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Informationen zum Dokument  BGer 1B_547/2019  Materielle Begründung
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BGer 1B_547/2019 vom 05.08.2020
 
 
1B_547/2019
 
 
Urteil vom 5. August 2020
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kneubühler, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Müller, Merz,
 
Gerichtsschreiber Härri.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Advokat Dr. Stefan Suter,
 
gegen
 
Amt für Justizvollzug des Kantons Basel-Stadt,
 
Straf- und Massnahmenvollzug.
 
Gegenstand
 
Anwaltsbesuche mit Trennscheibe,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts
 
des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht,
 
Dreiergericht, vom 23. Oktober 2019 (VD.2019.133).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Am 11. Januar 2018 erkannte das Strafgericht Basel-Stadt A.________ schuldig der versuchten Körperverletzung, der mehrfachen einfachen Körperverletzung, der mehrfachen Tätlichkeiten, der mehrfachen Nötigung, der Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie der Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes. Es erklärte eine am 12. Juli 2013 gegen A.________ bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe von 8 Monaten als vollziehbar und und verurteilte ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 ¼ Jahren und einer Busse von Fr. 2'000.--.
1
Auf Berufung von A.________ und der Staatsanwaltschaft hin erhöhte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 27. Februar 2019 die Freiheitsstrafe auf 4 ½ Jahre und bestätigte die Busse von Fr. 2'000.--.
2
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen wies das Bundesgericht am 27. April 2020 ab, soweit es darauf eintrat (Urteil 6B_745/2019).
3
B. A.________ befand sich seit dem 15. März 2017 in Untersuchungshaft, seit dem 15. August 2017 im vorzeitigen Strafvollzug. Ab dem 20. September 2017 wurde dieser in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Thorberg vollzogen.
4
Am 7. Mai 2019 teilte die JVA Thorberg dem Amt für Justizvollzug des Kantons Basel-Stadt (im Folgenden: Amt) mit, es müsse davon ausgegangen werden, dass A.________ in schwere sicherheitsrelevante Verstösse gegen die geltenden Regeln sowie die Ordnung und Sicherheit in der JVA Thorberg verwickelt sei. Sie sehe sich deshalb gezwungen, ihn spätestens am 10. Mai 2019 aus der JVA Thorberg zu verlegen.
5
Am 10. Mai 2019 wies das Amt A.________ gleichentags in die Sicherheitsabteilung II der JVA Lenzburg (im Folgenden: SITRAK II) ein. Einem allfälligen Rekurs entzog es die aufschiebende Wirkung.
6
Dagegen erhob A.________ Rekurs. Diesen wies das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt am 25. Juni 2019 ab.
7
Den von A.________ hiergegen eingereichten Rekurs wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (als Verwaltungsgericht) am 23. Oktober 2019 ab. Es erachtete seine Verlegung in den SITRAK II als rechtmässig. Es erwog, der Umstand, dass die Unterredungen zwischen A.________ und seinem Verteidiger im Besuchsraum des SITRAK II mit Trennscheibe stattfinden müssten, bedeute keine Einschränkung des Anspruchs auf unbeaufsichtigten Verkehr mit dem Verteidiger. Dass Dokumente an die Scheibe gehalten werden müssten, wenn der Verteidiger seinen Mandanten damit konfrontieren wolle, stelle einen geringfügigen Eingriff dar, der aufgrund zwingender staatlicher Sicherheitsinteressen hingenommen werden müsse (E. 3.6.2).
8
C. A.________ führt beim Bundesgericht Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichts vom 23. Oktober 2019 aufzuheben, soweit dieses die Einschränkung des Verkehrs mit dem Verteidiger durch Trennscheibe (und Mikrofon) im SITRAK II gebilligt habe; die kantonalen Behörden seien anzuweisen, Besuche des Verteidigers ohne Trennscheibe zu gewährleisten.
9
D. Das Appellationsgericht und das Amt haben sich je vernehmen lassen. Das Appellationsgericht beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten; eventualiter sei sie abzuweisen. Das Amt beantragt die Abweisung der Beschwerde.
10
A.________ hat dazu Stellung genommen.
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Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig.
12
 
1.2.
 
1.2.1. Im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids lag das bundesgerichtliche Urteil 6B_745/2019 vom 27. April 2020 noch nicht vor. Der Beschwerdeführer war somit noch nicht rechtskräftig verurteilt, sondern Straftaten erst beschuldigt.
13
Gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer (a) vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat (...) und (b) ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, insbesondere die beschuldigte Person. Auch Letztere ist nur zur Beschwerde befugt, soweit sie ein rechtlich geschütztes Interesse hat (BGE 133 IV 121 E. 1.1 S. 123). Dabei muss es sich um ein aktuelles und praktisches Interesse handeln (BGE 140 IV 74 E. 1.3.1 S. 77 mit Hinweis).
14
Der Beschwerdeführer wurde am 5. November 2019, also vor der Erhebung der vorliegenden Beschwerde in Strafsachen, in den Normalvollzug zurückverlegt. Damit hat er kein aktuelles praktisches Interesse an der Behandlung der Beschwerde. Das Bundesgericht verzichtet jedoch ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage jederzeit und unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum möglich wäre und die Beantwortung der Frage wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 142 I 135 E. 1.3.1 S. 143 mit Hinweisen).
15
1.2.2. Aus folgenden Erwägungen steht nicht fest, ob sich die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen in einem Fall wie hier je wieder stellen werden.
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Verfahrensgegenstand vor der Vorinstanz war einzig die Verlegung des Beschwerdeführers in den SITRAK II. Die Vorinstanz geht offenbar davon aus, im SITRAK II seien Unterredungen mit dem Verteidiger nur mit Trennscheibe möglich. Dies trifft nicht zu. Wie sich der Vernehmlassung des Amtes mitsamt Beilagen entnehmen lässt, finden die Besuche im SITRAK II hinter einer Trennscheibe statt. Der Direktor der JVA kann jedoch Ausnahmen bewilligen, wenn wichtige Gründe vorliegen. Mit Schreiben vom 24. Juli 2019 ersuchte der Beschwerdeführer das Amt um die Anordnung, dass Besuche ab sofort ohne Trennscheibe stattfinden können; andernfalls sei eine beschwerdefähige Verfügung zu erlassen. Das Amt wies die Eingabe am 30. Juli 2019 zuständigkeitshalber an den Direktor der JVA Lenzburg weiter. Dieser forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 17. August 2019 auf, die wichtigen Gründe darzutun. Ob und wie der Beschwerdeführer darauf reagiert hat, lässt sich den Akten nicht entnehmen und legt er in der Replik nicht dar. Wie es sich damit verhält, braucht nicht abgeklärt zu werden. Jedenfalls kann jeder Beschuldigte, der sich in der gleichen Situation wie damals der Beschwerdeführer befindet, den Direktor der JVA darum ersuchen, die Unterredung mit dem Verteidiger im SITRAK II ohne Trennscheibe zu bewilligen. Es ist ohne Weiteres denkbar, dass der Direktor der JVA im Lichte der Bundesverfassung (Art. 32 Abs. 2), der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 Abs. 3 lit. b) und des Gesetzes (Art. 235 Abs. 4 StPO; Art. 84 Abs. 4 StGB) wichtige Gründe bejaht und dem Gesuch stattgibt. Tut er das, stellen sich die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen nicht. Das Bundesgericht würde hier folglich allenfalls rein theoretische Fragen behandeln. Das ist nicht seine Aufgabe (BGE 140 IV 74 E. 1.3.1 S. 77 mit Hinweis). Von praktischer Relevanz wären die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen erst, wenn der Direktor der JVA in Fällen wie hier den Besuch des Verteidigers ohne Trennscheibe ablehnen sollte. Diesfalls könnte der Betroffene jedoch dagegen den Rechtsmittelweg beschreiten und die Sache letztinstanzlich dem Bundesgericht vorlegen (§ 14 Abs. 2 der Verordnung vom 21. Januar 2004 des Kantons Aargau über die Organisation der Justizvollzugsanstalt Lenzburg [SAR 253.331]; Art. 78 ff. BGG). Damit könnte sich dieses zu den vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen äussern. Aus den dargelegten Gründen besteht dazu im gegenwärtigen Zeitpunkt kein Anlass.
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Auf die Beschwerde wird deshalb nicht eingetreten.
18
 
2.
 
Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG. Da die Beschwerde aus formellen Gründen aussichtslos war, kann das Gesuch nicht bewilligt werden. In Anbetracht der finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers rechtfertigt es sich jedoch, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).
19
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Justizvollzug des Kantons Basel-Stadt, Straf- und Massnahmenvollzug, und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 5. August 2020
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Kneubühler
 
Der Gerichtsschreiber: Härri
 
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