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Informationen zum Dokument  BGer 5A_474/2020  Materielle Begründung
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BGer 5A_474/2020 vom 12.06.2020
 
 
5A_474/2020
 
 
Urteil vom 12. Juni 2020
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, präsidierendes Mitglied,
 
Gerichtsschreiber Möckli.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Remo Gilomen,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.________,
 
vertreten durch Fürsprecherin Franziska Jöhr Batt,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
aufschiebende Wirkung (Eheschutz),
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Zivilkammer, vom 15. Mai 2020
 
(ZK 20 213, ZK 20 214, ZK 20 215).
 
 
Sachverhalt:
 
Mit Eheschutzentscheid vom 24. April 2020 stellte das Regionalgericht Bern-Mittelland die am 13. März 2008 geborene Tochter für die Dauer der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes unter die alternierende Obhut der rubrizierten Parteien, unter Regelung der Betreuungszeiten; sodann setzte es den Kindesunterhalt fest.
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Dagegen reichte die Mutter eine Berufung ein und sie verlangte im Berufungsverfahren die aufschiebende Wirkung. Das betreffende Gesuch wies das Obergericht des Kantons Bern mit Verfügung vom 15. Mai 2020 ab. Zur Begründung hielt es fest: "Bei aufschiebender Wirkung würde der regelungslose Zustand fortdauern, was der Stabilität der Verhältnisse nicht dient. Die Nachteile für die Berufungsklägerin und das Kind sind zudem nicht gravierend tangiert, ist doch kein Schul- oder Wohnungswechsel nötig. Gegebenenfalls werden die beantragten Regelungen ohne grossen Aufwand und Anpassungen trotz fehlender aufschiebender Wirkung umgesetzt werden können." Gleichzeitig setzte es Frist zur Einreichung der Berufungsantwort.
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Gegen diese Verfügung hat die Mutter am 9. Juni 2020 beim Bundesgericht eine Beschwerde eingereicht mit dem Begehren um deren Aufhebung und Erteilung der aufschiebenden Wirkung im Berufungsverfahren. Ferner wird auch für das bundesgerichtliche Verfahren die aufschiebende Wirkung verlangt.
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Erwägungen:
 
1. Beschwerdegegenstand bildet ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über die aufschiebende Wirkung (Art. 72 Abs. 1 und Art. 75 Abs. 1 BGG). Er ist, da nicht verfahrensabschliessend, ein Zwischenentscheid (vgl. BGE 134 II 192 E. 1.5 S. 197; Urteil 5A_56/2019 vom 9. Mai 2019 E. 1.1), der nur unter den besonderen Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG mit Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden kann, wobei diese in der Beschwerde darzutun sind (BGE 137 III 324 E. 1.1 S. 329; 141 IV 289 E. 1.3 S. 292). Das Vorbringen, ohne Erteilung der aufschiebenden Wirkung trete das Konzept der alternierenden Obhut sofort in Kraft und die betreffende Zeit lasse sich nicht rückgängig machen, genügt nach der Abteilungspraxis. Ferner wird auch die Behauptung aufgestellt, die Umstellung sei für das Kind eine grosse Belastung; die Umstellung würde zwar für den Fall der Abweisung der Berufung lediglich vorverlegt, hingegen würde sie bei Gutheissung der Berufung tatsächlich entfallen.
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2. Sodann ist der Entscheid über die aufschiebende Wirkung - wie übrigens bereits der Eheschutzentscheid selbst (BGE 133 III 393 E. 5.1 S. 397; Urteil 5A_1037/2019 vom 22. April 2020 E. 1.3) - eine vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 98 BGG (BGE 134 II 192 E. 1.5 S. 197; Urteil 5A_815/2019 vom 6. März 2020 E. 2.1), weshalb nur verfassungsmässige Rechte als verletzt gerügt werden können, wofür das strikte Rügeprinzip gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG gilt und bloss appellatorische Ausführungen ungenügend sind (zu den diesbezüglichen Begründungsvoraussetzungen namentlich BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 142 II 369 E. 2.1 S. 372; 142 III 364 E. 2.4 S. 368). Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 7, 8, 9, 11 Abs. 1, 12 und 29 Abs. 2 BV. Ob jeweils die Begründungsvoraussetzungen erfüllt sind, wird im Sachzusammenhang zu erörtern sein.
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3. Die Gehörsrüge geht dahin, dass die angefochtene Verfügung nur unter dem Aspekt des Obhutsrechts begründet worden sei. Die Beschwerdeführerin zeigt aber nicht auf, dass und inwiefern sie ihr Gesuch um aufschiebende Wirkung im Berufungsverfahren auch mit der Unterhaltsregelung für das Kind begründet hätte. Die Rüge bleibt somit unsubstanziiert und sie hat gleichzeitig auch als neu zu gelten (Art. 99 Abs. 1 BGG), indem sie nicht bereits der Vorinstanz unterbreitet worden ist (vgl. zum Erfordernis der materiellen Ausschöpfung des Instanzenzuges BGE 143 III 290 E. 1.1 S. 293).
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Soweit die Beschwerdeführerin sich im Übrigen ausführlich darüber beklagt, dass das Regionalgericht ihr ab Mai 2020 eine Erwerbsarbeit im Umfang von 60 % zugemutet hat, bleiben ihre Ausführungen - obwohl abstrakt verschiedene verfassungsmässige Rechte angerufen werden - in der Sache appellatorisch, weshalb darauf ebenfalls nicht eingetreten werden kann (vgl. E. 2). Ohnehin wäre nicht zu sehen, inwiefern diesbezüglich die aufschiebende Wirkung zielführend sein und deshalb ein schutzwürdiges Interesse an der Erteilung bestehen könnte: Mit dem erstinstanzlichen Entscheid wurde überhaupt erst ein Unterhaltstitel geschaffen; bei Erteilung der aufschiebenden Wirkung im Berufungsverfahren würde folglich nach wie vor kein vollstreckbarer Titel bestehen. Zwar leistete der Beschwerdegegner bereits vorher auf mündlicher Basis Unterhaltsbeiträge (vgl. erstinstanzlicher Entscheid S. 3, 33 und 40). Darauf kann sich aber das Gesuch um aufschiebende Wirkung nicht beziehen; es wurde im Kontext mit dem erstinstanzlich geschaffenen Unterhaltstitel gestellt und allein daran kann sich das Rechtsschutzinteresse bemessen.
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4. Im Zusammenhang mit der alternierenden Obhut wirft die Beschwerdeführerin dem Obergericht vor, mit der Abweisung des Gesuches um aufschiebende Wirkung in Willkür verfallen zu sein. Indes reicht es nicht, abstrakt eine Kindeswohlgefährdung geltend zu machen. Das Regionalgericht hat sich mit der Obhutsfrage eingehend befasst und die alternierende Obhut namentlich deshalb angeordnet, weil das (zwischenzeitlich 12-jährige) Mädchen sich klar und konsequent dahingehend geäussert hatte, dass es beide Elternteile im gleichen Ausmass sehen und von beiden gleich viel betreut werden will (erstinstanzlicher Entscheid S. 15 f.), weil der Vater mit den Arbeitszeiten und mit Homeoffice flexibel ist (S. 17) und weil die elterlichen Haushalte sich in Gehdistanz zueinander befinden, so dass die Kontinuität von Schule und Umfeld gewährleistet ist (S. 15). Der letzte Punkt wird in der angefochtenen Verfügung denn auch herausgestrichen und die Beschwerdeführerin zeigt mit ihren Ausführungen - die letztlich in der abstrakten Behauptung bestehen, alles was von der bisherigen Faktizität abweiche, stelle eine Gefährdung des Kindeswohles dar - nicht auf, inwiefern das Obergericht mit seiner Verfügung in Willkür verfallen sein könnte.
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An der materiellen Ausschöpfung des Instanzenzuges (vgl. dazu E. 3) fehlt es bei der abschliessenden Willkür- und Rechtsgleichheitsrüge im Zusammenhang mit der von der Beschwerdeführerin als falsch betrachteten bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach Eheschutzentscheide als vorsorgliche Massnahmen aufzufassen sind und deshalb unter die Regelung von Art. 315 Abs. 4 lit. b sowie Abs. 5 ZPO fallen (vgl. BGE 137 III 475 E. 4.1 S. 477 f.; 138 III 565 E. 4.3 S. 566 f.). Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, dass und inwiefern sie diese Rüge explizit schon in der Berufung erhoben und begründet hätte. Ein Blick in die Berufungsschrift zeigt denn auch, dass dort die betreffende Rechtsprechung bloss erwähnt, aber nicht mit substanziierten Ausführungen kritisiert worden ist (Berufungsschrift S. 17). Somit bestand für das Obergericht offensichtlich kein Anlass, sich näher mit dieser Frage zu befassen und im bundesgerichtlichen Verfahren erweist sich Rüge als neu und damit unzulässig (Art. 99 Abs. 1 BGG), so dass sich Weiterungen erübrigen.
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5. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde offensichtlich nicht hinreichend begründet ist, weshalb auf sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG nicht einzutreten ist.
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6. Mit dem sofortigen Entscheid in der Sache wird das für das bundesgerichtliche Verfahren gestellte Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
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7. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, konnte der Beschwerde von Anfang an kein Erfolg beschieden sein, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das entsprechende Gesuch abzuweisen ist.
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8. Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Gegenseite ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.
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Demnach erkennt das präsidierende Mitglied:
 
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 12. Juni 2020
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Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Das präsidierende Mitglied: von Werdt
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Der Gerichtsschreiber: Möckli
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