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Informationen zum Dokument  BGer 2D_19/2020  Materielle Begründung
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BGer 2D_19/2020 vom 26.05.2020
 
 
2D_19/2020
 
 
Urteil vom 26. Mai 2020
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Zünd, Bundesrichterin Hänni,
 
Gerichtsschreiber Kocher.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
B.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Steuerverwaltung des Kantons Bern.
 
Gegenstand
 
Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Bern, Steuerperiode 2016, Steuererlass
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichterin, vom 1. April 2020 (100.2019.146U).
 
 
Erwägungen:
 
1. 
 
1.1. Die Eheleute A.________ und B.________ (nachfolgend: die Steuerpflichtigen) haben Wohnsitz in C.________/BE. Der Ehemann ist unselbständig erwerbstätig. Er geht hauptberuflich einer Arbeit in der Stiftung D.________ mit Sitz in E.________/SO nach. Nebenberuflich ist er für die Stiftung F.________ mit Sitz in G.________/BE tätig. Die Ehefrau ist nicht berufstätig. Am 27. März 2018 ersuchten die Steuerpflichtigen um Erlass der rechtskräftig veranlagten Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Bern, Steuerperiode 2016, in Höhe von noch Fr. 3'233.90 (inkl. Verzugszinsen). Mit Entscheid vom 10. Juli 2018 wies die Wohnsitzgemeinde das Gesuch ab, was die Steuerrekurskommission des Kantons Bern bestätigte (Entscheid vom 28. März 2019).
 
1.2. Die Steuerpflichtigen gelangten an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, dessen Verwaltungsrechtliche Abteilung die Beschwerde und das Gesuch um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege abwies (einzelrichterlicher Entscheid 100.2019.146U vom 1. April 2020). Das Verwaltungsgericht erwog, bei monatlichen Einkünften von Fr. 4'383.30 und einem Zwangsbedarf von Fr. 4'000.25 verbleibe ein freier Betrag von Fr. 383.05. Den Steuerpflichtigen sei es möglich und zumutbar, die offenen Steuern von Fr. 3'233.90 innerhalb von knapp neun Monaten zu tilgen - und damit "in absehbarer Zeit", was praxisgemäss massgebend sei. Die Steuerrekurskommission habe das Vorliegen eines Härtefalles, der für die Anordnung des Erlasses unabdingbar wäre, rechtsfehlerfrei verneint, wenngleich diese zu einem freien Betrag von Fr. 457.35 gelangt sei (Einkünfte von Fr. 4'875.--, Zwangsbedarf von Fr. 4'417.65). Daran würde sich im Übrigen - so das Verwaltungsgericht weiter - auch nichts ändern, wenn beim Nebenerwerb von zusätzlichen Auslagen für auswärtige Verpflegung von Fr. 50.-- ausgegangen und der Aufwand für die Krankenkassenprämien des Sohnes von Fr. 96.-- berücksichtigt würden. Diesfalls ergäbe sich eine freie Quote von Fr. 237.05. Mit Blick auf die erforderliche Zeitdauer von 14 Monaten könnte, legt das Verwaltungsgericht dar, immer noch von einer Tilgung "in absehbarer Zeit" gesprochen werden. Was das Gesuch um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege betreffe, hätten die Steuerpflichtigen von vornherein von einer aussichtslosen Beschwerde ausgehen müssen, selbst wenn der angefochtene Entscheid in zwei Punkten (doppelte Berücksichtigung des Nebenerwerbs und zu hohe Fahrkosten) habe abgeändert werden müssen.
 
1.3. Mit Eingabe vom 30. April 2020 (Poststempel: 6. Mai 2020) erheben die Steuerpflichtigen beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids seien ihnen die noch offenen Steuern aus der Steuerperiode 2016 zu erlassen. Sie berufen sich auf eine Unterdeckung von Fr. 342.10 pro Monat.
 
1.4. Der Abteilungspräsident als Instruktionsrichter (Art. 32 Abs. 1 BGG) hat von Instruktionsmassnahmen, insbesondere einem Schriftenwechsel (Art. 102 Abs. 1 BGG), abgesehen.
 
 
2.
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten steht nicht zur Verfügung (Art. 83 lit. m BGG). Zu prüfen bleibt, wie es sich mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) verhält. Mit diesem Rechtsmittel kann ausschliesslich die Verletzung verfassungsmässiger Individualrechte gerügt werden (Art. 116 BGG; BGE 142 II 259 E. 4.2 S. 262). Voraussetzung hierzu ist namentlich ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids (Art. 115 lit. b BGG; BGE 137 II 305 E. 2 S. 308). Legitimiert zur Willkürrüge ist im Anwendungsbereich der subsidiären Verfassungsbeschwerde nur, wer sich auf eine Norm berufen kann, die ihr im Bereich der betreffenden und angeblich verletzten Interessen einen Rechtsanspruch verschafft oder zumindest den Schutz ihrer Interessen bezweckt. Die anspruchsverleihende oder individualschützende Norm kann sich aus eidgenössischem oder kantonalem Gesetzesrecht, aber auch unmittelbar aus einem angerufenen speziellen Grundrecht ergeben, sofern die Interessen auf dem Gebiet liegen, das die betreffende Verfassungsbestimmung beschlägt (Urteil 2D_44/2018 vom 16. November 2018 E. 2.1).
 
2.2. Nach Art. 240 Abs. 1 des Steuergesetzes (des Kantons Bern) vom 21. Mai 2000 (StG/BE; BSG 661.11) kann die Zahlung von rechtskräftig festgesetzten Steuern erlassen werden, wenn sie mit einer erheblichen Härte verbunden ist. Die Staats- und/oder Gemeindesteuer des Kantons Bern wird insbesondere ganz oder teilweise erlassen, wenn der geschuldete Steuerbetrag trotz Beschränkung der Lebenshaltungskosten auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum in absehbarer Zeit nicht vollständig beglichen werden kann (Art. 240b Abs. 1 lit. b StG/BE). Praxisgemäss besteht auf den Erlass der Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Bern (Art. 240 ff. StG/BE) ein Rechtsanpruch (Art. 240 Abs. 5 StG/BE; Urteile 2D_60/2014 vom 11. Dezember 2014 E. 1.3; 2C_702/2012 vom 19. März 2013 E. 3.4 mit Hinweisen). Damit ist es den Steuerpflichtigen möglich, die Willkürrüge zu erheben. Sie sind zur vorliegenden Beschwerde legitimiert.
 
2.3. Im Bereich der subsidiären Verfassungsbeschwerde herrscht die qualifizierte Rüge- und Begründungsobliegenheit (Art. 117 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG). In der Beschwerde ist daher klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, dass und inwiefern verfassungsmässige Individualrechte verletzt worden sein sollen (BGE 145 II 32 E. 5.1 S. 41). Rein appellatorische Kritik genügt diesen Anforderungen nicht (BGE 145 I 121 E. 2.1 S. 133). Liegt eine Laienbeschwerde vor, werden die formellen Anforderungen praxisgemäss niedriger angesetzt (Urteil 2D_16/2020 vom 13. Mai 2020 E. 2.3), was die beschwerdeführende Person nicht davon entbindet, zumindest sinngemäss eine Verletzung der einschlägigen verfassungsmässigen Individualrechte zu rügen.
 
2.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 118 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen können von Amtes wegen oder auf Rüge hin berichtigt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 116 BGG beruhen und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 118 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" ist mit "willkürlich" gleichzusetzen (zum Ganzen: BGE 145 V 326 E. 1 S. 328). Die Anfechtung der vorinstanzlichen Feststellungen unterliegt der qualifizierten Rüge- und Begründungsobliegenheit (BGE 144 V 50 E. 4.1 S. 52 f.; vorne E. 2.3). Wird die Beschwerde diesen Anforderungen nicht gerecht, bleibt es beim vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18).
 
 
2.5.
 
2.5.1. Die Steuerpflichtigen rügen im Ergebnis drei Positionen der vorinstanzlichen Berechnung (Haupterwerb, Wohnkosten, auswärtige Verpflegung). Die massgebenden Zahlen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
 
StRK/BE
 
VGer/BE
 
Steuerpflichtige
 
Haupterwerb
 
4'444.00
 
4'083.30
 
3'827.00
 
Nebenerwerb
 
431.00
 
300.00
 
300.00
 
Total Einkünfte
 
4'875.00
 
4'383.30
 
4'127.00
 
Grundbetrag
 
1'700.00
 
1'700.00
 
1'700.00
 
Wohnkosten
 
660.00
 
946.65
 
1'320.00
 
Krankenkasse (KVG)
 
701.80
 
762.45
 
762.45
 
Berufswegkosten
 
850.00
 
257.00
 
257.00
 
Auswärtige Verpflegung
 
183.35
 
137.50
 
233.00
 
Schwimmtraining
 
22.50
 
30.00
 
30.00
 
Krankheitskosten
 
(inkl. Diabetes)
 
300.00
 
166.65
 
166.65
 
Total (Zwangsbedarf)
 
4'417.65
 
4'000.25
 
4'469.10
 
Überschuss (freier Betrag)
 
457.35
 
383.05
 
-342.10
 
2.5.2. Zum Erwerbseinkommen aus hauptberuflicher Erwerbstätigkeit hat die Vorinstanz festgehalten, der neuesten verfügbaren Lohnabrechnung könne ein Nettolohn von Fr. 3'769.20 entnommen werden. Der Steuerpflichtige habe Anspruch auf ein dreizehntes Gehalt, weshalb sich ein massgebender Betrag von Fr. 4'083.30 ergebe. Diese Feststellungen sind für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (Art. 118 Abs. 1 BGG; vorne E. 2.4). Die Steuerpflichtigen halten dem entgegen, die Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit beliefen sich nicht auf Fr. 4'875.-- (was aber nur die Unterinstanz angenommen hatte), sondern auf Fr. 4'127.--. Sie berufen sich dabei, was die Einkünfte aus unselbständiger Haupterwerbstätigkeit anbelangt, auf die Lohnabrechnung vom Juli 2016. Dies überzeugt nicht: Für den Entscheid, ob ein Härtefall vorliegt, sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse der steuerpflichtigen Person 
 
2.5.3. Die Vorinstanz ist von Wohnkosten von Fr. 946.65 ausgegangen. Die Steuerpflichtigen halten einen Ansatz von Fr. 1'320.-- für angemessen. Die Vorinstanz ist zwar ebenfalls von monatlichen Zahlungen von Fr. 1'320.-- an die Stockwerkeigentümergemeinschaft ausgegangen, hat jedoch erwogen, dieser Betrag umfasse auch Nebenkosten im Betrag von Fr. 570.--, von denen aber nur der auf die Steuerpflichtigen entfallende Anteil (nicht aber derjenige für die vier erwachsenen Kinder) zu berücksichtigen sei. Die Steuerpflichtigen setzen sich mit dieser Argumentation nicht auseinander; ihrer Rüge ist mit Blick auf die qualifizierte Rüge- und Begründungsobliegenheit (Art. 117 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG; vorne E. 2.4) nicht weiter nachzugehen. Dasselbe trifft auf die Ausführungen zu den Berufswegkosten zu. Die Steuerpflichtigen äussern sich hierzu zwar, anerkennen dann aber den vorinstanzlich festgestellten Ansatz von Fr. 257.--. Gleiches gilt für die Darlegungen zu den Positionen "Krankenkasse (KVG) " und "Krankheitskosten (inkl. Diabetes) ". Sie scheinen zwar Beanstandungen anbringen zu wollen, unterziehen sich aber den Beträgen von Fr. 762.45 und Fr. 166.65. Abgesehen davon, genügen ihre Vorbringen den gesetzlichen Anforderungen nicht.
 
2.5.4. Schliesslich beanstanden die Steuerpflichtigen die Kosten der auswärtigen Verpflegung. Unter diesem Titel beanspruchen sie Fr. 183.35 (wie vor der Unterinstanz) und zusätzlich Fr. 50.-- für den Nebenerwerb des Ehemannes. Die Vorinstanz berücksichtigte bei ihren Überlegungen insbesondere den Umstand, dass der Steuerpflichtige bei seinem Hauptarbeitgeber verbilligte Hauptmahlzeiten einnehmen kann (Feld "G", "Kantinenverpflegung/Lunch-Checks"). Dies führte bei 220 Arbeitstagen und einem reduzierten Ansatz von Fr. 7.50 zu monatlichen Auslagen von Fr. 137.50. Zum Nebenerwerb erwog die Vorinstanz, bei einem Einkommen von Fr. 300.-- erschienen Verpflegungskosten von Fr. 50.-- als kaum gerechtfertigt, zumal diese Position unbelegt geblieben sei. Die pauschalen Vorbringen der Steuerpflichtigen im bundesgerichtlichen Verfahren vermögen daran nichts zu ändern.
 
2.5.5. Zur Abweisung ihres Gesuchs um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege führen die Steuerpflichtigen nichts aus. Darauf ist nicht weiter einzugehen.
 
2.6. Die Vorinstanz ist verfassungsrechtlich haltbar zum Ergebnis gelangt, den Steuerpflichtigen sei es möglich und zumutbar, die offenen Steuern von Fr. 3'233.90 innerhalb von knapp neun Monaten zu tilgen - und damit "in absehbarer Zeit". Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet. Sie ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist, was gemäss Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG im vereinfachten Verfahren geschehen kann.
 
3. Nach dem Unterliegerprinzip sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens den Eheleuten aufzuerlegen (Art. 65 und Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese tragen ihren Anteil zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftbarkeit (Art. 66 Abs. 5 BGG). Für das bundesgerichtliche Verfahren liegt kein Gesuch um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege vor. Dem Kanton Bern, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, steht keine Entschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 1'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt. Diese tragen ihren Anteil zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftbarkeit.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichterin, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 26. Mai 2020
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Kocher
 
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