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Informationen zum Dokument  BGer 6B_1140/2019  Materielle Begründung
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BGer 6B_1140/2019 vom 28.04.2020
 
 
6B_1140/2019
 
 
Urteil vom 28. April 2020
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
Bundesrichter Muschietti,
 
Gerichtsschreiber Matt.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
handelnd durch B.________, und diese
 
vertreten durch Rechtsanwältin Sarah Schläppi,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
 
2. C.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Susanne Raess,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Einstellung (sexuelle Handlungen mit Kindern),
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 23. August 2019 (UE190143-O/U/BEE>HEI).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Auf Anzeige der Botschaft der Republik Chile vom 28. Juli 2017 hin eröffnete die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich ein Strafverfahren gegen C.________ wegen sexueller Handlungen mit Kindern zum Nachteil von dessen Sohn A.________. Mit Verfügung vom 15. April 2019 wies die Staatsanwaltschaft den Antrag von A.________ auf rechtshilfeweise Einvernahme ab und stellte das Verfahren ein. Das Obergericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde von A.________ am 23. August 2019 ab.
1
 
B.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, Anklage zu erheben oder weitere Untersuchungshandlungen vorzunehmen; subeventualiter sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen.
2
 
Erwägungen:
 
 
1.
 
Die Privatklägerschaft ist nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wenn sie vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat und wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann. Als Zivilansprüche gelten solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. In erster Linie geht es um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR. Vor Bundesgericht ist darzulegen, dass die Legitimationsvoraussetzungen erfüllt sind und unter Vorbehalt klarer, zweifelsfreier Fälle insbesondere zu erläutern, weshalb und inwiefern sich der angefochtene Entscheid im Ergebnis und aufgrund der Begründung negativ auf die Zivilansprüche auswirken kann (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Das Bundesgericht stellt an die Begründung strenge Anforderungen. Fehlt es daran, tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde nicht ein (BGE 141 IV 1 E. 1.1).
3
Der Beschwerdeführer führt aus, er habe sich als Privatkläger konstituiert und werde seine Zivilansprüche, namentlich auf Schadenersatz betreffend Behandlungskosten und Genugtuung wegen der erlittenen seelischen Unbill nach Abschluss des Untersuchungsverfahrens beziffern.
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Die Beschwerde ist hinreichend begründet. Überdies ist aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich, inwiefern sich der angefochtene Entscheid auf welche Zivilforderungen auswirken kann. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
5
 
2.
 
2.1. Die Staatsanwaltschaft verfügt nach Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO unter anderem die vollständige oder teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt.
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2.1.1. Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu richten. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Jedoch müssen Sachverhaltsfeststellungen unter Berücksichtigung des Grundsatzes "in dubio pro duriore" auch bei Einstellungen zulässig sein, soweit gewisse Tatsachen "klar" bzw. "zweifelsfrei" feststehen, so dass im Fall einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn eine abweichende Beweiswürdigung durch das Gericht ebenso wahrscheinlich erscheint. Den Staatsanwaltschaften ist es mithin nur bei unklarer Beweislage untersagt, der gerichtlichen Beweiswürdigung vorzugreifen. Im Rahmen von Art. 319 Abs. 1 lit. b und c StPO sind Sachverhaltsfeststellungen der Staatsanwaltschaft in der Regel notwendig. Auch insoweit gilt jedoch, dass der rechtlichen Würdigung der Sachverhalt "in dubio pro duriore", das heisst der klar erstellte Sachverhalt, zugrunde gelegt werden muss. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten (BGE 143 IV 241 E. 2.2.1 und E. 2.3.1; 138 IV 186 E. 4.1, 86 E. 4.1).
7
2.1.2. Wie die Beweise nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu würdigen sind und ob die Vorinstanz gestützt darauf einen hinreichenden Tatverdacht verneinen durfte, prüft das Bundesgericht nur auf Willkür. Es prüft im Rahmen einer Beschwerde gegen eine Einstellung nicht, wie beispielsweise bei einem Schuldspruch, ob die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen willkürlich sind (Art. 97 Abs. 1 BGG), sondern ob die Vorinstanz willkürlich von einer "klaren Beweislage" ausging oder gewisse Tatsachen willkürlich für "klar erstellt" annahm. Dies ist der Fall, wenn offensichtlich nicht gesagt werden kann, es liege ein klarer Sachverhalt vor, beziehungsweise wenn ein solcher Schluss schlechterdings unhaltbar ist (zum Ganzen: BGE 143 IV 241 E. 2.3.3; Urteil 6B_285/2019 vom 3. Mai 2019 E. 2.1).
8
 
2.2.
 
2.2.1. Der Beschwerdeführer ist der 2013 geborene Sohn des Beschwerdegegners 2 und B.________, deren Ehe am 26. August 2016 getrennt wurde. Im Rahmen der ihr zugesprochenen Obhut über den Beschwerdeführer reiste B.________ mit ihm nach Chile und teilte dem Kindsvater im Februar 2017 mit, mit dem Kind dort bleiben zu wollen. Jedoch erwirkte der Beschwerdegegner 2 am 1. März 2018 vor einem erstinstanzlichen chilenischen Gericht die Anordnung der Rückführung des Beschwerdeführers in die Schweiz.
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Die Vorinstanz begründet, weshalb sie die beanzeigte Straftat für klar nicht erstellt erachtet und von weiteren Untersuchungen, namentlich Befragungen des Beschwerdeführers, der Kindsmutter sowie der privaten psychologischen Gutachterinnen, absieht. Sie erwägt, die Vorwürfe sexuellen Missbrauchs würden einzig auf den Beobachtungen der Kindsmutter betreffend "auffälliges Benehmen des Beschwerdeführers" sowie den ebenfalls auf deren Angaben basierenden Feststellungen zweier privater Gutachterinnen beruhen. Direkte Zeugen der behaupteten Taten gebe es nicht, sodass die Aussagen des Beschwerdeführers ausschlaggebend wären. Von dessen Befragung seien jedoch angesichts seines Alters zur Tatzeit von zwischen 1.5 und 3 Jahren, der seither vergangenen Jahre sowie der zwischenzeitlich erfolgten, eine suggestive Beeinflussung noch begünstigenden vielfältigen und tiefgreifenden Massnahmen seitens der Kindsmutter und der chilenischen Behörden (zwei Begutachtungen, intensive Therapien, Gespräche usw.) keine sachdienlichen Angaben mehr zu erwarten. Unabhängig von der Verwertbarkeit der Aussagen der Kindsmutter und der - zweifelhaften - Gutachten lasse sich daher kein für eine Anklage genügender Sachverhalt erstellen. Das von der Kindsmutter beschriebene Verhalten, wie z.B. Reizbarkeit, Unruhe, Widerspenstigkeit gegen die Mutter, Wut nach Besuchen beim Vater, könne zudem auch auf die Trennung der Eheleute zurückzuführen sein, was beispielsweise die Gutachterinnen gar nicht in Erwägung gezogen hätten. Deren Feststellungen seien ferner teilweise suggestiv und nicht nachvollziehbar. Sodann könne der Beschwerdegegner 2 auch die weiteren Vorkommnisse plausibel anders erklären als die Kindsmutter. Das von dieser beschriebene sexualisierte Verhalten sei zudem erst in den Ferien in Chile - nicht beim Beschwerdegegner 2 in der Schweiz - aufgetreten und im Eheschutzverfahren wenige Monate davor nie Thema gewesen. Dies mute nicht nur nach Einschätzung des chilenischen Gerichts seltsam an. Die Ausführungen der Kindsmutter zum besagten Verhalten zeigten im Übrigen keinen Konnex zum Beschwerdegegner 2 und liessen ebenfalls keine Rückschlüsse auf ein strafbares Verhalten seinerseits zu. Dies gelte auch für die Gutachten, sodass auf eine Befragung der Kindsmutter sowie der privaten Expertinnen verzichtet werden könne.
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2.2.2. Was der Beschwerdeführer vorbringt, begründet weder Willkür, noch sonst eine Verletzung von Bundesrecht. An der Schlüssigkeit der vorinstanzlichen Ausführungen hinsichtlich der Beweiskraft einer möglichen Aussage des Beschwerdeführers ändert zunächst nichts, ob er im mutmasslichen Tatzeitraum zwischen 1.5 und 3 Jahren oder etwas über 3 Jahre alt war. So oder anders, erwägt die Vorinstanz unter Verweis auf einschlägige Literatur nachvollziehbar, dass selbst die Aussagen fünfjähriger Kinder anfällig auf suggestive Beeinflussung sind und, dass nach mehreren Jahren keine verlässlichen Erinnerungen mehr bestehen. Ausgehend von einem Erinnerungsvermögen bei Kleinkindern von wenigen Wochen bis maximal ein paar Monaten auch für möglicherweise einschneidende Ereignisse, wie die Vorinstanz ausführt, ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht entscheidend, ob die Ereignisse im Zeitpunkt einer möglichen Befragung durch die Vorinstanz 2.5 oder 4 Jahre zurückgelegen hätten. Dies gilt umso mehr, als zwischenzeitlich unbestrittenermassen umfangreiche, mehrjährige Therapien und Massnahmen stattfanden, was die Gefahr suggestiv beeinflusster Aussagen mit der Vorinstanz erheblich erhöhen würde. Im Übrigen scheint der Beschwerdeführer zu verkennen, dass die Vorinstanz die Rechtmässigkeit der Verfahrenseinstellung auch mit den nachvollziehbar als plausibel eingestuften Erklärungen des Beschwerdegegners 2 begründet.
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Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist sodann nicht ersichtlich, dass die Vorinstanzen den Sachverhalt in unzulässiger Weise wie ein urteilendes Gericht gewürdigt hätten. Vielmehr sind gewisse Sachverhaltsfeststellungen und Würdigungen gestützt auf den klar erstellten Sachverhalt zulässig, und hat die Staatsanwaltschaft nicht in jedem Fall Anklage zu erheben, namentlich wenn dies aussichtslos erscheint (oben 2.1.1). Es ist nachvollziehbar und mit Blick auf die bundesgerichtliche Willkürkognition nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanzen zum Schluss gelangen, der Anklagesachverhalt lasse sich nicht rechtsgenüglich erstellen, sodass eine gerichtliche Beurteilung zu einem Freispruch führen müsste. Darin liegt keine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro duriore". Daran ändert nichts, dass vorliegend grundsätzlich schwerwiegende Vorwürfe Gegenstand des Verfahrens bildeten. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist auch nicht erkennbar, dass die Vorinstanzen bei der Beweiswürdigung nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" verfahren wären. Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs infolge Abweisung der Beweisanträge ist nicht ersichtlich. Die Vorinstanz begründet vielmehr überzeugend, weshalb sie von Einvernahmen des Beschwerdeführers, der Gutachterinnen und der Kindsmutter absieht. Die beiden letzteren vermögen zu den Vorwürfen an sich ohnehin nichts beizutragen, was der Beschwerdeführer nicht behauptet. Es ist daher nachvollziehbar, wenn die Vorinstanz annimmt, dass für die Tatvorwürfe von den Befragungen nichts gewonnen wäre. Es kann auf ihre umfangreichen Ausführungen verwiesen werden. Dass sie dabei teilweise Argumente des Beschwerdegegners 2 teilen mag - etwa betreffend Suggestion in den Gutachten -, erscheint entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht verdächtig. Jedenfalls aber begründet es keine Willkür in der Beweiswürdigung. Eine willkürliche, einseitige Beweiserhebung zugunsten des Beschwerdegegners 2, wie der Beschwerdeführer meint, ist angesichts der eingeholten umfangreichen chilenischen Akten resp. der privaten Gutachten ebenfalls nicht ersichtlich. Mit dem pauschalen Verweis auf Grundrechte legt er schliesslich nicht dar, dass und inwieweit der Verzicht auf seine persönliche gerichtliche Befragung sein rechtliches Gehör oder den Anspruch auf ein faires Verfahren verletzen soll. Der Beschwerdeführer verweist auf BGE 131 III 553, begründet aber nicht, in rechtsgenügender Weise, inwiefern diese Rechtsprechung auch im strafrechtlichen Verfahren einschlägig wäre (Art. 42 Abs. 2 BGG).
12
 
3.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tagen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
13
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 3'000.--.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 28. April 2020
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Matt
 
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