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Informationen zum Dokument  BGer 6B_416/2020  Materielle Begründung
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BGer 6B_416/2020 vom 20.08.2020
 
 
6B_416/2020
 
 
Urteil vom 20. August 2020
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Muschietti,
 
Bundesrichterin Koch,
 
Gerichtsschreiber Matt.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Diego Cavegn,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Kosten- und Entschädigung (Verfahrenseinstellung),
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
 
des Kantons Nidwalden, Beschwerdeabteilung in Strafsachen, vom 5. März 2020 (BAS 19 20).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Auf Anzeige vom 14. September 2016 hin eröffnete die Staatsanwaltschaft Nidwalden ein Strafverfahren gegen A.________ wegen Steuerbetrugs, stellte dieses aber am 30. Oktober 2019 unter Kostenauflage an den Beanzeigten und ohne Ausrichtung einer Entschädigung ein. Dessen dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Nidwalden am 5. März 2020 ab.
1
B. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, ihm seien für das Strafverfahren Fr. 16'893.10 Entschädigung und Fr. 2'000.-- Genugtuung zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen.
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Erwägungen:
 
1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Begründungspflicht, des Willkürverbots sowie von Bundesrecht.
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1.1.
 
1.1.1. Gemäss Art. 426 Abs. 1 StPO trägt die beschuldigte Person die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird. Wird das Verfahren eingestellt oder die beschuldigte Person freigesprochen, so können ihr die Verfahrenskosten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat (Art. 426 Abs. 2 StPO). Unter denselben Voraussetzungen kann die Strafbehörde die der beschuldigten Person bei Verfahrenseinstellung grundsätzlich auszurichtende Entschädigung oder Genugtuung (Art. 429 Abs. 1 StPO) herabsetzen oder verweigern (Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO).
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Nach der Rechtsprechung verstösst eine Kostenauflage bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens gegen die Unschuldsvermutung (Art. 10 Abs. 1 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK), wenn der beschuldigten Person in der Begründung des Kostenentscheids direkt oder indirekt vorgeworfen wird, es treffe sie ein strafrechtliches Verschulden. Damit käme die Kostenauflage einer Verdachtsstrafe gleich. Dagegen ist es mit Verfassung und Konvention vereinbar, einer nicht verurteilten beschuldigten Person die Kosten zu überbinden, wenn sie in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise, d.h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze, eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm, die sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung ergeben kann, klar verletzt und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. In tatsächlicher Hinsicht darf sich die Kostenauflage nur auf unbestrittene oder bereits klar nachgewiesene Umstände stützen. Das Verhalten einer angeschuldigten Person ist widerrechtlich, wenn es klar gegen Normen der Rechtsordnung verstösst, die sie direkt oder indirekt zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen verpflichten (vgl. Art. 41 Abs. 1 OR). Vorausgesetzt sind regelmässig qualifiziert rechtswidrige, rechtsgenüglich nachgewiesene Verstösse. Die Verfahrenskosten müssen mit dem zivilrechtlich vorwerfbaren Verhalten in einem adäquat-kausalen Zusammenhang stehen (BGE 144 IV 202 E. 2.2; Urteil 6B_1094/2019 vom 25. Juni 2020 E. 2.2; je mit Hinweisen). Die beschuldigte Person trägt daher nach Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO mangels adäquaten Kausalzusammenhangs die Verfahrenskosten nicht, die der Bund oder der Kanton durch unnötige oder fehlerhafte Verfahrenshandlungen verursacht hat. Diese müssen aber bei objektiver Betrachtung schon im Voraus unnötig oder fehlerhaft sein (Urteil 6B_1255/2016 vom 24. Mai 2017 E. 1.3).
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1.1.2. Das Bundesgericht prüft frei, ob der Kostenentscheid direkt oder indirekt den Vorwurf strafrechtlicher Schuld enthält und ob die beschuldigte Person in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnormen klar verstiess und dadurch das Strafverfahren veranlasste. Unter Willkürgesichtspunkten prüft es die diesbezügliche Sachverhaltsfeststellung sowie gegebenenfalls kantonales Recht (BGE 144 IV 202 E. 2.2; 120 Ia 147 E. 3b; 119 Ia 332 E. 1b; 112 Ia 371 E. 2a; Urteil 6B_732/2019 vom 5. Juni 2020 E. 1.1 mit Hinweis).
6
 
1.2.
 
1.2.1. Die Vorinstanz begründet die Kostenauflage an den Beschwerdeführer damit, dass er resp. sein Treuhänder dem Steueramt im Rahmen der Veranlagung 2011 unter anderem ein nachträglich erstelltes, wahrheitswidriges Memorandum betreffend den Erwerb von 49.5% des Aktienkapitals der Garage B.________ SA eingereicht hätten. Tatsächlich habe gemäss Aktenlage weder eine Forderung des Beschwerdeführers gegenüber seinem Geschäftspartner (C.________) bestanden noch sei die Übertragung der Aktien durch C.________ an den Beschwerdeführer an Zahlungs- statt für diese Forderung erfolgt. Mit der Einreichung des tatsachenwidrigen Memorandums im Veranlagungsverfahren habe der Beschwerdeführer eine vollständige und richtige Veranlagung durch das Steueramt verhindert bzw. erschwert und seine gesetzliche Mitwirkungspflicht nach Art. 126 Abs. 1 und 2 DBG sowie Art. 194 des Steuergesetzes des Kantons Nidwalden verletzt. Dieses Verhalten sei nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, den Verdacht auf Steuerdelikte zu erwecken. Der Beschwerdeführer habe das Strafverfahren daher in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise verursacht, sodass er dessen Kosten zu tragen habe.
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Nach dem vorstehend Gesagten ist nicht ersichtlich, dass die Vorinstanz ihre Begründungspflicht verletzt haben soll (vgl. dazu BGE 143 III 65 E. 5.2; 141 III 28 E. 3.2.4; 139 IV 179 E. 2.2; 138 IV 81 E. 2.2; je mit Hinweisen; Urteil 6B_648/2020 vom 15. Juli 2020 E. 3.3.1). Sie nennt vielmehr die wesentlichen Überlegungen, von denen sie sich hat leiten lassen und auf die sie ihren Entscheid stützt. Der Beschwerdeführer konnte sich gestützt darauf ohne Weiteres über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen. Entgegen seiner Auffassung enthält die vorinstanzliche Begründung sowohl das ihm vorgeworfene Verhalten, womit er die korrekte Veranlagung erschwert haben soll, als auch Ausführungen zum Kausalzusammenhang zwischen diesem Verhalten und der Eröffnung des Strafverfahrens. Ebenso äussert sich die Vorinstanz zu den vom Beschwerdeführer als unnötig gerügten Kosten eines Gutachtens. Ob die Begründung zutrifft, ist hingegen keine Frage des rechtlichen Gehörs.
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1.2.2. Der Beschwerdeführer bringt sodann nichts vor, was die vorinstanzliche Annahme, wonach das im Veranlagungsverfahren eingereichte Memorandum tatsachenwidrig sei, als willkürlich erscheinen liesse. Er führt im Gegenteil selber aus, "dass die Abtretung des Aktienanteils von 49.5% - entgegen dem Memorandum - nicht an Zahlungsstatt erfolgt" sei. Damit aber ist die Wahrheitswidrigkeit des Memorandums erstellt, wird darin doch anscheinend die Übertragung der Aktien an Zahlungsstatt behauptet. Weiter räumt der Beschwerdeführer ein, dass die Vereinbarung gemäss Memorandum mit dem tatsächlichen Aktiendeal nicht deckungsgleich sei. Dies lässt zwar nicht zwingend auf ein nachträgliches Erstellen des Memorandums schliessen, doch ist die entsprechende Annahme der Vorinstanz nachvollziehbar und damit nicht willkürlich. Ebenso wenig belegt der blosse Umstand, dass sein Geschäftspartner dem Beschwerdeführer einen Aktienanteil überlassen hat, die Richtigkeit des Memorandums oder den Bestand und die Rechtsgründe für eine Forderung des Beschwerdeführers. Dieser war zudem, entgegen seiner Auffassung, in der Pflicht, die Umstände zu belegen, aus denen er Rechte, nämlich eine geringere Steuerschuld resp. einen steuerfreien Kapitalgewinn, ableitet.
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Geht die Vorinstanz somit nachvollziehbar von der Wahrheitswidrigkeit des Memorandums aus, so ist gleichfalls erstellt, dass der Beschwerdeführer mit dessen Einrechen die korrekte Veranlagung erschwert und seine Mitwirkungspflichten gemäss Art. 126 Abs. 1 und 2 DBG verletzt hat. Demnach muss der Steuerpflichtige alles tun, um eine vollständige und richtige Veranlagung zu ermöglichen, namentlich auf Verlangen der Veranlagungsbehörde mündlich oder schriftlich Auskunft erteilen, Geschäftsbücher, Belege und weitere Bescheinigungen sowie Urkunden über den Geschäftsverkehr vorlegen. An der Pflichtverletzung ändert nichts, dass das Memorandum gemäss Einstellungsverfügung "bei der Veranlagung absolut keine Rolle" gespielt habe, wie der Beschwerdeführer ausführt. Dies bedeutet nicht, dass es nicht unwahr resp. irreführend gewesen sein und die Veranlagung nicht erschweren konnte.
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1.2.3. Die Vorinstanz verletzt schliesslich kein Bundesrecht, wenn sie gestützt auf den willkürfrei erstellten Sachverhalt annimmt, der Beschwerdeführer habe in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise, mithin rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt und daher dessen Kosten zu tragen. Seinem Einwand zum Trotz ist insbesondere ein genügender Kausalzusammenhang zwischen dem ihm resp. seinem Treuhänder vorgeworfenen Verhalten, das er sich als eigenes anrechnen lassen muss, und der Einleitung eines Strafverfahrens klar erfüllt. Wie die Vorinstanz nachvollziehbar ausführt, ist die Einreichung wahrheitswidriger Unterlagen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, den Verdacht auf Steuerdelikte zu erwecken. Dass das Memorandum offenbar nicht unterzeichnet war, ändert nichts. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass eine sorgfältig agierende Staatsanwaltschaft unter diesen Umständen schlechterdings kein Verfahren hätte eröffnen dürfen. Der Beschwerdeführer begründet ferner nicht, weshalb ein Gutachten bei objektiver Betrachtung schon im Voraus unnötig gewesen sein soll (vgl. oben E. 1.1.1). Er hat auch diese Kosten zu tragen.
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2. Die Beschwerde ist abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 3'000.--.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden, Beschwerdeabteilung in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. August 2020
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Matt
 
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