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Informationen zum Dokument  BGer 5A_132/2020  Materielle Begründung
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BGer 5A_132/2020 vom 28.04.2020
 
 
5A_132/2020
 
 
Urteil vom 28. April 2020
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Herrmann, Präsident,
 
Bundesrichter von Werdt, Schöbi,
 
Gerichtsschreiberin Gutzwiller.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Remo Maurer,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Erbteilung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichterin im Personen-, Erb- und Sachenrecht, vom 9. Januar 2020 (BE.2019.48-EZZ1, ZV.2019.139-EZZ1, ZV.2019.141-EZZ1).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. Zwischen den Schwestern A.________ (Klägerin) und B.________ (Beklagte) ist seit dem Jahr 2007 beim Kreisgericht Rheintal ein Erbteilungsprozess hängig. Zum Nachlass gehören u.a. zwei 2 ˝-Zimmer-Wohnungen, eine in U.________ GR und eine in V.________ TI.
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A.b. Im Rahmen dieses Verfahrens verfügte das Kreisgericht am 16. Mai 2019, die Parteien hätten Gelegenheit, innert 30 Tagen für die Wohnungen in U.________ und V.________ einen freihändigen Verkauf mit einer Käuferschaft ihrer (gemeinsamen) Wahl zu vereinbaren (Dispositiv-Ziff. 1). Für den Fall, dass die für beide oder eine der Wohnungen angesetzte Frist ungenutzt verstreiche oder innert dieser Frist kein Freihandverkauf vereinbart werden könne, würden die beiden Wohnungen öffentlich versteigert (Dispositiv-Ziff. 2). Die Kosten der Verfügung schlug das Kreisgericht zur Hauptsache. In der Rechtsmittelbelehrung verwies dieses auf die Beschwerde nach Art. 319 ff. ZPO, welche innert 10 Tagen eingereicht werden könne, sofern durch den Entscheid ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil drohe.
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B. Gegen diesen auf Wunsch der Parteien erst am 15. August 2019 zugestellten Entscheid erhob die Klägerin beim Kantonsgericht St. Gallen Beschwerde mit dem Antrag, er sei aufzuheben und die genannten Liegenschaften seien gemäss den in der Beschwerde angeführten Bedingungen unter den Erbinnen zu versteigern. Gleichzeitig ersuchte sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege sowie um Aufschub der Vollstreckbarkeit.
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In seinem Entscheid vom 9. Januar 2020, versandt am 13. Januar 2020, qualifizierte das Kantonsgericht die Dispositiv-Ziff. 1 des Entscheids des Kreisgerichts als prozessleitende Verfügung, die mit Beschwerde nach Art. 319 ff. ZPO angefochten werden könne, und die Dispositiv-Ziff. 2 als Teil (end) entscheid, welcher der Berufung nach Art. 308 ff. ZPO unterliege. Insofern liege eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung vor. Eine Konversion der Beschwerde in eine Berufung komme nicht infrage, weshalb auf diesen Teil des Rechtsmittels nicht eingetreten werden könne. Das Kantonsgericht wies die Klägerin indes auf die Möglichkeit hin, gestützt auf Art. 148 ZPO die Wiederherstellung der Frist zu beantragen. Mit Bezug auf die Dispositiv-Ziff. 1 erwog das Kantonsgericht, die Klägerin lege nicht dar, inwiefern ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil drohe bzw. aus welchen Gründen die getroffene Anordnung bundesrechtswidrig sein solle, weshalb auf die Beschwerde mangels hinreichender Begründung nicht eingetreten werden könne. Damit trat es auf das Rechtsmittel insgesamt nicht ein (Dispositv-Ziff. 1) und schrieb das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung als gegenstandslos ab (Dispositiv-Ziff. 2). Ferner verzichtete das Kantonsgericht auf die Erhebung von Gerichtskosten (Dispositiv-Ziff. 4) und schrieb das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege als gegenstandslos ab (Dispositiv-Ziff. 3). Hingegen verpflichtete es die Klägerin, die Beklagte für das Rechtsmittelverfahren mit Fr. 800.-- zu entschädigen (Dispositiv-Ziff. 5).
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C. Mit Eingabe vom 13. Februar 2020 gelangt die Klägerin an das Bundesgericht, dem sie in der Sache beantragt, Dispositiv-Ziff. 5 des Entscheids des Kantonsgerichts vom 9. Januar 2020 aufzuheben und den Staat zu verpflichten, der Beklagten die Parteientschädigung von Fr. 800.-- zu bezahlen. Ausserdem sei ihr eine Entschädigung bzw. Wiedergutmachung von Fr. 1'600.-- zu Lasten des Staates zuzusprechen; eventualiter sei die Sache an das Kantonsgericht zurückzuweisen, damit dieses die Klägerin mit Fr. 1'600.-- entschädige und die Parteientschädigung zu Gunsten der Beklagen dem Staat auferlege. Schliesslich ersucht die Klägerin um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren unter Erlass sämtlicher Kosten und Vorschüsse.
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In prozessualer Hinsicht ersucht die Klägerin um Gewährung der aufschiebenden Wirkung, welche der Präsident der urteilenden Abteilung am 3. März 2020 gewährt hat.
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Im Übrigen hat das Bundesgericht die kantonalen Akten, aber keine Vernehmlassungen eingeholt.
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Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Angefochten ist der Kostenpunkt eines Rechtsmittelentscheids, mithin ein blosser Nebenpunkt, weshalb grundsätzlich das in der Hauptsache zulässige Rechtsmittel offen steht (Urteil 5A_519/2019 vom 29. Oktober 2019 E. 1.1 mit Hinweis). Dort geht es um einen Erbteilungsprozess, also um eine vermögensrechtliche Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG), dessen Streitwert Fr. 30'000.-- übersteigt und damit das Streitwerterfordernis erfüllt (Art. 74 Abs. 1 Bst. b BGG). Damit braucht nicht geprüft zu werden, ob sich vorliegend eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (vgl. Art. 74 Abs. 2 Bst. a BGG), wie die Klägerin geltend macht. Offensichtlich liegt mit Bezug auf das Hauptsacheverfahren kein Endentscheid im Sinn von Art. 90 BGG vor. Ob der angefochtene Entscheid als unmittelbar anfechtbarer Teilentscheid (Art. 91 BGG) oder als bedingt anfechtbarer Zwischenentscheid (Art. 93 Abs. 1 BGG) zu qualifizieren ist (vgl. zur Unterscheidung dieser Entscheidarten: BGE 141 III 395 E. 2), kann angesichts des Ausgangs des Verfahrens offen bleiben.
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1.2. Mit der vorliegenden Beschwerde kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 Bst. a BGG). In der Beschwerde ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 1.2). Die Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist ebenfalls zu begründen, wobei hier das Rügeprinzip gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 III 364 E. 2.4).
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1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel sind nur zulässig, soweit der vorinstanzliche Entscheid dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
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2. Zusammengefasst beruft sich die Klägerin auf den Grundsatz, wonach einer Partei aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen dürfe. Unter Bezugnahme auf Art. 5 Abs. 3, Art. 8 und Art. 9 BV, Art. 52 und Art. 238 f. ZPO sowie Art. 49 BGG leitet sie daraus ab, dass sie nicht zur Leistung einer Parteientschädigung an die Beklagte verpflichtet werden könne (dazu E. 3 sogleich) und Anspruch auf eine Entschädigung/Wiedergutmachung in der Höhe von Fr. 1'600.-- habe (dazu E. 4 unten).
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3. Hinsichtlich der Verpflichtung zur Leistung einer Parteientschädigung an die Beklagte übersieht die Klägerin, dass das Kantonsgericht die Dispositiv-Ziff. 1 des Kreisgerichts grundsätzlich als beschwerdefähig erachtete und die Rechtsmittelbelehrung insofern nicht unrichtig war. Das Kantonsgericht ist aber dennoch nicht auf das Rechtsmittel eingetreten, und zwar aus zwei Gründen: Erstens habe sich die Klägerin nicht zur Eintretensfrage geäussert, nämlich ob bzw. inwiefern ihr durch diese Anordnung (Einräumung der Möglichkeit eines freihändigen Verkaufs) ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil drohe (Art. 319 Bst. b Ziff. 2 ZPO), und zweitens habe sie nicht dargelegt, aus welchen Gründen diese Anordnung bundesrechtswidrig sein könnte. Daraus folgerte das Kantonsgericht, es mangle diesbezüglich an einer hinreichenden Begründung. Mit diesen Erwägungen setzt sich die Klägerin nicht auseinander.
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Damit ist das Kantonsgericht mit Bezug auf die Dispositiv-Ziff. 1 des Kreisgerichts aus Gründen nicht auf die Beschwerde der Klägerin eingetreten, die in keinem Zusammenhang mit der (teilweise) fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung stehen. Dass und inwiefern es unter diesen Umständen bundesrechtswidrig sein soll, die Klägerin als unterliegende Partei zu betrachten und gestützt auf Art. 106 Abs. 1 ZPO zur Leistung einer Parteientschädigung zu verpflichten, legt die Klägerin nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Ebenso wenig macht sie geltend, dass die zugesprochene Parteientschädigung unter den gegebenen Verhältnissen zu hoch ausgefallen sei. Da sich die Höhe der Parteientschädigung allein nach kantonalem Recht richtet (Art. 96 ZPO) und das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung kantonalen (und kommunalen) Verfassungs-, Gesetzes- oder Verordnungsrechts nicht als solche prüfen kann, sondern lediglich daraufhin, ob dadurch Bundes-, Völker- oder interkantonales Recht verletzt wird (Art. 95 Bst. a, b und e BGG; BGE 142 II 369 E. 2.1), insbesondere das Willkürverbot (Art. 9 BV; BGE 142 V 513 E. 4.2), kann das Bundesgericht diese Frage nicht von Amtes wegen prüfen (Art. 106 Abs. 2 BGG).
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4.
 
4.1. Es entspricht einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass einer Partei aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil entstehen soll (BGE 145 IV 259 E. 1.4.4; 144 II 401 E. 3.1 mit Hinweisen). Damit sind indes ausschliesslich unmittelbar mit dem hängigen Verfahren in Zusammenhang stehende Nachteile gemeint, wie z.B. die Fristwahrung bei falscher Angabe der Rechtsmittelfrist oder - wie im angefochtenen Entscheid - die Berücksichtigung bei der Höhe und Verlegung der Prozesskosten. Einen generellen Anspruch auf finanzielle Abgeltung für (angeblich) unnütze Aufwendungen gibt es nicht. Dies ist bestenfalls im Rahmen einer Parteientschädigung möglich, welche unter besonderen Umständen, beispielsweise im Falle einer sogenannten Justizpanne, zu Lasten des Staates geht. Ob diese Voraussetzungen hier gegeben wären, braucht indes nicht geprüft zu werden, denn die Klägerin hat, wie sich aus der nachfolgenden Erwägung ergibt, so oder anders keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.
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4.2.
 
4.2.1. Die Klägerin ist nicht anwaltlich vertreten. Prozessiert eine Partei ohne berufsmässige Vertretung, so hat sie neben dem Ersatz notwendiger Auslagen (Art. 95 Abs. 3 Bst. a ZPO) nur in begründeten Fällen Anspruch auf eine angemessene Umtriebsentschädigung (Art. 95 Abs. 3 Bst. c ZPO; vgl. Urteil 5D_229/2011 vom 16. April 2012 E. 3.3). Dass einer nicht anwaltlich vertretenen Partei ersatzfähige Kosten für Umtriebe erwachsen, ist ungewöhnlich und bedarf einer besonderen Begründung (vgl. Urteile 4A_233/2017 vom 28. September 2017 E. 4.1; 4A_192/2016 vom 22. Juni 2016 E. 8.2; 4A_355/2013 vom 22. Oktober 2013 E. 4.2 mit Hinweis auf das zitierte Urteil 5D_229/2011). Unter einer Umtriebsentschädigung versteht der Gesetzgeber in erster Linie einen gewissen Ausgleich für den Verdienstausfall einer selbstständig erwerbenden Person (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7293 Ziff. 5.8.1 zu Art. 93 und 94). Die Rechtsprechung hat diese Sichtweise übernommen (Urteile 5A_268/2019 vom 15. April 2019 E. 2.2; 5A_157/2019 vom 25. April 2019 E. 2.2; 5A_741/2018, 5A_772/2018 vom 18. Januar 2019 E. 9.2; 5D_7/2015 vom 13. August 2015 E. 9.1). Auch die Doktrin schliesst sich dieser Auslegung an, selbst wenn nach gewissen Autoren auch andere - hier nicht zutreffende - Konstellationen Anlass zur Ausrichtung einer Umtriebsentschädigung geben könnten (Rüegg/ Rüegg, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 21 zu Art. 95 ZPO; Sterchi, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 15 zu Art. 95 ZPO; van de Graaf, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 36 zu Art. 95 ZPO; Tappy, in: Commentaire Romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 35 zu Art. 95 ZPO).
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4.2.2. Auslagen im eigentlichen Sinn macht die Klägerin nicht geltend. Sie führt vielmehr an, wegen der falschen Rechtsmittelbelehrung habe sie die Beschwerde und Stellungnahmen mit Beilagen von über 100 Seiten eingereicht und hiefür unzählige Stunden investieren müssen. Ausserdem habe sie wegen der 10-tägigen Frist unter Zeitdruck gestanden und sei nicht in der Lage gewesen, kurzfristig einen Anwalt zu finden für eine solch komplexe Angelegenheit, die seit 13 Jahren hängig sei.
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4.2.3. Die von der Klägerin angeführten Gründe berechtigen nicht zur Ausrichtung einer Umtriebsentschädigung. Dass sie wegen den von ihr angestrengten prozessualen Vorkehren eine Einkommenseinbusse erlitten hätte, behauptet sie nicht. Damit hätte sie, selbst wenn von einer sogenannten Justizpanne auszugehen wäre, im kantonalen Verfahren keinen Anspruch auf eine Umtriebsentschädigung.
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5. Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet; sie ist abzuweisen. Damit unterliegt die Klägerin, und sie wird kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Aufgrund der besonderen Verhältnisse wird indes auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet. Damit wird das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichterin im Personen-, Erb- und Sachenrecht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 28. April 2020
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Herrmann
 
Die Gerichtsschreiberin: Gutzwiller
 
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