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Informationen zum Dokument  BGer 1B_415/2020  Materielle Begründung
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BGer 1B_415/2020 vom 12.10.2020
 
 
1B_415/2020
 
 
Urteil vom 12. Oktober 2020
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Chaix, Präsident,
 
Bundesrichter Kneubühler,
 
Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiberin Hänni.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Steininger,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, Abteilung für schwere Gewaltkriminalität, Molkenstrasse 15/17, 8004 Zürich.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Auftrag zur psychiatrischen Begutachtung,
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 14. Juli 2020 (UH200016).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich (nachfolgend Staatsanwaltschaft) führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen mehrfacher Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie weiterer Delikte. Mit Verfügung vom 8. Januar 2020 ernannte die Staatsanwaltschaft Dr. med. B.________ zum Gutachter und Dr. med. C.________ zur Gutachterin und erteilte ihnen den Auftrag zur psychiatrischen Begutachtung der Beschwerdeführerin.
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B. Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 14. Juli 2020 ab, soweit es darauf eintrat.
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C. Mit Eingabe vom 11. August 2020 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Sie beantragt, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 14. Juli 2020 sei vollumfänglich aufzuheben und die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, (a) ein neurologisches Gutachten betreffend Schuldfähigkeit, Rückfallgefahr und Ausführungsgefahr der Beschwerdeführerin in Auftrag zu geben, und (b) den bereits an Dr. med. B.________ und Dr. med. C.________ erteilten Gutachterauftrag bezüglich eines psychiatrischen Gutachtens zurückzuziehen.
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Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft verzichten auf eine Stellungnahme.
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Erwägungen:
 
1. Die Beschwerde an das Bundesgericht richtet sich gegen einen Beschwerdeentscheid über eine prozessleitende Verfügung der verfahrensleitenden Staatsanwaltschaft in einem strafprozessualen Untersuchungsverfahren. Der angefochtene Beschwerdeentscheid ist kantonal letztinstanzlich (vgl. Art. 80 BGG). Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG offen. Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen und hat als beschuldigte Person ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids. Sie ist damit zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG).
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2.
 
2.1. Die Beschwerde in Strafsachen ist zulässig gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG), sowie gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren (Art. 92 Abs. 1 BGG). Gegen andere selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist sie hingegen gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG nur zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Ist die Beschwerde nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, bleibt ein Zwischenentscheid im Rahmen einer Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, sofern er sich auf dessen Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG).
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Vorliegend wird nicht bestritten, dass der angefochtene Entscheid das Verfahren nicht abschliesst, sondern einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid darstellt.
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2.2. Die selbstständige Anfechtbarkeit von Vor- und Zwischenentscheiden bildet aus prozessökonomischen Gründen eine Ausnahme vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht als oberste rechtsprechende Behörde des Bundes mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen soll (BGE 144 III 475 E. 1.2 S. 479; 142 III 798 E. 2.2 S. 801; Urteil 6B_1014/2019 vom 22. Juni 2020 E. 1.2.2). Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG liegt vor, wenn er auch durch einen für die beschwerdeführende Partei günstigen späteren Entscheid nicht mehr oder nicht vollständig behoben werden kann (BGE 141 IV 289 E. 1.2 mit Hinweis). Der Nachteil muss rechtlicher Natur sein, wobei dessen blosse Möglichkeit genügt. Dagegen reichen rein tatsächliche Nachteile wie eine Verfahrensverlängerung oder -verteuerung grundsätzlich nicht aus (BGE 144 IV 321 E. 2.3 S. 329; 143 IV 175 E. 2.3 S. 177; Urteil 6B_1014/2019 vom 22. Juni 2020 E. 1.2.2). Nach Art. 42 Abs. 2 BGG haben Beschwerdeführende bei der Anfechtung von Zwischenentscheiden die Tatsachen anzuführen, aus denen sich der nicht wiedergutzumachende Nachteil ergeben soll, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 141 IV 284 E. 2.3 mit Hinweisen; Urteil 6B_1014/2019 vom 22. Juni 2020 E. 1.2.2).
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2.3. Die Beschwerdeführerin macht vorliegend geltend, einzig ein neurologisches Gutachten sei zweckdienlich, um neue Erkenntnisse über ihren Gesundheitszustand zu Tage zu bringen. Ein erneutes psychiatrisches Gutachten - wie von der Staatsanwaltschaft angeordnet - führe hingegen zu einer Verfahrensverzögerung und erhöhe ausserdem die bereits enormen Kosten für Gutachten.
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Die Beschwerdeführerin bringt somit lediglich vor, der angefochtene Entscheid führe zu einer Verfahrensverlängerung und -verteuerung. Dies reicht grundsätzlich nicht aus, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu begründen (vgl. oben E. 2.2). Darüber hinaus macht sie jedoch keinen rechtlichen Nachteil geltend und führt auch in keiner Weise aus, inwiefern die Anordnung des psychiatrischen Gutachtens das Verfahren nicht nur verlängert, sondern dieses dermassen verlängert, dass dadurch das Beschleunigungsgebot verletzt wäre. Dies ist auch nicht ersichtlich, zumal durch das Gutachten gemäss Vorinstanz insbesondere die Wiederholungs- und Ausführungsgefahr abgeklärt werden soll und somit einen allenfalls positiven Einfluss auf das Haftverfahren haben kann.
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Im Übrigen ist auch mit Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht ersichtlich, inwiefern die Anordnung des psychiatrischen Gutachtens vorliegend einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil für die Beschwerdeführerin darstellen könnte (vgl. zur Kasuistik anfechtbarer Zwischenentscheide: Urteile 1B_230/2019 vom 8. Oktober 2019 E. 1.5; 1B_520/2017 vom 7. Juli 2018 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 144 I 253). Schliesslich steht es der Beschwerdeführerin offen, den Antrag, es seien zusätzliche neurologische Abklärungen zu treffen, bei der Staatsanwaltschaft zu wiederholen.
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2.4. Somit liegt kein nicht wieder gutzumachender Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG vor. Die Gutheissung der Beschwerde kann auch nicht sofort einen Endentscheid herbeiführen (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten.
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3. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann angesichts der Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht entsprochen werden (Art. 64 BGG). Damit sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin als unterliegende Partei aufzuerlegen (Art. 66 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 12. Oktober 2020
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Chaix
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni
 
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