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Informationen zum Dokument  BGer 2C_919/2020  Materielle Begründung
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BGer 2C_919/2020 vom 17.11.2020
 
 
2C_919/2020
 
 
Urteil vom 17. November 2020
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichterin Hänni,
 
Bundesrichter Beusch,
 
Gerichtsschreiber Businger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Advokat Alain Joset,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,
 
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Sta dt.
 
Gegenstand
 
Niederlassungsbewilligung; Wiedereinsetzung in die Rekursfrist,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht, Dreiergericht, vom 30. September 2020 (VD.2020.131).
 
 
Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. A.________ lebt seit 1987 in der Schweiz und verfügt seit 1996 über die Niederlassungsbewilligung. Am 23. Juli 2019 teilte ihm das Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt mit, dass es Hinweise erhalten habe, wonach er sich überwiegend in Tunesien aufhalte und über keinen Wohnsitz mehr in der Schweiz verfüge, weshalb es beabsichtige, seine Niederlassungsbewilligung für erloschen zu erklären. A.________ nahm dazu am 1. August 2019 Stellung. Mit Verfügung vom 26. Februar 2020 stellte das Migrationsamt das Erlöschen der Niederlassungsbewilligung fest. Die Verfügung wurde mit A-Post Plus versandt und am 27. Februar 2020 im Briefkasten von A.________ deponiert.
 
1.2. Mit Schreiben vom 16. März 2020 meldete A.________ beim Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt Rekurs an und ersuchte um Wiedereinsetzung in die Rekursfrist. Das Departement lehnte das Gesuch am 22. April 2020 ab und trat auf den Rekurs nicht ein. Den dagegen erhobenen Rekurs wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 30. September 2020 ab.
 
1.3. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 9. November 2020 beantragt A.________ dem Bundesgericht, ihm sei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und das Departement sei anzuweisen, ihm Frist für die Rekursbegründung anzusetzen. Eventualiter sei die Sache zum Neuentscheid zurückzuweisen. Weiter sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen und ihm die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu gewähren. Das Bundesgericht hat keine Instruktionsmassnahmen verfügt. Mit dem vorliegenden Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
 
 
2.
 
2.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzliches Urteil, mit dem ein Nichteintretensentscheid wegen Fristversäumnis bestätigt worden ist. In materieller Hinsicht geht es um das Erlöschen einer Niederlassungsbewilligung. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist daher zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. c Ziff. 2 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Abs. 2 und Art. 90 BGG; vgl. Urteil 2C_124/2018 vom 17. Mai 2019 E. 1.2, nicht publ. in BGE 145 II 322).
 
2.2. Das Bundesgericht prüft die Anwendung von kantonalem Recht nur auf Willkür und Vereinbarkeit mit anderen verfassungsmässigen Rechten (BGE 141 I 105 E. 3.3.1 S. 108), wobei entsprechende Rügen einer qualifizierten Begründungspflicht zu genügen haben (Art. 106 Abs. 2 BGG).
 
 
3.
 
3.1. Die Vorinstanz hat erwogen, das Migrationsamt sei berechtigt gewesen, die Verfügung vom 26. Februar 2020 mit A-Post Plus zu versenden. Die Verfügung sei am 27. Februar 2020 zugestellt worden und die zehntägige Frist für die Rekursanmeldung am 9. März 2020 abgelaufen. Die Rekursanmeldung vom 13. März 2020 (Postaufgabe am 16. März 2020) sei somit verspätet (vgl. E. 2 des angefochtenen Urteils). Der Beschwerdeführer habe nur rund sieben Monate nach der letzten Verfahrenshandlung des Migrationsamts mit einer Zustellung rechnen müssen. Er sei verpflichtet gewesen, für behördliche Zustellungen erreichbar zu sein und ab einer Abwesenheit von mehr als sieben Tagen für die Nachsendung der Korrespondenz zu sorgen, einen Stellvertreter zu ernennen oder seine Ortsabwesenheit den Behörden mitzuteilen (vgl. E. 3.2.1 des angefochtenen Urteils). Diese Pflicht habe der Beschwerdeführer schuldhaft verletzt. Er habe sich seit Anfang Februar 2020 in Tunesien aufgehalten und seinem Bruder eine Generalvollmacht erteilt. Sein Bruder sei in der massgeblichen Zeitspanne seinerseits für zwei Wochen verreist, ohne für die Nachsendung der Korrespondenz zu sorgen, einen Stellvertreter zu ernennen oder seine Ortsabwesenheit den Behörden mitzuteilen (vgl. E. 3.2.2 des angefochtenen Urteils). Zudem sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Bruder am 27. Februar 2020 bereits vor der Zustellung abgereist sei und deshalb die Verfügung nicht mehr habe zur Kenntnis nehmen können (vgl. E. 3.2.3 des angefochtenen Urteils). Schliesslich hätte der Beschwerdeführer die Frist zur Rekursanmeldung auch dann versäumt, wenn ihm die Verfügung mit eingeschriebener Post zugestellt worden wäre (vgl. E. 3.2.4 des angefochtenen Urteils).
 
3.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe davon ausgehen dürfen, dass das Verfahren betreffend Erlöschen der Niederlassungsbewilligung abgeschlossen sei, nachdem er nach seiner Stellungnahme vom August 2019 monatelang nichts mehr gehört habe. Er habe deshalb nach Treu und Glauben nicht mit einer Zustellung rechnen müssen. Weiter habe er als juristischer Laie darauf vertrauen dürfen, dass ihm eine derart einschneidende Verfügung per Einschreiben zugestellt werde. Die Vorinstanz sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Frist zur Rekursanmeldung selbst dann versäumt worden wäre, wenn die Verfügung mit eingeschriebener Post zugestellt worden wäre. Schliesslich sei der angefochtene Entscheid auch deshalb nicht verhältnismässig, weil er sich seit 33 Jahren in der Schweiz aufhalte und gut integriert sei.
 
 
3.3.
 
3.3.1. Das Migrationsamt hatte dem Beschwerdeführer am 23. Juli 2019 das rechtliche Gehör zum Erlöschen der Niederlassungsbewilligung gewährt. Der Beschwerdeführer reichte seine Stellungnahme Anfang August 2019 ein. Er räumt ein, dass es danach bis zum Erlass der Verfügung zu keiner weiteren Kommunikation mit dem Migrationsamt gekommen sei. Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, wodurch das Migrationsamt beim Beschwerdeführer das berechtigte Vertrauen erweckt haben könnte, dass das Verfahren abgeschlossen sei (vgl. BGE 137 II 182 E. 3.6.2 S. 193 zu den Voraussetzungen des Vertrauensschutzes). Das Migrationsamt war nicht verpflichtet, den Beschwerdeführer regelmässig auf das hängige Verfahren hinzuweisen; es durfte sich darauf beschränken, nach Gewährung des rechtlichen Gehörs die Verfügung zu erlassen. Dabei spielt es keine Rolle, dass das Verfahren nicht auf Initiative des Beschwerdeführers eingeleitet wurde. Ein Verstoss gegen Treu und Glauben liegt offensichtlich nicht vor.
 
3.3.2. Auch aus der Zeitspanne von rund sieben Monaten zwischen der letzten Verfahrenshandlung und dem Erlass der Verfügung kann der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten. Das Bundesgericht geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass die Pflicht, für behördliche Zustellungen erreichbar zu sein, etwa ein Jahr lang seit der letzten Verfahrenshandlung besteht (vgl. Urteile 6B_674/2019 vom 19. September 2019 E. 1.4.3; 2C_298/2015 und 2C_299/2015 vom 26. April 2017 E. 3.4). Dass es in speziellen Verfahren oder bei besonderen Umständen von einer kürzeren Frist ausgegangen ist (vgl. etwa Urteil 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2 betreffend Strafbefehlsverfahren, nicht publ. in BGE 142 IV 286) vermag dem Beschwerdeführer dabei ebensowenig zu helfen wie die behauptete abweichende Praxis in anderen Kantonen. Denn im vorliegenden Fall ist die Anwendung von kantonalem Verfahrensrecht streitig, und angesichts der vorher zitierten Rechtsprechung kann der Vorinstanz jedenfalls nicht Willkür vorgeworfen werden, wenn sie davon ausgegangen ist, dass der Beschwerdeführer Ende Februar 2020 verpflichtet war, für behördliche Zustellungen erreichbar zu sein.
 
3.3.3. Unbegründet ist auch der Vorwurf, die Zustellung hätte nicht mit A-Post Plus vorgenommen werden dürfen. Der Beschwerdeführer räumt selber ein, dass das kantonale Verfahrensrecht die Zustellung per Einschreiben nicht vorschreibt. Weder aus dem Umstand, dass in anderen Kantonen eine abweichende Rechtslage besteht, noch wegen seiner fehlenden juristischen Kenntnissen durfte er auf eine Zustellung per Einschreiben vertrauen. Eine Vertrauensgrundlage ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Beschwerdeführer behördliche Sendungen früher per Einschreiben zugestellt worden sind. Schliesslich steht auch die grosse Tragweite von ausländerrechtlichen Entscheiden einer Zustellung per A-Post Plus nicht entgegen (vgl. Urteile 2C_587/2018 vom 8. März 2019 E. 3.1; 2C_784/2015 vom 24. September 2015 E. 2.1). Durfte das Migrationsamt daher die Zustellung per A-Post Plus vornehmen, erübrigt sich die Prüfung, ob die Rekursanmeldung auch dann verspätet gewesen wäre, wenn die Zustellung per Einschreiben erfolgt wäre. Auf die diesbezügliche Eventualbegründung der Vorinstanz und die Ausführungen in der Beschwerde ist deshalb nicht näher einzugehen.
 
3.3.4. Schliesslich kann der Beschwerdeführer nichts daraus ableiten, dass er sich seit 33 Jahren in der Schweiz aufhält und gut integriert ist. Diese Umstände wären allenfalls bei einer materiellen Beurteilung des Rekurses zu berücksichtigen gewesen. Dass eine solche wegen dem Fristversäumnis unterblieben ist, liegt in der Natur der Sache und ist weder unverhältnismässig noch sonstwie rechtswidrig (vgl. Urteile 2C_373/2020 vom 8. Juni 2020 E. 4.3.3; 2C_902/2019 vom 14. November 2019 E. 4.3).
 
3.4. Zusammenfassend dringt der Beschwerdeführer mit seinen Rügen nicht durch. Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen (Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG).
 
 
4.
 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG e contrario).
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht, Dreiergericht, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 17. November 2020
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Businger
 
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