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Zitiert durch:
BVerfGE 133, 377 - Ehegattensplitting
BVerfGE 131, 239 - Lebenspartnerschaft von Beamten
BVerfGE 126, 29 - Landesbetrieb Krankenhäuser Hamburg
BVerfGE 124, 199 - Gleichbehandlung eingetragener Lebensgemeinschaft
BVerfGE 115, 51 - Analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG
BVerfGE 112, 164 - Abzug Sozialversicherungsbeiträge
BVerfGE 101, 331 - Berufsbetreuer
BVerfGE 101, 239 - Stichtagsregelung
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Zitiert selbst:
BVerfGE 79, 292 - Eigenbedarf II
BVerfGE 68, 361 - Eigenbedarf I
BVerfGE 58, 369 - Berufskrankheiten
BVerfGE 55, 72 - Präklusion I


I.
1. Die Beschwerdeführer mieteten eine Wohnung von einer Baut ...
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdef&uum ...
3. Das Niedersächsische Justizministerium neigt zu der Auffa ...
II.
1. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe  ...
2. Der Mieter, der Wohnraum unmittelbar – ohne Dazwischentr ...
3. Der Mieter, der die Wohnung nicht vom Eigentümer, sondern ...
4. Gründe, die eine so weitgehende Schlechterstellung des Mi ...
Bearbeitung, zuletzt am 18.12.2023, durch: Sabrina Gautschi, A. Tschentscher
BVerfGE 84, 197 (197)Es verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG, einem Mieter, der – in Kenntnis der Eigentumsverhältnisse – Wohnraum von einem gewerblichen Zwischenmieter und nicht unmittelbar vom Eigentümer gemietet hat, den Kündigungsschutz des sozialen Mietrechts zu versagen.
 
 
Beschluß
 
des Ersten Senats vom 11. Juni 1991
 
– 1 BvR 538/90 –  
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. der Frau K..., 2. des Herrn K... – Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Johannes E. C. Bönker, Hildesheimer Straße 94, Hannover l – gegen das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 22. März 1990 – 1 S 259/89 –.BVerfGE 84, 197 (197)
 
 
BVerfGE 84, 197 (198)Entscheidungsformel:
 
Das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 22. März 1990 – 1 S 259/89 – verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikels Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
 
Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
 
Gründe:
 
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, welchen Schutz der Mieter bei Kündigung des Mietvertrages hat, wenn er nicht vom Eigentümer, sondern von einem gewerblichen Zwischenmieter Wohnraum gemietet hat.
I.
 
1. Die Beschwerdeführer mieteten eine Wohnung von einer Bauträger GmbH & Co. KG, welche die Wohnung im Rahmen ihres Gewerbes ihrerseits von den Eigentümern, den Berufungsklägern des Ausgangsverfahrens, gemietet hatte. Diese kündigten der Bauträgergesellschaft den Mietvertrag, die daraufhin den mit den Beschwerdeführern geschlossenen Mietvertrag ebenfalls kündigte.
In dem sich anschließenden Räumungsrechtsstreit wies das Amtsgericht die Klage gegen die Beschwerdeführer ab. Diesen stehe Mieterschutz zu; ein die Kündigung rechtfertigender Grund liege ihnen gegenüber nicht vor.
Im Berufungsverfahren verurteilte das Landgericht die Beschwerdeführer zur Räumung der Wohnung. Mieterschutz gemäß den §§ 564b, 556a BGB könnten sie als Untermieter nur dann beanspruchen, wenn sie bei Abschluß des Mietvertrages mit der Bauträgergesellschaft nicht gewußt hätten, daß diese nicht Eigentümerin der Wohnung gewesen sei. Darüber seien sie jedoch unterrichtet gewesen, weshalb das auf § 536 Abs. 3 BGB gestützte Räumungsbegehren nicht rechtsmißbräuchlich sei.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer unter Nennung mehrerer von ihnen als verletzt bezeichneterBVerfGE 84, 197 (198) BVerfGE 84, 197 (199)Bestimmungen des Grundgesetzes, daß ihnen wegen der gewerblichen Zwischenvermietung der Mieterschutz verweigert werde.
3. Das Niedersächsische Justizministerium neigt zu der Auffassung, daß Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sei, während die Berufungskläger das angegriffene Urteil verteidigen.
 
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das Urteil des Landgerichts verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 GG, weil es ihnen den Kündigungsschutz des sozialen Mietrechts ohne hinreichenden sachlichen Grund versagt hat.
1. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72 [88]; 81, 228 [236]). Eine solche Grundrechtsverletzung kann nicht nur vom Gesetzgeber begangen werden. Sie liegt auch dann vor, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften oder der Lückenfüllung zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (vgl. BVerfGE 58, 369 [374]). Nach diesen Maßstäben kann die Schlechterstellung von Mietern, die ihre Wohnung von einem gewerblichen Zwischenmieter in Kenntnis der Eigentumsverhältnisse gemietet haben, nicht mehr gerechtfertigt werden.
2. Der Mieter, der Wohnraum unmittelbar – ohne Dazwischentreten eines Dritten – vom Eigentümer mietet, genießt gegenüber einer Kündigung des Mietverhältnisses den gesetzlichen Mieterschutz. Von den Fällen der fristlosen Kündigung (vgl. §§ 553, 554 und 554 a BGB) abgesehen, kann ihm der Vermieter nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat (§ 564b BGB). Der Mieter kann der Kündigung widersprechen und bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Fortsetzung des Mietverhältnisses erreichen (§§ 556a ff. BGB). Diese gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze des Mieters konBVerfGE 84, 197 (199)BVerfGE 84, 197 (200)kretisieren die Sozialbindung des Eigentums an Wohnraum. Sie tragen der Tatsache Rechnung, daß große Teile der Bevölkerung auf Mietwohnungen unausweichlich angewiesen sind und die Wohnung Lebensmittelpunkt des Mieters ist, so daß ein Wohnungswechsel für ihn in der Regel neben nicht unbeträchtlichen Kosten Beeinträchtigungen im persönlichen, familiären und sozialen Bereich mit sich bringt (vgl. BVerfGE 68, 361 [370]; 79, 292 [302]). Um einen möglichst wirkungsvollen Schutz zu gewährleisten, sind die Kündigungsschutzvorschriften zwingendes Recht. Sie können nicht zum Nachteil des Mieters abgeändert werden (§ 556 a Abs. 7, § 564b Abs.6 BGB).
3. Der Mieter, der die Wohnung nicht vom Eigentümer, sondern von einem gewerblichen Zwischenmieter mietet, genießt im Verhältnis zu diesem den gleichen Schutz: Der gewerbliche Zwischenmieter kann eine ordentliche Kündigung ebenfalls nur unter den Voraussetzungen des § 564b BGB aussprechen. Der Mieter kann sich in diesem Falle ihm gegenüber auf die Härteklauseln der §§ 556a ff. BGB berufen.
Im Verhältnis zum Eigentümer hingegen ist der Mieter in diesen Fällen nach der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 84, 90), der das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung gefolgt ist, nicht in gleicher Weise geschützt. Sein Vertrag mit dem gewerblichen Zwischenmieter wird als Untermietvertrag qualifiziert. Der Eigentümer kann von ihm nach § 556 Abs. 3 BGB die Räumung verlangen, wenn das Mietverhältnis zwischen Eigentümer und Zwischenmieter beendet ist. Damit wird dem die Wohnung nutzenden Mieter nicht nur ein geringerer Schutz gewährt als dem Mieter, der die Wohnung unmittelbar vom Eigentümer gemietet hat. Der Schutz vor einem Verlust der Wohnung bleibt vielmehr auch hinter dem Schutz zurück, den der typische Untermieter genießt, der einen Teil der vom Hauptmieter genutzten Wohnung angemietet hat. Während der Untermieter in diesen Fällen mittelbar dadurch geschützt ist, daß der Eigentümer das Vertragsverhältnis zum Hauptmieter nur unter Einhaltung der Kündigungsschutzvorschriften beenden und der Hauptmieter sich gegebenenfalls auf die Sozialklauseln berufen kann, unterliegt das VertragsverhältnisBVerfGE 84, 197 (200) BVerfGE 84, 197 (201)zwischen dem Eigentümer und dem gewerblichen Zwischenmieter nicht den Kündigungsschutzvorschriften für Wohnraum (vgl. BGHZ 94, 11 [14 ff.]). Das führt zu einer Lücke im Mieterschutz. Soweit der Mieter sich gegenüber dem Eigentümer nicht auf die Kündigungsschutzvorschriften berufen kann, wird der mit diesen Vorschriften vom Gesetzgeber angestrebte Schutz des Vertragstreuen Mieters im Falle der gewerblichen Zwischenvermietung nicht erreicht, wenn der Eigentümer das Hauptmietverhältnis beendet und von dem die Wohnung nutzenden Mieter die Räumung verlangt.
Bei der Schaffung der Sozialklauseln und der Kündigungsschutzvorschriften hat der Gesetzgeber die Fälle der gewerblichen Zwischenvermietung nicht vorausgesehen (vgl. BGHZ 84,90 [97]). Die Rechtsprechung hat den Mieter dadurch zu schützen versucht, daß sie gegenüber dem Räumungsanspruch des Eigentümers den Einwand des Rechtsmißbrauchs durchgreifen ließ, sofern der Mieter nicht bei Abschluß des Mietvertrages gewußt hatte, daß sein Vermieter nicht der Eigentümer der Wohnung war (siehe insbesondere den Rechtsentscheid des Bundesgerichtshofs vom 21. April 1982, BGHZ 84, 90 ff.). Dieser Schutz ist jedoch dem vom Gesetzgeber für Mieter von Wohnraum vorgesehenen Kündigungsschutz nicht gleichwertig. Zum einen wird ein Mieter, der weiß, daß er die Wohnung nicht vom Eigentümer gemietet hat, damit häufig nicht die Vorstellung verbinden, daß er im Verhältnis zum Eigentümer keinen Kündigungsschutz genießt (vgl. dazu den neuen Rechtsentscheid des Bundesgerichtshofs vom 20. März 1991, WM 1991, S. 902 [904]). Zum anderen hat der Gesetzgeber den Kündigungsschutz für Wohnraum nicht davon abhängig gemacht, ob der Mieter eine Beendigungsmöglichkeit absehen konnte oder nicht, sondern er hat sogar die einverständliche Abbedingung des Mieterschutzes ausgeschlossen. In den wenigen Fällen, in denen das Gesetz auf die Kenntnis des Mieters abstellt (vgl. § 564b Abs. 7 Nr. 4 und 5 BGB), liegen besondere sachliche Gründe für eine Einschränkung des Mieterschutzes vor; das Erfordernis der Kenntnis soll hier den Mieter vor unerwarteten Abweichungen vom Kündigungsschutz bewahren.BVerfGE 84, 197 (201)
BVerfGE 84, 197 (202)4. Gründe, die eine so weitgehende Schlechterstellung des Mieters im Falle der gewerblichen Zwischenvermietung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
Das Schutzbedürfnis des Mieters, der eine Wohnung vom Zwischenmieter mietet, um sie selbst als Wohnung zu nutzen, entspricht dem eines Mieters, der unmittelbar vom Eigentümer mietet. Es gibt keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß jene Mieter auf die Wohnung weniger angewiesen sind und durch einen Wohnungswechsel weniger beeinträchtigt würden. Die Interessenlage der Vertragsparteien entspricht auch nicht der Situation bei einem typischen Untermietverhältnis. Dort steht der Untermieter zum Hauptmieter in einer wesentlich engeren Beziehung, weil auch der Hauptmieter die Wohnung selbst nutzt und der Untermieter nur im Rahmen des zwischen Eigentümer und Hauptmieter bestehenden Mietverhältnisses an der Nutzung beteiligt wird. Demgegenüber hat der Mieter in den hier erörterten Fällen eine vollständige Wohnung von einem Vermieter gemietet, der sie selbst nicht als Wohnung genutzt hat oder nutzen will, sondern nur zum Zwecke der gewerblichen Weitervermietung vom Eigentümer erhalten hat.
Gewichtige Interessen des Eigentümers, die es rechtfertigen könnten, den sozialen Mieterschutz in derartigen Fällen zu verkürzen, sind ebenfalls nicht erkennbar. Anders als bei einem typischen Untermietverhältnis, bei dem die Untervermietung in der Regel im Interesse des Hauptmieters liegt, ist die gewerbliche Zwischenvermietung eine Vertragsgestaltung, die vom Eigentümer im eigenen Interesse gewählt wird. Dieser hat in der Regel die Wohnung errichtet oder erworben, um sie auf dem Wohnungsmarkt zu nutzen. Er weiß, daß der Zwischenvermieter sie an einen Mieter zur Nutzung als Wohnung vermieten will und diesem gegenüber an die gesetzlichen Vorschriften über den Mieterschutz gebunden ist. Diese Nutzung entspricht seinem Willen und regelmäßig auch seinem Interesse. Aus der Aufgabe des Gesetzgebers, im Mietrecht die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen (vgl. BVerfGE 68, 361 [368]), kann daher einBVerfGE 84, 197 (202) BVerfGE 84, 197 (203)sachlicher Grund für eine Besserstellung des Eigentümers, der die Wohnung einem gewerblichen Zwischenmieter vermietet hat, nicht hergeleitet werden (vgl. BGHZ 84, 90 [98]).
Die rechtstechnischen Schwierigkeiten, die sich aus dem Fehlen einer unmittelbaren vertraglichen Beziehung zwischen dem Eigentümer und dem die Wohnung nutzenden Mieter ergeben, können eine Verkürzung des Mieterschutzes ebenfalls nicht rechtfertigen. Ob rechtstechnische oder rechtsdogmatische Schwierigkeiten überhaupt geeignet sind, eine erhebliche materielle Schlechterstellung von Mietern zu begründen, kann hier dahingestellt bleiben. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, daß eine weitgehende Gleichstellung des Mieters mit den herkömmlichen Methoden der Auslegung und der Lückenfüllung nicht erreichbar wäre. In welcher Weise die Fachgerichte dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung solcher Mieter Rechnung tragen, ist nicht vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden.
(gez.) Herzog Henschel Seidl Grimm Söllner Dieterich Kühling SeibertBVerfGE 84, 197 (203)