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Informationen zum Dokument  BGer 6B_26/2021  Materielle Begründung
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BGer 6B_26/2021 vom 09.03.2022
 
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6B_26/2021
 
 
Urteil vom 9. März 2022
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichter Denys,
 
Bundesrichter Muschietti,
 
Bundesrichterin Koch,
 
Bundesrichter Hurni,
 
Gerichtsschreiberin Lustenberger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Kenad Melunovic,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
 
2. B.________,
 
Beschwerdegegnerinnen.
 
Gegenstand
 
Fahrlässige Widerhandlung gegen Art. 28 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 TSchG i.V.m. Art. 77 TSchV und gegen das Hundegesetz und die Hundeverordnung des Kantons Aargau,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, vom 10. November 2020 (SST.2020.113).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.________ ging am 31. Januar 2019 mit dem Hund ihrer Tochter spazieren. Sie führte den Hund, genannt C.________, an der Leine. Auf einem Feldweg kam ihr B.________ zu Fuss in zügigem Tempo entgegen. Nachdem die beiden Frauen sich gekreuzt hatten, sprang der Hund B.________ von hinten an und biss sie in den rechten Oberschenkel.
1
B.
2
Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten sprach A.________ mit Strafbefehl vom 25. Juli 2019 wegen fahrlässiger Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz vom 16. Dezember 2005 (TSchG; SR 455.0) und die Tierschutzverordnung vom 23. April 2008 (TSchV; SR 455.1) sowie wegen fahrlässiger Widerhandlung gegen das Hundegesetz des Kantons Aargau vom 15. März 2011 (HuG; SAR 393.400) und die Verordnung des Kantons Aargau zum Hundegesetz vom 7. März 2012 (HuV; SAR 393.411) schuldig und belegte sie mit einer Busse von Fr. 500.--.
3
C.
4
Nachdem A.________ gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben hatte, erklärte das Bezirksgericht Muri sie mit Urteil vom 5. Dezember 2019 schuldig im Sinne der Anklage und verurteilte sie zu einer Busse von Fr. 300.--. Ausserdem verpflichtete es sie zur Zahlung von Fr. 56.70 Schadenersatz an B.________.
5
D.
6
Auf Berufung von A.________ bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau am 10. November 2020 das Urteil des Bezirksgerichts Muri in sämtlichen Punkten. Damit erklärte es sie konkret schuldig "der fahrlässigen Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz und die Tierschutzverordnung durch Missachtung der Vorschriften über die Tierhaltung gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. a i.V.m Abs. 2 TSchG, Art. 77 TSchV" und "der fahrlässigen Widerhandlung gegen das Hundegesetz und die Hundeverordnung durch Missachtung der allgemeinen Pflichten als Hundehalter/Aufsichtsperson gemäss § 5 Abs. 1 lit. a und b i.V.m. § 19 Abs. 1 HuG, § 6 Abs. 2 HuV".
7
E.
8
Dagegen führt A.________ Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 10. November 2020 sei aufzuheben und sie sei vom Vorwurf der fahrlässigen Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz, die Tierschutzverordnung, das Hundegesetz und die Hundeverordnung freizusprechen. Eventualiter sei das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Vorinstanz und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichten auf eine Vernehmlassung. B.________ hat innert Frist keine Stellungnahme eingereicht.
10
Die kantonalen Akten wurden antragsgemäss beigezogen.
11
 
Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz eine fehlerhafte Anwendung des Fahrlässigkeitsbegriffs nach Art. 12 Abs. 3 StGB vor. Sie macht geltend, das erlaubte Risiko werde durch die kantonale Bestimmung zur Leinenpflicht (§ 14 HuG/AG) definiert. Da C.________ kein Hund mit erhöhtem Gefährdungspotenzial sei, habe er zu keinem Zeitpunkt an der Leine geführt werden müssen. Dennoch habe sie, die Beschwerdeführerin, den Hund zum streitigen Zeitpunkt entgegen der willkürlichen Feststellung der Vorinstanz
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Schliesslich, so die Beschwerdeführerin, werfe die Vorinstanz ihr unter dem Titel der Vermeidbarkeit vor, dass das Anspringen der Beschwerdegegnerin 2 bei engerer Leinenhaltung oder durch sofortiges Zurückziehen von C.________ hätte verhindert werden können. Damit kehre sie jedoch zum Vorwurf der "nicht kurz genug" gehaltenen Leine zurück, ohne die Vermeidbarkeit eigenständig zu begründen. Sie, die überraschte Beschwerdeführerin, habe mit allen möglichen Mitteln sofort eingegriffen. Was sie sonst noch Menschenmögliches hätte tun sollen, lasse sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen.
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1.2. Die Vorinstanz erwägt, der Hund habe sich von der linken Seite um die Beschwerdeführerin herum nach rechts bewegen können. Demnach sei offensichtlich, dass die Leine nicht genügend kurz gehalten worden sei. Die Beschwerdeführerin habe den Hund nicht unter Kontrolle gehabt. Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG i.V.m. Art. 77 TSchV sowie § 5 Abs. 1 lit. a und b HuG/AG i.V.m. § 6 Abs. 2 HuV/AG würden gerade deshalb eine Sorgfaltspflicht für Hundehalter statuieren, weil jederzeit die Möglichkeit bestehe, dass ein Hund andere Menschen oder Tiere gefährde. Dem Ausführen eines Hundes sei immer ein gewisses Gefahrenpotenzial inhärent. Insbesondere bei der Begegnung mit einer schnell gehenden, fremden Person bestehe stets eine gewisse Unsicherheit, wie der Hund reagieren werde. Daher müsse die Hundehalterin unabhängig davon, ob der Hund in der Vergangenheit Auffälligkeiten gezeigt habe, mit einer gefährlichen Reaktion desselben rechnen. Die Beschwerdeführerin sei eine erfahrene Hundehalterin, weshalb sie eine mögliche Gefährdung hätte erkennen müssen. Trotzdem habe sie den Hund locker an der Leine und nicht unter Kontrolle gehalten. Die durch die Verletzung der Aufsichts- und Kontrollpflicht bewirkte Gefährdung der Beschwerdegegnerin 2 sei für die Beschwerdeführerin vorhersehbar gewesen. Weiter stellt die Vorinstanz fest, der Beschwerdeführerin wäre es durch sofortiges Zurückziehen der Leine möglich gewesen, die Gefährdung der Beschwerdegegnerin 2 zu verhindern, wenn sie die Leine kürzer gehalten hätte. Zudem sei es für sie zumutbar gewesen, die Leine kurzzeitig straff zu halten, um einer Verletzung vorzubeugen. Damit sei auch die Vermeidbarkeit der Gefährdung gegeben.
14
 
2.
 
Soweit sich der Schuldspruch auf kantonales Recht stützt, dringt die Beschwerdeführerin mit ihren Rügen nicht durch.
15
 
2.1.
 
2.1.1. Gemäss § 5 Abs. 1 lit. a HuG/AG sind Hundehaltende verpflichtet, ihren Hund so zu halten, dass Menschen und Tiere nicht gefährdet oder übermässig belästigt werden. Ergänzend bestimmt § 6 Abs. 2 HuV/AG, dass die mit der Aufsicht über einen Hund betraute Person mit allen möglichen Mitteln einzugreifen hat, wenn dieser einen Menschen oder ein Tier angreift. Nach § 5 Abs. 1 lit. b HuG/AG müssen die Verantwortlichen ihren Hund jederzeit unter Aufsicht und Kontrolle halten. Vorsätzliche oder fahrlässige Übertretungen namentlich von § 5 HuG/AG sowie gestützt darauf ergangener Vollzugserlasse werden mit Busse bestraft (§ 19 Abs. 1 HuG/AG).
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2.1.2. Die Anwendung von kantonalem Recht prüft das Bundesgericht lediglich auf Willkür (vgl. BGE 141 IV 305 E. 1.2; 140 III 385 E. 2.3; 138 IV 13 E. 2). Willkür in der Rechtsanwendung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid indes nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Die Willkürrüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (anstatt vieler: BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; je mit Hinweisen).
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2.2. Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder ein Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn die Täterin die Vorsicht nicht beachtet, zu der sie nach den Umständen und nach ihren persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB).
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2.2.1. Sorgfaltswidrig ist ein Verhalten, wenn die Täterin zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn sie zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 143 IV 138 E. 2.1 mit Hinweis; 140 II 7 E. 3.4).
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2.2.2. Eine der Grundvoraussetzungen für das Bestehen einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin für die Fahrlässigkeitshaftung bildet die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für die konkrete Täterin mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Zunächst ist daher zu klären, ob die Täterin eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen beziehungsweise erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab der Adäquanz. Danach muss das Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Die Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden des Opfers beziehungsweise eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten der Angeschuldigten - in den Hintergrund drängen (BGE 135 IV 56 E. 2.1; 131 IV 145 E. 5.2 f.; je mit Hinweisen).
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2.2.3. Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Unterlassen der Täterin zurückzuführen ist, genügt allerdings seine Voraussehbarkeit nicht. Weitere Voraussetzung ist vielmehr, dass der Erfolg auch vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten der Täterin ausgeblieben wäre. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt, wenn das Verhalten der Täterin mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (BGE 140 II 7 E. 3.4; 135 IV 56 E. 2.1 mit Hinweisen).
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2.2.4. Ein Fahrlässigkeitsdelikt kann auch durch pflichtwidriges Unterlassen (Art. 11 StGB) verübt werden. Voraussetzung ist eine Rechtspflicht zur Vornahme der unterlassenen Handlung (Garantenstellung) sowie die Möglichkeit, diese Handlung vorzunehmen. Ein sog. unechtes Unterlassungsdelikt liegt vor, wenn im Gesetz wenigstens die Herbeiführung des Erfolgs durch Tun ausdrücklich mit Strafe bedroht wird, der Beschuldigte durch sein Tun den Erfolg tatsächlich hätte abwenden können und infolge seiner Garantenstellung dazu auch verpflichtet war, sodass die Unterlassung der Erfolgsherbeiführung durch aktives Tun als gleichwertig erscheint. Für die Annahme einer Garantenstellung genügt nicht jede, sondern nur eine qualifizierte Rechtspflicht (BGE 141 IV 249 E. 1.1 mit Hinweisen).
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2.3. Um der aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessenden Begründungspflicht (BGE 145 IV 99 E. 3.1 mit Hinweisen) nachzukommen, muss das Gericht in seiner Begründung kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen es sich leiten liess und auf die es seinen Entscheid stützt. Nicht erforderlich ist, dass es sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sich das Gericht auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 146 IV 297 E. 2.2.7; 141 IV 249 E. 1.3.1; je mit Hinweisen).
23
 
2.4.
 
2.4.1. Vorab verfällt die Vorinstanz nicht in Willkür, wenn sie aus dem Umstand, dass sich C.________ von links um die Beschwerdeführerin herum nach rechts bewegen konnte, folgert, die Leine sei locker gehalten worden. Die Beschwerdeführerin behauptet gegenteilig und ohne eingehende Auseinandersetzung mit diesen Überlegungen, den Hund eng an der Leine geführt zu haben. Damit und mit ihrem Hinweis, auch nach Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 habe sie C.________ nahe bei sich gehalten, vermag sie keine Willkür zu begründen, zumal ein Hund sich auch direkt neben der ihn führenden Person befinden kann, wenn die Leine locker ist.
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2.4.2. Im Weiteren gehen die Ausführungen der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Leinenpflicht an der Sache vorbei. Zwar besteht gemäss § 14 Abs. 1 HuG/AG nur für Hunde mit erhöhtem Gefährdungspotenzial eine Pflicht zur Haltung an der kurzen Leine im öffentlich zugänglichen Raum. Zu solchen Hunden zählt C.________, wie dem angefochtenen Urteil entnommen werden kann, nicht. Entscheidend ist aber letztlich, dass alle Hunde gemäss den gesetzlichen Vorschriften so zu halten sind, dass sie Menschen und Tiere nicht gefährden oder übermässig belästigen (§ 5 Abs. 1 lit. a HuG/AG) und dass sie jederzeit unter Aufsicht und Kontrolle zu halten sind (§ 5 Abs. 1 lit. b HuG/AG). Wie die nötige Kontrolle über den Hund ausgeübt wird, definiert das Gesetz für Hunde ohne erhöhtes Gefährdungspotenzial nicht. Denkbar ist also beispielsweise, dass der Hund aufgrund von Erziehung und Training sehr gut gehorcht und sich so unter der Kontrolle der Halterin befindet. Gemäss den willkürfreien Feststellungen der Vorinstanz marschierte C.________ um die Beschwerdeführerin herum, sprang am Bein einer Fussgängerin hoch und biss diese. Damit hat sich das in § 5 Abs. 1 lit. a HuG/AG erwähnte Gefährdungspotenzial in einer konkreten Verletzung verwirklicht und es steht mit der Vorinstanz fest, dass die Beschwerdeführerin keine hinreichenden Vorkehrungen traf, um Derartiges zu verhindern resp. die erforderliche Kontrolle über den Hund nicht innehatte. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit den Begriffen der sozialen Adäquanz und des erlaubten Risikos brauchte die Vorinstanz aufgrund der klaren gesetzlichen Vorgaben nicht vorzunehmen. Im Übrigen wirft die Beschwerdeführerin ihr im Zusammenhang mit der festgestellten Verletzung von § 5 Abs. 1 lit. b HuG/AG keine Willkür vor, weshalb ihrer Beschwerde in diesem Punkt von vornherein kein Erfolg beschieden ist.
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2.4.3. Unbegründet ist sodann der Vorwurf, die Vorinstanz berücksichtige die konkreten Umstände in ungenügender Weise und lasse den individuellen Sorgfaltsmassstab ausser Acht, wenn sie die Vorhersehbarkeit des Angriffs bejahe. Die Vorinstanz beschreibt keine abstrakte Situation, sondern stellt fest, dass das Zusammentreffen der Beschwerdeführerin und ihres Hundes mit der Beschwerdegegnerin 2 auf einem Feldweg stattgefunden habe, auf dem die Beschwerdeführerin weite Sicht gehabt und sich das Kreuzen mit der zügig marschierenden Fussgängerin abgezeichnet habe. Nicht zu beanstanden sind sodann ihre Feststellungen, wonach bei einer fremden, schnell gehenden Person immer eine gewisse Unsicherheit bestehe, wie der Hund reagieren werde und sich auch ein grundsätzlich gutmütiger Hund unberechenbar verhalten könne. Diese Einschätzung lässt sich durchaus mit der allgemeinen Lebenserfahrung vereinbaren. Die Vorinstanz erwägt sodann willkürfrei, dass die Beschwerdeführerin als erfahrene Hundehalterin mit unerwartetem Verhalten des Hundes hätte rechnen müssen. Ihre diesbezügliche Erfahrung wirkt sich dabei entgegen ihrer Ansicht gerade nicht sorgfaltspflichtmindernd aus. Aus dem Gesagten folgt, dass die Vorinstanz die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin sowie die konkreten Umstände hinreichend berücksichtigt und die Vorhersehbarkeit des Erfolgs als Element der Fahrlässigkeit zu Recht bejaht.
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2.4.4. Nicht offensichtlich unhaltbar ist es schliesslich, die Verletzung der Beschwerdegegnerin 2 als vermeidbar zu bezeichnen. Im vorliegenden Fall gehen die Beurteilung des erlaubten Risikos, wie sie aus der einschlägigen kantonalen Tierschutzgesetzgebung folgt, und der Vermeidbarkeit naturgemäss teilweise ineinander über. Das erlaubte Risiko wurde, wie bereits ausgeführt, durch die fehlende Kontrolle über C.________ und den Angriff auf die Beschwerdegegnerin 2 überschritten. Es scheint offensichtlich, dass der Angriff bei hinreichender Kontrolle über den Hund - sei es etwa durch Führen an der (straffen) Leine oder durch tadellose Folgsamkeit des Hundes - hätte vermieden werden können. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin spielt es sodann auch hier keine Rolle, ob für C.________ eine Leinenpflicht bestand oder nicht. Unbesehen dieser fehlenden Verpflichtung führte sie den Hund an der Leine, weshalb das Geschehen, wie es die Vorinstanz richtigerweise tut, unter diesem Aspekt zu würdigen ist. Wenn die Vorinstanz demnach folgert, bei strafferer Haltung der Leine wäre der Angriff durch sofortiges Zurückziehen derselben vermeidbar gewesen, ist dies unter Willkürgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Davon abgesehen behauptet die Beschwerdeführerin zwar, mit allen Mitteln eingegriffen zu haben, tut aber weder dar, inwiefern sie in dieser Frage zur Ergänzung des von der Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalts (Art. 105 Abs. 1 BGG) berechtigt sein soll, noch, mit welchen Mitteln sie überhaupt eingegriffen haben will. Demnach hält insgesamt der gestützt auf § 5 Abs. 1 lit. a und b i.V.m. § 19 Abs. 1 HuG/AG erfolgte Schuldspruch der bundesgerichtlichen Überprüfung stand.
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2.4.5. Gleiches gilt, soweit die Vorinstanz eine Verletzung von § 6 Abs. 2 HuV/AG, wonach die mit der Aufsicht über einen Hund betraute Person mit allen Mitteln einzugreifen hat, wenn er einen Menschen oder ein Tier angreift, bejaht. Die Ursache für das vorliegend erschwerte Eingreifen nach dem begonnen Angriff hat die Beschwerdeführerin gemäss zutreffender Einschätzung der Vorinstanz durch die ungenügende Kontrolle selbst geschaffen. Es ist somit nicht offensichtlich unhaltbar, ihr das nicht sofortige Zurückziehen der Hundeleine auch unter diesem Titel zum Vorwurf zu machen und einen Verstoss gegen § 6 Abs. 2 HuV/AG anzunehmen.
28
3.
29
Fraglich ist, ob Art. 77 TSchV (i.V.m. Art. 28 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 TSchG) als Strafnorm herangezogen werden darf.
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3.1. Gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 TSchG wird mit Busse bestraft, wer fahrlässig die Vorschriften über die Tierhaltung missachtet. Nach Art. 77 Satz 1 TSchV ("Verantwortung der Personen, die Hunde halten oder ausbilden") hat, wer einen Hund hält oder ausbildet, Vorkehrungen zu treffen, damit der Hund Menschen und Tiere nicht gefährdet.
31
3.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist weder an die in der Beschwerde vorgetragene Begründung der Rechtsbegehren noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde mithin auch aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 143 V 19 E. 2.3; 141 III 426 E. 2.4; 133 IV 150 E. 1.2; Urteil 6B_442/2021 vom 30. September 2021 E. 3.3; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht darf indes nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1 BGG).
32
3.3. Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt (Art. 1 StGB). Der Grundsatz der Legalität ("nulla poena sine lege") ist auch in Art. 7 EMRK ausdrücklich verankert. Er ist verletzt, wenn jemand wegen eines Verhaltens strafrechtlich verfolgt wird, das im Gesetz überhaupt nicht als strafbar bezeichnet wird; wenn das Gericht ein Verhalten unter eine Strafnorm subsumiert, unter die es auch bei weitestgehender Auslegung der Bestimmung nach den massgebenden Grundsätzen nicht subsumiert werden kann; oder wenn jemand in Anwendung einer Strafbestimmung verfolgt wird, die rechtlich keinen Bestand hat (BGE 138 IV 13 E. 4.1; 118 Ia 137 E. 1c; Urteil 6B_384/2020 vom 23. August 2021 E. 1.3.1, zur Publ. bestimmt; je mit Hinweisen).
33
 
3.4.
 
3.4.1. Im Bereich des Tierschutzes erteilt Art. 80 Abs. 1 BV dem Bund umfassende Gesetzgebungskompetenz (Urteile 2C_765/2020 vom 14. Januar 2021 E. 5.2; 2C_325/2018 vom 18. Februar 2019 E. 3.1). Die Bestimmung sieht vor, dass der Bund Vorschriften über den Schutz der Tiere erlässt (vgl. Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 256: "[Art. 80 BV] zielt auf den 'Schutz des [einzelnen] Tieres vor ungerechtfertigten Verhaltensweisen des Menschen, durch die dem Tier Schmerzen, Leiden und körperliche Schäden zugefügt werden oder durch die es Angstzuständen ausgesetzt wird' [...]."). Sie bezieht sich somit auf den Schutz von Tieren. Dieser Leitlinie folgend besteht gemäss Art. 1 TSchG der Zweck des Gesetzes darin, die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen (dazu im Einzelnen Urteil 2C_147/2019 vom 20. August 2019 E. 5.6.1). Der dem TSchG zugrundeliegende Grundgedanke und seine Stossrichtung liegen somit im Rahmen von Art. 80 Abs. 1 BV (Urteil 2C_49/2010 vom 8. Oktober 2010 E. 4.3).
34
Dagegen sind sich Rechtsprechung und Lehre einig, dass der Bund im Bereich des Schutzes von Menschen vor gefährlichen Tieren gestützt auf Art. 80 Abs. 1 BV keine Gesetzgebungskompetenz besitzt (BGE 133 I 172 E. 2; Urteile 2C_977/2019 vom 28. Dezember 2020 E. 7.1; 2C_441/2019 vom 27. September 2019 E. 3.2; 2C_325/2018 vom 18. Februar 2019 E. 3.1; je mit Hinweisen; Brahier/Hürlimann, in: Commentaire romand, Constitution fédérale, 2021, N. 23 zu Art. 80 BV; Giovanni Biaggini, Kommentar, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl. 2017, N. 4 zu Art. 80 BV; Christoph Errass, in: St. Galler Kommentar, Die Schweizerische Bundesverfassung, 3. Aufl. 2014, N. 13 zu Art. 80 BV). Eine entsprechende Bundeszuständigkeit ergibt sich auch nicht aus anderen Verfassungsbestimmungen wie etwa Art. 118 BV (Schutz der Gesundheit) (Bericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats [WBK-N] vom 20. Februar 2009 zur Parlamentarischen Initiative "Verbot von Pitbulls in der Schweiz", BBl 2009 3547, 3567, Ziff. 2.6.2; Müller/Feller, Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Schutze des Menschen vor gefährlichen Tieren [insb. Hunden], Kurzgutachten zuhanden der Subkommission "Gefährliche Hunde" der WBK-N, VBP 2007 Nr. 10 S. 209). Der Erlass und Vollzug von Vorschriften, welche die Hundehaltung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit beschränken, fällt vielmehr in die Kompetenz der Kantone (BGE 136 I 1 E. 3; 133 I 172 E. 2; Urteile 2C_977/2019 vom 28. Dezember 2020 E. 7.1; 2C_441/2019 vom 27. September 2019 E. 3.2; 2C_325/2018 vom 18. Februar 2019 E. 3.1; je mit Hinweisen).
35
3.4.2. Denkbar ist, dass Tierschutzbestimmungen mittelbar auch dem Schutz des Menschen dienen, insbesondere da bei gerechter Haltung für gewöhnlich geringere Risiken vom Tier ausgehen. Massnahmen, die gleichzeitig den Schutz von Tieren und Menschen bezwecken, fallen nur dann in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, wenn das Ziel des Tierschutzes tatsächlich vorhanden und als erheblich zu bezeichnen und dem Ziel des Schutzes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht offensichtlich untergeordnet ist (Urteile 2C_325/2018 vom 18. Februar 2019 E. 4.3.1; 2C_49/2010 vom 8. Oktober 2010 E. 4.2 mit Hinweisen).
36
 
3.5.
 
3.5.1. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts bezweckt Art. 77 TSchV (wie auch Art. 78 und 79 TSchV) in Bezug auf das Halten von Hunden grundsätzlich die Sicherheit von Mensch und Tier. An Hundehalter gerichtete Anordnungen und Massnahmen, die nicht dem Tierschutz dienen, sondern sicherheitspolizeilich motiviert sind, lassen sich jedoch nicht auf die genannten Bestimmungen abstützen, sondern brauchen aufgrund der Kompetenzverteilung nach Art. 80 Abs. 1 BV eine Grundlage im kantonalen Recht (vgl. Urteile 2C_441/2019 vom 27. September 2019 E. 3.2 betreffend Pflicht zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung für das nationale Hundehalter-Brevet; 2C_148/2019 vom 27. Mai 2019 E. 3.1 und 2C_1200/2012 vom 3. Juni 2013 E. 4.1 betreffend Beschlagnahme von Hunden). Selbst wenn das Ziel des Tierschutzes zwar vorhanden, dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aber untergeordnet ist, können sich Massnahmen mangels entsprechender Gesetzgebungskompetenz nicht auf Bundesrecht stützen (Urteil 2C_325/2018 vom 18. Februar 2019 E. 4.3.2 betreffend Beschlagnahme eines Hundes, der in der Vergangenheit Hühner und Schafe angegriffen hatte).
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3.5.2. Die Beschwerdeführerin wurde gestützt auf Art. 77 TSchV i.V.m. Art. 28 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 TSchG verurteilt, weil ihr Hund einen Menschen gebissen und diesem damit Schaden zugefügt hat. Der Schuldspruch betrifft somit den Teilgehalt resp. Anwendungsbereich von Art. 77 TSchV, bei dem es einzig um den Schutz der Bevölkerung vor Gefährdungen oder Verletzungen durch Hunde geht. Insoweit ist Art. 77 TSchV sicherheitspolizeilich motiviert und lässt sich nicht mit der verfassungsmässigen Kompetenzordnung vereinbaren. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend Gründe des Tierschutzes relevant gewesen oder gar im Vordergrund gestanden hätten, sind keine auszumachen. Dem auf Bundesrecht gestützten Schuldspruch wegen "Missachtung der Vorschriften über die Tierhaltung" fehlt es deshalb an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage und er verletzt den Grundsatz der Legalität ("keine Strafe ohne Gesetz").
38
4.
39
Das Obergericht heisst die Zivilklage der Beschwerdegegnerin 2 im Umfang von Fr. 56.70 gut und verweist sie im Übrigen auf den Zivilweg. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des gesamten vorinstanzlichen Urteils, ohne sich jedoch zur Zivilforderung zu äussern. Darauf ist nicht weiter einzugehen.
40
5.
41
Soweit sich die Verurteilung der Beschwerdeführerin auf eidgenössisches Recht (Art. 28 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 TSchG i.V.m. Art. 77 TSchV) stützt, wird die Beschwerde gutgeheissen, das vorinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
42
Im Umfang ihres Unterliegens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Kanton Aargau trägt keine Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG), hat jedoch die Beschwerdeführerin angemessen zu entschädigen, soweit diese obsiegt (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Der Beschwerdegegnerin 2 sind im bundesgerichtlichen Verfahren keine entschädigungswürdigen Nachteile entstanden.
43
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 10. November 2020 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten werden im Umfang von Fr. 1'500.-- der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Der Kanton Aargau hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 9. März 2022
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Die Gerichtsschreiberin: Lustenberger
 
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