen gelassen werden, da es bereits am adäquaten fehlt.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit
darauf einzutreten ist.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht
des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.
Luzern, 21. November 2001
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer:
Die Gerichtsschreiberin: