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Informationen zum Dokument  BGer 1C_609/2019  Materielle Begründung
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BGer 1C_609/2019 vom 12.05.2020
 
 
1C_609/2019
 
 
Verfügung vom 12. Mai 2020
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Müller, Einzelrichter,
 
Gerichtsschreiberin Gerber.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. A.________ AG,
 
2. B.________ AG,
 
Beschwerdeführerinnen,
 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Urban Carlen,
 
gegen
 
Einwohnergemeinde Baltschieder,
 
Einwohnergemeinde Eggerberg,
 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Georges Schmid,
 
Staatsrat des Kantons Wallis.
 
Gegenstand
 
Aufschiebende Wirkung (Enteignung),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung,
 
vom 25. Oktober 2019 (A2 19 70).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der Staatsrat des Kantons Wallis erteilte am 15. Juni 2016 die Bewilligung für die Pläne des Auflageprojekts "Hochwasserschutz Baltschiederbach 2. und 3. Ausbauetappe"; gleichzeitig erklärte er alle vorgesehenen Arbeiten als Werk öffentlichen Nutzens und erteilte den Gemeinden Baltschieder und Eggerberg das Recht auf Enteignung aller zur Ausführung des Werks benötigten Rechte. Die Einsprachen der A.________ AG und der B.________ AG wies er ab.
1
Diese erhoben zunächst Beschwerde an das Kantonsgericht und gelangten anschliessend mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Dieses wies die Beschwerde am 31. Oktober 2017 ab (Urteil 1C_183/2017).
2
B. Mit Entscheid vom 11. September 2019 ermächtigte der Staatsrat des Kantons Wallis die Gemeinden Baltschieder und Eggerberg, die Grundstücke und Rechte, welche für die Realisierung der 2. Ausbauetappe des Hochwasserschutzprojektes Baltschiederbach benötigt werden, ab dem 1. Oktober 2019 vorzeitig in Besitz zu nehmen. Einer allfälligen Beschwerde gegen diesen Entscheid wurde die aufschiebende Wirkung entzogen.
3
Dagegen erhoben die A.________ AG und die B.________ AG Beschwerde an das Kantonsgericht Wallis.
4
Dieses wies am 25. Oktober 2019 den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab.
5
C. Dagegen gelangten die A.________ AG und die B.________ AG am 19. November 2019 mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beantragten, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und ihrer Beschwerde an das Kantonsgericht sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Gleichzeitig ersuchten sie um die Gewährung der aufschiebenden Wirkung im bundesgerichtlichen Verfahren bzw. um den Erlass von vorsorglichen Massnahmen.
6
Die Gemeinden Baltschieder und Eggerberg sowie der Staatsrat Wallis beantragten die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführerinnen replizierten am 20. Dezember 2019. Im weiteren Schriftenwechsel hielten die Beteiligten an ihren Anträgen und Vorbringen fest.
7
Mit Verfügung vom 13. Dezember 2019 wies der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung im bundesgerichtlichen Verfahren ab.
8
D. Am 3. Februar 2020 wies das Kantonsgericht die Beschwerde gegen den Entscheid des Staatrats Wallis vom 11. September 2019 ab und bestätigte damit die vorzeitige Besitznahme der Grundstücke und Rechte für die Realisierung der 2. Ausbauetappe des Hochwasserschutzprojekts Baltschiederbach.
9
Den Parteien wurde Gelegenheit gegeben, sich zur Gegenstandslosigkeit des vorliegenden Verfahrens und den Kostenfolgen zu äussern.
10
Die Einwohnergemeinden Baltschieder und Eggerberg beantragen, das Verfahren sei infolge Gegenstandslosigkeit abzuschreiben; ihnen sei eine angemessene Umtriebsentschädigung zuzusprechen; die Verfahrenskosten seien den Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen.
11
Die Beschwerdeführerinnen beantragen in ihrer Stellungnahme vom 2. März 2020 die Abschreibung infolge Gegenstandslosigkeit unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerinnen.
12
 
Erwägungen:
 
1. Mit dem Entscheid des Kantonsgerichts vom 3. Februar 2020 ist die Beschwerde gegen die Nichtgewährung der aufschiebenden Wirkung im kantonsgerichtlichen Verfahren gegenstandslos geworden. Die Sache ist daher gemäss Art. 32 Abs. 2 BGG abzuschreiben.
13
Für die Kostenverlegung ist eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Beschwerde auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes vorzunehmen (Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP). Dabei ist zu beachten, dass sich die Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid des Kantonsgerichts über vorsorgliche Massnahmen richtete, der vor Bundesgericht nur wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte angefochten werden kann (Art. 98 BGG).
14
2. Die Beschwerdeführerinnen machen in ihrer Stellungnahme vom 2. März 2020 geltend, das Kantonsgericht habe im Urteil vom 3. Februar 2020 eine Verletzung des rechtlichen Gehörs bestätigt; schon aus diesem Grund hätte ihre Beschwerde Aussicht auf Erfolg gehabt. Diese Verletzung hätte vor Bundesgericht nicht geheilt werden können. Es sei auch nicht zulässig, die Prüfung der Verletzung des rechtlichen Gehörs ins Hauptverfahren zu verweisen (wie im Urteil vom 25. Oktober 2019 geschehen).
15
2.1. In der Tat hat das Kantonsgericht in seinem Entscheid vom 3. Februar 2020 festgehalten, dass der Staatsrat den Beschwerdeführerinnen keine Gelegenheit gegeben habe, sich vor Entscheidfällung zu den Fachberichten der Dienststelle für Wald, Flussbau und Landschaft (DWFL) zu äussern, obwohl diese entscheiderheblich gewesen seien; dies stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Das Kantonsgericht ging jedoch davon aus, dieser Mangel habe im kantonsgerichtlichen Verfahren geheilt werden können.
16
2.2. Diese Frage ist indessen für die Erfolgsaussichten der Beschwerde gegen die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung von untergeordneter Bedeutung: Wie das Kantonsgericht im Urteil vom 25. Oktober 2019 (S. 3) ausgeführt hat, ist für die Gewährung oder Wiederherstellung des Suspensiveffekts eine Interessenabwägung vorzunehmen; dabei ist zu prüfen, ob die Gründe, die für die sofortige Vollstreckbarkeit einer Verfügung sprechen, gewichtiger sind als jene, die für die Gewährung der aufschiebenden Wirkung sprechen. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Dringlichkeit der Vollstreckung einerseits und die Möglichkeit eines nicht wieder gut zu machenden Nachteils für die Beschwerdeführerinnen andererseits zu beurteilen. Der vermutliche Ausgang des Verfahrens fällt allenfalls in Betracht, soweit die Aussichten eindeutig sind (BGE 129 II 86 E. 3 S. 289 mit Hinweisen). Dies ist nur der Fall, wenn eine Verletzung des rechtlichen Gehörs eindeutig vorliegt und ihre Heilung im kantonsgerichtlichen Verfahren offensichtlich ausgeschlossen erscheint. In allen anderen Fällen ist es sinnvoll, die Prüfung dieser Frage dem Hauptverfahren vorzubehalten. Vorliegend erscheint es daher bei summarischer Betrachtung nicht willkürlich, wenn das Kantonsgericht die Beurteilung der Gehörsverletzung ins Hauptverfahren verwies.
17
3. Das Kantonsgericht erwog, die privaten Interessen der Beschwerdeführerinnen am zusätzlichen Umsatz und am einstweiligen Beibehalten der Arbeitsplätze im Werk A.________ wögen deutlich weniger schwer als das öffentliche Interesse an der unverzüglichen Umsetzung der Hochwasserschutzmassnahmen.
18
3.1. Diese Interessenabwägung lässt bei summarischer Betrachtung keine Willkür erkennen. Die Hochwasserschutzmassnahmen dulden keinen weiteren Aufschub, wie das Bundesgericht bereits im Urteil 1C_183/2017 vom 31. Oktober 2017 festgehalten hat (E. 5.1. und 5.7). Das Interesse am Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum der Bewohner von Baltschieder überwiegt die in erster Linie finanziellen Interessen der Beschwerdeführerinnen, zumal diese für aus der vorzeitigen Besitznahme entstehende Schäden voll entschädigt werden (vgl. in diesem Sinne auch die bundesgerichtliche Verfügung vom 13. Dezember 2019).
19
3.2. Daran ändert auch der Einwand der Beschwerdeführerinnen nichts, wonach die Baumeisterarbeiten noch nicht ausgeschrieben worden seien und der vorzeitige Abbruch der Kies- und Betonwerkanlagen mithin keinen Zeitgewinn brächte.
20
Das Kantonsgericht verwies im angefochtenen Entscheid auf das Terminprogramm für die Umsetzung der 2. Etappe des Hochwasserschutzprojekts, wonach Anfang Dezember mit dem Rückbau des Kieswerks und der Betonzentrale begonnen werden solle, damit ab August 2020 die Geschiebesperre und das Rückhaltebecken erstellt werden könnten. Die Beschwerdeführerinnen räumen ein, dass die Abbrucharbeiten bereits (im Einladungsverfahren) ausgeschrieben worden sind. Insofern ermöglicht es die vorzeitige Besitznahme, zumindest mit den - unstreitig notwendigen - Abbrucharbeiten zu beginnen.
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Die Dauer der Abbrucharbeiten wie auch der verschiedenen Verfahren (Schätzungsverfahren, allfällige Submissionsverfahren) lässt sich im Voraus nur schwer abschätzen. Dies gilt auch für die Anordnung der vorzeitigen Besitznahme, die durch Ausschöpfung aller Verfahrens- und Rechtsmittelmöglichkeiten verzögert werden kann. Insofern muss es zulässig sein, die vorzeitige Besitznahme bei dringlichen Werken frühzeitig anzuordnen, um termingerecht mit der ersten Bauphase (hier: Rückbau des Kies- und Betonwerks) beginnen zu können, auch wenn noch nicht mit Sicherheit feststeht, ob auch alle nachfolgenden Bauphasen den Terminplan einhalten können.
22
4. Nach dem Gesagten rechtfertigt es sich, die (ermässigten) Verfahrenskosten den Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen (Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP). Die Gemeinden obsiegen in ihrem amtlichen Wirkungskreis und haben daher keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 66 Abs. 3 BGG).
23
 
Demnach verfügt der Einzelrichter:
 
1. Das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt.
 
3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
 
4. Diese Verfügung wird den Beschwerdeführerinnen, den Einwohnergemeinden Baltschieder und Eggerberg, dem Staatsrat des Kantons Wallis und dem Kantonsgericht Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 12. Mai 2020
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Einzelrichter: Müller
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber
 
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