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Informationen zum Dokument  BGer 6B_840/2020  Materielle Begründung
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BGer 6B_840/2020 vom 14.10.2020
 
 
6B_840/2020
 
 
Urteil vom 14. Oktober 2020
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
Bundesrichterin van de Graaf,
 
Gerichtsschreiber Moses.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Gültigkeit der Einsprache bei Strafbefehl (Übertretung des kantonalen Gesetzes über die Volksschule),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 4. Juni 2020 (SW.2020.57).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Staatsanwaltschaft Bischofszell erklärte A.A.________ am 7. Januar 2020 mittels Strafbefehl der Übertretung des (kantonalen) Gesetzes über die Volksschule schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 1'000.--. Gegen diesen Strafbefehl erhoben A.A.________ und B.A.________ Einsprache.
1
B. Das Bezirksgericht Arbon trat auf die Einsprache am 21. April 2020 infolge Verspätung nicht ein. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Thurgau am 4. Juni 2020 ab.
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C. A.A.________ und B.A.________ führen Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragen, die Einsprache gegen den Strafbefehl sei als gültig zu erklären und das Strafverfahren gegen sie sei einzustellen.
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Erwägungen:
 
1. Nach der Darstellung in der Beschwerdeschrift erliess die Staatsanwaltschaft sowohleinen Strafbefehl gegen A.A.________ als auch einen gegen seine Ehefrau B.A.________. Entsprechend erhoben die Eheleute jeweils gemeinsam Einsprache gegen den Strafbefehl (Akten Staatsanwaltschaft, pag. 51 ff.) und Beschwerde gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Arbon (Akten Vorinstanz, act. 1). Gegenstand des vor dem Bundesgericht angefochtenen Entscheids ist jedoch einzig die Gültigkeit der Einsprache gegen den A.A.________ betreffenden Strafbefehl. Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten, soweit diese darüber hinausgeht.
4
 
2.
 
2.1. Zur Rechtzeitigkeit der Einsprache bringt der Beschwerdeführer vor, dass seine Ehefrau keine Kenntnisse der deutschen Sprache habe, weshalb für ihre Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft ein Dolmetscher erforderlich gewesen sei. Die Strafbefehle hätten demnach zumindest auf Italienisch zusammengefasst werden müssen. Aufgrund der fehlenden Übersetzung habe die Ehefrau die Strafbefehle nicht verstanden und deren Wichtigkeit nicht erkannt, weshalb er von diesen erst am 29. Januar 2020 Kenntnis erhalten habe und nicht rechtzeitig Einsprache habe erheben können.
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2.2. Die Vorinstanz erwägt, dass bei der Zustellung von behördlichen Sendungen der Zugang in den Machtbereich des Adressaten massgebend sei, womit der Einwand des Ehemannes, die Ehefrau habe ihm die Sendung nicht ausgehändigt, nicht zu hören sei. Wenn derartige Versäumnisse eine Verlängerung von Fristen zur Folge hätten, würde der Fristenlauf in die Hände der Adressaten gelegt und die Fristenregelung ausgehebelt. Zur Sprache erwägt die Vorinstanz, dass die Strafbehörden der Kantone alle Verfahrenshandlungen in ihrer Verfahrenssprache durchführen würden. Vor den thurgauischen Gerichten und Behörden sei die Amtssprache Deutsch.
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2.3. Nach Art. 68 Abs. 2 StPO wird der beschuldigten Person, auch wenn sie verteidigt wird, in einer ihr verständlichen Sprache mindestens der wesentliche Inhalt der wichtigsten Verfahrenshandlungen mündlich oder schriftlich zur Kenntnis gebracht. Ein Anspruch auf vollständige Übersetzung aller Verfahrenshandlungen sowie der Akten besteht nicht. Bei Strafbefehlen sind nach der Rechtsprechung zumindest das Dispositiv und die Rechtsmittelbelehrung zu übersetzen (BGE 145 IV 197 E. 1.3.3; Urteil 6B_1294/2019 vom 8. Mai 2020 E. 1.3.1 mit Hinweisen). A.A.________ ist - als Adressat des zur Diskussion stehenden Strafbefehls - der deutschen Sprache mächtig. Eine Übersetzung war deshalb nicht erforderlich. Dabei ist entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht entscheidend, dass die Amtssprache im Kanton Thurgau Deutsch ist.
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Nach Art. 85 Abs. 3 StPO gilt eine Zustellung als erfolgt, wenn die Sendung von der Adressatin oder dem Adressaten oder von einer angestellten oder im gleichen Haushalt lebenden, mindestens 16 Jahre alten Person entgegengenommen wurde. Mit der Abholung der Sendung durch die im selben Haushalt lebende Ehefrau wurde der Strafbefehl gültig zugestellt. Die Wichtigkeit der Sendung war bereits dadurch erkennbar, dass sie eingeschrieben erfolgte.
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3. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dabei ist seiner finanziellen Lage Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. Oktober 2020
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Moses
 
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