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Informationen zum Dokument  BGer 8C_429/2020  Materielle Begründung
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BGer 8C_429/2020 vom 02.09.2020
 
 
8C_429/2020
 
 
Urteil vom 2. September 2020
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Abrecht,
 
Gerichtsschreiberin Betschart.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Unia Arbeitslosenkasse,
 
Strassburgstrasse 11, 8004 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Arbeitslosenversicherung (Beitragszeit),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 4. Juni 2020 (AVI 2020/7).
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________, geboren 1957, von Beruf Lehrer, bezog vom 7. August 2017 bis 6. August 2019 Leistungen der Arbeitslosenversicherung und leistete in dieser Zeit mehrere befristete Arbeitseinsätze als Stellvertreter von Lehrpersonen (Vikar) an verschiedenen Schulen. Per 7. August 2019 stellte er bei der Unia Arbeitslosenkasse (im Folgenden: Kasse) Antrag auf eine Folgerahmenfrist für den Bezug von Arbeitslosenentschädigung. Die Kasse wies den Antrag mit Verfügung vom 1. Oktober 2019 mangels Erfüllung der Mindestbeitragszeit von zwölf Monaten innerhalb der dafür vorgesehenen zweijährigen Rahmenfrist ab. Sie bestätigte diese Verfügung im Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2019.
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B. Mit Entscheid vom 4. Juni 2020 wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die dagegen erhobene Beschwerde ab.
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C. A.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt sinngemäss, der Entscheid des Versicherungsgerichts und der Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2019 seien aufzuheben und es seien ihm die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.
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Das Bundesgericht holte die vorinstanzlichen Akten ein. Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
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Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an   (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253; 140 III 264 E. 2.3 S. 266; Urteil 8C_812/2019 vom 19. Mai 2020 E. 2.4).
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1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2. Vorab scheint der Beschwerdeführer an der Unabhängigkeit der mit der Sache befassten Einzelrichterin des kantonalen Versicherungsgerichts zu zweifeln, wenn er geltend macht, diese "sei Mitglied des staatlichen St. Galler Verwaltungsapparats [...] (und im Nebenamt noch bei einer Fachstelle für die Gleichstellung engagiert) ". Sollte dies als Rüge der Befangenheit zu verstehen sein, wäre darauf bereits in Ermangelung einer entsprechenden Begründung (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nicht einzutreten.
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3. Die Vorinstanz hat die Bestimmungen zur Erfüllung der Beitragszeit (Art. 13 Abs. 1 und Abs. 4 AVIG in Verbindung mit Art. 12a und 8 AVIV) als eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG) und zu den Rahmenfristen (Art. 9 AVIG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen   (Art. 109 Abs. 3 BGG).
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4. 
9
4.1. In pflichtgemässer Würdigung der Aktenlage hat das kantonale Gericht mit einlässlicher und nachvollziehbarer Begründung, auf die verwiesen wird (Art. 109 Abs. 3 BGG), erkannt, dass die erforderliche Beitragszeit von mindestens zwölf Monaten in der Rahmenfrist für die Beitragszeit vom 7. August 2017 bis 6. August 2019 nicht erfüllt ist, weil der Beschwerdeführer nur während 10.46 Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung als Vikar ausgeübt hat. Zum Argument des Beschwerdeführers, es seien die für die jeweiligen Arbeitseinsätze erforderlichen Vor- und Nachbereitungszeiten ebenfalls als Beitragszeit anzurechnen, führte das Versicherungsgericht im Wesentlichen aus, dieser Aufwand gehöre - auch nach dem Verständnis des Beschwerdeführers - zum Lehrerberuf und werde mit dem während des Arbeitsverhältnisses bezahlten Lohn abgegolten. Zudem leiste die Lehrperson während diesen Zeiträumen keine zusätzlichen Beiträge an die Arbeitslosenversicherung. Folglich könne keine Ausdehnung der Beitragszeit vorgenommen werden. Nach der Vorinstanz finden sodann die erleichterten Anforderungen an die Beitragszeit im Sinn von Art. 13 Abs. 4 AVIG in Verbindung mit Art. 12a und 8 AVIV keine Anwendung, weil der Lehrerberuf - im Gegensatz zu den in Art. 8 AVIV genannten Berufsgruppen aus dem Bereich der Kunst- und Kulturschaffenden (vgl. BGE 137 V 126) - grundsätzlich nicht auf häufig wechselnde, kurzfristige Anstellungen ausgerichtet sei. Auch der Beschwerdeführer habe nicht bloss eine vorübergehende Anstellung als Stellvertreter sondern eine Festanstellung gesucht, jedoch lediglich kurze Vikariate von wenigen Monaten Dauer gefunden.
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4.2. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag nicht zu überzeugen.
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4.2.1. Bezüglich des Mehraufwands für Vor- und Nachbereitung gilt es zu beachten, dass nach der Rechtsprechung die effektiv geleistete Arbeitszeit in Anzahl Stunden bei der Beurteilung, ob ein Beitragsmonat erfüllt ist, in Bezug auf das einzelne Arbeitsverhältnis lediglich eine untergeordnete Rolle spielt. Entscheidend für die Bestimmung der Beitragsmonate ist vielmehr die formale Dauer des Arbeitsverhältnisses. Erbringt die versicherte Person im Rahmen eines sich über mehrere Monate erstreckenden Arbeitsverhältnisses regelmässig oder unregelmässig eine Arbeitsleistung, so gilt jeder Kalendermonat, in dem Arbeit geleistet wird, als Beitragsmonat, während jene Kalendermonate innerhalb dieses Arbeitsverhältnisses ausser Betracht fallen, in denen die versicherte Person an gar keinem Tag gearbeitet hat (BGE 121 V 165 E. 2c/bb S. 170 mit Hinweis). Ausschlaggebend für die Ermittlung der Anzahl Beitragsmonate ist somit, ob eine Arbeitsleistung, die sich auf mehrere in zeitlichem Abstand voneinander erbrachte Einsätze verteilt, im Rahmen eines einzigen (Teilzeit-) Arbeitsverhältnisses oder von Einzeleinsätzen mit je neuem Arbeitsvertrag erbracht wurde (Urteile 8C_335/2016 vom 23. August 2016 E. 3.2 mit Hinweisen). Nicht entscheidend ist, ob die geleisteten Arbeitsstunden tatsächlich einen vollen Arbeitstag ergeben (BGE 122 V 256 E. 4c/bb S. 263; 121 V 165 E. 2c/bb S. 170; zum Ganzen s. auch Urteil 8C_127/2017 vom 13. Juni 2017 E. 2.2). Zwar kann das Abstellen auf den Beitragsmonat als massgebendes Kriterium dazu führen, dass eine versicherte Person mit zwölf Arbeitstagen verteilt auf zwölf Monate innert der zweijährigen Rahmenfrist die Beitragszeit erfüllt (vgl. explizit BGE 121 V 165 E. 2c/bb S. 170 bezüglich der damals erforderlichen Beitragszeit von sechs Monaten), bei ungleich mehr beitragspflichtigen Beschäftigungstagen oder Arbeitsstunden im Rahmen verschiedener kurzfristiger Arbeitsverhältnisse hingegen nicht. Dieses Ergebnis ist jedoch vom Gesetzgeber gewollt (Urteil 8C_20/2008 vom 26. August 2008 E. 4.2; vgl. Urteil 8C_706/2017 vom 24. November 2017 E. 7.2), auch wenn es sich, wie der Beschwerdeführer sinngemäss darlegt, im Einzelfall zu Ungunsten des Versicherten auswirken kann. Im Übrigen übersieht der Beschwerdeführer, dass der von ihm behauptete Mehraufwand umfangmässig weder substanziiert dargetan noch nachgewiesen ist.
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4.2.2. Bezüglich der Anwendbarkeit von Art. 12a AVIV verfängt der Einwand des Beschwerdeführers nicht, die Vorinstanz sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass er sich nur auf Stellvertretungen beworben habe (s. E. 4.1). Zutreffend ist sodann die Feststellung der Vorinstanz, dass die Vikariate nicht in die Schulferienzeiten fielen. Daran ändert mit Blick auf das eben Gesagte nichts, dass der Beschwerdeführer angeblich auch während der Schulferien gewisse Vor- oder Nachbereitungsarbeiten erledigte. Schliesslich zählte die Vorinstanz den Lehrerberuf zu Recht nicht zu den Berufen gemäss Art. 13 Abs. 4 ATSG in Verbindung mit Art. 12a und 8 AVIV, in denen häufige Wechsel oder befristete Anstellungen üblich sind. Nach der Rechtsprechung ist den in Art. 8 AVIV definierten Berufsgruppen eigen, dass ihre Arbeit durch unregelmässige, kurz- oder längerfristige Einsätze mit (möglichen) Arbeitsausfällen zwischen zwei Engagements gekennzeichnet ist und die Tätigkeit mitunter aufgrund ihres produktions- und projektbezogenen Charakters nicht immer planbar ist; demnach bringt die Unregelmässigkeit der Tätigkeiten naturgemäss Beschäftigungslücken mit sich oder kann sie zumindest mit sich bringen (BGE 137 V 126 E. 4.4 S. 131). Dem Lehrerberuf kommt demgegenüber kein produktions- und projektbezogener Charakter zu, vielmehr wird er gewöhnlich im Rahmen einer Festanstellung ausgeübt. Insofern unterscheidet er sich von den in Art. 8 AVIV beschriebenen Berufsgruppen. Dass der Beschwerdeführer nur befristete Einsätze als Vikar leisten konnte, hängt mithin nicht mit den Eigenschaften der Berufskategorie zusammen.
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4.2.3. Damit erweisen sich die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht als mangelhaft im Sinn von Art. 97 Abs. 1 BGG, und ihre rechtliche Würdigung erweist sich als bundesrechtskonform. Daran vermögen auch die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers nichts zu ändern. Die Beschwerde ist somit abzuweisen.
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4.2.4. Die Beschwerde hatte keine Aussicht auf Erfolg, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG als offensichtlich unbegründet (Abs. 2 lit. a), mit summarischer Begründung, unter Verweis auf den vorinstanzlichen Entscheid (Abs. 3) und ohne Durchführung eines Schriftenwechsels erledigt wird.
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5. Der unterliegende Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Prozessführung kann wegen der Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung I, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 2. September 2020
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Betschart
 
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