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Bearbeitung, zuletzt am 03.06.2020, durch: A. Tschentscher | |||
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2. Die Freiheit der Bildung der öffentlichen Meinung ist durch Art. 5 GG mitgarantiert. |
3. Öffentliche Meinung und politische Willensbildung des Volkes kann nicht identifiziert werden mit staatlicher Willensbildung, d. h. mit der Äußerung der Meinung oder des Willens eines Staatsorgans in amtlicher Form. |
4. Verfassungsorgane handeln organschaftlich, d. h. sie üben Staatsgewalt aus, nicht nur wenn sie rechtsverbindliche Akte setzen, sondern auch wenn sie von Befugnissen Gebrauch machen, die nicht unmittelbar verbindliche Wirkungen hervorrufen. |
5. Die Volksbefragungsgesetze von Hamburg und Bremen eröffnen dem Staatsvolk eine Mitwirkung an der Staatswillensbildung; die Abstimmung der Bürger stellt sich essentiell als Teilhabe an der Staatsgewalt, als ein Stück Ausübung von Staatsgewalt im status activus dar. In dieser Eigenschaft macht der Bürger nicht von seinen gegen den Staat gerichteten Grundrechten der freien Meinungsäußerung oder des Petitionsrechts Gebrauch. |
6. Während die im gesellschaftlich-politischen Raum erfolgende Bildung der öffentlichen Meinung und die Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes sich ungewollt und durch alle verfassungsrechtlich begrenzten Kompetenzräume hindurch unter Mitbeteiligung aller lebendigen Kräfte nach dem Maße ihres tatsächlichen Gewichtes und Einflusses vollziehen, ist das Tätigwerden des Volkes als Staatsorgan - gleichgültig in welcher Form und mit welcher Wirkung es geschieht - im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat durch Kompetenznormen verfassungsrechtlich begrenzt. |
8. Eine "Instruktion" der Mitglieder der Landesregierung im Bundesrat durch das Landesvolk, auch eine bloß rechtlich unverbindliche in der Weise, daß sich die Vertreter im Bundesrat daran orientieren und sie zur Richtschnur ihres Handelns im Bundesrat machen, ist nach der Struktur des Bundesrats ausgeschlossen. |
Urteil |
des Zweiten Senats vom 30. Juli 1958 |
-- 2 BvF 3, 6/58 -- |
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung, ob das hamburgische Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 9. Mai 1958 (GVBl. I S. 141) und das bremische Gsetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 20. Mai 1958 (GBl. S. 49) mit dem Grundgesetz vereinbar sind, Antragsteller: Die Bundesregierung. |
Entscheidungsformel: |
Das hamburgische Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 9. Mai 1958 (GVBl. I S.141) und das bremische Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 20. Mai 1958 (GBl. S. 49) sind nichtig. |
Gründe: | |
A. -- I. | |
Der Deutsche Bundestag lehnte am 25. März 1958 Anträge der Fraktionen der Oppositionsparteien ab, die darauf hinausliefen, die Bundesregierung zu ersuchen, auf die Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen zu verzichten und anzustreben, daß in keinem Teil Deutschlands Atomwaffen gelagert oder ![]() ![]() | 1 |
Am 9. Mai 1958 erließ die Freie und Hansestadt Hamburg ein Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen (GVBl. I S. 141). Danach sollen die Wahlberechtigten folgende Fragen beantworten (§ 1):
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"1. Sind sie für eine Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen?
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2. Sind Sie für eine Lagerung von Atomwaffen im Gebiet der Bundesrepublik?
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3. Sind Sie für die Errichtung von Abschußbasen für Atomraketen im Gebiete der Bundesrepublik?"
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In den §§ 3 bis 13 des Gesetzes wird in Anlehnung an das hamburgische Bürgerschaftswahlgesetz das Verfahren für die Durchführung der Volksbefragung geregelt: "Stimmberechtigt" sind die am Tage der Volksbefragung Wahlberechtigten. Es ist vom Senat ein Leiter der Volksbefragung zu bestellen. Die Stimmbezirke der letzten Wahl zur hamburgischen Bürgerschaft bilden die Abstimmungsbezirke. Der Abstimmung liegt eine vorher öffentlich auszulegende Stimmliste zugrunde. Abstimmen kann nur, wer in sie eingetragen ist oder wer einen Stimmschein besitzt. Für jeden Abstimmungsbezirk ist ein Abstimmungsvorsteher und ein Abstimmungsvorstand zu berufen. Die Berufenen sind zur ehrenamtlichen Mitwirkung nach Maßgabe des hamburgischen Wahlgesetzes verpflichtet. Es werden amtliche Stimmzettel hergestellt, auf denen die gestellten Fragen nur durch Ankreuzen "oder in anderer Weise" mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Die Abstimmungshandlung ist öffentlich, die Stimmabgabe geheim. Über die Gültigkeit oder Ungültigkeit des Stimmzettels entscheidet der Abstimmungsvorstand. Das Ergebnis der Volksbefragung wird von einem Ausschuß festgestellt.
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Die Freie Hansestadt Bremen verkündete am 23. Mai 1958 ein Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 20. Mai 1958 (GBl. S. 49); danach sollen die im Lande Bremen Wahlberechtigten folgende Fragen beantworten (§ 2):
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"1. Sind Sie mit einer atomaren Bewaffnung deutscher Streitkräfte einverstanden?
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2. Sind Sie damit einverstanden, daß im Lande Bremen Abschußvorrichtungen für atomare Sprengkörper angelegt werden?"
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Über den Sinn der Volksbefragung bestimmen die §§ 1 und 3:
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§ 1
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"Die in diesem Gesetz vorgesehene Volksbefragung soll den Senat als Landesregierung sowie die vom Senat bestellten bremischen Mitglieder des Bundesrates über die Meinung der zur Bürgerschaft wahlberechtigten Bevölkerung des Landes Freie Hansestadt Bremen hinsichtlich der in § 2 formulierten Fragen unterrichten.
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Diese Volksbefragung fällt nicht unter die Artikel 69 ff. der bremischen Landesverfassung."
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§ 3
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"Das Ergebnis der Volksbefragung berührt nicht die dem Senat nach der Verfassung zustehende Entscheidungsfreiheit."
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Das Gesetz regelt das Verfahren über die Durchführung der Volksbefragung durch Bezugnahme auf das bremische Wahlgesetz, das sinngemäß angewendet werden soll (§ 5). Es wird die "Abstimmung durch Brief" zugelassen (§ 5 Abs. 3) und klargestellt, daß jede Frage nur mit Ja oder Nein beantwortet werden kann, daß Zusätze unzulässig sind und den Stimmschein ungül ![]() ![]() | 17 |
II. | |
Die Bundesregierung hält diese Landesgesetze für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz und hat deshalb beantragt festzustellen:
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1. Das hamburgische Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 9. Mai 1958 (GVBl. I S. 141) ist nichtig.
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2. Das bremische Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 20. Mai 1958 (GBl. S. 49) ist nichtig.
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Zur Begründung hat sie vorgetragen:
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Die in den Gesetzen angeordnete Volksbefragung betreffe Angelegenheiten der Verteidigung und der auswärtigen Politik, die zur ausschließlichen Gesetzgebungs-, Regierungs- und Verwaltungszuständigkeit des Bundes gemäß Art. 73 Ziff. 1, 65, 65a, 87a, 87b GG gehörten. Die angeordnete Volksbefragung sei weder Erhebung einer Statistik noch Meinungsforschung. Ebensowenig könnten die Gesetze damit gerechtfertigt werden, daß den dem Bundesrat angehörenden Mitgliedern der Landesregierung von Hamburg und Bremen durch das Ergebnis der Volksbefragung eine Grundlage für ihre Haltung im Bundesrat bei der dort zu erwartenden Beratung über die Fragen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr, die Lagerung von atomaren Waffen und der Anlage von Abschußbasen für atomare Sprengkörper im Gebiet der Bundesrepublik gegeben werden solle. Die Gesetze seien auch deshalb mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie der Beschränkung plebiszitärer Einrichtungen durch das Grundgesetz zuwiderliefen. Die Einführung plebiszitärer Elemente in den Willensbildungsprozeß des Bundesrates würde überdies die Grundlage des Bundesratssystems angreifen.
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III. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat die das hamburgische und das bremische Gesetz betreffenden Verfahren zum Zwecke der gemeinsamen Entscheidung verbunden. In der mündlichen Ver ![]() ![]() | 24 |
B. -- I. | |
Die Bundesregierung hat, wie sich aus Antrag und Begründung ergibt, das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG angerufen. Ob der Bundesregierung zur Verfolgung ihres Ziels noch andere verfassungsrechtliche Wege offengestanden hätten, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden. Dem Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG geht von Rechts wegen ein anderes Verfahren nicht vor.
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Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG liegen vor; das Normenkontrollverfahren dient, wie sich aus dem Wortlaut der Verfassungsvorschrift ergibt, nicht nur der Prüfung, ob der normative Gehalt eines Gesetzes inhaltlich mit einer Norm des Grundgesetzes vereinbar ist; es umfaßt vielmehr auch Meinungsverschiedenheiten "über die förmliche ... Vereinbarkeit" des Gesetzes mit dem Grundgesetz, damit also auch die Frage nach der Kompetenz des Landes zum Erlaß eines Gesetzes.
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II. | |
1. Die angegriffenen Gesetze unterscheiden sich durch eine Reihe von Besonderheiten von anderen Gesetzen: sie regeln nicht einen Lebenssachbereich, der in den Gesetzgebungskatalogen des Grundgesetzes als selbständiger Gegenstand der Gesetzgebung erscheint. Sie sind insofern Maßnahmegesetze, als in ihnen nur eine einmalige Veranstaltung angeordnet wird, mit deren Durch ![]() ![]() | 27 |
2. Die beiden Gesetze sind nicht Gesetze über Statistik. Zwar kann sich eine statistische Erhebung nicht nur auf Daten und Fakten, insbesondere solche unpolitischer Art, beziehen, sondern wo immer es auf die Quantität einer unbekannten Vielzahl von Einzeltatsachen und auf das Größenverhältnis der verschiedenen Quantitäten zueinander ankommt- auch auf die Ermittlung "innerer Tatsachen und Vorgänge" und auf die Feststellung politischer Wertungen und Meinungen der Bürger. Aber sie erschöpft sich begrifflich in der Erhebung des Tatsachenmaterials; ihr wohnt niemals die Absicht inne, politische Aktionen zu bewirken; Statistik besitzt in diesem Sinne nicht fordernden, sondern dienenden Charakter. Statistik kann deshalb nur eine Registrierung ohne Beeinflussung der zu registrierenden beeinflußbaren Verhältnisse sein. Die Veranstaltung der Volksbefragungen in Hamburg und Bremen soll aber offensichtlich politischen Druck erzeugen; um das Ja der zu Befragenden ist bereits ein lebhafter Kampf der politischen Parteien entbrannt, der sich vor dem Abstimmungstag in derselben Weise wie in einem Wahlkampf verstärken würde. Hinzu kommt, daß die Grundsätze über die Durchführung der Volksbefragung unvereinbar sind mit den Grundsätzen, die einer Statistik adäquat sind: unter dem Gesichtspunkt einer korrekten Statistik erscheint es mindestens bedenklich, daß nur die Wahlberechtigten befragt werden und damit beispielsweise ein Teil der Wehrpflichtigen von der Befragung ausgeschlossen wird, daß es ungültige Stimmen gibt, daß die für Statistiken notwendige Auskunftspflicht fehlt und daß es im Hinblick auf die Höhe der Abstimmungsbeteiligung und ![]() ![]() | 28 |
3. Die Gesetze sind auch nicht schlicht Mittel zur Meinungserforschung; die darin angeordneten Volksbefragungen sind nicht demoskopische Umfragen. Gewiß ist das Ergebnis der Volksbefragungen rechtlich unverbindlich. Diese Parallele zur demoskopischen Umfrage kann aber nicht den wesentlichen Unterschied zwischen beiden Einrichtungen ausräumen: Meinungsumfrage, Demoskopie ist eine nichtamtliche Veranstaltung; sie geht aus und wird durchgeführt regelmäßig von Privaten (Einzelnen, Instituten, Verbänden), auch wenn diese im Einzelfall für eine staatliche Stelle arbeiten. Während es nach den Volksbefragungsgesetzen nur zulässig ist, auf bestimmte Fragen vorbehaltlos und unmotiviert mit Ja oder Nein zu antworten, beruht Meinungserforschung auf der Analysierung einer nuancierten Stellungnahme eines "repräsentativen" Querschnitts der Bevölkerung zu einer Vielzahl von Teilfragen, von deren Beantwortung die Stellungnahme zum eigentlichen Gegenstand der Umfrage abhängig ist. Deshalb bedient sich die Meinungsforschung des Fragebogens, des Interviews, läßt konditionale Antworten und Antworten mit Einschränkungen und Vorbehalten zu. Das Ergebnis der Meinungserforschung läßt sich erst auf Grund einer umfangreichen, bestimmten Regeln unterworfenen Wertung und Bearbeitung der Antworten der Befragten gewinnen.
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4. In der modernen Demokratie spielt die öffentliche Meinung eine entscheidende Rolle. Der Freiheit der Bildung dieser öffentlichen Meinung kommt eine so große Bedeutung zu, daß sie mit Fug als durch Art. 5 GG mitgarantiert angesehen wird (vgl. Ridder in Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 2 S. 249 ff., 265, 285 ff.). Das Grundgesetz selbst geht als selbstverständlich von der in der Demokratie bestehenden Notwen ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() | 30 |
III. | |
Während die im gesellschaftlich-politischen Raum erfolgende Bildung der öffentlichen Meinung und die Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes sich ungeregelt und durch alle verfassungsrechtlich begrenzten Kompetenzräume hindurch unter Mitbeteiligung aller lebendigen Kräfte nach dem Maße ihres tatsächlichen Gewichts und Einflusses vollziehen, ist das Tätigwerden als Staatsorgan - gleichgültig in welcher Form und mit welcher Wirkung es geschieht - im freiheitlich-demokrati ![]() ![]() | 31 |
Im Bundesstaat ist die Staatsgewalt der Länder und damit der Kompetenzbereich, in dem überhaupt das Staatsorgan Landesvolk tätig werden darf, durch die Verfassung des Gesamtstaates begrenzt. Die Volksbefragungsgesetze von Hamburg und Bremen überschreiten die verfassungsrechtlichen Grenzen, die das Grundgesetz den Ländern zieht:
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1. Angelegenheiten der Verteidigung gehören zur ausschließlichen Kompetenz des Bundes; das folgt für den Bereich der Gesetzgebung aus Art. 73 Nr. 1 GG, für den Bereich der Exekutive (einschließlich der Regierung) aus Art. 65a, 87a, 87b GG (Art. 87b Abs. 2 GG enthält nur für den Bereich des Wehrersatzwesens und des Schutzes der Zivilbevölkerung die Möglichkeit einer beschränkten Beteiligung der Länder). Für die Gesamtaufgabe "Verteidigungswesen", soweit es sich um die Bundeswehr und ihre Ausrüstung handelt, ist also uneingeschränkt und allein der Bund zuständig. Inwieweit für "auswärtige Angelegenheiten" im Hinblick auf Art. 32 Abs. 2, 3 GG die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes gegenüber der Rechtslage im Bereich des Verteidigungswesens eine Modifikation erleidet, kann hier dahinstehen.
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Nun ist gewiß richtig, daß weder die beiden Gesetze noch das sich an der Abstimmung beteiligende Staatsvolk von Hamburg und Bremen in der Weise in jene ausschließliche Bundeskompetenz eingreifen, daß unmittelbar eine Angelegenheit der Verteidigung - etwa der Ausrüstung der Bundeswehr - gestaltet oder sachlich geregelt würde. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an. Entscheidend ist der eindeutig erkennbare Zweck, den Gesetz und Volksabstimmung in Hamburg und Bremen verfolgen: Die Bundesregierung hat sich auf dem Gebiet des Verteidigungswesens, insbesondere hinsichtlich der Ausrüstung der Bundeswehr, für eine bestimmte Politik entschieden und dafür die Zustimmung des Bundestags gefunden. Die Opposition im Bundestag hält diese politische Entscheidung für falsch und bekämpft ![]() ![]() ![]() ![]() | 34 |
2. Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn man die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz für Volksbefragungsgesetze untersucht. Wie ausgeführt, nimmt das Volk bei einer nur konsultativen Volksbefragung an der Ausübung von Staatsgewalt teil, wie es dies auch bei Wahlen und Volksabstimmungen tut. Über die Zuständigkeit des Bundes und der Länder zum Erlaß von Wahlgesetzen und Abstimmungsgesetzen enthält der allgemeine Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes (Art. 73-75 GG) keine Vorschrift. Gleichwohl ist bis zu diesem Rechtsstreit noch niemals ernsthaft bezweifelt worden, daß weder der Bund Wahlgesetze für die Wahlen zu den Landesparlamenten noch ein Land ein Wahlgesetz für eine Wahl zum Bundestag erlassen könnte und daß ein Land ein Volksbegehren oder einen Volksentscheid über einen Gegenstand der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes nicht zulassen dürfte. Ebensowenig könnte der Bund, wenn das Grundgesetz überhaupt eine Volksbefragung zulassen sollte, durch Gesetz eine Volksbefragung über eine Frage anordnen, die eine Materie der ausschließlichen Landeszuständigkeit betrifft, oder umgekehrt ein Land eine Volksbefragung über einen Gegenstand der ausschließlichen Bundeszuständigkeit anordnen. Maßnahme- und Verfahrensgesetze von der Art des hamburgischen und bremischen Volksbefragungsgesetzes erhalten ihre verfassungsrechtliche Qualifikation erst aus dem Sachbereich, auf den sie sich beziehen; insofern gehören sie nicht zu einem selbständigen Gegenstand im Sinne der Kompetenzverteilung, die das Grundgesetz für den Bereich der Gesetzgebung getroffen hat. Es handelt sich nicht um ein Gesetz über Volksbefragungen, sondern um die Anordnung einer konkreten Volksbefragung, so daß es darauf ankommt, ob der Gegenstand der Volksbefragung zur Zuständigkeit des Landes gehört. Es gilt in dieser Beziehung das gleiche, was das Grundgesetz ausdrücklich über die Zuständig ![]() ![]() | 35 |
3. Die beiden Gesetze können nicht damit gerechtfertigt werden, daß, wie es die Begründung zum hamburgischen Gesetz andeutet und das bremische Gesetz in § 1 ausdrücklich ausspricht, die Volksbefragung der Orientierung der Mitglieder der Landesregierung im Bundesrat dienen soll. Damit werden die Gesetze nicht zu Gesetzen über eine Volksbefragung "für Landeszwecke", zu deren Erlaß das Land in Analogie der oben erwähnten Kompetenzverteilung für Gesetze über die Statistik befugt wäre. Es liegt auf der Hand, daß Art. 73 Nr. 11 GG seinen Sinn verlöre, wenn der Umstand, daß eine Angelegenheit Gegenstand der Beratung und Erörterung im Bundesrat sein könnte, ausreichen würde, die zum Zwecke der Materialbeschaffung für die Mitglieder der Landesregierung vom Land für erforderlich gehaltene Statistik als eine "Statistik für Landeszwecke" zu werten und die Zuständigkeit des Landes zum Erlaß eines entsprechenden Gesetzes über die Statistik zu begründen. Da der Bundesrat als Bundesverfassungsorgan in allen Gebieten der ausschließlichen Bundeszuständigkeit Gelegenheit hat, zu Worte zu kommen, bliebe bei solcher Auslegung für eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung über die Statistik für Bundeszwecke überhaupt kein Raum mehr. Entsprechendes muß dann aber auch für die Begrenzung der Landes ![]() ![]() | 36 |
Unabhängig davon gilt folgendes: Der Bundesrat ist ein Verfassungsorgan des Bundes. Dieses kollegiale Organ "besteht" aus Mitgliedern der Landesregierungen (Art. 51 Abs. 1 GG); es wird nicht "aus den Ländern gebildet"; Art. 50 GG umschreibt nur zutreffend die Funktion dieses Bundesverfassungsorgans, wenn es dort heißt: "Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit". Diese Mitwirkung wird aber kraft der Entscheidung der Bundesverfassung nur durch die Mitglieder der Landesregierungen vermittelt. Die Rechtsstellung der Mitglieder des kollegialen Organs "Bundesrat" gründet im Grundgesetz. Dieses hat das vor allem auf dem Gedanken der Repräsentanz des Landesstaatsvolks beruhende Senatsprinzip gerade nicht verwirklicht, sondern sich für das Bundesratsprinzip entschieden, d.h. für eine Vertretung der Landesregierungen in diesem föderativen Bundesorgan. Im Parlamentarischen Rat haben auch Anhänger des sogenannten Bundesratsprinzips die Auffassung vertreten, daß die Mitglieder dieses Bundesverfassungsorgans weisungsfrei sein sollten (vgl. Nachweis bei Scupin in Bonner Kommentar Anm. 5 zu Art. 51 S. 5). Die Staatspraxis leitet aus dem Recht der Landesregierung, ihre Vertreter im Bundesrat zu bestellen und abzuberufen, ein Recht der Landesregierung zu Weisungen an ihre Mitglieder im Bundesrat ab. Das besagt jedoch noch nichts dafür, daß das Landesparlament oder gar das Landesvolk zu einem Hineinwirken in die Entscheidungen des Bundesrats befugt seien. Wenn die Landesregierung über "Weisungen" an ihre Mitglieder, die die Landesregierung im Bundesrat vertreten, Einfluß auf die Staatswillensbildung im Bund nehmen kann, so handelt es sich jedenfalls nicht um ein Übergreifen in die Wahrnehmung von Kompetenzen des Bundes, um die Bildung von Landesstaatswillen an Stelle von Bundesstaatswillen, sondern um das Tätigwerden eines Landesorgans, das durch die eigenartige Struktur des Bundesrats von Bundesverfassungs wegen berufen ist, mittelbar an ![]() ![]() | 37 |
IV. | |
Demnach ist eine konsultative Volksbefragung in den Ländern, wie sie in dem hamburgischen und bremischen Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen angeordnet ist, mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie in eine ausschließliche Gesetzgebungs-, Regierungs- und Verwaltungskompetenz des Bundes übergreift. Die beiden Gesetze sind wegen ihres Widerspruchs mit der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes nichtig.
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V. | |
Nach dem bisher Dargelegten kommt es nicht mehr darauf an, ob gegen die beiden Gesetze noch weitere verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht werden könnten, ob sie etwa im Widerspruch stehen zur repräsentativen Ausprägung der demo ![]() ![]() ![]() | 39 |
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