|
| |||
| |||
| Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
|
2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Dezember 1997 i.S. Rosa X. gegen Reto R. (Berufung) | |
|
Regeste |
| Art. 8, 9, 467, 499 ff. und 519 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB. Gültigkeit eines öffentlich beurkundeten Testamentes. |
| Fall einer Erblasserin, die angesichts ihres allgemeinen Gesundheitszustandes und des teilweise schwer nachvollziehbaren Testamentsinhalts im massgebenden Zeitpunkt hinsichtlich der Errichtung eines Testamentes wahrscheinlich nicht mehr verfügungsfähig war. Die Vermutung der Testierfähigkeit gilt daher nicht, doch steht der Gegenbeweis offen, dass die Erblasserin in einem luziden Intervall gehandelt hat (E. 4). | |
|
Sachverhalt | |
| 1 | |
"Sollte ich vor meiner Schwester sterben, so verfüge ich, dass sie meinen Wohnhausanteil samt Umschwung auf Anrechnung an ihren Pflichtteil erhalten soll, auch wenn der Wert ihren Pflichtteil übersteigen sollte.
| 2 |
| 3 | |
1. für die Kirchenrenovation in [...]
| 4 |
2. Pater W. Ostpriesterhilfe
| 5 |
3. Das Spital [...]
| 6 |
4. Das Spital [...]
| 7 |
..."
| 8 |
Im Jahr 1979 verliess Maria X. das gemeinsam mit ihrer Schwester bewohnte Haus und zog in eine Wohnung in eine andere Gemeinde. Am 14. Juli 1980 verfasste Maria X. einen Nachtrag zu ihrem Testament vom 5. September 1974. Abgesehen von der Bestätigung der Gültigkeit ihres früheren Testamentes ordnete sie was folgt an:
| 9 |
"...
| 10 |
Bei meinem Tode sollen zu meinem Seelenheil 30 hl. Messen eine
| 11 |
(Gregoriana)
| 12 |
gelesen werden.
| 13 |
Das Pfarramt in L. soll dafür sorgen, dass die Messen gelesen werden."
| 14 |
B.- Am 11. November 1985 erlitt Maria X. einen Hirnschlag. Nach einem Spital- und Erholungsaufenthalt kehrte sie in ihre Wohnung zurück. Am 12. Januar 1989 wurde Maria X. von der Pro Senectute, von der sie während des letzten halben Jahres stundenweise in der Haushaltsarbeit unterstützt worden war, in ein Altersheim verbracht. Nachdem sie am 13. Januar 1989 von dort davongelaufen war, wurde sie durch den Hausarzt wegen nächtlicher Verwirrung, Agitiertheit und daraus abgeleiteter Selbstgefährdung in eine Psychiatrische Klinik eingewiesen. Am 25. Februar 1989 wurde sie von der zuständigen Vormundschaftsbehörde auf eigenes Begehren verbeiständet; zum Beistand wurde Reto R. bestellt.
| 15 |
Am 23. März 1989 fand zwischen Maria X. und dem Notar P. eine Besprechung im Hinblick auf ein öffentlich zu beurkundendes Testament statt, und am 5. April 1989 wurde im Büro des Notars eine öffentliche letztwillige Verfügung mit folgendem Wortlaut errichtet:
| 16 |
I. Meine einzige derzeit noch lebende gesetzliche Erbin, nämlich meine Schwester Rosa X. ist gemäss geltendem Erbrecht nicht pflichtteilsgeschützt. Ich verweise auf Art. 471 ZGB. Es ist deshalb mein letzter Wille, dass meiner Schwester aus meinem Nachlass aus Erbrecht nichts zukommt.
| 17 |
II. Ich wünsche ausdrücklich meine Beerdigung in [...].
| 18 |
III. Als Alleinerben setze ich Herrn Reto R.[...] ein.
| 19 |
| 20 | |
V. Mein derzeitiges Vermögen setzt sich aus Wertschriften im Umfang von rund Fr. 110'000.-- und einem hälftigen Miteigentumsanteil an einer Liegenschaft mit Gebäulichkeiten in [...] zusammen.
| 21 |
VI. Als Testamentsvollstrecker ernenne ich Rechtsanwalt und Notar P."
| 22 |
C.- Nachdem die zuständige Behörde am 2. Februar 1994 die durch die Erblasserin am 5. September 1974 und am 14. Juli 1980 eigenhändig verfassten Testamente sowie das öffentliche Testament vom 5. April 1989 eröffnet hatte, erhob Rosa X. am 17. Juni 1994 gegen Reto R. Klage mit dem Begehren, dass das öffentliche Testament vom 5. April 1989 für ungültig zu erklären sei. Mit Urteil vom 5. September 1996 hiess das Bezirksgericht die Klage von Rosa X. gut und erklärte das öffentliche Testament vom 5. April 1989 für ungültig. Die gegen dieses Urteil von Reto R. erhobene Berufung hiess das Kantonsgericht mit Urteil vom 7. Januar 1997 gut; das Urteil des Bezirksgerichts wurde aufgehoben und die von Rosa X. erhobene Ungültigkeitsklage abgewiesen.
| 23 |
D.- Mit Berufung vom 28. August 1997 beantragt Rosa X. dem Bundesgericht, dass das Urteil des Kantonsgerichtes aufzuheben und das am 5. April 1989 verfasste öffentliche Testament für ungültig zu erklären sei. Sowohl Reto R. als auch das Kantonsgericht beantragen die Abweisung der Berufung, soweit auf sie einzutreten sei.
| 24 |
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und weist die Sache zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurück
| 25 |
|
aus folgenden Erwägungen: | |
| 26 | |
a) Der Begriff der Urteilsfähigkeit enthält zwei Elemente: einerseits eine intellektuelle Komponente, nämlich die Fähigkeit, Sinn, Zweckmässigkeit und Wirkungen einer bestimmten Handlung zu erkennen, andrerseits ein Willens- bzw. Charakterelement, nämlich die Fähigkeit, gemäss der vernünftigen Erkenntnis nach seinem freien Willen zu handeln und allfälliger fremder Willensbeeinflussung | 27 |
b) Die Urteilsfähigkeit ist die Regel und wird aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung vermutet. Folglich hat derjenige, der deren Nichtvorhandensein behauptet, dies zu beweisen. Der Beweis ist keiner besonderen Vorschrift unterstellt; eine sehr grosse Wahrscheinlichkeit, welche jeden ernsthaften Zweifel ausschliesst, genügt insbesondere bei einer verstorbenen Person, weil in diesem Fall die Natur der Dinge selber einen absoluten Beweis unmöglich macht (BGE 117 II 231 E. 2b S. 234 m.w.H.; BUCHER, a.a.O., N. 125 ff. zu Art. 16 ZGB). An sich ist der Beweis nicht in bezug auf die Urteilsfähigkeit einer Person im allgemeinen, sondern in einem bestimmten Zeitpunkt zu erbringen. Dieser Beweis ist dann einfach zu führen, wenn beispielsweise wegen einer Geisteskrankheit auf eine permanent vorhandene Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten zu schliessen ist und damit auch luzide Intervalle auszuschliessen sind; ist dies aber nicht der Fall, dürfte namentlich "post mortem" der Nachweis der Urteilsunfähigkeit zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt im allgemeinen kaum zu führen sein. Wie die Vermutung der Urteilsfähigkeit und die daraus fliessende Beweislastverteilung folgen auch die Grenzen dieser Regeln aus der allgemeinen Lebenserfahrung: Führt die Lebenserfahrung - etwa bei Kindern, bei bestimmten Geisteskrankheiten oder altersschwachen Personen - zur umgekehrten Vermutung, dass die handelnde Person ihrer allgemeinen Verfassung nach im Normalfall und mit Wahrscheinlichkeit als urteilsunfähig gelten muss, ist der Beweispflicht insoweit Genüge getan und die Vermutung der Urteilsfähigkeit umgestossen; der Gegenpartei steht in diesem Fall der | 28 |
c) Als öffentliche Urkunde erbringt das öffentliche Testament für die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen ist (Art. 9 ZGB). Für den Beweis der Urteilsfähigkeit ändert dies allerdings nichts, da die Verfügungsfähigkeit wie erwähnt ohnehin aufgrund der Lebenserfahrung zu vermuten ist. Hinzu kommt, dass die öffentliche Urkunde lediglich eine Vermutung zugunsten der Richtigkeit des Urkundeninhaltes schafft, um dessentwillen die Form der öffentlichen Urkunde gefordert ist (MAX KUMMER, Berner Kommentar, N. 39 und 48 zu Art. 9 ZGB). Nicht zum Urkundeninhalt in diesem engen Sinn gehört aber beim öffentlichen Testament die Erklärung der beiden Zeugen auf der Urkunde, dass sich der Erblasser nach ihrer Wahrnehmung im Zustand der Verfügungsfähigkeit befunden hat (Art. 501 Abs. 2 ZGB); diese bildet lediglich ein Indiz zugunsten der Urteilsfähigkeit (BUCHER, a.a.O., N. 137 f. zu Art. 16 ZGB m.w.H.). Der Richter ist weder an die Bestätigung der Testierfähigkeit durch die Zeugen noch an die Erklärungen des Urkundsbeamten gebunden (BGE 117 II 231 E. 2b S. 234 und E. 3b/bb S. 238). Erkrankungen des Geistes, die sich nicht in akuten Erscheinungen, sondern in einer allgemeinen Abnahme der geistigen Kräfte äussern, bleiben dem ungeübten Beobachter leicht verborgen, so dass sie und namentlich ihre Auswirkungen vielfach nur durch eine sachverständige Untersuchung festgestellt werden können (ESCHER, a.a.O., N. 7 zu Art. 501 ZGB).
| 29 |
| 30 | |
a) Nach der Krankengeschichte ist Maria X. am 13. Januar 1989 in eine Psychiatrische Klinik gebracht worden; anlässlich der Aufnahme hat der diensthabende Arzt festgehalten, dass es der Patientin nach längerer Überlegungszeit gelinge, die Fragen zu ihrer Person und ihrem nahen Umfeld richtig zu beantworten und dass sie durchaus wisse, wo sie sich nun befinde und was in der letzten Zeit vorgefallen sei; lediglich bei der Zeitangabe habe sie etwas Mühe, könne aber nach längerem Überlegen den richtigen Tag angeben. Eine Verwirrtheit bestehe zum Zeitpunkt der Aufnahme und auch | 31 |
b) Der mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragte Prof. K. stützte sich in erster Linie auf die Unterlagen der Psychiatrischen Klinik. Im Gutachten wird die Diagnose der Klinikärzte bestätigt, dass ein "Psychoorganisches Syndrom senilsklerotischer Genese" vorliege. Nach Auffassung des Experten habe Maria X. in den ersten Monaten des Jahres 1989 an einer Geistesschwäche gelitten, weshalb ihre Erinnerungsfähigkeit, die Merkfähigkeit und das Denken deutlich beschränkt gewesen seien. Aufgrund des in der Krankengeschichte dokumentierten psychischen Zustandes ergebe sich eine Wahrscheinlichkeit, dass sich die Erblasserin mehr von einem momentan überwiegend emotionalen Gedanken gegenüber Reto R., der sie zum Notar begleitet habe, habe leiten lassen als von ihren habituellen Einstellungen und Überzeugungen, die ihrer Grundpersönlichkeit entsprochen hätten und die in den früheren Testamenten zum Ausdruck gekommen seien. Nachdem eine spezielle Testuntersuchung der mnestischen Funktionen in der Klinik nicht durchgeführt worden sei, bleibe rückblickend unklar, in welcher geistigen Verfassung sich Maria X. anlässlich ihrer beiden Besuche beim Notar - am 23. März 1989 und am 5. April 1989 - im einzelnen befunden habe und welche Aussagen zum Testament sie bei einer neutralen psychiatrischen Exploration gemacht hätte.
| 32 |
| 33 | |
d) Gestützt darauf ging das Kantonsgericht in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass Maria X. in der Zeit um die Errichtung des öffentlichen Testamentes in ihren geistigen Fähigkeiten nach aussen erkennbar eingeschränkt gewesen sei - mit Defiziten vor allem im Bereich zeitlicher und örtlicher Orientierung sowie der Merkfähigkeit. Sie habe sich indessen noch gut unterhalten können, sei sich ihrer Situation bewusst gewesen und habe gewusst, wer zu ihr stehe.
| 34 |
| 35 | |
Die Klägerin hält diese Begründung für bundesrechtswidrig. Sie räumt zwar ein, dass der Experte in seinem Gutachten nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen konnte, dass die Erblasserin im Zeitpunkt der Errichtung der öffentlich letztwilligen Verfügung urteilsunfähig war. Da sich die Erblasserin jedoch in einem generellen Zustand von Verwirrtheit und Desorientiertheit | 36 |
| 37 | |
a) Soweit die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung ergänzende Tatsachenbehauptungen vorträgt, von denen sich im angefochtenen Urteil nichts findet, ist angesichts der verbindlichen Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz auf die Berufung nicht einzutreten. Die Berufung erweist sich daher insoweit als unzulässig, als geltend gemacht wird, der Beklagte habe knapp einen Monat nach seiner Ernennung zum Beistand mit dem Notar einen Termin zur Errichtung des Testaments arrangiert, in der Folge Maria X. zum Notar gebracht und sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor dieser Besprechung über die erbrechtliche Situation aufgeklärt und ihr das vor dem Notar zu Nennende eingetrichtert. Dasselbe gilt für den Verweis auf die am 13. März 1989 in der Krankengeschichte gemachte Feststellung, wonach sich Maria X. unter einer niedrig gehaltenen Dipiperonkur auf der Abteilung ruhig halten lasse, recht angenehm und im grossen und ganzen lenkbar sei, dass sie an permanenten Verwirrtheitszuständen mit Höhepunkt jeweils am | 38 |
b) Das Kantonsgericht ist davon ausgegangen, dass bei Maria X. für den Zeitpunkt der Errichtung des angefochtenen Testamentes ein "Psychoorganisches Syndrom" diagnostiziert wurde, so dass von einer Geistesschwäche im Rechtssinn auszugehen sei; daraus könne aber in rechtlicher Hinsicht nicht gefolgert werden, dass der Erblasserin im Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes die Fähigkeit rechtsgeschäftlichen Handelns zum vornherein gefehlt habe. Es begründet dies damit, dass Prof. K. als Gutachter das Ausmass der Beeinträchtigung nicht mehr habe bestimmen können und namentlich keine schlüssigen Aussagen darüber gemacht habe, ob Maria X. anlässlich der Besprechung des öffentlichen Testamentes am 23. März 1989 und dessen Errichtung am 5. April 1989 urteilsfähig war oder nicht; daraus folge, dass nach der Lebenserfahrung die Vermutung der Urteilsfähigkeit gelte; es sei daher Sache der Klägerin, die Urteilsunfähigkeit der Erblasserin bei der Errichtung des Testamentes zu beweisen, weil die Ausführungen des Experten keine Zweifel daran liessen, dass die Geistesschwäche nicht derart gravierend war, dass Maria X. zum vornherein die Fähigkeit zu rechtsgeschäftlichem Handeln gefehlt habe.
| 39 |
Mit dieser Begründung verstösst die Vorinstanz gegen die Grundsätze, die sich zur Vermutung der Urteilsfähigkeit ergeben (E. 1b). Allein der Umstand, dass sich im nachhinein das genaue Ausmass der Störung bei Maria X. nicht mehr bestimmen liess und weder bewiesen ist, dass die Erblasserin an den fraglichen Tagen die Tragweite ihres Handelns realisierte, noch das Gegenteil, lässt nicht darauf schliessen, dass die Klägerin mit dem von ihr zu erbringenden | 40 |
c) Im folgenden ist daher zu prüfen, ob gestützt auf die verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz über den geistigen Zustand von Maria X. aufgrund der Lebenserfahrung von der Vermutung auszugehen ist, dass die Erblasserin in der damaligen Zeit im Normalfall und mit grosser Wahrscheinlichkeit urteilsunfähig war, wie es die Klägerin behauptet.
| 41 |
aa) Die Vorinstanz geht selbst davon aus, dass Maria X. an einem ausgeprägten Psychoorganischen Syndrom und damit an einer Geistesschwäche im Rechtssinn gelitten hatte. Ihre Krankheit äusserte sich unter anderem darin, dass die damals 86jährige Erblasserin aufgrund mehrerer tatsächlicher Feststellungen allgemein unter einem Zustand der Verwirrtheit litt, wobei sie einmal versucht habe, abends aus dem Fenster zu steigen bzw. mitten auf der Hauptstrasse gelaufen sei. Diese Vorfälle decken sich mit der vom Kantonsgericht übernommenen Feststellung des ärztlichen Gutachters, dass die Erinnerungsfähigkeit, die Merkfähigkeit und das Denken bei Maria X. in der massgebenden Zeit deutlich beschränkt gewesen seien. Vor diesem Hintergrund ist nicht ohne weiteres nachzuvollziehen, dass die Erblasserin hinsichtlich der intellektuellen Komponente noch als urteilsfähig gelten konnte. Doch auch in bezug auf das Willenselement ergeben sich ernsthafte Zweifel an der Testierfähigkeit | 42 |
bb) Diese Bedenken werden durch den Umstand noch akzentuiert, dass die Urteilsfähigkeit relativ zu verstehen ist; auch wenn jemand trotz einer allgemeinen Beeinträchtigung gewisse Alltagsgeschäfte noch zu besorgen vermag und daher in bezug auf diese urteilsfähig ist, kann die gleiche Person aufgrund des Grades der Beeinträchtigung für andere, anspruchsvollere Geschäfte urteilsunfähig sein. Der für die Verurkundung des Testamentes verantwortliche Notar P. erklärte gemäss den Feststellungen der Vorinstanz, Maria X. habe ihn am 23. März 1989 unter vier Augen darüber orientiert, dass sie eine Schwester als Verwandte habe, dass der Beklagte auf ihren Wunsch zu ihrem Beistand ernannt worden sei und dass sie ein Testament errichten wolle; sie habe ihm die Weisung gemacht, ihre Beerdigung solle in [...] erfolgen, habe ihr Vermögen mit ca. Fr. 110'000.-- Wertschriften sowie einem hälftigen Hausteil angegeben und klar festgehalten, den Beklagten als Alleinerben einsetzen zu wollen. Er habe den Eindruck gehabt, dass Maria X. an diesem Tag ihren Willen klar formulieren konnte und dass sie auch verstand, worum es ging und wie die rechtliche Situation war. In der Folge sei am 5. April 1989 die Beurkundung des öffentlichen Testamentes in Anwesenheit von Maria X. vorschriftsgemäss erfolgt.
| 43 |
Der vom Notar über den Verlauf der Sitzung vom 23. März 1989 vermittelte Eindruck, Maria X. habe völlig autonom über ihre Verwandtschafts- und namentlich Vermögensverhältnisse berichtet und ihre Verfügungsabsichten klar kundgetan und habe sich als zweifelsfrei testierfähig erwiesen, steht unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten solcher Geschäfte in offensichtlichem Kontrast zur Tatsachenfeststellung des Kantonsgerichts, dass ihre Erinnerungsfähigkeit, die Merkfähigkeit und das Denken gemäss ärztlichem Gutachter deutlich beschränkt gewesen seien. Auffallend ist namentlich, dass Maria X. in ihrem eigenhändigen Testament vom 5. September 1974 von ihrem "Bar und Wertschriften Vermögen" sprach, ohne dessen Höhe auch nur ungefähr zu benennen, während | 44 |
cc) Dass die Fähigkeit zu vernunftgemässem Verhalten für das hier zu beurteilende Rechtsgeschäft nach der allgemeinen Lebenserfahrung bei Maria X. nicht mehr gegeben war, wird auch erhärtet, wenn die umstrittene Verfügung auf ihre Vernünftigkeit geprüft und daraufhin untersucht wird, ob sie den habituellen Einstellungen und Überzeugungen der Erblasserin entsprach, wie sie namentlich in den eigenhändigen Testamenten zum Ausdruck gelangten. Unter bestimmten Umständen darf auch die Vernünftigkeit der in Frage stehenden Handlung bei der Beurteilung der Urteilsfähigkeit berücksichtigt werden. Zwar kann nicht generell vom Inhalt oder von den Folgen eines Rechtsgeschäftes auf das Vorliegen oder Fehlen der Urteilsfähigkeit der betreffenden Person geschlossen werden. Die Frage, ob eine Verfügung unter dem Gesichtspunkt des verantwortungsbewussten und vernünftigen Handelns für Aussenstehende nachvollziehbar ist, stellt sich nämlich dann nicht, wenn beim Testator weder allgemein noch speziell für die Zeit der Verfügung Zweifel an der Urteilsfähigkeit bestehen; sind hingegen wie im vorliegenden Fall solche Zweifel angebracht, kann die Vernünftigkeit einer Verfügung insoweit bedeutsam werden, als deren Inhalt als Indiz dafür gelten kann, dass sich der Testator seiner Handlung bzw. deren Folgen nicht mehr bewusst war (BGE 117 II 231 E. 2a S. 233 m.w.H.; BUCHER, a.a.O., N. 83 ff. zu Art. 16 ZGB).
| 45 |
| 46 | |
d) Insgesamt ergibt sich, dass angesichts des allgemeinen Gesundheitszustandes von Maria X. die Lebenserfahrung für den Normalfall gegen deren Urteilsfähigkeit in bezug auf das hier zu beurteilende Rechtsgeschäft spricht. Was das Kantonsgericht als Umstände anführt, die nach der Lebenserfahrung für die Vermutung der Urteilsfähigkeit der Erblasserin hinsichtlich des hier zu beurteilenden Geschäftes sprechen sollen, vermag daran nichts zu ändern:
| 47 |
aa) Das Kantonsgericht hat bei der Beurteilung der Frage der Urteilsfähigkeit von Maria X. insbesondere grosses Gewicht auf die Aussagen der Zeugen gelegt, und unter Bezugnahme auf dieselben festgestellt, dass man sich mit Maria X. noch gut habe unterhalten können, dass sie sich ihrer Situation bewusst gewesen sei und dass sie gut habe unterscheiden können, wer zu ihr gestanden sei oder nicht. Die Feststellung, die Erblasserin sei sich ihrer Situation bewusst gewesen, erfolgt unter Hinweis auf Äusserungen des Hausarztes Dr. F. Abgesehen davon, dass eine so allgemein gehaltene Umschreibung kaum konkrete Schlüsse auf den Grad der Urteilsfähigkeit zuliesse, hat sich der Zeuge gerade nicht in diesem allgemeinen Sinn ausgedrückt, sondern nach den Feststellungen des Kantonsgerichts vielmehr erklärt, über ihre eigenen Angelegenheiten - d.h. den Eintritt ins Altersheim - habe man sich mit ihr noch gut unterhalten können; zudem ist nicht bekannt, auf welchem intellektuellen Niveau sich die Unterhaltung über den Eintritt ins Altersheim bewegte. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass Dr. F. nach den verbindlichen Tatsachenfeststellungen auch von einer deutlichen Verschlechterung des Denkvermögens seit dem 1985 erlittenen Hirnschlag, von einer deutlichen Verlangsamung des Denkens und von einer teilweisen Verwirrtheit im Dezember 1988 sprach. Dies deutet eher darauf hin, dass von einer im Normalfall wesentlich beeinträchtigten Urteilsfähigkeit auszugehen ist.
| 48 |
bb) Was sodann die sich teilweise widersprechenden Aussagen der Zeugen Vitus S. und Hans T. einerseits und der Zeugin Rita B. andrerseits betrifft, ist vorweg darauf hinzuweisen, dass Laien erfahrungsgemäss nur selten eine zutreffende Vorstellung der Urteilsfähigkeit im Rechtssinn haben; in aller Regel kann ein Zeuge hinsichtlich der Urteilsfähigkeit keine genaue Angaben machen, ausser er | 49 |
e) Insgesamt ergibt sich das Bild einer allgemeinen Geistesverfassung von Maria X., das nur den Schluss auf eine im Normalfall stark eingeschränkte Urteilsfähigkeit zulässt; es ist daher davon auszugehen, dass die Erblasserin nach ihrer Einweisung in die Psychiatrische Klinik im Frühjahr 1989 in bezug auf den Abschluss von relativ anspruchsvollen Geschäften, wozu die Errichtung eines Testamentes zählt, im Normalfall nicht mehr urteilsfähig war. Das Kantonsgericht durfte daher nicht davon ausgehen, dass der von der Klägerin zu erbringende Nachweis für die fehlende Testierfähigkeit der Erblasserin gescheitert sei. Vielmehr ist aufgrund einer Würdigung aller Umstände davon auszugehen, dass Maria X. im fraglichen Zeitraum mit grosser Wahrscheinlichkeit im Normalfall nicht mehr testierfähig war. Dem Beklagten steht der Gegenbeweis offen, dass die Erblasserin trotz im Normalfall gegebener Urteilsunfähigkeit zum fraglichen Zeitpunkt ausnahmsweise urteilsfähig war.
| 50 |
| © 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |