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Informationen zum Dokument  BGer 1B_560/2020  Materielle Begründung
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BGer 1B_560/2020 vom 18.11.2020
 
 
1B_560/2020
 
 
Urteil vom 18. November 2020
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Chaix, Präsident,
 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Haag,
 
Gerichtsschreiber Dold.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft See/Oberland,
 
Büro B-8, Weiherallee 15, Postfach, 8610 Uster.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Verlängerung der Untersuchungshaft,
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
 
des Kantons III. Strafkammer, vom 14. Oktober 2020
 
(UB200171-O/U/HEI>MUL).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Staatsanwaltschaft See/Oberland des Kantons Zürich führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen gewerbsmässigen Diebstahls und weiterer Delikte. A.________ wurde am 17. Dezember 2019 verhaftet und am 20. Dezember 2019 vom Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Uster in Untersuchungshaft versetzt. Das Zwangsmassnahmengericht verlängerte die Haft in der Folge mehrmals, zuletzt mit Verfügung vom 18. September 2020 bis zum 16. Dezember 2020. Eine von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 14. Oktober 2020 ab.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 28. Oktober 2020 beantragt A.________, er sei unter Anordnung von Ersatzmassnahmen aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
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Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
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Erwägungen:
 
1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer strafrechtlichen Angelegenheit. Dagegen steht die Beschwerde nach Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.
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2. Nach Art. 221 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Abs. 1 lit. a). An ihrer Stelle sind Ersatzmassnahmen anzuordnen, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 212 Abs. 2 lit. c und Art. 237 ff. StPO).
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Das Obergericht bejahte den dringenden Tatverdacht. Zudem ging es von Fluchtgefahr aus. Der Beschwerdeführer bestreitet beide Haftvoraussetzungen. Zumindest könnte der Fluchtgefahr seiner Ansicht nach mit Ersatzmassnahmen begegnet werden.
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3.
 
3.1. Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Bundesgericht bei der Überprüfung des allgemeinen Haftgrundes des dringenden Tatverdachts (Art. 221 Abs. 1 StPO) keine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse vorzunehmen. Es genügt der Nachweis von konkreten Verdachtsmomenten, wonach das untersuchte Verhalten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen könnte (s. im Einzelnen: BGE 143 IV 316 E. 3.1 S. 318 mit Hinweisen).
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3.2. Das Obergericht erwog, der dringende Tatverdacht könne aufgrund von 27 sogenannten DNA-Hits, die dem Beschwerdeführer als Spurenverursacher zugeordnet werden könnten, ohne Weiteres bejaht werden.
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3.3. Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nur insoweit, als er vorbringt, dass die DNA-Spuren von Drittpersonen an die Tatorte gebracht worden sein könnten. Dass es für diese Behauptung irgendwelche konkreten Anhaltspunkte gibt, macht er nicht geltend. Eine lediglich theoretische Möglichkeit, dass solches geschehen sein könnte, lässt die Bejahung des dringenden Tatverdachts durch die Vorinstanz jedoch nicht als bundesrechtswidrig erscheinen.
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4.
 
4.1. Die Annahme von Fluchtgefahr setzt ernsthafte Anhaltspunkte dafür voraus, dass die beschuldigte Person sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entziehen könnte. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland, denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Bei der Bewertung, ob Fluchtgefahr besteht, sind die gesamten konkreten Verhältnisse zu berücksichtigen. Es müssen Gründe bestehen, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwere der drohenden Strafe ist zwar ein Indiz für Fluchtgefahr, genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Miteinzubeziehen sind die familiären und sozialen Bindungen, die berufliche und finanzielle Situation und die Kontakte zum Ausland. Selbst bei einer befürchteten Reise in ein Land, welches die beschuldigte Person grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnte, ist die Annahme von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit einer Flucht nimmt in der Regel mit zunehmender Verfahrens- bzw. Haftdauer ab, da sich auch die Dauer des allenfalls noch zu verbüssenden strafrechtlichen Freiheitsentzugs mit der bereits geleisteten prozessualen Haft, die auf die mutmassliche Freiheitsstrafe anzurechnen wäre (Art. 51 StGB), kontinuierlich verringert (zum Ganzen: BGE 145 IV 503 E. 2.2 S. 507; 143 IV 160 E. 4.3 S. 166 f.; je mit Hinweisen).
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4.2. Die Staatsanwaltschaft legte in ihrem Haftverlängerungsantrag vom 10. September 2020 dar, der Beschwerdeführer sei serbischer Staatsangehöriger ohne Wohnsitz in der Schweiz. Auch sonst habe er keine nähere Beziehung zur Schweiz. Er sei am 22. August 2016 bei einer Reststrafe von 601 Tagen bedingt aus dem Strafvollzug entlassen worden und habe sich in der Folge ins Ausland abgesetzt. Es sei anzunehmen, dass er in der Absicht in die Schweiz gekommen sei, in grossem Umfang Einbruchdiebstähle zu begehen und das Land wieder zu verlassen. In ihrer Stellungnahme im vorinstanzlichen Verfahren führte die Staatsanwaltschaft weiter aus, es sei unklar, ob der Beschwerdeführer, wie er behaupte, eine Schwester mit Wohnsitz in der Schweiz habe. Es sei ihm wiederholt Gelegenheit gegeben worden, sich über sein Umfeld hier zu äussern. Ohne konkrete Angaben behaupte er, über Hunderte von Verwandten und Bekannten zu verfügen. Aus der Haft habe er jedoch keinen Kontakt zu seinen angeblichen Bezugspersonen aufgenommen. An eine Einreisesperre habe er sich nicht gehalten und bei seinem serbischen Reisepass handle es sich um eine Fälschung.
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4.3. Das Obergericht erwog, dem Beschwerdeführer drohe eine langjährige Freiheitsstrafe, wobei auch die drohende Verbüssung der Reststrafe von 601 Tagen zu berücksichtigen sei. Aufgrund des Umstands, dass er nach seiner bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug ins Ausland weggezogen sei und nach der Ausschreibung zur Verhaftung am 6. Februar 2017 erst am 17. Dezember 2019 verhaftet werden konnte, spreche eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er fliehen könnte. Die Darstellung der Staatsanwaltschaft, dass er keinen Kontakt mit seinen angeblichen Bezugspersonen aufgenommen habe, habe er nicht bestritten. Er habe weder Adressen noch eine Bestätigung vorlegen können, wonach eine dieser Personen bereit wäre, ihn bei sich aufzunehmen.
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4.4. Der Beschwerdeführer macht geltend, es treffe nicht zu, dass er sich während der Probezeit nach seiner bedingten Entlassung in der Schweiz aufgehalten habe. Die Einreisesperre sei zudem abgelaufen gewesen. Weiter weist er darauf hin, dass er seinen Namen in Serbien legal geändert habe und kritisiert, dass er mehrere Monate mit einem "nicht existierenden" Namen in Untersuchungshaft gewesen sei. Sein Pass sei echt, nur ein Stempel sei gefälscht, wofür er aber nicht verantwortlich sei. Er sei früher schon einmal aus dem Gefängnis entlassen worden und habe sich danach bei seiner Schwester aufgehalten. Dies könne er auch jetzt wieder tun. Er könne jederzeit mit seiner Schwester und seinen drei erwachsenen Söhnen in Kontakt kommen und eine feste Wohnadresse angeben. Dass er dies bis jetzt nicht getan habe, sei seine private Angelegenheit.
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4.5. Die vorinstanzliche Einschätzung, dass die drohende Freiheitsstrafe und insbesondere die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigende drohende Reststrafe von 601 Tagen einen erheblichen Fluchtanreiz darstellen, ist nicht zu beanstanden. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer keinen Wohnsitz in der Schweiz hat. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen fehlen auch anderweitig gefestigte Beziehungen in der bzw. zur Schweiz. Dafür spricht insbesondere auch der Umstand, dass er in der Untersuchungshaft mit seiner Schwester und seinen Kindern keinen Kontakt aufgenommen und nicht einmal deren Adresse vorgelegt hat. Vor diesem Hintergrund ist die Fluchtgefahr als hoch zu qualifizieren, ohne dass es auf die von der Staatsanwaltschaft und der Vorinstanz erwähnten Umstände (Reise des Beschwerdeführer ins Ausland nach der bedingten Entlassung, Fälschung des Passes, Einreisesperre, lange Zeitspanne zwischen Ausschreibung und Verhaftung) ankäme, weshalb darauf und auf die betreffende Kritik des Beschwerdeführers nicht eingegangen werden muss. Festzuhalten ist immerhin, dass die Frage, ob die Strafverfolgungsbehörden nach dem Namenswechsel des Beschwerdeführers den richtigen Namen verwendeten oder nicht, für die Zulässigkeit der Untersuchungshaft keine Rolle spielt.
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Nicht zu beanstanden ist angesichts der grossen Fluchtgefahr auch, dass das Obergericht Ersatzmassnahmen nicht als ausreichend erachtete.
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5.
 
5.1. Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV). Befindet sich eine beschuldigte Person in Haft, wird ihr Verfahren vordringlich durchgeführt (Art. 5 Abs. 2 StPO).
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5.2. Der Beschwerdeführer kritisiert, dass die Ermittlungshandlungen noch nicht abgeschlossen seien und die Staatsanwaltschaft ihn in zehn Monaten nur ein einziges Mal einvernommen habe.
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5.3. In Antwort auf die Rüge der Verletzung des Beschleunigungsgebots hat das Obergericht unter Hinweis auf die Ausführungen des Zwangsmassnahmengerichts und der Staatsanwaltschaft dargelegt, dass angesichts der Vielzahl der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Delikte umfassende polizeiliche Abklärungen und zahlreiche (delegierte) polizeiliche Einvernahmen erforderlich gewesen seien. Es hat auch festgehalten, welche Untersuchungsmassnahmen noch vorzunehmen seien. Mit diesen Vorbringen setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander (Art 42 Abs. 2 BGG). Mit seiner pauschalen Kritik vermag er keine Verletzung des Beschleunigungsgebots darzutun.
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6. Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
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Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Prozessführung. Das Gesuch ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist durch reduzierte Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2, Art. 66 Abs. 1 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird abgewiesen.
 
3. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens werden im Umfang von Fr. 500.-- dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft See/Oberland, dem Obergericht des Kantons III. Strafkammer, und Valentin Landmann schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. November 2020
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Chaix
 
Der Gerichtsschreiber: Dold
 
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