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Informationen zum Dokument  EuGH Rs. C-205/03, Slg. 2006, S. I-6295 - P FENIN ./. Kommission  Materielle Begründung
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Zitiert selbst:

Sachverhalt
Die Klage und das angefochtene Urteil
Das Rechtsmittel
Anträge der Parteien und Nichtigkeitsgrund
Zum Rechtsmittel
Zur Zulässigkeit
Zur Begründetheit
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
Würdigung durch den Gerichtshof
Kosten
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher  
 
Urteil
 
des Gerichtshofs (Grosse Kammer)  
vom 11. Juli 2006  
In der Rechtssache  
-- C-205/03 P --  
betreffend ein Rechtsmittel nach Artikel 56 des Statuts der Gerichtshofes, eingereicht am 13. Mai 2003, Federacion Espanola de Empresas de Tecnologia Sanitaria (FENIN), früher Federacion Nacional de Empresas de Instrumentacion Cientifica, Medica, Tecnica y Dental, mit Sitz in Madrid (Spanien), Prozessbevollmächtigte: J.-R. Garcia-Gallardo Gil-Fournier und D. Dominguez Perez, abogados, Rechtsmittelführerin, andere Verfahrensbeteiligte: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Wils und F. Castillo de la Torre als Bevollmächtigte im Beistand von J. Rivas de Andres und J. Gutierrez Gisbert, abogados, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Beklagte im ersten Rechtszug, unterstützt durch: Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch M. Bethell als Bevollmächtigten im Beistand von G. Barling, QC, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Königreich Spanien, vertreten durch N. Diaz Abad, L. Fraguas Gadea und F. Diez Moreno als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,  
erlässt  
Der Gerichtshof (Große Kammer) unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans und A. Rosas, der Richter J.-P. Puissochet und R. Schintgen, der Richterin N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr (Berichterstatter), J. Klucka, U. Löhmus und E. Levits, Generalanwalt: M. Poiares Maduro, Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin, aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2005,  
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. November 2005 folgendes  
 
Urteil
 
1. Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Federacion Espanola de Empresas de Tecnologia Sanitaria (im Folgenden: FENIN), das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 4. März 2003 in der Rechtssache T-319/99 (FENIN/Kommission, Slg. 2003, II-357, im Folgenden: angefochtenes Urteil) aufzuheben, mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 26. August 1999 abgewiesen hat, die Beschwerde der Klägerin gegen 26 öffentliche Einrichtungen, darunter drei Ministerien, die das nationale System der sozialen Sicherheit (Sistema Nacional de Salud, im Folgenden: SNS) verwalten, zurückzuweisen, weil solche Einrichtungen (im Folgenden: das SNS verwaltende Einrichtungen) keine Unternehmen im Sinne von Artikel 82 EG seien (im Folgenden: streitige Entscheidung).
1
 
Sachverhalt
 
2. Der Sachverhalt, wie er sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, lässt sich wie folgt zusammenfassen.
2
3. Die FENIN ist ein Verband, in dem die meisten der Unternehmen, die in Spanien medizinisches Material, insbesondere medizinische Instrumente, für Krankenhäuser vertreiben, zusammengeschlossen sind. Kunden der Mitglieder von FENIN sind insbesondere die das SNS verwaltenden Einrichtungen. Der Absatz von medizinischem Material an diese macht mehr als 80 % des Umsatzes der Mitgliedsunternehmen von FENIN aus.
3
4. Im Dezember 1997 reichte die FENIN bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine Beschwerde ein, in der sie beanstandete, dass die das SNS verwaltenden Einrichtungen die Begleichung ihrer Verbindlichkeiten systematisch verzögerten und dadurch ihre beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 82 EG missbrauchten. Diese Einrichtungen beglichen ihre Verbindlichkeiten gegenüber den Mitgliedern der FENIN mit einer Verzögerung von durchschnittlich 300 Tagen, während sie bei Verbindlichkeiten gegenüber anderen Dienstleistungserbringern sehr viel angemessenere Fristen wahrten. Der Grund für diese Diskriminierung sei, dass die Mitglieder der FENIN gegenüber den genannten Einrichtungen keinen wirtschaftlichen Druck ausüben könnten, da diese auf dem spanischen Markt für medizinisches Material über eine beherrschende Stellung verfügten.
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5. Mit der streitigen Entscheidung wies die Kommission die Beschwerde mit der Begründung zurück, dass zum einen die das SNS verwaltenden Einrichtungen keine Unternehmen seien, wenn sie sich an der Verwaltung des öffentlichen Gesundheitsdienstes beteiligten, und dass zum anderen ihre Stellung als Nachfrager nicht von der Verwendung des medizinischen Materials nach dessen Erwerb getrennt werden könne. Die Kommission folgerte daraus, dass die das SNS verwaltenden Einrichtungen nicht als Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft handelten und daher nicht den Artikeln 81 EG und 82 EG unterlägen.
5
 
Die Klage und das angefochtene Urteil
 
6. Mit Klageschrift, die am 10. November 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, erhob die FENIN Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung.
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7. Sie stützte ihre Klage auf drei Klagegründe: erstens eine Verletzung der Verteidigungsrechte durch die Kommission, zweitens einen Rechtsfehler oder einen offensichtlichen Beurteilungsfehler bei der Anwendung der Artikel 82 EG und 86 EG, drittens einen Begründungsmangel und einen Mangel an Transparenz der streitigen Entscheidung.
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8. Das Gericht wies zunächst den die Anwendung der Artikel 82 EG und 86 EG betreffenden zweiten Klagegrund zurück, wobei es in Randnummer 40 des angefochtenen Urteils entschied, dass die das SNS verwaltenden Einrichtungen nicht als Unternehmen handelten, wenn sie den medizinischen Bedarf bei den Mitgliedern der FENIN kauften, um den dem SNS Angeschlossenen kostenlose medizinische Leistungen zu erbringen. Es folgerte dies aus den in Randnummer 39 des angefochtenen Urteils geschilderten Umständen, dass das SNS nach dem Solidaritätsgrundsatz funktioniere, weil es durch Sozialversicherungsbeiträge und andere staatliche Beiträge finanziert werde und auf der Grundlage eines umfassenden Versicherungsschutzes unentgeltlich Dienstleistungen an seine Mitglieder erbringe, und dass die das SNS verwaltenden Einrichtungen bei der Verwaltung des Gesundheitssystems somit nicht als Unternehmen handelten.
8
9. In den Randnummern 41 bis 44 des angefochtenen Urteils stellte das Gericht fest, dass das Vorbringen, die spanischen öffentlichen Krankenhäuser des SNS erbrächten zumindest in Einzelfällen dem System nicht angeschlossenen Personen und insbesondere ausländischen Touristen Dienstleistungen gegen Entgelt, vor der Kommission nicht erwähnt und erstmals in der Klageerwiderung vorgetragen worden sei. Es entschied daher, dass dieses Vorbringen bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung nicht berücksichtigt werden könne.
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10. Sodann wies das Gericht den ersten Klagegrund -- Verletzung der Verteidigungsrechte -- zurück, nachdem es in den Randnummern 49 und 50 des angefochtenen Urteils festgestellt hatte, dass die Kommission die an sie gerichtete Beschwerde aus dem Grund habe zurückweisen dürfen, dass die das SNS verwaltenden Einrichtungen nicht als Unternehmen im Sinne des Artikels 82 EG tätig würden. Das Gericht befand, dass deshalb für die Kommission kein Anlass mehr bestand, die anderen Aspekte der Beschwerde zu prüfen.
10
11. Schließlich befand das Gericht zum dritten Klagegrund -- Begründungsmangel und Mangel an Transparenz der streitigen Entscheidung -- in den Randnummern 58 und 59 des angefochtenen Urteils, dass die Kommission die rechtlichen Erwägungen angeführt habe, denen nach dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukomme. Es erinnerte daran, dass die Kommission nicht auf alle zur Begründung der Beschwerde vorgetragenen Argumente einzugehen brauche, und folgerte, dass die streitige Entscheidung keinen Begründungsmangel aufweise. Zu deren angeblichem Mangel an Transparenz entschied das Gericht in Randnummer 63 des angefochtenen Urteils, dass die Kommission der einzigen ihr im vorliegenden Fall obliegenden Verpflichtung nachgekommen sei, nämlich der Klägerin Gelegenheit zu geben, sich auf die erste Stellungnahme der Kommission hin schriftlich zu äußern.
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12. Da somit die drei Klagegründe der FENIN zurückgewiesen worden waren, wies das Gericht die Klage insgesamt ab.
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Das Rechtsmittel
 
Anträge der Parteien und Nichtigkeitsgrund  
13. Die FENIN beantragt,
13
    -- das angefochtene Urteil aufzuheben und
    -- der Kommission sämtliche Kosten des Verfahrens vor dem Gerichtshof sowie desjenigen vor dem Gericht aufzuerlegen.
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14. Die Kommission beantragt,
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    -- das Rechtsmittel für teilweise unzulässig zu erklären;
    -- das Rechtsmittel im Übrigen zurückzuweisen und
    -- der FENIN die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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15. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie das Königreich Spanien, die der Präsident des Gerichtshofes mit Beschluss vom 17. Oktober 2003 als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen hat, beantragen, das Rechtsmittel als teils unzulässig, teils unbegründet zurückzuweisen und der FENIN die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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16. Die FENIN macht als einzigen Rechtsmittelgrund geltend, dass das Gericht den Begriff des Unternehmens im Sinne der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags verkannt habe. Dieser Rechtsmittelgrund ist in zwei Teile gegliedert.
18
17. Mit dem ersten Teil rügt die FENIN, dass das Gericht nicht berücksichtigt habe, dass die Einkaufstätigkeit als solche eine von späteren Dienstleistungen trennbare wirtschaftliche Tätigkeit sei und dass daher auf die das SNS verwaltenden Einrichtungen die genannten Wettbewerbsregeln anzuwenden seien.
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18. Mit dem zweiten Teil ihres Rechtsmittelgrundes macht die FENIN hilfsweise geltend, das Gericht hätte berücksichtigen müssen, dass die Einkaufstätigkeit eine wirtschaftliche Tätigkeit sei und damit den Wettbewerbsvorschriften unterliege, da die spätere Tätigkeit, d. h. die Erbringung von medizinischen Leistungen, selbst wirtschaftlichen Charakter habe.
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Zum Rechtsmittel  
Zur Zulässigkeit  
19. Die Kommission erhebt eine Einrede der Unzulässigkeit, die nur den zweiten Teil des von der FENIN geltend gemachten Rechtsmittelgrundes betrifft.
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20. Zunächst sei das Vorbringen, das dem zweiten Teil des Rechtsmittelgrundes zugrunde liege, verspätet, da es erstmals im Rechtsmittelverfahren vorgetragen worden sei. Sodann habe die FENIN stets eingeräumt, dass die Tätigkeit der das SNS verwaltenden Einrichtungen rein sozialer Natur sei. Schließlich betreffe dieser zweite Teil eine Frage der Würdigung des Sachverhalts, die nicht vor dem Gerichtshof im Rahmen der Prüfung eines Rechtsmittels erörtert werden könne.
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21. Es ist festzustellen, dass die FENIN, wie die Kommission zu Recht hervorgehoben hat, erstmals im Rechtsmittelverfahren vorgetragen hat, dass die Erbringung von medizinischen Leistungen durch die das SNS verwaltenden Einrichtungen eine wirtschaftliche Tätigkeit sei, dass der Einkauf von Material mit dessen späterer Verwendung zusammenhänge und dass dies Auswirkungen auf das Wesen dieser Einkaufstätigkeit habe.
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22. Folglich ist der zweite Teil des einzigen von der FENIN geltend gemachten Rechtsmittelgrundes als unzulässig zurückzuweisen.
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Zur Begründetheit  
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten  
23. Die FENIN trägt zum ersten Teil ihres Rechtsmittelgrundes vor, das Gericht habe den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit zu eng definiert, als es angenommen habe, dass eine solche Tätigkeit im Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt bestehen müsse, und Einkaufstätigkeiten von dieser Definition ausgenommen habe. Der Ansatz des Gerichts ermögliche es vielen Einrichtungen, sich den Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrags zu entziehen, obwohl der Wettbewerb durch das Verhalten solcher Einrichtungen betroffen werde.
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24. Die Kommission trägt vor, kennzeichnend für den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit sei sehr wohl das Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt und nicht die Einkaufstätigkeit als solche. Daher sei der Vorgang des Einkaufs nicht von der Verwendung, für die die eingekaufte Ware bestimmt sei, zu trennen.
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Würdigung durch den Gerichtshof  
25. Das Gericht hat in Randnummer 35 des angefochtenen Urteils zu Recht daran erinnert, dass der Begriff des Unternehmens im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung umfasst (Urteile vom 23. April 1991 in der Rechtssache C-41/90, Höfner und Elser, Slg. 1991, I-1979, Randnr. 21, und vom 16. März 2004 in den Rechtssachen C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, AOK-Bundesverband u. a., Slg. 2004, I-2493, Randnr. 46). Außerdem hat es im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes in Randnummer 36 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass es das Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt ist, was den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit kennzeichnet (Urteil vom 18. Juni 1998 in der Rechtssache C-35/96, Kommission/Italien, Slg. 1998, I-3851, Randnr. 36).
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26. Das Gericht hat daraus in Randnummer 36 des angefochtenen Urteils zutreffend abgeleitet, dass bei der Beurteilung des Wesens der Einkaufstätigkeit der Kauf eines Erzeugnisses nicht von dessen späterer Verwendung zu trennen ist und dass der wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung des erworbenen Erzeugnisses zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit bestimmt.
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27. Folglich ist der erste Teil des einzigen von der FENIN geltend gemachten Rechtsmittelgrundes, dass die Einkaufstätigkeit der das SNS verwaltenden Einrichtungen als solche eine von späteren Dienstleistungen trennbare wirtschaftliche Tätigkeit sei, unbegründet.
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28. Nach alledem ist das Rechtsmittel als teils unzulässig, teils unbegründet zurückzuweisen.
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Kosten
 
29. Nach Artikel 69 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechend anwendbar ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der FENIN beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. Gemäß Artikel 69 § 4 Absatz 1 tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.
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Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
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1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.  
2. Die Federacion Espanola de Empresas de Tecnologia Sanitaria (FENIN) wird zur Tragung der Kosten dieses Rechtszugs verurteilt.  
3. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie das Königreich Spanien tragen ihre eigenen Kosten.  
Unterschriften  
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).