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Informationen zum Dokument  BVerwGE 1, 4 - Soforthilfegesetz (SHG)  Materielle Begründung
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BVerfGE 4, 331 - Soforthilfegesetz

Zitiert selbst:

I.
II.
III.
1. Hinsichtlich der Besetzung des Beschwerdeausschusses besteht k ...
2. Der Beschwerdeausschuß leistet nach seiner Zusammensetzu ...
IV.
V.
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher, Sven Broichhagen  
BVerwGE 1, 4 (4)Der Beschwerdeausschuß nach dem Soforthilfegesetz - SHG - war kein Verwaltungsgericht; seine Entscheidungen sind Verwaltungsakte.  
 
Urteil
 
des III. Senats vom 8. September 1953 (I. Landesverwaltungsgericht Köln)  
-- BVerwG III A 8.53 --  
 
Gründe:
 
I.  
In der vorliegenden Streitsache wegen eines Anspruchs auf Unterhaltshilfe nach dem Soforthilfegesetz vom 8. August 1949 - WiGBl. S. 205 - (SHG) hat das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden, da der Spruchsenat für Soforthilfe über die Rechtsbeschwerde nicht mehr entschieden und der nach dem Lastenausgleichsgesetz gebildete Beschwerdeausschuß ihr nicht abgeholfen hat (§ 353 Nr. 3 LAG in der Fassung des Dritten Änderungsgesetzes zum LAG vom 24. Juli 1953, BGBl. I S. 693 ff.).
1
II.  
Über die nunmehr beim Bundesverwaltungsgericht anhängige Streitsache entscheidet dieses im ersten und letzten Rechtszug. Die (frühere) Rechtsbeschwerde ist als Klage gegen einen die Unterhaltshilfe versagenden Verwaltungsakt anzusehen. BVerwGE 1, 4 (4)BVerwGE 1, 4 (5)Das Bundesverwaltungsgericht hatte nach § 353 Nr. 3 LAG in seiner ursprünglichen Fassung die Rechtsbeschwerde als Revision nach § 339 LAG zu behandeln. Die neue Fassung des § 353 Nr. 3 LAG durch das Dritte Ämderungsgesetz begründet sich damit, zu bestimmen, daß das Bundesverwaltungsgericht "die Streitsache entscheidet". Diese dem Wortlaut nach nicht eindeutige Vorschrift besagt, daß das Bundesverwaltungsgericht in diesen Fällen im ersten Rechtszug zu entscheiden hat, denn eine Rechtsmittelentscheidung im höheren Rechtszuge kommt nicht in Frage, weil es an einer gerichtlichen Entscheidung fehlt, über die im Rechtsmittelzuge zu entscheiden wäre. Zwar schreibt § 69 Abs. 2 SHG vor, daß die nach diesem Gesetz gebildeten Beschwerdeausschüsse "als Verwaltungsgerichte" entscheiden: "ihre Mitglieder sind daher als solche unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen". Trotz diesem Wortlaut sind die Beschwerdegerichte jedoch keine Verwaltungsgerichte und wird der Rechtsweg - Gerichtsweg - im Sinne des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 - BGBl. S. 1 - (GG) durch die Anrufung des Beschwerdeausschusses nicht eröffnet; denn der Beschwerdeausschuß entspricht, wie im folgenden darzulegen ist, nicht den Mindestanforderungen, die an ein Gericht im Sinne des Grundgesetzes zu stellen sind. § 69 Abs. 2 SHG verstößt daher gegen das Grundgesetz, soweit er vorschreibt, daß der Beschwerdeausschuß als Verwaltungsgericht entscheide.
2
Diese Feststellung kann der Senat selbst treffen, ohne die Sache nach Art. 100 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen; denn das Soforthilfegesetz unterliegt der ausschließlichen Normenkontrolle durch dieses Gericht nicht, da es nach seinem § 84 am tage seiner Verkündung, dem 18. August 1949, also vor dem Zusammentreten des Bundestages, in Kraft getreten ist.
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Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 24. Februar 1953 (vgl. u.a. DVBl. 1953 S. 206, DÖV 1953 S. 214 und MDR 1953 S. 281) seine ausschließliche Befugnis zur Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG für solche Gesetze verneint, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes, dem 24. Mai 1949, verkündet sind; die Frage, ob seine Zuständigkeit für die Gesetze gelte, welche zwar erst nach diesem Zeitpunkt, aber noch vor dem Zusammentreten des Budestages, also dem 7. September 1949, ergengen sind, hat es dabei unentschieden gelassen. Der Senat hat daher diese Frage selbst zu entscheiden. Er verneint sie.
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Zwar ist das Grundgesetz schon mit dem Ablauf des tages seiner Verkündung, demzufolge am 24. Mai 1949, in Kraft getreten (Art. 145 Abs. 2 GG) und die seitdem ergangene Rechtsetzung im Geltungsbereich des Grundgesetzes unterliegt inhaltlich, namentlich hinsichtlich der Vereinbarkeit mit den Grundrechten, der Beurteilung nach dem Grundgesetze. Aber die Bundesrepublik Deutschland ist nach den ausdrücklichen Vorschriften des Grundgesetzes erst mit dem Zusammentreten des Bundestages am 7. September 1949 ins Leben getreten. Erst von diesem Tage an konnten die Organe, BVerwGE 1, 4 (5)BVerwGE 1, 4 (6)durch welche das Volk im Bund die Staatsgewalt ausübt (Art. 20 Abs. 2 GG), entstehen und wirksam werden. Das gilt nicht nur für den Bundestag selbst, sondern auch für den Bundesrat (Art. 136 Abs. 1), den Bundespräsidenten (Art. 54), die Bundesregierung (Art. 63, 64) und die Bundesgerichte (Art. 95 Abs. 3, 96 Abs. 2). Dementsprechend blieben gesetzgebende und bei der Gesetzgebung mitwirkende Organe, die nach dem Grundgesetz nicht mehr anerkannt sind, auch nach dessen Inkrafttreten zunächst bestehen und konnten weiter gesetzgeberisch tätig werden; sie wurden erst mit dem Zusammentreten des Bundestages aufgelöst (Art. 122), ebenso gilt das Recht - soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht - aus dieser Zeit bis zu diesem Zeitpunkte fort (Art. 123 Abs. 1). erst von da an, nicht schon mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, swird älteres Recht nach Art. 124, 125 GG Bundesrecht; erst von diesem Zeitpunkt an kann es daher als Maßstab für die Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG gelten (vgl. den Beschluß des Bundesverfassungsgericht vom 4. März 1953 - NJW 1953 S. 618, DÖV 1953 S. 436 -). Das Bundesverwaltungsgericht ist daher der Ansicht, daß der Tag, an dem die Bundesrepublik Deutschland erst ins Leben getreten ist, und namentlich ihre Gesetzgebungsgewalt sowohl hinsichtlich neu zu schaffenden Rechts als auch der Verwandlung früheren Rechts in Bundesrecht, begonnen hat, auch maßgebend sein muß für die Frage, welche Gesetze der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Entscheidung über ihre Verfassungsmäßigkeit unterliegen.
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Damit hatte aber der erkennende Senat das Recht und die Pflicht, in eigener Zuständigkeit darüber zu entscheiden, ob § 69 Abs. 2 SHG mit dem Grundgesetz ganz oder teilweise unvereinbar ist.
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III.  
1. Hinsichtlich der Besetzung des Beschwerdeausschusses besteht keinerlei Gewähr dafür, daß die zur Entscheidung berufenen Personen eine Vorbildung haben, die man für einen Richter verlangen muß; dies fällt um so mehr ins Gewicht, als die Beschwerdeausschüsse, wenn man sie als Verwaltungsgerichte ansehen wollte, grundsätzlich im ersten und einzigen Rechtszuge entscheiden würden, da die - nicht nachprüfbare - Zulassung der Rechtsbeschwerde die Ausnahme bildet. Es bestehen auch Bedenken, ob den an ein gerichtliches Verfahren zu stellenden Mindestanforderungen Genüge getan ist. Es kann jedoch auch dahin gestellt bleiben, ob den Beschwerdeausschüssen schon aus einem dieser gründe die Anerkennung der Eigenschaft als Gerichte versagt werden müßte; denn diese Ausschüsse können aus einem anderen Grunde nicht als Gerichte anerkannt werden.
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2. Der Beschwerdeausschuß leistet nach seiner Zusammensetzung und seiner organisatorischen Eingliederung nicht die Gewähr für eine gerichtliche Nachprüfung der Verwaltungsentscheidung des Soforthilfeausschusses.
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Voraussetzung für die Anerkennung einer Behörde als Gericht ist, daß auf den Inhalt ihrer Entscheidungen die Organe der Verwaltung (einschließBVerwGE 1, 4 (6)BVerwGE 1, 4 (7)lich der Regierung) oder der Gesetzgebung (außerhalb der normgebenden Tätigkeit) keinen Einfluß haben.
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Das Gericht muß daher grundsätzlich von Weisungen unabhängig sein (Art. 97 Abs. 1 GG). Die Vorschrift des § 69 Abs. 2 SHG zeigt, daß der Gesetzgeber aus der von ihm angenommenen Eigenschaft der Beschwerdeausschüsse als Gerichte durch die Worte: "ihre Mitglieder sind daher als solche unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen" die notwendigen Folgerungen hat ziehen wollen.
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Trotzdem besteht keine Gewähr dafür, daß die Beschwerdeausschüsse die vom Gesetzgeber gerforderte Selbstäbdigkeit gegenüber den Organen der anderen Gewalten haben.
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a) Es genügt nicht, daß die Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit der Richter vom Gesetz lediglich vorgeschrieben wird. Es müssen auch die Voraussetzungen für eine weisungsfreie Rechtsprechung durch - wenigstens grundsätzlich - persönlich unabhängige Richter rechtlich sichergestellt sein. Der Beschwerdeausschuß besteht aus dem Leiter des Landesamts für Sozialhilfe oder einem Vertreter als Vorsitzenden sowie zwei vom Parlament des Landes auf die Dauer eines Jahres gewählten Beisitzern, von denen einer der Geschädigtengruppe des Antragstellers zu entnehmen ist (§ 53 SHG).
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Die Unabhängigkeit des Beschwerdeausschusses ist nicht etwa allein schon dadurch gewährleistet, daß das Gesetz die Teilnahme der beiden Beisitzer vorsieht. Zudem bestehen keine gesetzlichen Vorschriften über die persönliche Rechtsstellung des Vorsitzenden, durch die seine tatsächliche Unabhängigkeit sichergestellt würde. Er hat nicht nur keine gesetzliche Gewähr gegen eine beliebige Absetzung oder Versetzung, sondern er braucht nach dem Gesetz nicht einmal lebenslänglicher Beamter oder überhaupt Beamter zu sein. Ein Angehöriger einer Behörde aber, der nicht nur von der Behörde, über deren Verwaltungsakte er urteilen soll, angestellt sit, sondern auch jederzeit von ihr entlassen oder in ein anderes Amt versetzt werden kann, hat grundsätzlich dieser Behörde gegenüber nicht die rechtlich nötige Unabhängigkeit. Dabei kann es darauf, ob eine solche Unabhängigkeit der Einrichtung als solcher gesetzlich gewährleistet ist. Fehlt diese Gewähr, so könnte eine trotzdem gesetzlich ausgesprochene Weisungsfreiheit lediglich ein mit den wirklichen Verhältnissen unvereinbarer Schein sein, die grundsätzliche Vorschrift also ihres Wesensgehalt beraubt werden.
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Allerdings ist nach Art. 97 Abs. 2 GG die Bestellung von Richtern nicht ausgeschlossen, die nicht hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellt sind und daher vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen, ihres Amtes enthoben oder versetzt werden können. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß es für die Frage, ob eine Spruchstelle als Gericht im Sinne des GrundBVerwGE 1, 4 (7)BVerwGE 1, 4 (8)gesetzes anerkannt werden kann, unwesentlich sei, ob die persönliche Unabhängigkeit der zur Entscheidung Berufenen gesetzlich gewährleistet ist. Das ergibt sich aus dem Zusammenhang der Vorschriften des Grundgesetzes über die Selbständigkeit der Gewalten (Art. 20 Abs. 2 GG) darüber, daß die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist (Art. 92 GG), über die Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG), über den Rechtsweg gegen Verletzung durch die öffentliche Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG) und namentlich über den Rechtsstaat (Art. 20 in Verbindung mit Art. 28 GG): Von Organen einer unabhängogen richterlichen Gewalt, welche auf ihrem Aufgabengebiete die vom Volke ausgehende Staatsgewalt selbständig auszuüben und nötigenfalls im Rahmen der Verfassung auch die Tätigkeit der Organe der anderen Gewalten auf ihre Rechtmäßigkeit nachzuprüfen haben, kann nur gesprochen werden, wenn die zur Rechtsprechung berufenen Behörden grundsätzlich mit Richtern besetzt werden, die, nachdem sie einmal in ihr Amt eingesetzt sind - vorbehaltlich der Möglichkeit einer Richterklage - den Organen der Verwaltung (Regierung) und Gesetzgebung gegenüber auch persönlich unabhängig sind. Ein Richter ohne die richterliche Gewähr seiner Unabhängigkeit muß in einem als Gericht anzuerkennenden Organismus die Ausnahme bilden. Dann kann aber - entgegen der anscheinend vom Bundesgerichtshof, wenn auch nur für bestimmte Übergangsregelungen, in dem Urteil vom 21. Mai 1953 -- III ZR 272/51 - (abgedruckt NJW 1953 S. 1298 ff.) vertretenen Ansicht - eine behördliche Einrichtung, in der es überhaupt keine im Sinne des Art. 97 Abs. 2 GG unabhängigen Richter gibt, ein Gericht im Sinne des grundgesetzes nicht darstellen. Dabei handelt es sich auch hier nicht um die einzelne Spruchstelle und den einzelnen Richter, sondern um die gesamte Behördeneinrichtung, die als Zweig der Gerichtsbarkeit gelten soll. Aus dem Umstand, daß diesen Vorschriften z.B. in den Zweigen der zivil- und Strafgerichtsbarkeit Genüge getan ist, kann amn aber nicht etwa schließen, daß nunmehr jede andere Behördenorganisation, die überhaupt keine unabhängigen Richter hat, gewissermaßen an der Unabhängigkeit der anderen Gerichtszweige deshalb mit teilnehme, weil die Dritte Gewalt eine einheitliche Einrichtung sei. Davon könnte höchstens die Rede sein, wenn die Dritte Gewalt in der Weise organisatorisch eine Einheit bildete, daß z.B. die besonderen Gerichte mit den ordentlichen justiz- und Verwaltungsgerichten durch einen gemeinsamen höheren Rechtszug und eine einheitliche Richterschaft miteinander verbunden wären. Dies ist aber nicht der Fall. Ob eine Behördeneinrichtung als Gericht anzusehen ist, muß nach den für sie maßgebenden Vorschriften entschieden werden. Erst wenn dies zu bejahen ist, steht fest, daß sie zur Dritten Gewalt gehört.
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b) es bestehen somit schon mit Rücksicht auf den Mangel jeder gesetzlichen Gewähr für eine wirkliche Unabhängigkeit der zur Entscheidung berufenen Personen schwerste Bedenken dagegen, ob der Organismus der BVerwGE 1, 4 (8)BVerwGE 1, 4 (9)Beschwerdebeschlüsse als eine echte gerichtliche Institution angesehen werden kann, und ob nicht vielmehr die notwendige Selbständigkeit dieser Behörden schon wegen dieses mangels zu verneinen ist. Indessen bedarf es vorliegend keiner abschließenden Entscheidung darüber, denn diese Selbständigkeit fehlt auf alle Fälle schon aus folgenden Gründen:
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Eine Behörde kann dann nicht als Gericht angesehen werden, wenn sie so stark in eine Verwaltungsbehörde eingebaut ist, daß die richterliche Tätigkeit von der Verwaltungstätigkeit nicht unbeeinflußt bleiben k a n n. Das ist aber nach den Beschwerdeausschüssen nach dem SHG der Fall. Der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses ist der Leiter des Landesamts für Soforthilfe (oder ein Vertreter, § 53 SHG). Als solcher übt er über die Ämter für Soforthilfe seines Bereichs eine Aufsicht aus, die sich nicht auf eine Rechtsaufsicht beschränkt, sondern ausdrücklich als Sachaufsicht bezeichnet ist. Er hat also die Möglichkeit, den Ämtern für Soforthilfe im Einzelfalle und allgemein Weisungen über ihre Tätigkeit erteilen (§ 52 Abs. 2 SHG). Er selbst untersteht wiederum der Sachaufsicht des Präsidenten des Hauptamts für Soforthilfe (§ 54 Abs. 3 SHG) und hat in der Regel dessen Weisungen an die Ämter für Soforthilfe diesen zu übermitteln (DVO zu § 54 SHG). Der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses hat also weitgehend Fragen, über die er im Beschwerdeausschuß zu entscheiden hat, verwaltend zu bearbeiten, unabhängig davon, ob er in einem Einzelfall eine Weisung an das Amt für Soforthilfe erteilt hat oder nicht.
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Allerdings braucht der Grundsatz der Gewaltentrennung organisatorisch nicht bis zu den letzten denkbaren Folgerungen durchgeführt zu werden. Es besteht unter dem Gesichtspunkte einer Sebständigkeit der Gewalten kein grundsätzliches Bedenken dagegen, einem Richter - wenn seine Unabhängigkeit im übrigen gesichert ist - auch Verwaltungsaufgaben zu übertragen. Die Grenze für die Zuständigkeit einer solchen Vereinigung von rechtsprechender und verwaltender Tätigkeit liegt aber da, wo der Beamte verwaltungsmäßig mit der Entscheidung von Rechtsfällen derselben Art befaßt wird, wie es die sind, über welche er als Richter zu entscheiden hat. Dabei kommt es auch hier nicht darauf an, ob er im Einzelfall in einer zu seiner richterlichen Entscheidung stehenden Sache verwaltend tätig gewesen ist - insoweit genügen die Vorschriften über den Ausschluß und die Ablehnung von Richtern -, sondern darauf, ob es zu seinen dienstlichen Aufgaben gehört, Fragen der art wie die, über die er als Richter zu entscheiden hat, verwaltungsmäßig nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und den Weisungen von Vorgesetzten zu bearbeiten. Bei der Organisation und Besetzung der Beschwerdeausschüsse ist diese Grneze aber - wie dargelegt - überschritten.
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Der Standpunkt, daß jede zur Entscheidung von Streitfragen berufene Behörde ohne Rücksicht auf die persönliche Unabhängigkeit der Beamten und ihre Verbindung mit verwaltender Tätigkeit der gleichen Art als Gericht anerkannt werden müsse, wenn nur gesetzlich die Freiheit von Weisungen BVerwGE 1, 4 (9)BVerwGE 1, 4 (10)formal gesichert sei, ist unrichtig. Eine solche Auffassung würde zur Folge haben, daß z.B. ein Landesgesetz sämtliche bestehenden Einspruchs- und Beschwerdestellen zu Gerichten machen und damit die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit ausschalten könnte, indem es ihnen Weisungsfreiheit zubilligt, ohne praktisch an den tatsächlichen Verhältnissen, namentlich der tatsächlichen Bindung der entscheidenden Personen an die Wünsche der Verwaltung, etwas zu ändern. eine solche Auffassung läuft den Grundgedanken des Grundgesetzes zuwider.
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Die Vorschrift des § 69 Abs. 2 SHG, wonach der Beschwerdeausschuß als Verwaltungsgericht entscheidet, steht sonach im Gegensatz zu den im Grundgesetz verankerten rechtsstaatlichen Grundsätzen.
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IV.  
Der Beschluß des Beschwerdeausschusses ist vielmehr ein Verwaltungsakt. Irrig ist die Ansicht, daß die Entscheidungen solcher Behörden, die materiell mit streitentscheidender Tätigkeit befaßt sind, obwohl sie den verfassungsmäßigen Bedingungen für ein Gericht nicht genügen, nichtig und deswegen nicht beachtlich seien, daß diese Stellen namentlich auch nicht als Verwaltungsbehörden und ihre Beschlüsse nicht als Verwaltungsakte angesehen werden könnten (vgl. Loppuch, NJW 1953 S. 1126). Eine Behörde bleibt ein Organ der öffentlichen Gewalt auch dann, wenn ihr zu Unrecht gerichtliche Aufgaben übertragen sind. Ihre Handlungen sind nicht schlechtweg nichtig, sondern ein Ausdruck der öffentlichen Gewalt und unterliegen als solche der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung. Es ist auch nicht richtig, daß es sachlich unmöglich sei, eine streitentscheidende, also materiellrechtliche Tätigkeit einer Verwaltungsbehörde zu übertragen; nur bleibt diese verwaltungsbehördliche Tätigkeit dann, auch als streitentscheidender Beschluß, rechtlich ein Verwaltungsakt und unterliegt der Nachprüfung durch die nach dem Gesetz zuständigen Gerichte.
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V.  
§ 353 Nr. 3 letzter Satz LAG in der fassung des Dritten Änderungsgesetzs kann nach alledem nur bedeuten, daß auf die Anfechtung dieser Verwaltungsakte - durch die zugelassene Rechtsbeschwerde - das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hat.
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Durch die Neufassung der erwähnten Vorschrift ist also eine neue erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts begründet worden (vgl. § 9 Abs. 1 Buchst. f des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 - BGBl. I S. 625 - BVerwGG). Daraus, daß es sich hier um ein verwaltungsgerichtliches Verfahren in einem einzigen Rechtszuge handelt, ergibt sich auch, daß das Gericht den Streitfall in vollem Umfange, also sowohl nach der tatsächlichen als auch nach der rechtlichen Seite, zu prüfen und zu entscheiden hat; denn der nach Art. 19 Abs. 4 GG geforderte Rechtsweg kann nur ein vollwertiger sein. Der rechtsstaatliche Grundgedanke dieser Vorschrift, dem durch die öffentliche gewalt in seinen BVerwGE 1, 4 (10)BVerwGE 1, 4 (11)Rechten verletzten Bürger in jedem Falle den Rechtsweg zu eröffnen, würde in seinem Wesensgehalt betroffen, wenn das Gericht an die tatsächlichen Feststellungen der Verwaltungsbehörde gebunden und lediglich auf die Nachprüfung von Rechtsfragen beschränkt wäre.BVerwGE 1, 4 (11)
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