VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 2D_48/2020  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 17.12.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 2D_48/2020 vom 23.11.2020
 
 
2D_48/2020
 
 
Urteil vom 23. November 2020
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Zünd,
 
Bundesrichterin Hänni,
 
Gerichtsschreiber Kocher.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. A.A.________,
 
2. B.A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Kantonales Steueramt Aargau,
 
Rechtsdienst, Tellistrasse 67, 5001 Aarau.
 
Gegenstand
 
Staats- und Gemeindesteuer des Kantons Aargau, Steuerperiode 2016 bis 2018,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Spezialverwaltungsgerichts des Kantons Aargau, Abteilung Steuern, vom 13. Oktober 2020 (3-RB.2020.6).
 
 
Erwägungen:
 
1. 
 
1.1. Die Eheleute A.A.________ und B.A.________ (nachfolgend: die Steuerpflichtigen) hatten in den Steuerperioden 2016 bis 2018 steuerrechtlichen Wohnsitz in U.________/AG. Aus dieser Zeit bestehen rechtskräftig veranlagte offene Staats- und Gemeindesteuern von insgesamt Fr. 45'531.30, um deren Erlass die Steuerpflichtigen mit Eingaben vom 1. April 2019 und 5. April 2019 ersuchten. Die Wohnsitzgemeinde wies das Erlassgesuch ab, gewährte aber eine vorübergehende Stundung (Entscheid vom 13. Mai 2019). Dagegen gelangten die Steuerpflichtigen an das Spezialverwaltungsgericht des Kantons Aargau, Abteilung Steuern. Mit Entscheid vom 20. Mai 2020 gelangte dieses zur Abweisung des Rechtsmittels. Es erkannte, weder Erlass noch Zahlungserleichterung seien zu gewähren. Der Erlass scheitere an der erforderlichen Opfersymmetrie (§ 230 Abs. 2 StG/AG), nachdem seitens der übrigen Drittklassgläubiger kein vollständiger oder teilweiser Forderungsverzicht vorliege. Der Entscheid vom 20. Mai 2020 erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
 
 
1.2.
 
1.2.1. Mit Eingabe vom 1. Juli 2020 (Datum des Poststempels) ersuchten die Steuerpflichtigen das Spezialverwaltungsgericht des Kantons Aargau um Revision des Entscheids und Erlass der offenen Steuern. Das Spezialverwaltungsgericht wies das Gesuch mit Entscheid 3-RB.2020.6 vom 13. Oktober 2020 ab, soweit auf die Sache einzutreten war. Soweit die Eingabe als Gesuch um Wiedererwägung des Entscheids vom 20. Mai 2020 entgegenzunehmen war, überwies das Spezialverwaltungsgericht die Sache an die Wohnsitzgemeinde.
 
1.2.2. Das Spezialverwaltungsgericht erwog, nur 
 
1.3. Mit Eingabe vom 13. November 2020 (Poststempel: 15. November 2020) unterbreiten die Steuerpflichtigen dem Bundesgericht eine als "Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten - Subsidiäre Verfassungsbeschwerde" bezeichnete Eingabe. Sie beantragen, der Revisionsentscheid vom 13. Oktober 2020 sei aufzuheben und dem "Antrag auf ersatz- und bedingungslosen Steuererlass (...) endlich stattzugeben".
 
1.4. Der Abteilungspräsident als Instruktionsrichter (Art. 32 Abs. 1 BGG [SR 173.110]) hat von Instruktionsmassnahmen, namentlich von einem Schriftenwechsel (Art. 102 Abs. 1 BGG), abgesehen.
 
2. 
 
2.1. Wenngleich formell ein Revisionsentscheid angefochten ist, geht es materiell um eine Frage des Steuererlasses. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens (BGE 143 II 425 E. 1.3 S. 428; 138 II 501 E. 1.1 S. 503) erstreckt diese prozessuale Eigenschaft sich auf die nachfolgenden Rechtsmittelverfahren (Urteil 2C_287/2018 vom 21. September 2018 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 144 I 340). Das ordentliche Rechtsmittel (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) steht daher nicht zur Verfügung: Weder machen die Steuerpflichtigen geltend, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung oder aus anderen Gründen ein besonders bedeutender Fall vorliege, noch ist solches ersichtlich (Art. 83 lit. m Teilsatz 2 BGG; BGE 143 II 459 E. 1.2 S. 462 ff.; Urteil 2D_37/2020 vom 1. September 2020 E. 2.1).
 
2.2. Zu prüfen bleibt, wie es sich mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde (Art. 83 lit. m Teilsatz 1 in Verbindung mit Art. 113 ff. BGG) verhält. Mit dieser kann ausschliesslich die Verletzung verfassungsmässiger Individualrechte gerügt werden (Art. 116 BGG; BGE 142 II 259 E. 4.2 S. 262), wobei die qualifizierte Rüge- und Begründungsobliegenheit herrscht (Art. 117 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG). In der Beschwerde ist daher klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, dass und inwiefern verfassungsmässige Individualrechte verletzt worden sein sollen (BGE 145 II 32 E. 5.1 S. 41). Auf bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik an einem vorinstanzlichen Entscheid geht das Bundesgericht nicht ein (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 S. 92).
 
2.3. Der ständigen Praxis des Bundesgerichts nach bringt § 230 Abs. 1 des Steuergesetzes (des Kantons Aargau) vom 15. Dezember 1998 (StG/AG; SAR 651.100) zum Ausdruck, dass Rechtsanspruch auf Stundung oder Erlass der Steuern, Zinsen, Bussen oder Kosten nicht besteht. Auch der Verordnung (des Kantons Aargau) vom 11. September 2000 zum Steuergesetz (StGV/AG; SAR 651.111) lässt sich kein solcher Anspruch entnehmen. Demgemäss kann eine steuerpflichtige Person durch die angeblich willkürliche Auslegung und/oder Anwendung des kantonalen Rechts (materielle Rechtsverweigerung), die zur Verweigerung des Steuererlasses geführt hat, in keinen rechtlich geschützten Interessen betroffen sein (Art. 115 lit. b BGG). Entsprechend ist sie nicht legitimiert, um im Erlasspunkt Willkürrügen vorzubringen (Urteil 2D_33/2020 vom 3. August 2020 E. 2.2).
 
2.4. Fehlt im Erlassverfahren ein rechtlich geschütztes Sachinteresse, aufgrund dessen auf die Sache eingetreten werden könnte, bleibt es einer steuerpflichtigen Person immerhin möglich, mit der Verfassungsbeschwerde diejenigen Rechte als verletzt zu rügen, deren Missachtung auf eine formelle Rechtsverweigerung hinausläuft. Das erforderliche rechtlich geschützte Verfahrensinteresse ergibt sich diesfalls aus der Berechtigung der Partei, am Verfahren teilzunehmen und ihre Parteirechte auszuüben ("Star-Praxis"; Urteil 6B_773/2017 vom 21. Februar 2018 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 144 IV 57; 141 IV 1 E. 1.1 S. 5). Unter diesem Titel kann etwa vorgebracht werden, auf ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, die beschwerdeführende Person sei nicht angehört worden, sie habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu stellen, oder die Akteneinsicht sei ihr verwehrt worden. Hingegen können keine Gehörsrügen erhoben werden, die von der Prüfung der Sache nicht getrennt werden können (BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 313; Urteil 2D_33/2020 vom 3. August 2020 E. 2.2).
 
2.5. Die Steuerpflichtigen haben das Bundesgericht vor der Einreichung der Beschwerdeschrift vom 15. November 2020 mit mehreren unzertifizierten E-Mails bedient, um die Beschwerde anzukündigen bzw. Ausführungen zur Fristwahrung zu machen. Diese E-Mails sind nicht zu den Akten zu erkennen: Fristwahrende Wirkung kommt elektronisch eingereichten Eingaben nur zu, sofern diese von der Partei oder deren Vertretung mit einer 
 
3. 
 
3.1. Die Steuerpflichtigen berufen sich hauptsächlich auf Art. 29 Abs. 1 BV und beanstanden die ihres Erachtens übermässige Verfahrensdauer (vom 13. Mai 2019 bis zum 20. Mai 2020, wobei das Verfahren "noch nicht abgeschlossen" sei). Von einer "angemessenen Frist" könne keine Rede sein. Weiter seien sie in ihrem Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung verletzt, indem ihnen trotz wiederholtem Ersuchen nie ein unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Seite gestellt worden sei. In der Sache selbst gehe dem Spezialverwaltungsgericht die erforderliche Unabhängigkeit ab, habe dieses doch gewissermassen die Vorinstanz beraten, ihr Empfehlungen zum weiteren Vorgehen erteilt und schliesslich auch deren Druck nachgegeben. Die Einleitung des Betreibungsverfahrens habe den Ausgang des Rekursverfahrens präjudiziert und dessen Funktion ausgehebelt. Im Entscheid vom 20. Mai 2020 habe das Spezialverwaltungsgericht selbst eingeräumt, dass den Steuerpflichtigen keinerlei Ratenzahlungen möglich seien. Dadurch habe es sinngemäss anerkannt, dass die Steuerpflichtigen Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand hätten. Auf Opfersymmetrie zu bestehen, sei absurd, fehlten ihnen, den Steuerpflichtigen, doch jede Mittel, um die Gläubiger zum Erlass der Forderungen zu bewegen.
 
 
3.2.
 
3.2.1. Soweit die Beanstandungen, die von den Steuerpflichtigen erhoben werden, auf den Entscheid vom 20. Mai 2020 abzielen, ist darauf nicht einzutreten. Streitig und zu prüfen ist einzig der Entscheid vom 13. Oktober 2020. Ebenso wenig einzugehen ist auf die inhaltlichen Rügen im Erlasspunkt, namentlich die Rüge, es sei verfehlt, auf der Opfersymmetrie zu bestehen. Denn im Erlasspunkt sind die Steuerpflichtigen nicht zur Willkürrüge legitimiert, da das Steuerrecht des Kantons Aargau keinen Anspruch auf Steuererlass verleiht (vorne E. 2.3).
 
3.2.2. Mit der Verfassungsbeschwerde können die Steuerpflichtigen zudem (nur) diejenigen Rechte als verletzt rügen, deren Missachtung auf eine formelle Rechtsverweigerung hinausläuft (vorne E. 2.4). Grundsätzlich zu hören sind daher die Rügen im Zusammenhang mit Art. 29 Abs. 1 BV ("Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist") und Art. 29 Abs. 3 BV (Anspruch auf Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege). Die Steuerpflichtigen beanstanden zunächst die Verfahrensdauer. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass sie dabei der qualifizierten Rüge- und Begründungsobliegenheit (Art. 117 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG) genügten, vermöchten ihre Ausführungen nicht zu überzeugen. Im Streit liegt einzig die Revision des Entscheides vom 20. Mai 2020 (vorne E. 1.1). Zu diesem Zweck reichten die Steuerpflichtigen am 1. Juli 2020 ein Gesuch ein, worauf das Spezialverwaltungsgericht am 13. Oktober 2020 einen Endentscheid fällte (vorne E. 1.2). Bei einer Verfahrensdauer von dreieinhalb Monaten geht der implizit geäusserte Vorwurf der Rechtsverzögerung 
 
3.2.3. Die Steuerpflichtigen äussern erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit des Spezialverwaltungsgerichts. Sie begründen dies im Wesentlichen damit, dass die Vorinstanz dem Druck der Gemeinde nachgegeben habe, den diese auch mittels der Einleitung des Betreibungsverfahrens aufgebaut habe. Davon kann indes keine Rede sein. Wiederum kann es einzig um die Frage gehen, ob in Bezug auf den Entscheid vom 13. Oktober 2020 von formeller Rechtsverweigerung zu sprechen sei. Inwiefern das Spezialverwaltungsgericht 
 
3.2.4. Schliesslich wenden die Steuerpflichtigen ein, es sei ihnen - trotz mehrfachen Ersuchens - kein unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Seite gestellt worden. Es ist ihnen entgegenzuhalten, dass aus dem angefochtenen Entscheid keinerlei Hinweis auf ein derartiges Gesuch hervorgeht. Die Steuerpflichtigen machen folglich auch nicht fundiert geltend, sie hätten 
 
3.3. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. Sie ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
 
 
4.
 
Nach dem Unterliegerprinzip sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens den Steuerpflichtigen aufzuerlegen (Art. 65 und Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Mit Blick auf die besonderen Umstände kann von einer Kostenverlegung abgesehen werden (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Dem Kanton Aargau, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Für das bundesgerichtliche Verfahren werden keine Kosten erhoben.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Spezialverwaltungsgericht des Kantons Aargau, Abteilung Steuern, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 23. November 2020
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Kocher
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).