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Informationen zum Dokument  EuGH Rs. C-306/96, Slg. 1998, S. I-1983 - Javico ./. Yves Saint Laurent Parfums  Materielle Begründung
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Zur ersten Frage
Zur zweiten Frage
Kosten
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher  
 
Urteil
 
des Gerichtshofes  
vom 28. April 1998  
In der Rechtssache  
-- C-306/96 --  
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag von der Cour d'appel Versailles (Frankreich) in dem bei dieser anhängigen Rechtsstreit Javico International und Javico AG  
gegen  
Yves Saint Laurent Parfums SA (YSLP) vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag  
erläßt  
Der Gerichtshof unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodriguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann und R. Schintgen (Berichterstatter) sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, P. J. G. Kapteyn, D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann und L. Sevon, Generalanwalt: G. Tesauro Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler  
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen  
der Javico International und der Javico AG, vertreten durch Rechtsanwalt Franck Berthault, Paris, der Yves Saint Laurent Parfums SA (YSLP), vertreten durch die Rechtsanwälte Dominique Voillemot und Antoine Choffel, Paris, der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Hauptrechtsberater Giuliano Marenco, Juristischer Dienst, und Guy Charrier, zum Juristischen Dienst der Kommission abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte, aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Javico International und der Javico AG, vertreten durch Rechtsanwalt Franck Berthault, der Yves Saint Laurent Parfums SA (YSLP), vertreten durch die Rechtsanwälte Dominique Voillemot und Antoine Choffel, der französischen Regierung, vertreten durch Régine Loosli-Surrans, Chargé de mission in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, und der Kommission, vertreten durch Giuliano Marenco und Guy Charrier, in der Sitzung vom 17. September 1997,  
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. November 1997 folgendes  
 
Urteil
 
1. Die Cour d'appel Versailles hat mit Urteil vom 8. September 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 23. September 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um die Gültigkeit eines Vertrages überprüfen zu können, der für kosmetische Luxuserzeugnisse eine Ausfuhrverpflichtung in ein Drittland sowie ein Verbot vorsieht, diese Erzeugnisse wieder in die Gemeinschaft einzuführen und dort zu verkaufen.
1
2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Yves Saint Laurent Parfums SA (im weiteren: YSLP) sowie der Javico International und der Javico AG (im weiteren: Javico), in dem die YSLP beantragt, festzustellen, daß die Javico gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen verstoßen hat, die Kündigung der beiden zwischen den Parteien geschlossenen Verträge für begründet zu erklären und ihrem Antrag auf Zahlung einer vertraglichen Entschädigung und von Schadensersatz stattzugeben.
2
3. Die YSLP verfügt über eine Einzelfreistellung für den selektiven Vertrieb ihrer Erzeugnisse innerhalb der Gemeinschaft (Entscheidung 92/33/EWG der Kommission vom 16. Dezember 1991 [IV/33.242 -- Yves Saint Laurent Parfums]) betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (ABl. L 12, S. 24), die in ihren wesentlichen Bestimmungen durch Urteil des Gerichts erster Instanz vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-19/92 (Leclerc/Kommission, Slg. 1996, II-1851) als rechtmäßig bestätigt wurde.
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4. Die YSLP schloß mit der Javico International, deren Sitz sich in Deutschland befindet, die jedoch nicht dem selektiven Vertriebsnetz der YSLP angehört, am 5. Februar und am 6. Mai 1992 zwei Verträge über den Vertrieb ihrer Erzeugnisse in Rußland und in der Ukraine zum einen und in Slowenien zum anderen.
4
5. Der Vertrag über den Vertrieb in Rußland und in der Ukraine sieht vor:
5
    "1. Unsere Erzeugnisse sind nur zum Verkauf im Gebiet der Republiken Rußland und Ukraine bestimmt. Sie dürfen keinesfalls aus dem Gebiet der Republiken Rußland und Ukraine verbracht werden.
    2. Ihre Gesellschaft sagt zu und garantiert, daß endgültiger Bestimmungsort der Erzeugnisse das Gebiet der Republiken Rußland und Ukraine sein und daß sie die Erzeugnisse nur an Händler verkaufen wird, die im Gebiet der Republiken Rußland und Ukraine ansässig sind. Folglich wird Ihre Gesellschaft die Adressen der Verkaufsstellen für die Erzeugnisse im Gebiet der Republiken Rußland und Ukraine sowie eine Aufstellung der Erzeugnisse für jede Verkaufsstelle zur Verfügung stellen."
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6. Der Vertrag über den Vertrieb in Slowenien sieht vor:
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    "Zum Schutz der hohen Qualität des Vertriebes der Erzeugnisse in anderen Ländern der Welt gibt der Händler die Zusage, daß er diese nicht außerhalb des Gebietes oder an nicht zugelassene Wiederverkäufer in dem Gebiet verkaufen wird."
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7. Kurz nach Abschluß dieser Verträge stellte die YSLP fest, daß an die Javico verkaufte Erzeugnisse, die in Rußland, der Ukraine und Slowenien hätten vertrieben werden sollen, in Großbritannien, Belgien und den Niederlanden auftauchten. Die YSLP kündigte daraufhin die Verträge und erhob Klage beim Tribunal de commerce Nanterre, das mit Urteil vom 21. Oktober 1994 die Kündigung der beiden Verträge für begründet erklärte und dem Antrag der YSLP auf Zahlung einer vertraglichen Entschädigung und von Schadensersatz stattgab.
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8. Die Javico legte bei der Cour d'appel Versailles Berufung gegen dieses Urteil ein und machte geltend, die betreffenden Klauseln seien gemäß Artikel 85 Absatz 2 des Vertrages nichtig; das Gericht ist der Auffassung, die Gültigkeit dieser Klauseln der Vertriebsverträge müsse anhand von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag geprüft werden.
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9. Die Cour d'appel hat demgemäß das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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    1. Wenn ein in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässiges Unternehmen (der Lieferant) durch Vertrag einem anderen, in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen (dem Vertriebshändler) den Vertrieb seiner Erzeugnisse in einem Gebiet außerhalb der Union überträgt, ist dann Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dahin auszulegen, daß er Bestimmungen in diesem Vertrag verbietet, die dem Vertriebshändler jeden Verkauf in einem anderen Gebiet als dem Vertragsgebiet, somit jeden Verkauf in der Union, sowohl durch Direktverkauf als auch durch Rücklieferung aus dem Vertragsgebiet, untersagen?
    2. Ist Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages, falls er solche Vertragsbestimmungen verbieten sollte, dahin auszulegen, daß er nicht anwendbar ist, wenn der Lieferant seine Erzeugnisse im übrigen im Gebiet der Union über ein selektives Vertriebsnetz vertreibt, für das eine Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 vorliegt?
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Zur ersten Frage
 
10. Die erste Frage des nationalen Gerichts geht dahin, ob Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag es verbietet, daß ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Lieferant einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Vertriebshändler, dem er den Vertrieb seiner Erzeugnisse in einem Gebiet außerhalb der Gemeinschaft überträgt, jeden Verkauf in einem anderen Gebiet als dem Vertragsgebiet, einschließlich des Gebietes der Gemeinschaft, sowohl durch Direktverkauf als auch durch Rücklieferung aus dem Vertragsgebiet, untersagt.
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11. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere Urteile vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 56/65, Société Technique Minière, Slg. 1966, 282, und vom 13. Juli 1966 in den verbundenen Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 322) kann eine Vereinbarung zwischen Unternehmern verschiedener Wirtschaftsstufen unter das Verbot von Artikel 85 Absatz 1 fallen.
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12. Ob Vereinbarungen wie die zwischen der YSLP und der Javico geschlossenen nach dieser Bestimmung verboten sind, hängt davon ab, ob das sich aus ihnen ergebende Lieferverbot eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt und ob es geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
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13. Hinsichtlich von zur Anwendung in der Gemeinschaft bestimmten Vereinbarungen hat der Gerichtshof schon entschieden, daß eine Vereinbarung, die die geschäftliche Handlungsfreiheit der Händler, zu der die Freiheit der Wahl ihrer Kunden gehört, dadurch einschränkt, daß sie sie verpflichtet, nur an im Vertragsgebiet ansässige Händler zu verkaufen, eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Februar 1984 in der Rechtssache 86/82, Hasselblad/Kommission, Slg. 1984, 883, Randnr. 46, und vom 24. Oktober 1995 in der Rechtssache C-70/93, Bayerische Motorenwerke, Slg. 1995, I-3439, Randnrn. 19 und 21).
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14. Der Gerichtshof hat ebenfalls festgestellt, daß mit einer Vereinbarung, die den Händler verpflichtet, die Vertragserzeugnisse nicht außerhalb des Vertragsgebiets zu verkaufen, die Parallelimporte innerhalb der Gemeinschaft verhindert werden sollen und so eine Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt bezweckt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C-279/87, Tipp-Ex/Kommission, Slg. 1990, I-261, Randnr. 22, abgekürzte Veröffentlichung). Solche Klauseln in Verträgen über den Vertrieb innerhalb der Gemeinschaft stellen also schon ihrem Wesen nach eine Beschränkung des Wettbewerbs dar (vgl. Urteil vom 1. Februar 1978 in der Rechtssache 19/77, Miller/Kommission, Slg. 1978, 131, Randnr. 7).
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15. Gegen Verhaltensweisen, die den Wettbewerb beeinträchtigen, kann die Kommission jedoch nur dann nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vorgehen, wenn sie auch den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen können.
18
16. Ein Beschluß, eine Vereinbarung oder eine Verhaltensweise kann den Handel zwischen Mitgliedstaaten nur beeinträchtigen, wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher und tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen läßt, daß sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Handel zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise beeinflussen können, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann. Außerdem darf diese Beeinträchtigung nicht nur geringfügig sein (Urteil vom 9. Juli 1969 in der Rechtssache 5/69, Völk, Slg. 1969, 295, Randnr. 5).
19
17. Der Einfluß einer Vereinbarung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten hängt insbesondere von der Stellung und Bedeutung der Parteien auf dem Markt dieser Erzeugnisse ab (Urteil vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 99/79, Lancôme und Cosparfrance Nederland, Slg. 1980, 2511, Randnr. 24). So wird eine Alleinvertriebsvereinbarung selbst bei absolutem Gebietsschutz von der Verbotsvorschrift des Artikels 85 nicht erfaßt, wenn sie den Markt angesichts der schwachen Stellung der Beteiligten auf dem Markt der fraglichen Erzeugnisse nur geringfügig beeinträchtigt (Urteil vom 7. Juni 1983 in den verbundenen Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique diffusion française u.a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 85).
20
18. Zu prüfen ist demnach, inwieweit die vorstehenden Überlegungen auch auf Vereinbarungen wie die im Ausgangsverfahren streitigen anwendbar sind, die sich auf ein Gebiet außerhalb der Gemeinschaft beziehen.
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19. Im Rahmen solcher Vereinbarungen sind Klauseln wie die in der Vorlagefrage genannten dahin auszulegen, daß sie nicht Paralleleinfuhren und den Verkauf des Vertragserzeugnisses innerhalb der Gemeinschaft verhindern, sondern dem Hersteller die Durchdringung eines außerhalb der Gemeinschaft gelegenen Marktes durch den Absatz einer ausreichenden Menge der Vertragserzeugnisse auf diesem Markt sichern sollen. Diese Auslegung wird durch den Umstand bestätigt, daß in den im Ausgangsverfahren streitigen Vereinbarungen das Verbot, außerhalb des Vertragsgebiets zu verkaufen, auch für alle anderen Drittländer gilt.
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20. Folglich kann eine Vereinbarung, durch die sich der Händler gegenüber dem Hersteller verpflichtet, die Vertragserzeugnisse auf einem außerhalb der Gemeinschaft gelegenen Markt zu verkaufen, nicht als eine Vereinbarung angesehen werden, die eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt und geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
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21. Somit stellen die im Ausgangsverfahren streitigen Vereinbarungen, soweit sie es dem Händler Javico untersagen, das Vertragserzeugnis außerhalb des Vertragsgebiets zu verkaufen, keine Vereinbarungen dar, die ihrem Wesen nach durch Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verboten sind. Ebensowenig können die Klauseln der im Ausgangsverfahren streitigen Vereinbarungen, soweit sie den Direktverkauf des Vertragserzeugnisses innerhalb der Gemeinschaft und die Rückausfuhr des Vertragserzeugnisses in die Gemeinschaft untersagen, ihrem Wesen nach gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstoßen.
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22. Auch wenn also die streitigen Klauseln dieser Vereinbarungen ihrem Wesen nach keine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 bezwecken, hat das nationale Gericht doch zu prüfen, ob sie eine solche nicht bewirken. Bei der Beurteilung der Wirkungen dieser Vereinbarungen ist der ihnen zugrunde liegende wirtschaftliche und rechtliche Zusammenhang zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 27. April 1994 in der Rechtssache C-393/92, Almelo u.a., Slg. 1994, I-1477, Randnr. 37) und insbesondere der Umstand, daß die YSLP innerhalb der Gemeinschaft ein selektives Vertriebssystem aufgebaut hat, für das eine Freistellungsentscheidung vorliegt.
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23. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu prüfen, ob der Gemeinschaftsmarkt der betreffenden Erzeugnisse durch eine oligopolistische Struktur gekennzeichnet ist, die innerhalb des in der Gemeinschaft für diese Erzeugnisse bestehenden Vertriebsnetzes nur einen geringen Wettbewerb zuläßt.
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24. Sodann ist zu untersuchen, ob ein spürbarer Unterschied zwischen den innerhalb und den außerhalb der Gemeinschaft praktizierten Preisen der Vertragserzeugnisse besteht. Ein solcher Preisunterschied ist jedoch dann nicht geeignet, den Wettbewerb zu beeinträchtigen, wenn er durch die Höhe der Zölle, die Beförderungskosten und die anderen Kosten, die sich durch die Ausfuhr des Erzeugnisses in ein Drittland und die anschließende Wiedereinfuhr in die Gemeinschaft ergeben, nivelliert wird.
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25. Sollte sich bei dieser Prüfung zeigen, daß die streitigen Klauseln der betreffenden Vereinbarungen eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 bewirken, wäre außerdem zu prüfen, ob angesichts der Bedeutung der Stellung der YSLP, des Umfangs ihrer Erzeugung und ihres Absatzes in den Mitgliedstaaten die Gefahr besteht, daß diese Klauseln, mit denen der Direktverkauf der Vertragserzeugnisse in der Gemeinschaft und ihre Wiedereinfuhr in die Gemeinschaft verhindert werden sollen, die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten spürbar in einer Weise beeinflussen, die der Verwirklichung der Ziele des Gemeinsamen Marktes abträglich sein kann.
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26. Der innergemeinschaftliche Handel wäre nicht spürbar beeinträchtigt, wenn die zur Ausfuhr auf Märkte außerhalb der Gemeinschaft bestimmten Erzeugnisse nur einen unbedeutenden Prozentsatz des Gesamtmarktes dieser Erzeugnisse im Gebiet des Gemeinsamen Marktes ausmachten.
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27. Es ist Sache des nationalen Gerichts, aufgrund aller ihm vorliegenden Informationen festzustellen, ob die betreffenden Vereinbarungen tatsächlich die Voraussetzungen erfüllen, um vom Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag erfaßt zu werden.
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28. Die erste Frage ist demgemäß dahin zu beantworten, daß Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag es verbietet, daß ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Lieferant einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Vertriebshändler, dem er den Vertrieb seiner Erzeugnisse in einem Gebiet außerhalb der Gemeinschaft überträgt, jeden Verkauf in einem anderen Gebiet als dem Vertragsgebiet, einschließlich des Gebietes der Gemeinschaft, sowohl durch Direktverkauf als auch durch Rücklieferung aus dem Vertragsgebiet, untersagt, wenn dieses Verbot die Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaft bewirkt und die Handelsströme zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen droht. Dies kann der Fall sein, wenn der Gemeinschaftsmarkt der betreffenden Erzeugnisse durch eine oligopolistische Struktur oder durch einen spürbaren Unterschied zwischen den innerhalb und den außerhalb der Gemeinschaft praktizierten Preisen der Vertragserzeugnisse gekennzeichnet ist und wenn angesichts der Bedeutung der Stellung des Lieferanten der betreffenden Erzeugnisse, des Umfangs seiner Erzeugung und seines Absatzes in den Mitgliedstaaten die Gefahr besteht, daß das Verbot die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten spürbar in einer Weise beeinflußt, die der Verwirklichung der Ziele des Gemeinsamen Marktes abträglich sein kann.
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Zur zweiten Frage
 
29. Die zweite Frage des nationalen Gerichts geht dahin, ob Klauseln, die einem Vertriebshändler den Direktverkauf der Vertragserzeugnisse, die er vertragsgemäß in Drittländern zu verkaufen hat, in der Gemeinschaft und ihre Rückausfuhr in die Gemeinschaft untersagen, deshalb vom Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag ausgenommen sein können, weil der in der Gemeinschaft ansässige Lieferant seine Erzeugnisse innerhalb der Gemeinschaft über ein selektives Vertriebsnetz vertreibt, für das eine Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 vorliegt.
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30. Die von der Kommission zugunsten der YSLP getroffene Einzelfreistellungsentscheidung betrifft nur die Standardverträge für den selektiven Vertrieb, die dieser Lieferant für den Einzelhandelsverkauf seiner Erzeugnisse innerhalb der Gemeinschaft ausgearbeitet hat. Da die streitigen Klauseln den Vertrieb dieser Erzeugnisse außerhalb des Gemeinschaftsgebiets betreffen, können sie nicht von der Freistellung erfaßt sein, die für das selektive Vertriebssystem innerhalb der Gemeinschaft gilt.
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31. Aus denselben Gründen können diese Vereinbarungen nicht unter eine Freistellung nach der Verordnung (EWG) Nr. 1983/83 der Kommission vom 22. Juni 1983 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen (ABl. L 173, S. 1) fallen, wie von der YSLP geltend gemacht wird. Diese Verordnung betrifft nämlich gemäß ihrem Artikel 1 nur Vereinbarungen, in denen "sich der eine Vertragspartner dem anderen gegenüber verpflichtet, zum Zwecke des Weiterverkaufs im Gesamtgebiet oder in einem abgegrenzten Teilgebiet der Gemeinschaft bestimmte Waren nur an ihn zu liefern".
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32. Zu der Frage, ob die streitigen Klauseln deshalb vom Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag ausgenommen sein können, weil innerhalb der Gemeinschaft ein selektives Vertriebssystem besteht, für das eine Freistellungsentscheidung vorliegt und das durch diese Klauseln geschützt werden soll, genügt der Hinweis, daß die Kommission durch Erlaß einer Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 für nicht anwendbar erklärt. Folglich müssen die Freistellungsentscheidungen eng ausgelegt werden, damit sich ihre Wirkungen nicht auf Vereinbarungen oder Sachverhalte erstrecken, die sie nicht erfassen sollen (vgl. in diesem Sinne das Urteil Bayerische Motorenwerke, Randnr. 28).
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33. Die zweite Frage des nationalen Gerichts ist demgemäß dahin zu beantworten, daß Klauseln, die dem Vertriebshändler den Direktverkauf der Vertragserzeugnisse, die er vertragsgemäß in Drittländern zu verkaufen hat, in der Gemeinschaft und ihre Rückausfuhr in die Gemeinschaft untersagen, nicht deshalb vom Verbot des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages ausgenommen sind, weil der Lieferant seine Erzeugnisse innerhalb der Gemeinschaft über ein selektives Vertriebsnetz vertreibt, für das eine Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages vorliegt.
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Kosten
 
34. Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
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Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof auf die ihm von der Cour d'appel Versailles mit Urteil vom 8. September 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
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1. Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verbietet es, daß ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Lieferant einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Vertriebshändler, dem er den Vertrieb seiner Erzeugnisse in einem Gebiet außerhalb der Gemeinschaft überträgt, jeden Verkauf in einem anderen Gebiet als dem Vertragsgebiet, einschließlich des Gebietes der Gemeinschaft, sowohl durch Direktverkauf als auch durch Rücklieferung aus dem Vertragsgebiet, untersagt, wenn dieses Verbot die Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaft bewirkt und die Handelsströme zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen droht. Dies kann der Fall sein, wenn der Gemeinschaftsmarkt der betreffenden Erzeugnisse durch eine oligopolistische Struktur oder durch einen spürbaren Unterschied zwischen den innerhalb und den außerhalb der Gemeinschaft praktizierten Preisen der Vertragserzeugnisse gekennzeichnet ist und wenn angesichts der Bedeutung der Stellung des Lieferanten der betreffenden Erzeugnisse, des Umfangs seiner Erzeugung und seines Absatzes in den Mitgliedstaaten die Gefahr besteht, daß das Verbot die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten spürbar in einer Weise beeinflußt, die der Verwirklichung der Ziele des Gemeinsamen Marktes abträglich sein kann.  
2. Klauseln, die einem Vertriebshändler die direkte Vermarktung der Vertragserzeugnisse, die er vertragsgemäß in Drittländern zu verkaufen hat, in der Gemeinschaft und ihre Rückausfuhr in die Gemeinschaft untersagen, sind nicht deshalb vom Verbot des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages ausgenommen, weil der in der Gemeinschaft ansässige Lieferant seine Erzeugnisse innerhalb der Gemeinschaft über ein selektives Vertriebsnetz vertreibt, für das eine Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages vorliegt.  
Rodriguez Iglesias, Gulmann, Schintgen, Mancini, Moitinho de Almeida, Kapteyn, Edward, Puissochet, Hirsch, Jann, Sevon  
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. April 1998.
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R. Grass (Der Kanzler), G. C. Rodriguez Iglesias (Der Präsident)  
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