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Informationen zum Dokument  BGer 2C_755/2020  Materielle Begründung
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BGer 2C_755/2020 vom 16.11.2020
 
 
2C_755/2020
 
 
Urteil vom 16. November 2020
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Zünd,
 
Bundesrichter Donzallaz,
 
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dominic Nellen,
 
gegen
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Bern (SID), Kramgasse 20, 3011 Bern,
 
Einwohnergemeinde Bern,
 
Einwohnerdienste, Migration und Fremdenpolizei, Predigergasse 5, 3011 Bern.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des
 
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
 
vom 15. Juli 2020 (100.2020.108U).
 
 
Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. A.________ (geb. 1966) ist schwedischer Staatsangehöriger. Er kam am 6. Februar 2017 in die Schweiz, wo ihm eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA erteilt wurde. Nachdem sein Arbeitsverhältnis bereits nach fünf Wochen aufgelöst worden war, bezog A.________ Sozialhilfe. Am 16. November 2018 widerrief die Einwohnergemeinde (EG) Bern, Einwohnerdienste, Migration und Fremdenpolizei (EMF), die Aufenthaltsbewilligung von A.________; gleichzeitig wurde er weggewiesen.
 
1.2. Gegen diese Verfügung gelangte A.________ am 5. Juni 2019 an die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern (POM; heute Sicherheitsdirektion [SID]). Diese trat am 20. Februar 2020 auf die Beschwerde - weil verspätet - nicht ein. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern bestätigte diesen Entscheid am 15. Juli 2020.
 
 
1.3.
 
1.3.1. A.________ beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz oder die Sicherheitsdirektion zurückzuweisen; eventuell seien die kantonalen Behörden anzuhalten, auf seine Beschwerde einzutreten. Für das vorinstanzliche und das bundesgerichtliche Verfahren seien ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.
 
1.3.2. Das Bundesgericht hat am 22. September 2020 die kantonalen Akten eingeholt; mit Verfügung vom gleichen Tag legte der Abteilungspräsident der Beschwerde antragsgemäss aufschiebende Wirkung bei. Am 2. Oktober 2020 beantragten die Einwohnerdienste, Migration und Fremdenpolizei, der Stadt Bern die aufschiebende Wirkung zu widerrufen. Am 6. Oktober 2020 wurde A.________ eingeladen, zum entsprechenden Gesuch bis zum 21. Oktober 2020 Stellung zu nehmen, wovon er absah.
 
 
2.
 
Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens bildet die Frage, wann die Verfügung vom 16. November 2018 dem Beschwerdeführer eröffnet worden ist und ob er seine Beschwerde hiergegen bei der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern rechtzeitig eingereicht hat.
 
2.1. Das angefochtene Urteil gibt die einschlägige Gesetzgebung und Rechtsprechung zutreffend wieder: Gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben haben die Verfahrensbeteiligten während der Rechtshängigkeit eines Verfahrens dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akte eröffnet werden können, wenn sie mit deren Zustellung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rechnen müssen. Sie haben die Behörden über Abwesenheiten und Adressänderungen zu informieren oder diesen zumindest ein Zustelldomizil zu bezeichnen (vgl. BGE 141 II 429 E. 3.1 S. 431 f.; 139 IV 228 E. 1.1 S. 229 ff.). Eine Sendung gilt im Rahmen der Zustellfiktion als empfangen, wenn sie in den Machtbereich des Adressaten oder der Adressatin gelangt ist, sodass von ihr Kenntnis genommen werden kann; eine effektive Entgegennahme bzw. eine Lektüre des Inhalts ist nicht erforderlich (BGE 142 III 599 E. 2.4.1 S. 603 f.; 122 I 139 E. 1 S. 142 ff.). Verweigert die betroffene Person die Annahme einer persönlich übergebenen Sendung, gilt die Zustellung am Tag der Weigerung erfolgt, wenn dies von der überbringenden Person festgehalten wird. Die Zustellung muss mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit plausibel erscheinen; es genügt aber, dass kein vernünftiger Zweifel hieran bestehen kann.
 
2.2. Dem Beschwerdeführer war seit Frühling 2018 bekannt, dass die Einwohnergemeinde Bern den Widerruf seiner Aufenthaltsbewilligung prüfte; im Oktober 2018 wurde ihm dieser konkret in Aussicht gestellt. Die Widerrufsverfügung vom 16. November 2018 konnte ihm mangels der hierfür erforderlichen Angaben nicht zugestellt werden. Am 20. November 2018 veranlassten die Einwohnerdienste, Migration und Fremdenpolizei, die Ausschreibung des Beschwerdeführers im RIPOL, um ihm die Verfügung aushändigen zu können. Der Beschwerdeführer wurde am 8. März 2019 angehalten, doch weigerte er sich bei dieser Gelegenheit, die Verfügung vom 16. November 2018 entgegenzunehmen. Die zuständige Polizistin gab am 25. September 2019 an, dass dem Beschwerdeführer eine Kopie der "Empfangsbestätigung (sämtliche Seiten) " ausgehändigt worden sei, er es aber - soweit sie sich erinnern könne - abgelehnt habe, diese zu lesen; ihr Kollege erklärte am 8. Oktober 2019, dass dem Beschwerdeführer die Empfangsbestätigung "mitsamt aller Anhänge" ausgehändigt worden sei; dieser habe sich aber geweigert, "die Verfügung durchzulesen".
 
 
2.3.
 
2.3.1. Wenn die Vorinstanz gestützt hierauf zum Schluss gekommen ist, dass dem Beschwerdeführer die Widerrufsverfügung bei dieser Gelegenheit rechtskräftig eröffnet wurde, ist dies nicht zu beanstanden: Entgegen der Kritik des Beschwerdeführers hat das Verwaltungsgericht den diesbezüglichen Sachverhalt nicht offensichtlich falsch festgestellt; er ist für das Bundesgericht damit verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Vorinstanz hat aber auch die Beweise nicht willkürlich gewürdigt, soweit der Beschwerdeführer die entsprechende (Verfassungs-) Rüge überhaupt qualifiziert begründet (vgl. BGE 145 IV 154 E. 1.1 S. 155 f.; 142 III 364 E. 2.4 S. 367 f.). Die Sachverhaltsfeststellung bzw. die Beweiswürdigung erweist sich nur dann als willkürlich, wenn sie offensichtlich unhaltbar oder aktenwidrig ist, die Vorinstanz Sinn und Tragweite eines Beweismittels klarerweise verkannt, sie ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 265 f. mit Hinweisen).
 
2.3.2. Dies war hier nicht der Fall: Wenn lediglich von der Eröffnung "einer Wegweisungsverfügung" bei der Ausschreibung des Beschwerdeführers die Rede war, musste er wissen, worum es ging; dass es sich bei dieser - wie der Beschwerdeführer einwendet - auch um eine andere Verfügung gehandelt haben könnte, ist lebensfremd. Soweit jeweils von der Eröffnung der "Empfangsbestätigung" gesprochen wurde, ergibt sich aus den Erläuterungen der Polizisten, dass es sich dabei um "mehrere Seiten" gehandelt hat, was nur den Schluss zulässt, dass dem Beschwerdeführer nicht nur die Empfangserklärung, sondern auch die entsprechenden Papiere übergeben wurden. Der Beschwerdeführer wusste, worum es ging. Zwar ist "im Zweifel" grundsätzlich auf die Darstellung des (gutgläubigen) Empfängers abzustellen (vgl. BGE 124 V 400 E. 2a S. 402), doch kann im vorliegenden Fall vernünftigerweise nicht von einem relevanten Zweifel ausgegangen werden. Die Verfügung vom 16. November 2018 wurde dem Beschwerdeführer am 9. März 2019 rechtsgültig eröffnet, auch wenn er sie nicht zur Kenntnis nahm, und nicht - wie er geltend macht - erst am 5. Mai 2019 im Rahmen der Ausschaffungshaft.
 
 
3.
 
3.1. Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet (Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG) und kann im vereinfachten Verfahren erledigt werden. Für alles Weitere wird ergänzend auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen (Art. 109 Abs. 3 BGG). Mit dem vorliegenden Sachentscheid wird das Gesuch um Widerruf der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos.
 
3.2. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen, da die Eingabe gestützt auf die Begründung im angefochtenen Entscheid als aussichtslos zu gelten hatte (vgl. Art. 64 BGG). Wenn das Verwaltungsgericht aus dem gleichen Grund das entsprechende Gesuch im kantonalen Verfahren abgewiesen hat, ist dies nicht zu beanstanden.
 
3.3. Dem Verfahrensausgang entsprechend wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei der Festsetzung der Höhe der Kosten wird dem Umstand Rechnung getragen, dass über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht vorab entschieden wurde, was es dem Beschwerdeführer ermöglicht hätte, seine Eingabe zurückzuziehen. Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. 
 
2.1. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
2.2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 16. November 2020
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar
 
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