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Informationen zum Dokument  BGer 6B_952/2020  Materielle Begründung
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BGer 6B_952/2020 vom 18.11.2020
 
 
6B_952/2020
 
 
Urteil vom 18. November 2020
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
Bundesrichter Muschietti,
 
Gerichtsschreiber Matt.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern,
 
2. B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Olivier Glättli,
 
3. C.________,
 
vertreten durch Fürsprecher Franz Müller,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Einstellung (Amtsmissbrauch, einfache Körperverletzung evtl. Tätlichkeiten),
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
 
des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 22. Juli 2020 (BK 20 187).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Auf Anzeige von A.________ hin führte die Staatsanwaltschaft für Besondere Aufgaben des Kantons Bern ein Verfahren wegen Amtsmissbrauchs und einfacher Körperverletzung, evtl. Tätlichkeiten gegen zwei Mitarbeitende des Regionalgefängnisses U.________. Diese sollen den Anzeigesteller am 9. Juli 2018 provoziert und auf dem Weg in die Sicherheitszelle verletzt haben. Die Staatsanwaltschaft befragte die Direktbeteiligten sowie einen Zeugen zum Vorfall und edierte unter anderem Akten des Gesundheitsdienstes des Gefängnisses. Mit Verfügung vom 9. April 2020 stellte sie das Verfahren mangels Tatverdachts ein. Das Obergericht des Kantons Bern wies die Beschwerde und weitere Beweisanträge von A.________ am 22. Juli 2020 ab.
1
B. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, das Verfahren fortzuführen und zur Anklage zu bringen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
2
 
Erwägungen:
 
 
1.
 
Der Beschwerdeführer macht geltend, Opfer von staatlicher Gewalt geworden zu sein. Es kann offen bleiben, ob er aufgrund dessen gestützt auf Art. 10 Abs. 3 BV, Art. 3 und 13 EMRK, Art. 7 UNO-Pakt II sowie Art. 13 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe einen Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz (BGE 141 IV 349 E. 3.4.2; 138 IV 86 E. 3.1.1; 134 I 221 E. 3.2.1; 124 I 231 E. 2b; Urteil 6B_547/2019 vom 18. September 2019 E. 1.1; je mit Hinweisen) und damit ein rechtlich geschütztes Interesse an der Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung im Sinne Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG hat. Wie nachfolgend zu zeigen ist, ist die Beschwerde ohnehin abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
3
 
2.
 
2.1. Die Staatsanwaltschaft verfügt nach Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO unter anderem die vollständige oder teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt.
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2.1.1. Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu richten. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Jedoch müssen Sachverhaltsfeststellungen unter Berücksichtigung des Grundsatzes "in dubio pro duriore" auch bei Einstellungen zulässig sein, soweit gewisse Tatsachen "klar" bzw. "zweifelsfrei" feststehen, so dass im Fall einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn eine abweichende Beweiswürdigung durch das Gericht ebenso wahrscheinlich erscheint. Der Staatsanwaltschaft ist es mithin nur bei unklarer Beweislage untersagt, der gerichtlichen Beweiswürdigung vorzugreifen. Im Rahmen von Art. 319 Abs. 1 lit. b und c StPO sind Sachverhaltsfeststellungen der Staatsanwaltschaft in der Regel notwendig. Auch insoweit gilt jedoch, dass der rechtlichen Würdigung der Sachverhalt "in dubio pro duriore", das heisst der klar erstellte Sachverhalt, zugrunde gelegt werden muss. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten (BGE 143 IV 241 E. 2.2.1 und E. 2.3.1; 138 IV 186 E. 4.1, 86 E. 4.1).
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2.1.2. Wie die Beweise nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu würdigen sind und ob die Vorinstanz gestützt darauf einen hinreichenden Tatverdacht verneinen durfte, prüft das Bundesgericht nur auf Willkür. Es prüft im Rahmen einer Beschwerde gegen eine Einstellung nicht, wie beispielsweise bei einem Schuldspruch, ob die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen willkürlich sind (Art. 97 Abs. 1 BGG), sondern ob die Vorinstanz willkürlich von einer "klaren Beweislage" ausging oder gewisse Tatsachen willkürlich für "klar erstellt" annahm. Dies ist der Fall, wenn offensichtlich nicht gesagt werden kann, es liege ein klarer Sachverhalt vor, beziehungsweise wenn ein solcher Schluss schlechterdings unhaltbar ist (zum Ganzen: BGE 143 IV 241 E. 2.3.3; Urteil 6B_1140/2019 vom 28. April 2020 E. 2.1).
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2.2.
 
2.2.1. Gemäss den von der Vorinstanz übernommenen Feststellungen der Staatsanwaltschaft war stets unbestritten, dass der Beschwerdeführer am Morgen des 9. Juli 2018 aufgebracht war und gegen die Zellentür trat, weil ihm der verantwortliche Mitarbeiter des Gefängnisses verbot, persönliche Gegenstände mit in die Arbeitsräume zu nehmen. Ebenso stehe fest, dass es auf dem Weg zur Sicherheitszelle zu Diskussionen und Beschimpfungen des teils stark enervierten und mit den Händen gestikulierenden, aber ungefesselten Beschwerdeführers mit den beiden Beschuldigten sowie zu Zwangsmassnahmen kam. Indes bestünden, so die Vorinstanz, keine Hinweise auf eine übermässige, den Verhältnissen nicht angepasste Gewaltanwendung seitens der Beamten. Sämtliche befragten Personen, darunter ein Gefängnisinsasse, hätten die Behauptung des Beschwerdeführers, wonach ihm die Füsse nach hinten gezogen worden seien, jemand auf ihm gekniet sei und ihm die Hand auf den Rücken gedreht habe, glaubhaft in Abrede gestellt. Auch der von der Gefängnisdirektion erlassenen Disziplinarverfügung und dem Vollzugsverlaufsjournal seien keine Indizien auf die vom Beschwerdeführer beschriebene Gewaltanwendung zu entnehmen. Gleiches gelte für die medizinischen Akten. Dies, obwohl der Gesundheitsdienst noch am Tag des Vorfalls beim Beschwerdeführer gewesen sei und anzunehmen wäre, dass die von ihm geschilderten Gewaltanwendungen sichtbare Spuren hinterlassen und eine sofortige Behandlung erfordert hätten. Der Beschwerdeführer habe zudem weder am 9. Juli 2018 noch am 12. Juli 2018 über Verletzungen oder Schmerzen geklagt. Gemäss Akten habe er am 19. Juli 2018 gegenüber dem Gesundheitsdienst angegeben, eine Rippenverletzung zu haben, welche gemäss Angaben vom 1. August 2018 von einer rumpfbeugenähnlichen Bewegung stamme. Dass die Verletzung von einer Auseinandersetzung herrühre, habe er erst weitere 10 Tage später behauptet. Es sei indes nicht klar, ob es sich dabei um den Vorfall vom 9. Juli 2018 handle.
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Zusammenfassend sei somit erstellt, dass es im Zusammenhang mit den Geschehnissen des 9. Juli 2018 zu zwei Fixierungen des Beschwerdeführers gekommen sei, wobei die Beamten lediglich der Verschiebung dienenden Zwang (Fixation an der Wand, Festhalten der Hände ohne Handschellen, Oberarmgriff) angewandt hätten, wohingegen ein Zubodendrücken nicht erwiesen sei. Der Zwang sei zudem angesichts des unbestrittenen, renitenten Verhaltens des Beschwerdeführers gerechtfertigt gewesen, so die Vorinstanz. Es sei nicht erkennbar, dass die Massnahmen Rippenbrüche, sonstige Verletzungen oder starke Schmerzen hätten verursachen können. Daher sei weder erwiesen noch wahrscheinlich, dass die inkriminierten Handlungen für die vom Beschwerdeführer mehrere Tage später geschilderten Verletzungen ursächlich seien. Infolgedessen liege kein ausreichender Tatverdacht hinsichtlich eines amtsmissbräuchlichen Verhaltens der Beschuldigten vor. Auch seien keine zusätzlichen, der Klärung der Sachlage möglicherweise dienliche Beweismassnahmen ersichtlich, nachdem bereits alle bekannten Personen befragt und sämtliche relevanten Akten ediert worden seien. Das Verfahren sei deshalb zu Recht eingestellt worden, zumal keine zweifelhafte Beweislage vorliege und eine Verurteilung der Beschuldigten bei Fortsetzung des Verfahrens nicht zu erwarten wäre. Ebenso wenig sei eine behördliche Misshandlung erhärtet oder in vertretbarer Weise geltend gemacht, sodass der Anspruch des Beschwerdeführers auf wirksamen Rechtsschutz die Fortsetzung des Verfahrens gebieten würde.
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2.2.2. Die Vorinstanz begründet ausführlich und überzeugend, weshalb sie ein strafbares Verhalten der beanzeigten Beamten im Wesentlichen gestützt auf die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft verneint und diese schützt. Was der Beschwerdeführer vorbringt, belegt, soweit es den gesetzlichen Begründungsanforderungen an die Beschwerde überhaupt genügt (Art. 42 Abs. 1 und 2, Art. 106 Abs. 2 BGG), weder Willkür, noch sonst eine Verletzung von Bundesrecht.
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Zunächst kann offensichtlich keine Rede davon sein, dass die Vorinstanzen ohne jegliche Begründung zum Schluss gekommen wären, die Aussagen des Beschwerdeführers seien nicht glaubhaft. Sie begründen im Gegenteil überzeugend, weshalb sie - gestützt auf die Angaben sämtlicher anderer Befragten sowie auf objektive Beweismittel - einen hinreichenden Tatverdacht gegen die Beschuldigten verneinen und von weiteren Beweismassnahmen absehen. Es kann auf das vorstehend Gesagte sowie die ausführlichen Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden. An deren Schlüssigkeit ändert nichts, dass der Gefängnisarzt mehrere Wochen nach dem strittigen Vorfall eine Rippenfraktur diagnostizierte, zumal sich diese, wie die Vorinstanz überzeugend ausführt, vom Verletzungsbild her nicht auf den Vorfall zurückführen lässt, und der Beschwerdeführer hiernach auch nicht unmittelbar über Rippenschmerzen klagte. Wenn er in diesem Zusammenhang lediglich vorbringt, seine Darstellung der Ereignisse sei genauso plausibel wie der vorinstanzlich erstellte Sachverhalt, so verkennt er, dass dies zum Nachweis von Willkür gerade nicht genügt (vgl. oben E. 2.1.2). Gleiches gilt für den Einwand, wonach gewisse Zweifel am von den Beschuldigten geschilderten Geschehensablauf nicht gänzlich ausgeschlossen schienen. Entgegen seiner Auffassung liegt auch keine reine Aussage-gegen-Aussage-Situation vor. Die Verletzungen resp. deren Fehlen im unmittelbaren Nachgang zum strittigen Vorfall sind vielmehr dokumentiert, wobei nicht ersichtlich oder genügend dargetan ist, dass diese Dokumentation falsch wäre. Auch einen relevanten Widerspruch der Aussagen der Beschuldigten einerseits und des unbefangenen Zeugen andererseits verneint die Vorinstanz überzeugend. Ihr ist zuzustimmen, dass - nicht zuletzt angesichts der langen Zeitdauer zwischen dem Vorfall und der Diagnose eines Rippenbruchs sowie der Erklärung des Beschwerdeführers selbst hierfür - im Fall einer Anklage höchstwahrscheinlich ein Freispruch der Beschuldigten vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung sowie des Amtsmissbrauchs zu erwarten wäre. Ebenso begründet die Vorinstanz schlüssig, weshalb die unbestrittenen Tätlichkeiten aufgrund des - ebenfalls unbestritten - renitenten Verhaltens des Beschwerdeführers innerhalb des zulässigen Rahmens von behördlichem Zwang lagen und daher rechtmässig waren. Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was diese Feststellung als bundesrechtswidrig erscheinen liesse, etwa wenn er geltend macht, es habe sich nicht um eine Arretierung, sondern um eine Disziplinierung gehandelt. Damit entfernt er sich vom für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt, ohne Willkür darzutun.
10
 
3.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen, da sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege aussichtslos ist. Seinen finanziellen Verhältnissen ist bei der Kostenfestsetzung Rechnung zu tragen (Art. 64 Abs. 1 und 2, Art. 65 Abs. 1 und 2, Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 1'200.--.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. November 2020
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Matt
 
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