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Informationen zum Dokument  BGer 4A_338/2020  Materielle Begründung
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BGer 4A_338/2020 vom 01.12.2020
 
 
4A_338/2020
 
 
Urteil vom 1. Dezember 2020
 
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
 
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Rüedi,
 
Gerichtsschreiber Brugger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Frey, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.________ AG,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Krankentaggelder,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer, vom 12. Mai 2020 (VKL.2019.12).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.________ (Klägerin, Beschwerdeführerin) arbeitet als selbstständige Kinesiologin und ist bei der B.________ AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin) gegen Lohnausfall infolge Krankheit versichert. Nach einer Wartefrist von 30 Tagen bezahlte die Beklagte der Klägerin ab 19. November 2016 in wechselndem Umfang Taggelder aus. Für den Februar 2018 leistete sie die Taggelder basierend auf einer Arbeitsunfähigkeit von 50 % und ab März 2018 stellte sie die Taggeldleistungen ein.
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B.
 
Am 7. Mai 2019 erhob die Klägerin beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Klage gegen die Beklagte. Sie machte für die Zeit vom 1. bis zum 28. Februar 2018 eine Arbeitsunfähigkeit von 80 % und für die Zeit ab 1. März 2018 eine Arbeitsunfähigkeit im wechselnden Umfang geltend. Sie beantragte, die Beklagte sei zu verpflichten, ihr den Betrag von Fr. 24'709.32 nebst Zins zu bezahlten.
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Mit Urteil vom 12. Mai 2020 wies das Versicherungsgericht die Klage ab.
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C.
 
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Sie beantragte, in Gutheissung der Beschwerde sei das angefochtene Urteil vollumfänglich aufzuheben und die Klage gutzuheissen. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Beschwerdegegnerin begehrte die vollständige Abweisung der Beschwerde. Die Vorinstanz verzichtete auf Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
 
1.
 
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Unter Vorbehalt einer rechtsgenüglichen Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. Erwägung 2) ist daher auf die Beschwerde einzutreten.
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2.
 
2.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 140 III 115 E. 2 S. 116; 137 III 580 E. 1.3).
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Die Beschwerde ist dabei hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten. Unerlässlich ist im Hinblick auf Art. 42 Abs. 2 BGG, dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 140 III 86 E. 2 S. 89, 115 E. 2 S. 116). Die Begründung hat ferner in der Beschwerdeschrift selbst zu erfolgen, und der blosse Verweis auf Ausführungen in andern Rechtsschriften oder auf die Akten reicht nicht aus (BGE 144 V 173 E. 3.2.2; 140 III 115 E. 2 S. 116).
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2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117; 135 III 397 E. 1.5). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein können (Art. 97 Abs. 1 BGG).
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Für eine Kritik am festgestellten Sachverhalt gilt das strenge Rügeprinzip von Art. 106 Abs. 2 BGG (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit Hinweisen). Die Partei, welche die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz anfechten will, muss klar und substanziiert aufzeigen, inwiefern diese Voraussetzungen erfüllt sein sollen (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18 mit Hinweisen). Wenn sie den Sachverhalt ergänzen will, hat sie zudem mit präzisen Aktenhinweisen darzulegen, dass sie entsprechende rechtsrelevante Tatsachen und taugliche Beweismittel bereits bei den Vorinstanzen prozesskonform eingebracht hat (BGE 140 III 86 E. 2 S. 90). Genügt die Kritik diesen Anforderungen nicht, können Vorbringen mit Bezug auf einen Sachverhalt, der vom angefochtenen Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18).
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2.3. Diese Grundsätze verkennt die Beschwerdeführerin, wenn sie unter dem Titel "A. Sachverhalt" den Sachverhalt aus ihrer eigenen Sicht schildert und dabei frei über die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen hinausgeht, ohne eine rechtsgenügliche Sachverhaltsrüge zu erheben. Darauf kann sie sich im Folgenden nicht stützen.
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3.
 
3.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 8 ZGB durch eine falsche Beweislastverteilung. Die Beschwerdegegnerin als Versicherung treffe die Beweislast für Tatsachen, die sie zur Kürzung oder Verweigerung der vertraglichen Leistung berechtigen würden. In BGE 141 III 241 habe das Bundesgericht erwogen, für den Fall, dass sich die relevanten Umstände änderten, habe der Anspruchsberechtigte zu beweisen, dass er weiterhin Anspruch auf Taggelder wegen Erwerbsausfall habe. Ab dem 19. November 2016 habe die Beschwerdegegnerin anstandslos Taggelder bezahlt und zwar bis am 28. Februar 2018. Wenn die Beschwerdegegnerin ihre Leistung per 28. Februar 2018 einstellen wolle, könne sie das nur, wenn sie beweisen könne, dass sich die relevanten Umstände geändert hätten. Die Beschwerdegegnerin habe den Beweis hierfür aber nicht erbracht, zumal sich die relevanten Umstände im vorliegenden Fall gar nicht geändert hätten. Das Problem im vorliegenden Fall sei also nicht, dass die rechtsbegründenden Tatsachen von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht worden seien, sondern dass die Beschwerdegegnerin - trotz entsprechender Beweislast - mit der Beurteilung von Dr. C.________ nicht diejenigen neuen Umstände vorgebracht habe, die sie zu einer Verweigerung der fraglichen Leistungen berechtigt hätten.
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3.2. Die Beschwerdeführerin beruft sich für ihre Argumentation auf BGE 141 III 241. Entgegen dem, was die Beschwerdeführerin unterstellt, führte das Bundesgericht in diesem Entscheid nicht aus, dass die Versicherung die Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalls tragen würde, oder dass die Versicherung nachweisen müsste, dass sich die "Umstände geändert hätten". In BGE 141 III 241 wurde im Gegenteil erwogen, dass der Eintritt des Versicherungsfalls von der anspruchsberechtigten Versicherten zu beweisen ist. Ebenso wurde ausdrücklich festgehalten, dass daran nichts ändere, dass die Versicherung die Leistung von Taggeldern eingestellt habe, nachdem sie solche zunächst ausbezahlte. Vielmehr habe auch in diesem Fall die Versicherte nachzuweisen, dass sie (weiterhin) einen Anspruch auf Taggelder habe (BGE 141 III 241 E. 3.1). Aus BGE 141 III 241 kann die Beschwerdeführerin damit nichts zu ihren Gunsten ableiten.
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Aus diesem Entscheid ergibt sich richtig gesehen, dass es an der Beschwerdeführerin als Versicherte ist, den Versicherungsfall zu beweisen. Es ist mithin an ihr nachzuweisen, dass sie über den 28. Februar 2018 hinaus weiterhin arbeitsunfähigkeit gewesen war und damit Anspruch auf Taggelder hat, wie dies auch die Vorinstanz zu Recht erwog (angefochtener Entscheid, E. 3.2 S. 3 f.). Die Rüge der bundesrechtswidrigen Beweislastverteilung erweist sich somit als unbegründet.
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4.
 
4.1. Die Vorinstanz kam zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin in ihren Rechtsschriften nicht dargelegt habe, inwiefern ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen sie bei ihrer Arbeit funktionell eingeschränkt hätten. Die Klage sei deshalb wegen fehlender Substanzierung abzuweisen (angefochtener Entscheid, E. 6.2 S. 8 f.) Die Vorinstanz legte anschliessend dar, dass die Klage im Übrigen auch zufolge Beweislosigkeit der Arbeitsunfähigkeit abzuweisen sei (angefochtener Entscheid, E. 7 S. 9 f.).
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4.2. Beruht der Entscheid der Vorinstanz, wie hier, auf mehreren selbstständig tragenden Begründungen, die je für sich den Ausgang des Rechtsstreites besiegeln, so hat sich die beschwerdeführende Partei unter Einhaltung der Begründungsanforderungen nach Art. 42 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG mit jeder einzelnen auseinanderzusetzen (dazu: BGE 142 III 364 E. 2.4 S. 368; 138 III 728 E. 3.4 S. 735).
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Diesen Anforderungen kommt die Beschwerdeführerin nicht nach, denn mit der Eventualerwägung der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführerin der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit nicht gelinge, setzt sie sich nicht auseinander, zumindest nicht hinreichend (Erwägung 2.1). Vielmehr stellt sie sich bloss auf den Standpunkt, dass sich die von der Beschwerdegegnerin eingeholte Beurteilung von Dr. C.________ als unverwertbar erweise und darauf nicht abgestellt werden könne. Inwiefern aber die Beweiswürdigung der Vorinstanz, dass der Beweis der Arbeitsunfähigkeit nicht gelang, willkürlich wäre (vgl. BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266), legt sie nicht dar.
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4.3. Bei dieser Sachlage braucht nicht beurteilt zu werden, ob auch die Haupterwägung der Vorinstanz trägt, wonach die Beschwerdeführerin die Einschränkungen bei ihrer Arbeit nicht hinreichend substanziiert habe.
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Nur der Vollständigkeit halber sei aber klargestellt, dass auch hier die Ausführungen der Beschwerdeführerin vor Bundesgericht nicht genügen: Zur hinreichenden Beanstandung der vorinstanzlichen Erwägungen hätte die Beschwerdeführerin vorbringen müssen, dass die Vorinstanz die Anforderungen an die Substanziierung bundesrechtswidrig überspannt hätte. Sie hätte auch mit präzisen Aktenhinweisen auf ihre vorinstanzlichen Rechtsschriften darlegen müssen (Erwägung 2.2), dass sie im vorinstanzlichen Verfahren substanziierte Behauptungen bezüglich der Einschränkungen bei ihrer Arbeit vorgetragen, die Vorinstanz diese aber zu Unrecht nicht beachtet hätte. Beides zeigt die Beschwerdeführerin nicht rechtsgenüglich auf. Sie verweist bloss auf verschiedene Arztberichte, woraus sich eine angebliche Einschränkung ergebe, legt aber nicht dar, wo sie in ihrer vorinstanzlichen Klage- oder Replikschrift rechtsgenüglich substanziierte Behauptungen zu ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf die Arbeitsunfähigkeit ins vorinstanzliche Verfahren eingebracht hätte. Die Beschwerdeführerin vermöchte damit auch die Hauptbegründung der Vorinstanz nicht als bundesrechtswidrig auszuweisen.
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5.
 
Die Beschwerdeführerin moniert schliesslich eine Verletzung der soziale Untersuchungsmaxime, da vom Gericht erwartet werden könne, dass es die offerierten Beweise lese bzw. deren Inhalt zur Kenntnis nehme und bei der Beurteilung mitberücksichtige.
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Mit diesen pauschalen, nicht weiter begründeten Ausführungen zeigt die Beschwerdeführerin nicht hinreichend konkret auf, inwiefern die Vorinstanz die genannte Maxime verletzt hätte (Erwägung 2.1). Im Übrigen war die Beschwerdeführerin bereits vor der Vorinstanz anwaltlich vertreten. Wenn die Partei durch einen Anwalt vertreten ist, darf und soll sich das Gericht auch bei Geltung bei der sog. sozialen Untersuchungsmaxime zurückhalten, wie im ordentlichen Verfahren (BGE 141 III 569 E. 2.3.1). Das Gericht ist dabei entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin auch nicht verpflichtet, die Akten von sich aus zu durchforsten, um Beweismittel zugunsten einer Partei zu suchen (BGE 141 III 569 E. 2.3.2). Es hat damit sein Bewenden.
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6.
 
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdegegnerin, die nicht durch einen extern mandatierten Anwalt, sondern durch ihren eigenen Rechtsdienst vertreten ist, steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 III 439 E. 4).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. Dezember 2020
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Kiss
 
Der Gerichtsschreiber: Brugger
 
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