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Informationen zum Dokument  BGer 8C_680/2020  Materielle Begründung
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BGer 8C_680/2020 vom 15.12.2020
 
 
8C_680/2020
 
 
Urteil vom 15. Dezember 2020
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterin Viscione, Bundesrichter Abrecht,
 
Gerichtsschreiberin Durizzo.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________, vertreten durch Advokat Gaël Jenoure,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Hilflosenentschädigung)
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 28. September 2020 (200 20 196 IV).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der 1973 geborene A.________ meldete sich im August 1998 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Gemäss Bericht der Psychiatrischen Klinik B.________ vom 25. November 1998, wo er im Frühjahr 1996 sowie von Dezember 1997 bis Februar 1998 hospitalisiert war, litt er unter einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung bei Verdacht auf hirnorganischen Hintergrund. Mit Verfügung vom 6. Juni 2000 sprach die IV-Stelle Bern A.________ bei einem Invaliditätsgrad von 100 % ab August 1997 eine ganze Rente zu. In der Folge dekompensierte A.________ mehrfach psychotisch. Im Juli 2002 stürzte er sich in suizidaler Absicht aus einem Fenster und zog sich dabei diverse Frakturen (unter anderem eine Schenkelhalsfraktur rechts sowie Brüche am rechten Arm) zu. Es wurde eine schwere, schubweise verlaufende chronische paranoide Schizophrenie diagnostiziert. A.________ sei nicht mehr in der Lage, selbstständig zu leben. Die IV-Stelle richtete ihm daher mit Verfügung vom 29. Juli 2010 zusätzlich rückwirkend ab November 2004 eine Hilflosenentschädigung für eine Hilflosigkeit leichten Grades aus. Sie bestätigte den Renten- sowie den Anspruch auf Hilflosenentschädigung mehrfach als unverändert (Verfügungen vom 28. Dezember 2005, 11. September 2009 und 12. Dezember 2013 beziehungsweise 29. Juli 2010, 21. Januar 2014 und 20. November 2018).
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Im August 2019 ersuchte A.________ um Erhöhung der Hilflosenentschädigung. Nach durchgeführten Abklärungen sprach ihm die IV-Stelle mit Verfügung vom 14. Februar 2020 ab August 2019 eine Hilflosenentschädigung für eine Hilflosigkeit mittleren Grades zu.
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B. Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 28. September 2020 ab.
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle anzuweisen, ihm ab 1. August 2019 eine Hilflosenentschädigung schweren Grades zuzusprechen.
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Erwägungen:
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1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280; vgl. auch BGE 141 V 234 E. 1 S. 236). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2. Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie einen Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Hilflosenentschädigung für schwere Hilflosigkeit verneinte.
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3. Die Vorinstanz hat die entscheidwesentlichen Rechtsgrundlagen zum Anspruch auf Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit mittelschweren oder schweren Grades (Art. 9 ATSG; Art. 42 IVG in Verbindung mit Art. 35 ff. IVV), namentlich zu den massgebenden sechs alltäglichen Lebensverrichtungen (Aufstehen, Absitzen, Abliegen; An- und Auskleiden; Essen; Körperpflege; Verrichten der Notdurft; Fortbewegung und Kontaktaufnahme; Art. 37 IVV; BGE 133 V 450 E. 7 S. 463; 127 V 94 E. 3c S. 97), zutreffend wiedergegeben. Dasselbe gilt hinsichtlich der Rechtsprechung zu den Anforderungen, denen Abklärungen zur Hilflosigkeit zu genügen haben (BGE 140 V 543 E. 3.2.1 S. 547; Urteil 9C_762/2017 vom 30. Mai 2018 E. 3.2). Darauf wird verwiesen.
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Hervorzuheben ist insbesondere Art. 37 Abs. 1 IVV, nach welcher Bestimmung die Hilflosigkeit als schwer gilt, wenn die versicherte Person vollständig hilflos ist. Dies ist der Fall, wenn sie in allen alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist und überdies der dauernden Pflege oder der persönlichen Überwachung bedarf.
9
4. 
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4.1. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer in den vier alltäglichen Lebensverrichtungen An-/Auskleiden, Körperpflege, Verrichten der Notdurft sowie Fortbewegung/Pflege gesellschaftlicher Kontakte regelmässig und erheblich hilfsbedürftig ist und zudem dauernder Pflege bedarf. Vorliegend ist einzig noch streitig, ob der Beschwerdeführer auch in den alltäglichen Lebensverrichtungen Aufstehen/Absitzen/Abliegen und Essen auf erhebliche Dritthilfe angewiesen ist, woraus eine Hilflosigkeit schweren Grades resultieren würde.
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4.2. Bei der Lebensverrichtung Aufstehen/Absitzen/Abliegen (inkl. ins Bett gehen oder das Bett verlassen) liegt gemäss Kreisschreiben des Bundesamtes für Sozialversicherungen über die Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (KSIH; gültig ab 1. Januar 2015) eine Hilflosigkeit vor, wenn die versicherte Person ohne Hilfe Dritter nicht aufstehen, absitzen oder abliegen kann. Kann die versicherte Person die Transfers selbstständig vornehmen, liegt keine Hilflosigkeit vor (Ziff. 8015 ff. KSIH).
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4.3. Die Vorinstanz erwog, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ergäben sich aus den medizinischen Berichten keinerlei Anhaltspunkte, welche auf einen erheblichen und eine Hilflosigkeit begründenden Ausprägungsgrad funktioneller Beeinträchtigungen von Seiten der Hüfte hinwiesen. Auch begründe der Umstand, dass die Hüftbeschwerden als störend empfunden würden, keine Hilflosigkeit. Der Beschwerdeführer könne sich ohne Hilfsmittel fortbewegen und beispielsweise die Toilette selber aufsuchen. Schliesslich sei ein direkter oder indirekter Dritthilfebedarf in der Anmeldung zum Leistungsbezug vom 7. August 2019 ausdrücklich verneint worden. Soweit daher im Abklärungsbericht Hilflosenentschädigung vom 10. Dezember 2019 ein Bedarf an Dritthilfe betreffend Aufstehen/Absitzen/Abliegen ebenfalls verneint worden sei, leuchte dies ein und könne von einer klaren Fehleinschätzung der Abklärungsperson keine Rede sein.
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Die Feststellung im Abklärungsbericht, wonach der Beschwerdeführer weiche Nahrung selber zerkleinern und die Nahrung selber zum Mund führen könne, erweise sich, so das kantonale Gericht weiter, im Lichte der medizinischen Einschätzungen ebenfalls als nachvollziehbar. Aus den medizinischen Berichten ergäben sich keine Anhaltspunkte, die darauf schliessen liessen, dass der geltend gemachte Tremor eine selbstständige Nahrungsaufnahme verunmögliche. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer allenfalls harte Speisen nicht selber zerkleinern könne, begründe keine Hilflosigkeit, da solche Speisen nicht täglich gegessen würden. Demnach liege auch in Bezug auf die alltägliche Lebensverrichtung Essen keine Hilflosigkeit vor.
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4.4. In der Beschwerde wird im Wesentlichen geltend gemacht, den Berichten der behandelnden Ärzte des Spitals C.________ könne entnommen werden, dass der Beschwerdeführer seit seinem beim Fenstersturz erlittenen Polytrauma an Hüftschmerzen über der rechten Seite leide, welche täglich störend seien. Im Abklärungsbericht werde festgehalten, es bestehe eine Einschränkung des rechten Armes, wobei der Beschwerdeführer diesen weder strecken noch biegen könne. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz liessen diese Hinweise durchaus auf Bewegungseinschränkungen und Schmerzen schliessen, welche in Kombination mit dem angeschlagenen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers auf die alltägliche Lebensverrichtung Aufstehen/Absitzen/Abliegen Einfluss hätten. Der Abklärungsbericht setze sich mit der Schmerzsituation in der Hüfte sowie im rechten Arm nicht auseinander. Die Vorinstanz habe somit Bundesrecht verletzt, indem sie dem Abklärungsbericht trotz fehlender Auseinandersetzung mit wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen des Beschwerdeführers mit Bezug auf die alltägliche Lebensverrichtung Aufstehen/Absitzen/Abliegen vollen Beweiswert zuerkannt habe und von keinem anspruchsrelevanten Dritthilfebedarf in der genannten Lebensverrichtung ausgegangen sei. Was die Lebensverrichtung Essen betreffe, erscheine es offensichtlich, dass bei starkem Zittern nicht bloss Getränke, sondern erst recht auch die mit Gabel und Löffel zum Mund gebrachten (weichen) Speisen verschüttet würden. Von einer üblichen Art und Weise der Nahrungsaufnahme könne daher keine Rede sein, weshalb auch in dieser Hinsicht von einer Hilflosigkeit auszugehen sei.
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4.5.
 
4.5.1. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers verletzte das kantonale Gericht kein Bundesrecht, indem es dem Abklärungsbericht der IV-Stelle vom 10. Dezember 2019 Beweiskraft beimass und gestützt darauf sowie aufgrund seiner eigenen Angaben in der Anmeldung zum Leistungsbezug vom 7. August 2019 und der medizinischen Berichte einen Bedarf an Dritthilfe betreffend die alltägliche Lebensverrichtung Aufstehen/Absitzen/Abliegen verneinte. Was der Beschwerdeführer hiegegen vorbringt, ist unbegründet, soweit er sich nicht mit ohnehin unzulässiger appellatorischer Kritik am angefochtenen Entscheid begnügt.
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4.5.2. Im Abklärungsbericht wurde zur alltäglichen Lebensverrichtung Aufstehen/Absitzen/Abliegen festgehalten, der Beschwerdeführer könne selber aufstehen, absitzen und abliegen sowie die Beine selber ins Bett legen, was den Angaben in der Anmeldung vom 7. August 2019 entspricht. Dass er bei dieser alltäglichen Lebensverrichtung nicht auf Dritthilfe angewiesen ist, ergibt sich ferner aus dem im Abklärungsbericht geschilderten Tagesablauf, wonach der Beschwerdeführer am Morgen nach dem Aufstehen zu seiner Mutter gehe, die zwar im gleichen Haus, aber in einer separaten Wohnung lebe. Im Bericht der Ärzte des Spitals C.________ vom 6. Februar 2020 wird ausgeführt, der Beschwerdeführer habe seit dem Trauma Hüftschmerzen über der rechten Seite. Diese seien zwar täglich störend, aber im Alltag nicht stark einschränkend. Aktuell im Vordergrund stünden die Schulterschmerzen rechts. Jedenfalls ergibt sich aus diesem Bericht nicht, dass der Beschwerdeführer bei der alltäglichen Lebensverrichtung Aufstehen/Absitzen/Abliegen auf Dritthilfe angewiesen ist. Wie das kantonale Gericht zutreffend festgehalten hat, führt der Umstand, dass hinsichtlich der Hüfte ein behandlungsbedürftiger Befund vorliegt, noch nicht zur Annahme von Hilflosigkeit. Dasselbe gilt bezüglich der geltend gemachten Schmerzen. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde setzt sich der Abklärungsbericht vom 10. Dezember 2019 mit dem Gesundheitszustand und der Schmerzsituation des Beschwerdeführers auseinander. So wird darin erwähnt, dieser könne seinen Arm weder strecken noch biegen. Inwiefern jedoch die Armbeschwerden den Beschwerdeführer beim Aufstehen/Absitzen/Abliegen hindern sollten, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht dargetan.
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4.6. Fehlt es in Bezug auf die alltägliche Lebensverrichtung Aufstehen/Absitzen/Abliegen entgegen dem Beschwerdeführer an einem regelmässigen und erheblichen Bedarf an Dritthilfe, erübrigen sich weitere Ausführungen zur Lebensverrichtung Essen, da für eine schwere Hilflosigkeit unter anderem vorausgesetzt wird, dass die versicherte Person in allen sechs alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist (Art. 37 Abs. 1 IVV).
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4.7. Nach dem Gesagten ist die Vorinstanz zu Recht von einer Hilflosigkeit mittleren Grades ausgegangen, weshalb es beim angefochtenen Entscheid sein Bewenden hat.
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5. Die offensichtlich unbegründete Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit Abs. 3 BGG abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 15. Dezember 2020
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo
 
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