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Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes
Vom 4. Februar 1933
 
Diese Verordnung gehört zu den ersten Erlassen, die unter der Regierung der "nationalen Konzentration" (NSDAP, DNVP, parteilose Konservative) nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler (30. Jan. 1933) zustande kamen. Die Regierung unter Hitler wurde trotz der Wahlverluste der NSDAP bei den vorausgegangenen Reichstagswahlen gebildet (Wahlen vom 6. Nov. 1932 mit mehr als 4% Verlust gegenüber dem Stand vom 31. Juli 1932: 37,4%).  Der sachlich für die Verordnung zuständige Innenminister Wilhelm Frick war (neben Hermann Göring und Adolf Hitler) einer von nur drei Nationalsozialisten des Kabinetts.
Auf Grund des Artikels 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird folgendes verordnet:
Abschnitt I
Versammlungen und Aufzüge
§ 1
(1) Öffentliche politische Versammlungen sowie alle Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel sind spätestens achtundvierzig Stunden vorher unter Angabe des Ortes, der Zeit und des Verhandlungsgegenstandes der Ortspolizeibehörde anzumelden.
(2) Sie können im Einzelfall verboten werden, wenn nach den Umständen eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu besorgen ist. Statt des Verbots kann eine Genehmigung unter Auflagen ausgesprochen werden. Zuständig sind, soweit die obersten Landesbehörden nichts anderes bestimmen, die Ortspolizeibehörden.
(3) Ausgenommen sind Veranstaltungen nicht politischer Art.
(4) Eine Anordnung nach Abs. 2 kann nach den Bestimmungen des Landesrechts angefochten werden. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
§ 2
Öffentliche politische Versammlungen sowie Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel können aufgelöst werden,
1. wenn in ihnen zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder die innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen der verfassungsmäßigen Regierung oder der Behörden aufgefordert oder angereizt wird, oder
2. wenn in ihnen Organe, Einrichtungen, Behörden oder leitende Beamte des Staates beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden, oder
3. wenn in ihnen eine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts, ihre Einrichtungen, Gebräuche oder Gegenstände ihrer religiösen Verehrung beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden, oder
4. wenn in ihnen zu einer Gewalttat gegen eine bestimmte Person oder allgemein zu Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen aufgefordert oder angereizt wird,
5. wenn sie nicht angemeldet oder wenn sie verboten sind oder wenn von den Angaben der Anmeldung absichtlich abgewichen oder wenn einer Auflage zuwidergehandelt wird.
§ 3
(1) Die Polizeibehörde ist befugt, in jede öffentliche Versammlung Beauftragte zu entsenden.
(2) Die Beauftragten haben sich unter Kundgebung ihrer Eigenschaft dem Leiter oder, solange dieser nicht bestellt ist, dem Veranstalter der Versammlung zu erkennen zu geben.
(3) Den Beauftragten muß ein angemessener Platz eingeräumt werden.
(4) Wird die Zulassung der Beauftragten verweigert, so kann die Versammlung für aufgelöst erklärt werden.
§ 4
(1) Ist eine Versammlung für aufgelöst erklärt, so hat die Polizeibehörde dem Leiter oder Veranstalter der Versammlung die mit Tatsachen zu belegenden Gründe der Anordnung schriftlich mitzuteilen, falls er dies binnen drei Tagen beantragt.
(2) Die Auflösung kann nach den Bestimmungen des Landesrechts angefochten werden.
§ 5
Der Reichsminister des Innern kann allgemein oder mit Einschränkungen für das ganze Reichsgebiet oder einzelne Teile Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge sowie das Tragen einheitlicher Kleidung, die die Zugehörigkeit zu einer politischen Vereinigung kennzeichnet, verbieten und für Zuwiderhandlungen Gefängnisstrafe oder Geldstrafe allein oder nebeneinander androhen.
§ 6
(1) Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge dürfen von den Landesbehörden wegen unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden
1. allgemein nur für bestimmt abgegrenzte Ortsteile,
2. im ührigen nur im Einzelfalle.
Weitergehende allgemeine Verbote treten außer Kraft.
(2) Hat der Reichsminister des Innern gegen ein Verbot nach Abs. 1 Nr. 1 Bedenken, so kann er die oberste Landesbehörde um Änderung oder Aufhebung ersuchen. Entspricht die oberste Landesbehörde dem Ersuchen nicht, so kann er das Verbot aufheben.
Abschnitt II
Druckschriften
§ 7
(1) Druckschriften, deren Inhalt geeignet ist, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gefährden, konnen polizeilich beschlagnahmt und eingezogen werden.
(2) Zuständig sind, soweit die obersten Landesbekörden nichts anderes bestimmen, die Ortspolizeibehörden.
§ 8
Die Vorschriften des Gesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874 (Reichsgesetzbl. I S. 65) über die Beschlagnahme von Druckschriften ohne richterliche Anordnung (§§ 23 ff. des Gesetzes) finden auf die in den §§ 81 bis 86, 92 Nr. 1 und 110 des Strafgesetzbuchs oder in den §§ 1 bis 4 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse bezeichneten strafbaren Handlungen mit der Maßgabe Anwendung, daß der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß des Gerichts, der die vorläufige Beschlagnahme aufhebt, die sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung zusteht.
§ 9
(1) Periodische Druckschriften können verboten werden,
1. wenn durch ihren Inhalt die Strafbarkeit einer der in den §§ 81 bis 86, 92 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs oder in den §§ 1 bis 4 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse bezeichneten Handlungen begründet wird;
2. wenn in ihnen zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder die innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen der verfassungsmäßigen Regierung oder der Bekörden aufgefordert oder angereizt wird;
3. wenn in ihnen zu Gewalttätigkeiten aufgefordert oder angereizt wird oder wenn in ihnen Gewalttätigkeiten, nachdem sie begangen worden sind, verherrlicht werden;
4. wenn in ihnen zu einem Generalstreik oder zu einem Streik in einem lebenswichtigen Betriebe aufgefordert oder angereizt wird;
5. wenn in ihnen Organe, Einrichtungen, Behörden oder leitende Beamte des Staates beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden;
6. wenn in ihnen eine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts, ihre Einrichtungen, Gebräuche oder Gegenstände ihrer religiösen Verehrung beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden;
7. wenn in ihnen offensichtlich unrichtige Nachrichten enthalten sind, deren Verbreitung geeignet ist, lebenswichtige Interessen des Staates zu gefahrden;
8. wenn als verantwortlicher Schriftleiter dem Verbote des Reichsgesetzes vom 4. März 1931 (Reichsgesetzbl. I S. 29) zuwider jemand bestellt oder benannt ist, der nicht oder nur mit besonderer Zustimmung oder Genehmigung strafrechtlich verfolgt werden kann.
(2) Die Dauer des Verbors darf bei Tageszeitungen vier Wochen, in anderen Fällen sechs Monate nicht überschreiten. Diese Beschränkung fällt fort, wenn eine periodische Druckschrift, die auf Grund der Vorschriften dieser Verordnung bereits zweimal verboten war, innerhalb dreier Monate nach dem ersten Verbot erneut verboten wird, in diesem Falle darf die Dauer des Verbots bei Tageszeitungen sechs Monate, in anderen Fällen ein Jahr nicht überschreiten.
(3) Ein auf Grund des Abs. 1 erlassenes Verbot umfaßt auch die in demselben Verlag erscheinenden Kopfblätter der Zeitung sowie jede angeblich neue Druckschrift, die sich sachlich als die alte darstellt oder als ihr Ersatz anzusehen ist.
§ 10
(1) Zuständig für das Verbot einer periodischen Druckschrift sind die obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen. Gegen das Verbot ist binnen zwei Wochen vom Tage der Zustellung oder Veröffentlichung ab die Beschwerde an einen vom Präsidium zu bestimmenden Senat des Reichsgerichts gegeben. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
(2) Die Beschwerde ist bei der Stelle einzureichen, gegen deren Anordnung sie gerichtet ist. Diese hat sie unverzüglich der obersten Landesbehörde vorzulegen. Hilft diese der Beschwerde nicht ab so hat sie sie unverzüglich an den Reichsminister des Innern weiterzuleiten. Der Reichsminister des Innern kann der Beschwerde abhelfen, andernfalls hat er sie unverzüglich dem Senat des Reichsgerichts zur Entscheidung vorzulegen. Gegen eine Entscheidung des Reichsministers des Innern, die der Beschwerde abhilft, kann die oberste Landesbehörde die Entscheidung des Senats des Reichsgerichts anrufen.
(3) Der Reichsminister des Innern kann die oberste Landesbehörde um das Verbot einer perfodischen Druckschrift ersuchen. Glaubt die oberste Landesbehörde, einem solchen Ersuchen nicht entsprechen zu können, so teilt sie dies unverzüglich, spätestens aber am zweiten Tage nach Empfang des Ersuchens, dem Reichsminister des Innern mit und ruft innerhalb derselben Frist die Entscheidung des Senats des Reichsgerichts an. Erklärt dieser das Verbot für zulässig, so hat die oberste Landesbekörde dem Ersuchen sofort zu entsprechen. Einer Beschwerde gegen ein auf Ersuchen des Reichsministers des Innern angeordnetes Verbot kann die oberste Landesbehorde nicht abhelfen.
§ 11
(1) Eine periodische Druckschrift, die unter Duldung des Verlcgers den Beziehern einer verbotenen Druckschrift als deren Ersatz zur Abwendung der Folgen des Verbots zugestellt wird, kann für die im § 9 Abs. 2 bestimmte Dauer verboten werden.
(2) Zuständig für das Verbot ist die Stelle, die das erste Verbot angeordnet hat. Erscheint die als Ersatz zugestellte periodische Druckschrift in einem anderen Lande als die verbotene, so ist die zuständige Landesbehörde von der Stelle, die das erste Verbot angeordnet hat, um Anordnung des Verbots der als Ersatz zugestellten periodischen Druckschrift zu ersuchen. Will die ersuchte Behörde das Verbot nicht anordnen, so hat sie die Entscheidung des Reichsministers des Innern anzurufen; die Vorschriften des § 10 Abs. 3 finden entsprechende Anwendung.
(3) Gegen das Verbot ist die Beschwerde gemäß den Vorschriften des § 10 Abs. 1, 2 zulässig.
§ 12
Ein Verbot einer periodischen Druckschrift muß ohne sachliche Nachprüfung sofort aufgehoben werden, wenn die Beschwerde nicht spätestens am fünften Tage nach ihrer Einlegung dem Reichsminister des Innern zugeleitet ist.
§ 13
Ist in einer periodischen Druckschrift, die nicht im Inland erscheint, eine Veröffentlichung der im § 9 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 bezeichneten Art enthalten, so kann der Reichsminister des Innern ihre Verbreitung im Inland bis zur Dauer von sechs Monaten verbieten. Gegen das Verbot ist kein Rechtsmittel zulässig.
Abschnitt III, IV
[hier nicht wiedergegeben]
Abschnitt V
Schlußvorschriften
§ 25
(1) Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erläßt der Reichsminister des Innern, und zwar, soweit es sich um Vorschriften über das Verfahren vor dem Senat des Reichsgerichts handelt, im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz. Er kann, soweit er es für erforderlich hält, Richtlinien für die Handhabung der Vorschriften dieser Verordnung erlassen.
(2) Der Kreis der leitenden Beamten im Sinne dieser Verordnung (§ 2 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 5) wird, soweit es sich um Reichsbeamte handelt, von dem Reichsminister des Innern, soweit es sich um Landesbeamte handelt, von den Landesregierungen bestimmt.
§ 26
(1) Diese Verordnung tritt mit dem Tage nach ihrer Verkündung in Kraft.
(2) Während ihrer Geltungsdauer sind die Vorschriften der §§ 2, 6 bis 8 der Verordnung des Reichspräsidenten zur Erhaltung des inneren Friedens vom 19. Dezember 1932 (Reichsgesetzbl. I S. 548) nicht anzuwenden.
Berlin, den 4. Februar 1933.
Der Reichspräsident
von Hindenburg
Der Reichskanzler
Adolf Hitler
Der Reichsminister des Innern
Frick
Der Reichsminister der Justiz
Dr. Gürtner

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Originalfassung (RGBl)
Unterrichtsfassung
Englische Fassung

Letzte Änderung am 25. Mai 2011, Tsch