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Informationen zum Dokument  BGE 75 III 73 - Arrestprosequierung  Materielle Begründung
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Zitiert selbst:

Sachverhalt
A.
B.
C.
D.
E.
Auszug aus den Erwägungen:
Erwägung 1
1. Die bisherige Praxis zu Art. 278 SchKG lässt als arrestpr ...
Erwägung 2
2. Beim unzuständigen Richter kann die Klage nun zwar nicht  ...
Erwägung 3
3. Bei dieser Sachlage hängt die Frage nach der ununterbroch ...
Erwägung 4
4. Die Rekurrenten glauben mit Unrecht, aus Art. 139 OR eine bund ...
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Simone Jampen, A. Tschentscher  
 
BGE 75 III, 73 (73)Entscheid
 
vom 5. Oktober 1949  
i. S. Chambers und Eisler.  
Zur Arrestprosequierung ist auch eine mangelhafte oder bei einem unzuständigen Richter angebrachte Klage geeignet,  
a) wenn der Mangel noch binnen der Prosequierungsfrist des Art. 278 2 SchKG behoben wird;  
b) sonst nur, wenn die beim Ablauf dieser Frist bestehende Rechtshängigkeit ohne Unterbrechung andauert,  
gegebenenfalls bei Benutzung einer prozessualen Nachfrist, sofern die Klage während deren Laufes hängig bleibt (Änderung der Rechtsprechung).  
Art. 139 OR ist nicht anwendbar.BGE 75 III, 73 (73)  
 
BGE 75 III, 73 (74)Sachverhalt
 
 
A.
 
Die in England wohnenden Rekurrenten nahmen am 30. Januar 1939 für erbrechtliche Forderungen gegen die in Berlin wohnenden Rekursgegner zwei Arreste auf unbewegliches und bewegliches Vermögen in Adelboden heraus. Sie prosequierten diese Arreste durch Betreibung und, nachdem ihnen am 21. Februar 1939 der Rechtsvorschlag mitgeteilt worden war, durch Klage vom 1. März 1939 beim Appellationshof des Kantons Bern. Dessen Präsident machte sie am 9. gl. M. auf die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes aufmerksam: Die streitigen Forderungen seien vom deutschen Rechte beherrscht, daher fehle es an der Möglichkeit einer Berufung an das Bundesgericht und somit trotz des hohen Streitwertes an einer Voraussetzung zur Anrufung des Appellationshofes als einziger kantonaler Instanz. In erster Instanz sei der Gerichtspräsident von Frutigen zuständig. Werde die Klage nach Rückzug binnen zehn Tagen beim zuständigen Richter angebracht, so gelte als Zeitpunkt der Hängigmachung nach Art. 163 der bernischen ZPO der Tag der ersten Einreichung. Die Rekurrenten zogen angesichts dieser Mitteilung die Klage am 10. März 1939 beim Appellationshofe zurück und reichten sie am 16. gl. M. beim Gerichtspräsidenten von Frutigen ein.
1
 
B.
 
Nach zweimaliger Einstellung des Prozesses (einmal bis zur Erledigung eines andern Prozesses zwischen den gleichen Parteien durch Urteil des Bundesgerichtes, BGE 72 III 100, und sodann wegen der von der Schweizerischen Verrechnungsstelle auf Grund des Bundesratsbeschlusses vom 16. Februar 1945 verfügten, dann aber widerrufenen Aufhebung der beiden Arreste) wies der Gerichtspräsident von Frutigen die Klage am 5. November 1948 wegen Versäumung der Prosequierungsfrist des Art. 278 Abs. 2 SchKG ab: Nach ständiger Praxis sei zur wirksamen Prosequierung eines Arrestes nur eine binnenBGE 75 III, 73 (74) BGE 75 III, 73 (75)der bundesgesetzlichen Frist beim zuständigen Richter eingereichte Klage tauglich. Diese Frist sei hier nicht gewahrt worden, und die Nachfrist des kantonalen Prozessgesetzes könne nicht in Betracht fallen. Die Arreste seien demzufolge am 3. März 1939 mit dem Ablauf der Prosequierungsfrist dahingefallen, was man bisher übersehen habe. Der Appellationshof des Kantons Bern, an den die Rekurrenten das Urteil weiterzogen, liess die Frage, ob die Arreste noch zu Recht bestehen, offen. Er bejahte die Zuständigkeit des Gerichtspräsidenten von Frutigen unabhängig davon auf Grund von Art. 25 Abs. 2 der bernischen ZPO (Gerichtsstand des Vermögens) und wies die Sache aus diesem Grunde zu materieller Beurteilung an den erstinstanzlichen Richter zurück.
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C.
 
Mit Verfügung vom 29. Mai 1949 erklärte das Betreibungsamt Frutigen seinerseits die beiden Arreste mangels gehöriger Prosequierung binnen der bundesgesetzlichen Frist als dahingefallen.
3
 
D.
 
Darüber beschwerten sich die Rekurrenten bei der kantonalen Aufsichtsbehörde.
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E.
 
Von dieser mit Entscheid vom 14. Juli 1949 abgewiesen, halten sie mit dem vorliegenden Rekurs an der Beschwerde fest.
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Auszug aus den Erwägungen:
 
Die Schuldbetreibungs- und Konkurshammer zieht in Erwägung:
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Erwägung 1
 
1. Die bisherige Praxis zu Art. 278 SchKG lässt als arrestprosequierenden Akt nicht jede binnen der zehntägigen Frist seit der Mitteilung des Rechtsvorschlages eingereichte Klage auf Anerkennung des Forderungsrechtes genügen. Sie knüpft jene Rechtsfolge nur an eine binnen der Frist erfolgte einwandfreie Klageerhebung, insbesondere eine solche beim zuständigen Richter. Das Bundesgericht hat es dabei abgelehnt, eine vom kantonalen Prozessrecht vorgesehene Nachfrist zur Anrufung des zuständigen Richters zu berücksichtigen, und nur eine während der bundesrechtlichen Frist erfolgte Anrufung desselbenBGE 75 III, 73 (75) BGE 75 III, 73 (76)als im Sinne von Art. 278 SchKG wirksam gelten lassen. Die Nachfrist des Art. 163 der bernischen ZPO ist daher als vor Art. 278 SchKG unbeachtlich bezeichnet worden (BGE 44 III 179). An diese Rechtsprechung hält sich, nicht ohne Bedenken, der angefochtene Entscheid.
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Daran kann indessen nicht festgehalten werden, sofern Art. 163 der bernischen ZPO die Klage während der dort vorgesehenen Nachfrist rechtshängig bleiben lässt. Der Grundsatz, dass als Klageerhebung im Sinne des Bundesrechts nur eine formell einwandfreie Klage zu gelten habe, so dass der Prozess sich ungehindert durchführen lasse, ist in der zivilrechtlichen Praxis bereits aufgegeben worden. Eine formell mangelhafte Aberkennungsklage behält die ihr nach Art. 83 Abs. 2 SchKG zukommenden Wirkungen, auch wenn sie nicht sogleich zugestellt werden kann, sondern der Richter sich veranlasst sieht, dem Kläger (z.B. gemäss § 126 Abs. 3 der zürcherischen ZPO) vorerst eine angemessene Nachfrist zur Verbesserung anzusetzen (BGE 61 II 126 Erw. 2). Diese Betrachtungsweise hat bei der Entscheidung über Fortbestand oder Hinfall des Arrestes nach Art. 278 SchKG, wozu die Betreibungsbehörden zuständig sind (BGE 66 III 57), füglich als Richtschnur zu dienen. Formelle Mängel der Klage, die sich ohne Unterbrechung der Rechtshängigkeit beheben lassen, rechtfertigen den Hinfall des Arrestes nicht. Der Einwand, die dadurch bewirkte Verzögerung des Prozesses dürfe nicht dem Schuldner zum Nachteil gereichen, hält nicht stich. Kommt es doch auch im weitern Verlauf eines solchen Prozesses mitunter zu verschiedenen Verzögerungen, allenfalls auch solchen, die dem prozessualen Verhalten des Klägers zuzuschreiben sein mögen, ohne dass doch daraus ein Hinfall des Arrestes hergeleitet werden könnte. Es ist grundsätzlich nicht gerechtfertigt, es mit Verzögerungen wegen formeller Mangelhaftigkeit der Klage, die meistens im ersten Stadium des Prozesses eintreten, strenger zu nehmen. Hat freilich der Mangel zur Folge, dass die Klage nicht rechtshängig bleiben kann, und wird infolgedessen die RechtsBGE 75 III, 73 (76)BGE 75 III, 73 (77)hängigkeit über den Ablauf der Prosequierungsfrist hinaus (oder überhaupt erst nach deren Ablauf) unterbrochen, so kann der Arrest nach der bestimmten Vorschrift von Art. 278 Abs. 4 SchKG nicht fortbestehen. Bleibt dagegen die Rechtshängigkeit der binnen der Prosequierungsfrist angehobenen Klage ununterbrochen bestehen, so sind die auf Behebung von Mängeln der Klage gerichteten Massnahmen des Richters als Zwischenfälle des Prozesses zu betrachten, die den Arrest nicht berühren.
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Erwägung 2
 
2. Beim unzuständigen Richter kann die Klage nun zwar nicht hängig bleiben, wenn er nicht über die Unzuständigkeit hinweggeht oder nachträglich (etwa zufolge Prorogation oder vorbehaltloser Einlassung des Beklagten) zuständig wird. Fortdauernde Rechtshängigkeit der Klage ist jedoch bei Anwendung von Art. 278 SchKG immer dann anzunehmen, wenn es vom Ablauf der Prosequierungsfrist an in keinem Zeitpunkt an der Rechtshängigkeit gebricht. Es genügt anhaltende, ununterbrochene Rechtshängigkeit, sei es auch unter Wechsel des mit der Klage befassten Richters. Diese Bedingung ist bei Anrufung eines unzuständigen Richters zweifellos dann erfüllt, wenn dieser die Klage direkt an den zuständigen Richter weist, gleichgültig, ob er es von sich aus oder auf Antrag des Klägers tut. Dieser kann im übrigen einer Unterbrechung der Rechtshängigkeit unter Umständen dadurch vorbeugen, dass er die Klage beim zuständigen Richter einreicht, bevor er sie beim unzuständigen zurückzieht oder dieser sie zurückweist. Die Rekurrenten hätten zu solchem Vorgehen Gelegenheit gehabt, da der Präsident des Appellationshofes sie auf dessen Unzuständigkeit aufmerksam machte und die Klage bis auf weiteres an Hand behielt. Im Vertrauen auf die Nachfrist des Art. 163 der bernischen ZPO, auf die der Richter sie hinwies, haben die Rekurrenten jedoch keine Bedenken getragen, die Klage sogleich beim Appellationshof zurückzuziehen und dann erst einige Tage später, nach Ablauf der Prosequierungsfrist, beim zuständigen Richter einzureichen.BGE 75 III, 73 (77)
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BGE 75 III, 73 (78)Erwägung 3
 
3. Bei dieser Sachlage hängt die Frage nach der ununterbrochenen Fortdauer der Rechtshängigkeit und damit das Schicksal der vorliegenden Beschwerde von der Tragweite der von den Rekurrenten benützten Nachfrist des Art. 163 der bernischen ZPO ab. Nach deren Wortlaut (Randtitel: "Rückdatierung der Rechtshängigkeit"; Text: "... Klage ... beim zuständigen bernischen Richter neu angebracht") möchte man eine Unterbrechung der Rechtshängigkeit annehmen (wenn eben zwischen Rückzug oder Rückweisung und "Neuanbringen" eine auch noch so kurze Zeit verstreicht, der Kläger also nicht für ununterbrochene Hängigkeit gesorgt hat). Indessen mag sich aus dem Zweck der Vorschrift trotz ihres Wortlautes eine andere Auslegung rechtfertigen lassen (Fortdauer der Rechtshängigkeit während der Nachfrist, wobei deren Versäumung als auf lösende Bedingung gilt). Dahin geht eine Entscheidung des bernischen Appellationshofes vom 21. Oktober 1921 (Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 58 S. 18; gleicher Ansicht Leuch, Kommentar, zu Art. 163 N. 6). Weniger bestimmt äussert sich ein neueres Urteil (in derselben Zeitschrift 78 S. 139 unten/140 oben), das zwar am Schlusse dem Kommentator beipflichtet, sich aber in den vorausgegangenen Ausführungen enger an den Wortlaut des Gesetzes hält und die davon abweichende Auslegung nicht begründet.
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Da sich eine feststehende bernische Rechtsprechung zu der hier massgebenden Frage nicht erkennen lässt, bleibt nichts anderes als Rückweisung an die kantonale Aufsichtsbehörde übrig. Deren Sache wird es sein, die Tragweite der von den Rekurrenten benützten Nachfrist des Art. 163 der bernischen ZPO in dem für die Beurteilung der Beschwerde entscheidenden Punkte zu bestimmen.
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Erwägung 4
 
4. Die Rekurrenten glauben mit Unrecht, aus Art. 139 OR eine bundesrechtliche Nachfrist herleiten zu können. Diese würde sich als zusätzliche Prosequierungsfrist darbieten, wofür Art. 278 SchKG keinen Raum lässt. Sollte die Rechtshängigkeit der Klage mit deren Rückzug unterBGE 75 III, 73 (78)BGE 75 III, 73 (79)brochen worden sein, so wären die beiden Arreste mit dem Ablauf der Prosequierungsfrist dahingefallen. Nur wenn die Rechtshängigkeit kraft des Art. 163 der bernischen ZPO fortbestand und dann durch die am 16. März 1939 beim Gerichtspräsidenten von Frutigen eingereichte Klage endgültig gewahrt wurde, bestehen die Arreste noch zu Recht.
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Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
 
Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückgewiesen wird.BGE 75 III, 73 (79)
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