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Informationen zum Dokument  BGer 2C_704/2020  Materielle Begründung
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BGer 2C_704/2020 vom 11.11.2020
 
 
2C_704/2020
 
 
Urteil vom 11. November 2020
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Zünd,
 
Bundesrichter Beusch,
 
Gerichtsschreiber Seiler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Werner Michel,
 
gegen
 
Staatssekretariat für Migration,
 
Quellenweg 6, 3003 Bern.
 
Gegenstand
 
Verweigerung der Zustimmung zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung VI,
 
vom 6. Juli 2020 (F-583/2018).
 
 
Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. A.________ (türkischer Staatsangehöriger kurdischer Ethnie) lebte in der Türkei zusammen mit seiner religiös angetrauten türkischen Ehefrau B.________ und den drei gemeinsamen Kindern (geboren 1998, 2004 und 2006). Am 11. Dezember 2006 ersuchte er in der Schweiz um Asyl. Nachdem er am 15. Januar 2007 eine in der Schweiz niedergelassene nordmazedonische Staatsangehörige geheiratet hatte, zog er einen Tag später sein Asylgesuch zurück. Das damalige Bundesamt für Flüchtlinge (heute: Staatssekretariat für Migration SEM) schrieb deshalb das Verfahren am 2. Februar 2007 als gegenstandslos geworden ab. Am 11. April 2007 wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen des Familiennachzugs eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Ehefrau in der Schweiz erteilt. Mit Antrag vom 9. Februar 2012 ersuchte er um Umwandlung der Aufenthaltsbewilligung in eine Niederlassungsbewilligung. Das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau (nachfolgend: Migrationsamt) entsprach diesem Gesuch mit Verfügung vom 13. April 2012. Am 31. Mai 2012 trennten sich der Beschwerdeführer und seine Ehefrau (nachfolgend Ex-Ehefrau) und am 24. Oktober 2012 wurde die Ehe einvernehmlich geschieden.
 
1.2. Am 8. Oktober 2013 heiratete der Beschwerdeführer in der Türkei zivilrechtlich seine früher nach religiösem Brauch angetraute Ehefrau B.________. Für sie sowie für die drei gemeinsamen Kinder reichte er am 7. September 2015 beim Migrationsamt ein Gesuch um Familiennachzug ein. Bereits mit Verfügung vom 2. Dezember 2013 hatte das Migrationsamt die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers widerrufen und ihm unter Vorbehalt einer allfälligen Zustimmung durch das SEM auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Widerrufsverfügung eine Aufenthaltsbewilligung erteilt. Mit Urteil vom 15. Dezember 2015 bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau den Widerruf der Niederlassungsbewilligung. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil 2C_66/2016 vom 12. Oktober 2016 ab, soweit es darauf eintrat.
 
1.3. Mit Antrag vom 17. November 2016 ersuchte das Migrationsamt das SEM um Zustimmung zur Erteilung der Aufenthaltsbewilligung. Mit Verfügung vom 11. Dezember 2017 verweigerte das SEM die Zustimmung zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung und verfügte die Wegweisung von A.________ aus der Schweiz. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 6. Juli 2020 ab.
 
1.4. Mit Beschwerde vom 7. September 2020 beantragt A.________, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juli 2020 und die Verfügung des SEM vom 11. Dezember 2017 seien aufzuheben und die Zustimmung zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung sei zu erteilen und diese entsprechend zu verlängern. In prozessualer Hinsicht beantragt er, dass der Beschwerde die aufschiebende Wirkung und ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu erteilen sei. Mit Verfügung vom 8. September 2020 erkannte das Bundesgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu. Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt.
 
 
2.
 
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Endentscheid des Bundesverwaltungsgerichts in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, wobei sich der Beschwerdeführer auf einen Aufenthaltsanspruch aus Art. 50 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG; SR 142.20; Titel bis zum 31. Dezember 2019: Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer, AuG) beruft. Insoweit ist auf die Beschwerde einzutreten (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG). Hingegen ist auf sie nicht einzutreten, soweit der Beschwerdeführer die Aufhebung der Entscheide der unteren kantonalen Instanzen verlangt. Diese sind durch das Urteil des Verwaltungsgericht ersetzt worden (sog. Devolutiveffekt; vgl. BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144).
 
 
3.
 
Die Vorinstanz stellte fest, dass die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ex-Ehefrau alleine der Umgehung der ausländerrechtlichen Vorschriften über die Zulassung und den Aufenthalt gedient habe, weshalb der Aufenthaltsanspruch des Beschwerdeführers aus Art. 50 AuG nach Art. 51 Abs. 2 lit. a AuG erloschen sei. Diesen Befund stützte sie auf eine Reihe von Indizien. Dazu gehörten unter anderem, dass sich die Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ex-Ehefrau über die Umstände des Kennenlernens widersprachen, die Ex-Ehefrau sich jeweils mehrere Wochen pro Jahr in Nordmazedonien aufhielt, während der Beschwerdeführer alleine in der Wohnung in der Schweiz zurück blieb, zwischen den Ehegatten ein erheblicher, für den Kulturkreis des Beschwerdeführers untypischer Altersunterschied von 15 Jahren bestand, der Beschwerdeführer und seine Ex-Ehefrau sich nur rund einen Monat nach Erhalt der Niederlassungsbewilligung trennten und sich sechs Monate später einvernehmlich scheiden liessen und der Beschwerdeführer sodann im Oktober 2013 in der Türkei die Mutter seiner drei Kinder heiratete. Über den letztgenannten Umstand habe der Beschwerdeführer das Migrationsamt bis zur Stellung des Familiennachzugsgesuchs vom 7. September 2015 nicht informiert, sodass das Migrationsamt mit Verfügung vom 2. Dezember 2013 dem Beschwerdeführer in Unkenntnis des rechtserheblichen Sachverhalts die Aufenthaltsbewilligung erteilt habe.
 
 
4.
 
Der Beschwerdeführer kritisiert die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz. Das Bundesgericht korrigiert Sachverhaltsfeststellungen jedoch nur, wenn sie offensichtlich unrichtig sind und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde des Beschwerdeführers nicht gerecht.
 
4.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst sinngemäss, seine Ex-Ehefrau sei nicht jeweils mehrere Wochen pro Jahr nach Nordmazedonien verreist. Er zeigt aber nicht auf, dass diese Feststellung der Vorinstanz offensichtlich unrichtig war. Allerdings kommt diesem Umstand im Vergleich zu den übrigen Indizien ohnehin nur geringes Gewicht zu. Selbst wenn die Feststellung der Vorinstanz offensichtlich unrichtig wäre, handelte es sich nicht um eine entscheiderhebliche Tatsache im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG.
 
4.2. Sodann bemängelt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe zu Unrecht festgestellt, dass er und seine Ex-Ehefrau keine gemeinsamen Ferien verbracht hätten. Er verkennt, dass die Vorinstanz gar keine solche Feststellung traf, sondern dem Beschwerdeführer vielmehr vor-hielt, seinerseits nichts in diese Richtung vorgebracht zu haben (vgl. E. 7.1 des angefochtenen Urteils). Denn es hätte im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (Art. 90 AIG) an ihm gelegen, solche Tatsachen zu behaupten und die entsprechenden Beweismittel beizubringen.
 
4.3. Ein Altersunterschied in der Grössenordnung von 15 Jahren kann im Kulturkreis des Beschwerdeführers ein Indiz für fehlenden Ehewillen sein (vgl. Urteil 2C_746/2018 vom 11. März 2019 E. 5.3). Die betreffende Würdigung der Vorinstanz ist nicht zu beanstanden.
 
4.4. Weiter rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe polizeiliche Berichte vom 24. Januar 2009 und vom 1. März 2011 über Befragungen des Beschwerdeführers und seiner Ex-Ehefrau nicht gewürdigt und damit wesentliche Beweismittel ausser Acht gelassen. Inwiefern die Vorinstanz diese Beweismittel tatsächlich berücksichtigte, kann hier offenbleiben. Jedenfalls wären diese Berichte von vornherein nicht geeignet gewesen, die gewichtigsten Indizien für das Vorliegen einer Scheinehe - nämlich die Trennung von der Ex-Ehegattin im Mai 2012 bloss sechs Wochen nach Erhalt der Niederlassungsbewilligung, die anschliessende Scheidung im Oktober 2012, den Eheschluss mit der Mutter seiner drei Kinder ein Jahr später und das Familiennachzugsgesuch für diese Person und seine drei Kinder vom September 2015 - zu entkräften.
 
4.5. Schliesslich reicht der Beschwerdeführer vor Bundesgericht eine Fotografie einer Übersetzung eines Auszugs aus einem türkischen Familienregister ein, aus welcher hervorgehen soll, dass die aktuelle Ehefrau des Beschwerdeführers seit dem 9. September 2004 in der Türkei mit einem Mann verheiratet gewesen sei. Wie auch der Beschwerdeführer anerkennt, ist dieses Vorbringen neu. Entgegen seinen Ausführungen gab nicht erst das Urteil der Vorinstanz Anlass zu diesem Vorbringen, hatte doch bereits das SEM festgestellt, dass der Beschwerdeführer und seine Ex-Ehegattin zu keinem Zeitpunkt über einen echten Ehewillen verfügt und die Ehe nur geschlossen hatten, um die Vorschriften über die Zulassung und den Aufenthalt zu umgehen (vgl. E. 4.3 der Verfügung des SEM vom 11. Dezember 2017). Das Vorbringen des Beschwerdeführers erweist sich deshalb als verspätet und ist nicht zu hören (Art. 99 Abs. 1 BGG).
 
4.6. Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz dem Beschwerdeführer den Ehewillen absprach, seine Ehe mit seiner Ex-Ehegattin als Scheinehe behandelte und daraus den Schluss zog, dass sein Anspruch aus Art. 50 Abs. 1 AuG nach Art. 52 Abs. 1 lit. a AuG erloschen sei.
 
 
5.
 
Die Vorinstanz begründete eingehend, weshalb sie die ausländerrechtliche Massnahme der Aufenthaltsbeendigung für verhältnismässig (Art. 96 Abs. 2 AuG) hielt (vgl. E. 7.2 des angefochtenen Urteils). Auf diese überzeugenden Ausführungen kann an dieser Stelle verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG), zumal sich der Beschwerdeführer zur Verhältnismässigkeit der ausländerrechtlichen Massnahme gar nicht erst äussert.
 
 
6.
 
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen (Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Kosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese Kosten sind praxisgemäss zu reduzieren, weil das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zusammen mit dem Entscheid in der Sache beurteilt und dem Beschwerdeführer deshalb keine Gelegenheit zum Rückzug seiner Beschwerde gegeben wurde.
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung VI, und dem Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. November 2020
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Seiler
 
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