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Informationen zum Dokument  BGer 9C_274/2020  Materielle Begründung
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BGer 9C_274/2020 vom 05.11.2020
 
 
9C_274/2020
 
 
Urteil vom 5. November 2020
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiberin Huber.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsdienst Inclusion Handicap,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern,
 
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
 
vom 6. März 2020 (200 19 673 IV).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die 1968 geborene A.________ meldete sich im August 2017 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern ermittelte nach Massgabe der gemischten Methode (Erwerb: 80 %, Haushalt: 20 %) einen Invaliditätsgrad von 42 % und sprach der Versicherten ab 1. März 2018 eine Viertelsrente zu. Ab 1. November 2018 verneinte die Verwaltung einen Rentenanspruch (Invaliditätsgrad: 34 %; Verfügung vom 13. August 2019).
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 6. März 2020 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________ unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids die Rückweisung der Sache zur weiteren Abklärung an das kantonale Gericht.
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Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 139 V 42 E. 1 S. 44 mit Hinweisen). Die Beschwerde hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Da die Beschwerde an das Bundesgericht ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art. 107 Abs. 2 BGG), darf sich diese grundsätzlich nicht darauf beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu beantragen, sondern muss einen Antrag in der Sache beinhalten (BGE 137 II 313 E. 1.3 S. 317 mit Hinweisen). Die Versicherte stellt ein rein kassatorisches Begehren. Aus der Begründung ihrer Eingabe, die zur Interpretation des Antrages beigezogen werden kann (BGE 136 V 131 E. 1.2 S. 135 f.; Urteil 9C_671/2014 vom 30. Januar 2015 E. 2.1, in: SVR 2015 BVG Nr. 55 S. 234), ist jedoch ersichtlich, dass sie auch ab November 2018 eine Viertelsrente anstrebt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.
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2.
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2.2. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194), was in der Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet noch keinen hinreichenden Anlass im Sinn von Art. 99 Abs. 1 BGG für die Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht werden können. Das Vorbringen von Tatsachen, die sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder die erst nach dem angefochtenen Entscheid entstanden sind (echte Noven), ist vor Bundesgericht unzulässig (BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 22 f. mit Hinweisen; Urteile 8C_158/2017 vom 22. August 2017 E. 2).
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3.
 
3.1. Zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie in Bestätigung der Verfügung vom 13. August 2019 ab November 2018 einen Rentenanspruch verneinte. Streitig ist dabei einzig das der Invaliditätsbemessung zugrunde liegende Invalideneinkommen.
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3.2. Auch wenn im Rahmen des vorinstanzlichen Verfahrens das Rentenverhältnis als Ganzes den Streitgegenstand bildete (BGE 125 V 413; vgl. ferner BGE 131 V 164 E. 2.2 S. 165 und Urteil 9C_34/2009 vom 24. Februar 2010 E. 3.2, in: SVR 2010 IV Nr. 61 S. 186), bleibt das Bundesgericht an die Begehren der Parteien gebunden (Art. 107 Abs. 1 BGG; Urteil 9C_50/2011 vom 25. Mai 2011 E. 2.2, in: SZS 2011 S. 511). Insofern ist im vorliegenden Fall nur noch die Befristung der Rente zu prüfen (und damit das der Invaliditätsbemessung ab 5. Juli 2018 zugrunde liegende Invalideneinkommen), nicht jedoch deren Zusprache (Urteil 8C_419/2018 vom 11. Dezember 2018 E. 4.1).
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4.
 
4.1. Das kantonale Gericht ermittelte die beiden Vergleichseinkommen, Validen- und Invalideneinkommen (BGE 125 V 146 E. 2a S. 149), auf der Grundlage des tatsächlich erzielten Einkommens der Beschwerdeführerin als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Direktion B.________ des Kantons Bern und setzte den Invaliditätsgrad mit dem Grad der Arbeitsunfähigkeit gleich (vgl. Urteil 9C_675/2016 vom 18. April 2017 E. 3.2.1, in: SVR 2017 IV Nr. 71 S. 219).
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4.2. Die Beschwerdeführerin rügt, sie habe ab Oktober 2017 in ihrer angestammten Tätigkeit einen Soziallohn erhalten, weshalb das Invalideneinkommen nicht gestützt auf den tatsächlich erzielten Verdienst ermittelt werden könne. Stattdessen seien die vom Bundesamt für Statistik periodisch herausgegebenen Lohnstrukturerhebungen (LSE) 2016, indexiert auf das Jahr 2017, heranzuziehen.
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5.
 
5.1. Für die Festsetzung des Invalideneinkommens ist nach der Rechtsprechung primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in der die versicherte Person konkret steht. Übt sie nach Eintritt der Invalidität eine Erwerbstätigkeit aus, bei der - kumulativ - besonders stabile Arbeitsverhältnisse gegeben sind und anzunehmen ist, dass sie die ihr verbleibende Arbeitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft, und erscheint zudem das Einkommen aus der Arbeitsleistung als angemessen und nicht als Soziallohn, gilt grundsätzlich der tatsächlich erzielte Verdienst als Invalidenlohn. Ist kein solches tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben, namentlich weil die versicherte Person nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder jedenfalls keine ihr an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, so können nach der Rechtsprechung Tabellenlöhne gemäss LSE herangezogen werden (BGE 143 V 295 E. 2.2 S. 296 f.; 139 V 592 E. 2.3 S. 593 f.).
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5.2. Die Vorinstanz kam zum Schluss, die Beschwerdeführerin habe im Verfügungszeitpunkt (13. August 2019) in einem mehrjährigen - d.h. besonders stabilen - Arbeitsverhältnis mit der Direktion B.________ des Kantons Bern gestanden. Diese Feststellung wird von der Versicherten nicht (substanziiert) bestritten, weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich (E. 2.1) ist.
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5.3. 
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5.3.1. Die Beschwerdeführerin rügt, sie sei zwar bis Ende Oktober 2019 bei der Direktion B.________ als wissenschaftliche Mitarbeiterin angestellt gewesen. Sie habe diese Tätigkeit jedoch nur bis zum 8. Oktober 2017 ausgeübt. Die Annahme der Vorinstanz, wonach sie im Verfügungszeitpunkt (13. August 2019) ihre Restarbeitsfähigkeit voll ausgeschöpft habe, treffe somit offensichtlich nicht zu.
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Mit diesen Vorbringen kann die Versicherte nichts zu ihren Gunsten ableiten. Gemäss den Feststellungen im kantonalen Entscheid blieb die Beschwerdeführerin zumindest bis am 13. August 2019 bei der Direktion B.________ in einem Pensum von 70 % angestellt und erzielte, wie die Versicherte selber vorbringt, das dieser Tätigkeit entsprechende Einkommen. Ab dem hier relevanten Zeitpunkt im Juli 2018 (vgl. E. 3.2 oben) war ihr die angestammte Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Umfang von 60 % zumutbar, was zwischen den Verfahrensbeteiligten unbestritten ist. Dass sie dieser Tätigkeit im ihr möglichen Pensum von 60 % nicht mehr nachging, obwohl sie dort weiterhin angestellt war, ist invaliditätsfremden Gründen zuzuschreiben. So erkannte das kantonale Gericht verbindlich (E. 2.1 oben), die Aussage der Beschwerdeführerin, wonach sie Führungspositionen nicht mehr ausüben könne, stehe im Widerspruch zu den beweiskräftigen gutachterlichen Feststellungen. Danach sei ihr die bisherige Tätigkeit weiterhin zumutbar. Ebenfalls sei laut Vorinstanz nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin in einem 70 %-Pensum eine Führungsfunktion habe ausüben können, dies jedoch im zumutbaren Umfang von 60 % nicht mehr möglich sein solle. Diese Schlussfolgerung des kantonalen Gerichts erscheint nicht offensichtlich unrichtig (E. 2.1). Daran vermögen auch die von der Versicherten aufgelegten E-Mails vom 12. und 14. März 2017, sofern denn novenrechtlich überhaupt zulässig (E. 2.2), was offen bleiben kann, nichts zu ändern. Die Vorinstanz nahm auf den Einwand der Beschwerdeführerin, ihre Arbeit erfordere eine Präsenzzeit von 80 %, bereits Bezug und führte aus, daraus könne sie nichts ableiten, sei sie doch im Umfang von 70 % angestellt worden.
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Soweit sich die Versicherte auf das Schreiben der Direktion B.________ vom 30. April 2020 beruft und moniert, sie sei nur deshalb als Mitarbeiterin mit Führungsfunktion eingestellt worden, weil sie anlässlich der Anstellung in einem Pensum von 70 % angegeben habe, sie werde ihr Pensum ab August 2017 auf 80 % erhöhen, kann sie nicht gehört werden, da das Schreiben als echtes Novum nicht berücksichtigt werden kann (E. 2.2).
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5.3.2. Wenn die Vorinstanz bei diesen konkreten Gegebenheiten darauf schloss, dass die Versicherte in ihrer angestammten Tätigkeit ihre Restarbeitsfähigkeit in einem Pensum von 60 % voll hätte ausschöpfen können, so ist dies nicht willkürlich.
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5.4. Wird im vorliegenden Fall für die Ermittlung des Invalideneinkommens auf den von der Beschwerdeführerin effektiv erzielten Verdienst im Umfang von 60 % abgestellt, ist nicht ersichtlich, inwiefern es sich dabei um Soziallohn handeln sollte; hätte die Versicherte doch die entsprechende Gegenleistung erbringen können (vgl. Art. 25 Abs. 1 lit. b IVV; E. 5.3.1 oben). Insbesondere trug das kantonale Gericht mit seinem Vorgehen dem Umstand Rechnung, dass das Invalideneinkommen so konkret wie möglich zu ermitteln ist und deswegen primär von der konkreten beruflich-erwerblichen Situation der versicherten Person auszugehen ist (E. 5.1; vgl. hierzu auch Urteil 9C_844/2013 vom 18. Februar 2014 E. 3.1).
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6. Mit Blick auf das Gesagte verletzte die Vorinstanz kein Bundesrecht, indem sie das Invalideneinkommen anhand des tatsächlich erzielten Einkommens und nicht in Anlehnung an die Tabellenlöhne ermittelte. Die Beschwerde ist unbegründet.
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7. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die unterliegende Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 5. November 2020
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Meyer
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber
 
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