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Informationen zum Dokument  BGer 6B_505/2020  Materielle Begründung
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BGer 6B_505/2020 vom 13.10.2020
 
 
6B_505/2020
 
 
Urteil vom 13. Oktober 2020
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
Bundesrichter Muschietti,
 
Gerichtsschreiber Matt.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Andrea Silvio Mathis,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis,
 
Postfach, 8953 Dietikon,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Fahrlässige grobe Verletzung der Verkehrsregeln,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 27. Januar 2020 (SB190420).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Staatsanwaltschaft Limmattal-Albis wirft A.________ vor, am 12. September 2018 in Birmensdorf mit 82 km/h statt der signalisierten 50 km/h unterwegs gewesen zu sein. Am 17. April 2019 verurteilte ihn das Bezirksgericht Dietikon wegen fahrlässiger grober Verletzung der Verkehrsregeln zu 25 Tagessätzen à Fr. 220.-- Geldstrafe. Auf Berufung von A.________ hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich das erstinstanzliche Urteil am 27. Januar 2020.
1
B. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, er sei wegen fahrlässiger einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Busse zu verurteilen; eventualiter sei die Geldstrafe angemessen herabzusetzen; subeventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist das Gesuch von A.________ um aufschiebende Wirkung der Beschwerde am 20. Mai 2020 ab.
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Erwägungen:
 
1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Bundesrecht und seines rechtlichen Gehörs sowie die willkürliche Feststellung des Sachverhalts. Der subjektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG sei nicht erfüllt, da er weder grobfahrlässig noch rücksichtslos gehandelt habe.
3
 
1.1.
 
1.1.1. Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Der objektive Tatbestand verlangt nach der Rechtsprechung, dass der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Diese setzt die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung voraus. Eine konkrete Gefahr oder Verletzung ist nicht verlangt (BGE 142 IV 93 E. 3.1; Urteil 6B_761/2019 vom 9. März 2020 E. 2.3.1).
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Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrsregelwidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kommt aber auch in Betracht, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht. Die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung setzt in diesem Fall voraus, dass das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen (BGE 131 IV 133 E. 3.2; Urteil 6B_462/2019 vom 23. August 2019 E. 1.1.1; je mit Hinweisen). Grundsätzlich ist von einer objektiv groben Verletzung der Verkehrsregeln auf ein zumindest grobfahrlässiges Verhalten zu schliessen. Die Rücksichtslosigkeit ist ausnahmsweise zu verneinen, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Verhalten subjektiv in einem milderen Licht erscheinen lassen (BGE 142 IV 93 E. 3.1; Urteil 6B_761/2019 vom 9. März 2020 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Solche entlastenden Umstände hat das Bundesgericht bei der Mehrheit der Geschwindigkeitsüberschreitungen verneint. Es schloss ein rücksichtsloses Verhalten etwa aus, weil der Fahrzeugführer die bloss während einer Woche geltende und örtlich begrenzte Geschwindigkeitsreduktion auf der Autobahn übersehen hatte. Anders entschied es bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung innerorts, die Teil von Massnahmen eines Verkehrsberuhigungskonzepts bildete (Urteil 6B_571/2012 vom 8. April 2013 E. 3.4 mit Hinweisen). Gute Witterungs-, Strassen- und Verkehrsverhältnisse stellen keine besonderen Umstände im Sinne der Rechtsprechung dar (Urteile 6B_462/2019 vom 23. August 2019 E. 1.1.1; 6B_1204/2016 vom 24. Mai 2017 E. 3.1 und E. 3.3.1; 6B_661/2016 vom 23. Februar 2017 E. 1.2.1 je mit Hinweisen).
5
Nach ständiger Rechtsprechung sind die objektiven und grundsätzlich auch die subjektiven Voraussetzungen der groben Verkehrsregelverletzung ungeachtet der konkreten Umstände zu bejahen, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 25 km/h oder mehr überschritten wird (BGE 143 IV 508 E. 1.3; 132 II 234 E. 3.1; 131 IV 133 E. 3.2; 130 IV 32 E. 5.1; je mit Hinweisen). Aufgrund der erhöhten Gefahrenlage gilt dies auch bei atypischen Innerortsstrecken (vgl. Urteil 6B_1204/2016 vom 24. Mai 2017 E. 3.1).
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1.1.2. Die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 143 IV 500 E. 1.1). Willkür liegt vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 145 I 26 E. 1.3 mit Hinweis). Auf ungenügend begründete Rügen oder appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 145 I 26 E. 1.3; Urteil 6B_217/2020 vom 31. August 2020 E. 3.2; je mit Hinweisen).
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1.2.
 
1.2.1. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer objektiv eine grobe Verkehrsregelverletzung begangen hat. Er hat eingeräumt, am 12. September 2018 den Personenwagen der Marke "BMW" auf der Luzernerstrasse in Birmensdorf, Fahrtrichtung Zentrum mit 82 km/h anstatt der signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gelenkt zu haben.
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Die Vorinstanz begründet überzeugend, weshalb sie auch den subjektiven Tatbestand als erfüllt erachtet. Namentlich verneint sie besondere Umstände, die das Verhalten des Beschwerdeführers subjektiv in einem milderen Licht erscheinen liessen, nachvollziehbar. Sie erwägt dabei zutreffend, dass übersichtliche und breite Strassenverhältnisse keine solch mildernden Umstände darstellen und, dass das Fehlen von Fussgängern sowie ein geringes Verkehrsaufkommen den Beschwerdeführer nicht entlasten, zumal der Tatbestand keine konkrete Gefahr verlangt (vgl. oben E. 1.1.1). Wie die Vorinstanz nachvollziehbar erwägt, offenbart seine Darstellung, wonach er die Signalisation übersehen habe, dass er die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig zumindest nicht in Betracht gezogen habe. Unbewusst fahrlässiges Handeln bestreitet der Beschwerdeführer denn auch nicht. Sodann waren die Ortschaftstafel und die Signale "Höchstgeschwindigkeit 50 generell" nach willkürfreier Feststellung der Vorinstanz gut sichtbar, und der Beschwerdeführer habe es unterlassen, die mehrfache Signalisation genügend zu beachten. Dies sei umso unverständlicher, als er angegeben habe, die Strecke normalerweise nicht zu befahren. Bei dieser Sachlage hätte er sein Augenmerk erst Recht auf die Strassenschilder richten müssen. Er habe mithin nicht unbewusst oder automatisiert fahren dürfen, wie er geltend mache, d.h. nicht darauf vertrauen dürfen, sich auf einer Ausserortsstrecke zu befinden. Jedenfalls wäre ein entsprechender Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeidbar gewesen, so die Vorinstanz überzeugend. Demnach führte der fragliche Streckenabschnitt in Fahrtrichtung des Beschwerdeführers auf der rechten Seite an mehreren Häusern vorbei. Links der Strasse befand sich ein Radstreifen, rechts der Strasse ein Trottoir. Wenige Meter vor der Messstelle mündet eine Quartierstrasse in die Luzernerstrasse ebenso mehrere Einfahrten von Häusern. Entsprechend musste der Beschwerdeführer mit einbiegenden Fahrzeugen rechnen. Diese hingegen mussten kein mit über 80 km/h herannahendes Fahrzeug erwarten. Indem der Beschwerdeführer der Signalisation nicht die gebotene Aufmerksamkeit schenkte und daher die Geschwindigkeitsbeschränkung übersah, war er pflichtwidrig unachtsam. Es ist nachvollziehbar anzunehmen, dass er zumindest unbewusst fahrlässig handelte und, dass sein Verhalten unter den gegebenen Umständen als rücksichtslos gegenüber den Interessen anderer Verkehrsteilnehmer erscheint.
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1.2.2. Was der Beschwerdeführer mit Bezug auf den subjektiven Tatbestand nach Art. 90 Abs. 2 SVG vorbringt, belegt weder Willkür in der Sachverhaltsfeststellung oder Beweiswürdigung noch sonst eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst kann, nach dem vorstehend Gesagten, keine Rede davon sein, dass die Vorinstanz die einschlägigen Kriterien zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht sorgfältig geprüft und damit sinngemäss das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt hätte, wie er rügt. Auch trifft der Einwand, wonach die Vorinstanz die konkreten Umstände der Verkehrsregelverletzung ausser Acht gelassen hätte, offensichtlich nicht zu. Indes begründet sie überzeugend resp. zutreffend, dass diese das Verhalten des Beschwerdeführers in keinem milderen Licht erscheinen lassen. Dabei kann offen bleiben, ob die Vorinstanz zu Recht von mehrfacher Signalisation ausgeht, welche der Beschwerdeführer übersehen hat und, die sie darin erblickt, dass die generelle Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h beidseits der Strasse signalisiert war. Jedenfalls ist es nicht willkürlich anzunehmen, dass der Beschwerdeführer gerade angesichts der ihm nicht vertrauten Strecke besonderes Augenmerk auf die Strassenschilder hätte richten müssen. Auch die vorinstanzlichen Ausführungen zum Streckenabschnitt, welche der Beschwerdeführer an sich nicht bestreitet, sowie die Schlussfolgerung daraus, dass die gefahrene Geschwindigkeit von 82 km/h ein rücksichtsloses Verhalten bildet, sind nachvollziehbar.
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Soweit der Beschwerdeführer die Erkennbarkeit einer Innerortsstrecke in Abrede stellt und geltend macht, darauf hätte nichts hingedeutet, entfernt er sich vom für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt (vgl. oben E. 1.2.1), ohne Willkür darzutun. Die in diesem Zusammenhang von ihm angerufenen Urteile des Bundesgerichts sind damit insoweit von vornherein nicht einschlägig. Im Unterschied zum Sachverhalt, welcher namentlich dem Urteil 6B_109/2008 vom 13. Juni 2008 zugrunde lag, handelt es sich vorliegend auch nicht um eine bloss vorübergehende Geschwindigkeitsbeschränkung auf einer Autobahn infolge Feinstaubbelastung. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist zudem nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Beschaffenheit der Strasse für die Annahme von Rücksichtslosigkeit nicht entscheidend. Diese beurteilt sich vielmehr nach der Gesamtheit der konkreten Umstände. Dass die Vorinstanz diese falsch, geschweige denn willkürlich gewürdigt hätte, ist, wie dargestellt, nicht ersichtlich oder dargetan. An der vorinstanzlich zu Recht bejahten Rücksichtslosigkeit ändert auch nichts, dass der Beschwerdeführer nicht bewusst fahrlässig handelte. Darauf kann es nicht ankommen. Wollte man der Argumentation des Beschwerdeführers folgen, wäre der Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG bei unbewusster Fahrlässigkeit nicht anwendbar. Wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, hätte der Beschwerdeführer hinsichtlich der Signalisation aufmerksamer sein müssen und einen möglichen Irrtum über die zulässige Höchstgeschwindigkeit sowie den Innerortscharakter des Strassenabschnitts damit leicht vermeiden können. Entsprechend schwer wiegt sein Verschulden und umso eher ist Rücksichtslosigkeit zu bejahen (vgl. oben E. 1.1.1; BGE 142 IV 93 E. 3.1). Gleichfalls zutreffend ist schliesslich, dass unter den gegebenen Umständen mit einbiegenden Fahrzeugen zu rechnen war und, dass diese kein mit über 80 km/h herannahendes Fahrzeug erwarten mussten. Diesbezüglich genügt zudem eine erhöht abstrakte Gefahr (oben E. 1.1.1), was der Beschwerdeführer mit seinem Hinweis auf das geringe Verkehrsaufkommen zu verkennen scheint.
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2. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 3'000.--.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 13. Oktober 2020
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Matt
 
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