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Informationen zum Dokument  BGer 2C_762/2019  Materielle Begründung
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BGer 2C_762/2019 vom 18.11.2019
 
 
2C_762/2019
 
 
Urteil vom 18. November 2019
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Zünd, Stadelmann,
 
Gerichtsschreiber Kocher.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Kantonales Steueramt Aargau,
 
Tellistrasse 67, 5001 Aarau.
 
Gegenstand
 
Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Aargau, Steuerperiode 2015,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 4. Juli 2019 (WBE.2019.50).
 
 
Erwägungen:
 
1. 
1
1.1. A.________ (geb. 1988; nachfolgend: die Steuerpflichtige) war von Geburt an stets im Einwohnerregister von U.________/GR verzeichnet, wo ihre Ursprungsfamilie lebt. Zuletzt für die Steuerperiode 2014 wurde sie dort rechtskräftig veranlagt. Die Steuerperioden 2015 bis 2017 hält das örtliche Steueramt zurzeit noch offen. In den Jahren 2008 bis 2009 war die Steuerpflichtige in V.________/BE, in den Jahren 2011 bis 2014 im Kanton Glarus als Wochenaufenthalterin gemeldet.
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1.2. Anfang August 2015 zog die unverheiratete Steuerpflichtige zu B.________, ihrem Lebenspartner, der Eigentümer einer Stockwerkeigentumseinheit mit 4½ Zimmern in W.________/AG ist (dazu Urteil 2C_922/2017 vom 18. Dezember 2017). Am 3. August 2015 meldete sie sich dort als Wochenaufenthalterin an. Zur selben Zeit nahm sie eine unbefristete unselbständige Erwerbstätigkeit bei einem Arbeitgeber in X.________/SZ auf. Das Steueramt von W.________/AG teilte der Steuerpflichtigen am 4. Dezember 2015 mit, dass in der Steuerperiode 2015 steuerrechtlicher Wohnsitz in W.________/AG vorliege, weshalb der Status als Wochenaufenthalterin nicht gewährt werden könne. Auf Antrag der Steuerpflichtigen erliess die örtliche Steuerkommission am 2. Mai 2016 eine Domizilverfügung, die den steuerrechtlichen Wohnsitz bestätigte. Einsprache an die Steuerrekurskommission und Rekurs an das Spezialverwaltungsgericht des Kantons Aargau, Abt. Steuern, blieben erfolglos (Einspracheentscheid vom 28. Mai 2018 bzw. Rekursentscheid vom 19. Dezember 2018).
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1.3. Gegen den Rekursentscheid erhob die Steuerpflichtige am 27. Januar 2019 beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau Beschwerde. Sie beantragte, in Aufhebung des Rekursentscheides sei der steuerrechtliche Wohnsitz in U.________/GR zu belassen. Mit Entscheid WBE.2019.50 vom 4. Juli 2019 wies das Verwaltungsgericht, 2. Kammer, die Beschwerde ab. Massgebend seien, so das Verwaltungsgericht, die Verhältnisse am 31. Dezember 2015, wobei ein etwaiges Domizil in X.________/SZ (November 2015 bis und mit Februar 2016) mangels Antrags unbeachtlich zu bleiben habe. Der steuerrechtliche Wohnsitz einer unverheirateten unselbständig erwerbenden Person liege vermutungsweise dort, wo sie sich während der Woche aufhalte. Die gegenteilige schriftenpolizeiliche Behandlung vermöge nur etwas zu ändern, sofern auch die weiteren Sachumstände für den Lebensmittelpunkt in U.________/GR sprächen. Die Steuerpflichtige vermöge aber nicht aufzuzeigen, dass sie mit U.________/GR weiterhin besonders eng verbunden sei. Insbesondere fehle der Nachweis der wöchentlichen Heimkehr zu den Eltern.
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1.4. Mit Eingabe vom 30. August 2019 (Poststempel: 12. September 2019) erhebt die Steuerpflichtige beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der steuerrechtliche Wohnsitz in U.________/GR zu belassen.
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Der Abteilungspräsident als Instruktionsrichter (Art. 32 Abs. 1 BGG [SR 173.110]) hat die vorinstanzlichen Akten beigezogen, von weiteren Instruktionsmassnahmen, insbesondere einem Schriftenwechsel, aber abgesehen.
6
2. 
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2.1. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sind gegeben (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 73 StHG [SR 642.14]).
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2.2. Das Bundesgericht prüft das Bundesrecht von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 145 V 215 E. 1.1 S. 217) und mit uneingeschränkter (voller) Kognition (Art. 95 lit. a BGG; BGE 145 I 239 E. 2 S. 241).
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2.3. Die Verletzung von verfassungsmässigen Individualrechten (einschliesslich der Grundrechte) und des rein kantonalen und kommunalen Rechts prüft das Bundesgericht nur, soweit eine solche Rüge in der Beschwerde überhaupt vorgebracht und ausreichend begründet worden ist (qualifizierte Rüge- und Begründungsobliegenheit gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG). In der Beschwerde ist daher klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, dass und inwiefern verfassungsmässige Individualrechte verletzt worden sein sollen (BGE 145 II 32 E. 5.1 S. 41).
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2.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 145 V 215 E. 1.2 S. 217).
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3. 
12
3.1. Streitig und zu prüfen ist der steuerrechtliche Wohnsitz der Steuerpflichtigen in der Steuerperiode 2015. Als bundesrechtliche Rechtsfrage ist dies von Amtes wegen zu untersuchen (vorne E. 2.2).
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Erwägung 3.2
 
3.2.1. Natürliche Personen sind im Kanton aufgrund 
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3.2.2. Der steuerrechtliche Wohnsitz ist insofern nicht frei wählbar, als es auf den gefühlsmässigen Lebensmittelpunkt nicht ankommt (BGE 138 II 300 E. 3.2 S. 305 f.). Zur Bestimmung des steuerrechtlichen Lebensmittelpunkts sind vielmehr die äusserlich wahrnehmbaren familiären, beruflichen, wirtschaftlichen und weiteren rechtserheblichen Lebensumstände zu ermitteln, abzuwägen und daraufhin zu prüfen, ob sie den Schluss zulassen, es liege die Absicht des dauernden Aufenthaltes vor (BGE 143 II 233 E. 2.5.2 S. 238). Auch ein von vornherein bloss vorübergehender Aufenthalt vermag einen steuerrechtlichen Wohnsitz zu begründen, sofern er auf eine bestimmte Dauer angelegt ist und der Lebensmittelpunkt tatsächlich dorthin verlegt wird. Als Mindestdauer wird üblicherweise ein Jahr vorausgesetzt (BGE 143 II 233 E. 2.5.1 S. 237). Dies alles gilt auch doppelbesteuerungsrechtlich (Art. 127 Abs. 3 BV; BGE 132 I 29 E. 4.1 S. 36; Urteil 2C_296/2018 vom 6. Juni 2018 E. 2.2.1).
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3.2.3. Die bundesgerichtliche Praxis hat zu diesen Grundsätzen typische Fallkonstellationen entwickelt. Was die hier interessierenden 
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3.2.4. Die geschilderte Vermutung kann dadurch entkräftet werden, dass die unverheiratete Person regelmässig, mindestens einmal pro Woche, an den Ort der Familie heimkehrt, mit welcher sie besonders eng verbunden ist, und wo sie andere persönliche und gesellschaftliche Beziehungen pflegt. Gelingt ihr der Nachweis solcher familiärer, privater und gesellschaftlicher Beziehungen zum Familienort, hat der Kanton des Arbeits- oder Wochenaufenthaltsortes nachzuweisen, dass die Person die gewichtigeren wirtschaftlichen und gegebenenfalls persönlichen und gesellschaftlichen Beziehungen zu diesem Ort unterhält (Urteil 2C_296/2018 vom 6. Juni 2018 E. 2.2.3).
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3.2.5. Von den alleinstehenden Personen sind steuerrechtlich jene unverheirateten Personen zu unterscheiden, die nicht alleine oder in einer Wohngemeinschaft, sondern im 
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3.3. 
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3.3.1. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG; vorne E. 2.4) qualifiziert die unverheiratete Steuerpflichtige im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis zum Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung (Art. 127 Abs. 3 BV) als unselbständig erwerbende Person, die keine leitende Stellung bekleidet. Am Ende der Steuerperiode 2015 war sie 27-jährig und lebte sie erst seit kurzer Zeit in W.________/AG, weshalb die sog. "30/5"-Praxis (vorne E. 3.2.3) nicht greift. Nichtsdestotrotz kann der steuerrechtliche Wohnsitz in der Steuerperiode 2015 vom Familienort an den neuen Wohnort übergegangen sein, falls eine sorgfältige Berücksichtigung und Gewichtung sämtlicher Berufs-, Familien- und Lebensumstände zu diesem Schluss führt (vorne E. 3.2.2).
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3.3.2. In diesem Zusammenhang hat die Vorinstanz unwidersprochen und damit für das Bundesgericht verbindlich festgehalten, dass die Steuerpflichtige zu ihrem Lebenspartner nach W.________/AG gezogen sei. Dieser Umstand stellt, für sich genommen, bereits ein gewichtiges Indiz für die Begründung eines neuen steuerrechtlichen Wohnsitzes dar (vorne E. 3.2.5). Aus dem den Lebenspartner betreffenden Urteil 2C_922/2017 vom 18. Dezember 2017 zur Steuerperiode 2015 ist dem Bundesgericht sodann bekannt, dass der Lebenspartner von Oktober 2015 bis zum Februar 2016 eine 3-Zimmer-Wohnung in X.________/SZ angemietet hatte, dass die Steuerpflichtige in dieser Zeit aber durchwegs in der Wohnung in W.________/AG verblieben war (dortige E. 1.1 und 3.3). Die Steuerpflichtige und ihr Lebenspartner bewohnten die gemeinsame Wohnung nach erfolgter Rückkehr des Mannes - trotz geltend gemachter Baumängel - zumindest bis zum angefochtenen Entscheid vom 4. Juli 2019. Dies darf berücksichtigt werden, bedarf es in Wohnsitzfragen doch häufig eines längeren Beobachtungszeitraums, um die Absicht des dauernden Aufenthalts schlüssig zu erkennen.
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3.3.3. Die vorinstanzlich festgestellten Partnerschafts-, Wohn- und Berufsverhältnisse sprechen deutlich für eine Absicht des dauernden Aufenthaltes bzw. eine Wohnsitzverlegung von U.________/GR nach W.________/AG. Zum selben Schluss führt die vorinstanzliche Feststellung, wonach die Steuerpflichtige in der Steuerperiode 2015 nicht (mehr) allwöchentlich zu ihren Eltern nach U.________/GR zurückgekehrt sei. Eine besonders enge Verbundenheit zur dortigen Gemeinde werde zwar behauptet, so die Vorinstanz, sei aber nicht nachgewiesen. Im Elternhaus verfüge die Steuerpflichtige zwar immer noch über ihr einstiges Kinderzimmer. Dagegen fehlten Anhaltspunkte für einen dortigen Freundeskreis, für Vereinsmitgliedschaften oder andere Tätigkeiten, habe die Steuerpflichtige doch hierzu keinerlei Aussagen gemacht.
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3.3.4. Was die Steuerpflichtige dagegen vorbringt, vermag die vorinstanzliche Beweiswürdigung nicht als verfassungsrechtlich unhaltbar darzustellen. Die Einwände bleiben an der Oberfläche und setzen sich mit der Verfassungsfrage in keiner Weise auseinander (Art. 106 Abs. 2 BGG; vorne E. 2.3). Die Vorinstanz durfte willkürfrei die Beweislage als klar und vollständig erachten, nachdem es der Steuerpflichtigen misslungen war, den Nachweis wesentlicher familiärer, privater und gesellschaftlicher Beziehungen zum Familienort zu erbringen (vorne E. 3.2.4). Daran ändert nichts, wenn die Steuerpflichtige im bundesgerichtlichen Verfahren davon spricht, es liege eine "eigentliche Falschbeurkundung" (bezüglich der angeblich durch die Gemeinde W.________/AG veranlassten schriftenpolizeilichen Abmeldung in U.________/GR) vor, zumal die Gemeinde W.________/AG es "mit der Wahrheit nicht so genau nimmt". Für diese Behauptung bleibt die Steuerpflichtige jeden Nachweis schuldig, weshalb darauf nicht einzugehen ist.
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3.4. Dem Kanton Aargau ist es gelungen, die gewichtigeren wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen der Steuerpflichtigen zur Gemeinde W.________/AG darzutun. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet. Sie ist abzuweisen.
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4. Nach dem Unterliegerprinzip sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der Steuerpflichtigen aufzuerlegen (Art. 65 und Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Dem Kanton Aargau, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).
25
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. November 2019
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Kocher
 
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