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Informationen zum Dokument  BGer 2C_119/2018  Materielle Begründung
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BGer 2C_119/2018 vom 14.11.2019
 
 
2C_119/2018
 
 
Urteil vom 14. November 2019
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Zünd, Donzallaz, Stadelmann, Haag,
 
Gerichtsschreiber Seiler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Kantonales Steueramt Zürich,
 
Dienstabteilung Recht, Bändliweg 21, 8090 Zürich,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
A.________ Ltd.,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Zürich 2014,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2. Abteilung, vom 20. Dezember 2017 (SB.2016.00017).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Die A.________ Ltd. mit Sitz in U.________ bezweckt das Halten von Beteiligungen. Sie wird vom Kanton Zürich als Holdinggesellschaft gemäss § 73 des Steuergesetzes vom 8. Juni 1997 des Kanton Zürich (StG/ZH; LS 631.1) eingeschätzt. Für die Steuerperiode vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2014 deklarierte sie ein steuerbares Eigenkapital von Fr. 14'525'459'336.--.
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B.
 
Das Kantonale Steueramt Zürich rechnete der A.________ Ltd. in der Einschätzung vom 17. Dezember 2015 einen Betrag von Fr. 468'185'409.-- zum deklarierten Eigenkapital hinzu. Dieser Betrag entsprach dem negativen Eigenkapitalkonto, welches die A.________ Ltd. für eigene Aktien gebildet hatte, über welche sie nicht mit der Verrechnungssteuer abgerechnet hatte. Soweit sie sich gegen diese Aufrechnung richtete, wies das Kantonale Steueramt die Einsprache der A.________ Ltd. mit Entscheid vom 19. April 2016 ab. Hingegen hiess das Steuerrekursgericht des Kantons Zürich den gegen den Einspracheentscheid gerichteten Rekurs mit Entscheid vom 22. November 2016 gut und schätzte die A.________ Ltd. antrags- und deklarationsgemäss mit einem steuerbaren Eigenkapital von Fr. 14'525'459'336.-- zum Kapitalsteuersatz von 0.15 o/oo ein. Die vom Kantonalen Steueramt hiergegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 20. Dezember 2017 ab.
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C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 7. Februar 2018 beantragt das Kantonale Steueramt, dass das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Einschätzung gemäss Einspracheentscheid vom 19. April 2016 zu bestätigen sei. In prozessualer Hinsicht beantragt das Kantonale Steueramt, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) zur Vernehmlassung einzuladen sei. Die A.________ Ltd. beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Die Vorinstanz und die ESTV haben sich vernehmen lassen. Die Vorinstanz beantragt Abweisung, die ESTV Gutheissung der Beschwerde.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wurde unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) eingereicht und richtet sich gegen einen Endentscheid einer letzten, oberen kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG). Die Beschwerdelegitimation des Kantonalen Steueramts ergibt sich aus Art. 73 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) in Verbindung mit § 154 StG/ ZH und Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht nach Art. 106 Abs. 1 BGG von Amtes wegen an, prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht gemäss Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 BGG nur die geltend gemachten Rechtsverletzungen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5 S. 144). Es prüft die Anwendung des harmonisierten kantonalen Steuerrechts gleich wie Bundesrecht mit freier Kognition, jene des nicht-harmonisierten, autonomen kantonalen Rechts hingegen bloss auf Verletzung des Willkürverbots (BGE 143 II 459 E. 2.1 S. 465; 134 II 207 E. 2 S. 210).
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Erwägung 2
 
Die Vorinstanz hat ihr Urteil im Wesentlichen damit begründet, dass die Handelsbilanz der steuerpflichtigen juristischen Person für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Kapitalsteuer massgeblich sei. Daran habe sich unter neuem Rechnungslegungsrecht nichts geändert. Wenn eigene Aktien nun nach neuem Rechnungslegungsrecht nicht mehr zu aktivieren seien, sondern ihnen nach Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. e OR über einen Minusposten im Eigenkapital Rechnung zu tragen sei, so sei grundsätzlich auch die kapitalsteuerliche Behandlung hieran gebunden. Auch den Materialien lasse sich nichts Anderes entnehmen. Vielmehr habe der Gesetzgeber das geltende Massgeblichkeitsprinzip ausdrücklich beibehalten wollen.
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Das Kantonale Steueramt bringt vor, dass die Vorinstanz § 79 Abs. 1 StG/ZH und Art. 29 Abs. 2 lit. b StHG falsch angewendet habe, indem sie das negative Eigenkapitalkonto für die eigenen Aktien gemäss der Handelsbilanz der Beschwerdegegnerin vom steuerbaren Eigenkapital abgezogen bzw. nicht aufgerechnet habe.
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Erwägung 3
 
3.1. Kauft eine Kapitalgesellschaft eigene Kapitalanteile zurück, führt dies zu einer Entreicherung bei der Kapitalgesellschaft. Denn die Gesellschaft gibt bei einem solchen Geschäft zwar finanzielle Mittel hin, erwirbt aber im Gegenzug nichts, das ihr nicht schon zuvor gehörte (vgl. BGE 136 II 33 E. 3.2 S. 38 f. mit Hinweis auf Botschaft zur Reform der Unternehmensbesteuerung 1997 vom 26. März 1997 [Botschaft 1997], BBl 1997 II S. 1197 f. Ziff. 251). Das Steuerrecht orientiert sich an diesen tatsächlichen Verhältnissen, wenn es von einem Mittelabfluss von der Kapitalgesellschaft an die Anteilsinhaber ausgeht und den Rückkauf eigener Kapitalanteile grundsätzlich als Teilliquidation betrachtet (BGE 136 II 33 E. 3.2.3 S. 33; PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 4 N. 311; a.M. VON AH, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, VStG, 2. Aufl. 2012, N. 54a zu Art. 4a VStG).
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3.2. Die gesellschafts- und rechnungslegungsrechtliche Behandlung eigener Kapitalanteile hat sich über die Jahre stark gewandelt. Ursprünglich hatte der Gesetzgeber der Aktiengesellschaft den Rückkauf eigener Aktien unter Vorbehalt gewisser Ausnahmen gesellschaftsrechtlich verboten (vgl. Art. 628 aOR aus dem Jahr 1881 und Art. 659 aOR aus dem Jahr 1936; vgl. dazu BGE 110 II 293 E. 3 S. 299 ff.). Seit dem 1. Juli 1992 ist es den Aktiengesellschaften in gewissen Schranken erlaubt, eigene Aktien zu erwerben, ohne ihr Aktienkapital herabzusetzen (vgl. Art. 659 OR). Rechnungslegungsrechtlich waren die Kapitalgesellschaften nach der Aktienrechtsreform von 1991/1992 verpflichtet, zurückgekaufte eigene Kapitalanteile zu aktivieren und passivseitig eine gesonderte Reserve auszuweisen (vgl. Botschaft über die Revision des Aktienrechts vom 23. Februar 1983 [Botschaft 1983], BBl 1983 II S. 806 Ziff. 208.23; PETER BÖCKLI, a.a.O., § 4 N. 237).
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Das neue, am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Rechnungslegungsrecht hat die Darstellung der eigenen Kapitalanteile in den handelsrechtlichen Büchern der Kapitalgesellschaften nun mit der wirtschaftlichen Realität und der international üblichen Betrachtung in Einklang gebracht, indem Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. e OR die Bildung eines negativen Eigenkapitalpostens in der Höhe der Anschaffungskosten statt der Aktivierung der eigenen Kapitalanteile vorschreibt (vgl. Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts. [Aktienrecht und Rechnungslegungsrecht sowie Anpassungen im Recht der Kollektiv- und der Kommanditgesellschaft, im GmbH-Recht, Genossenschafts-, Handelsregister- sowie Firmenrecht] vom 21. Dezember 2007 [Botschaft 2007], BBl 2008 S. 1660 und 1706).
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3.3. Die gemäss den Regeln des Handelsrechts aufgestellte Handelsbilanz ist für die Steuerbilanz massgebend, soweit keine steuerrechtlichen Korrekturvorschriften eingreifen (BGE 141 II 83 E. 3.1 S. 85; 137 II 353 E. 6.2 S. 359 f.; 136 II 88 E. 3.1 S. 92). Obgleich im Wortlaut von Art. 24 Abs. 1 und Art. 29 StHG weniger klar verankert als im Recht der direkten Bundessteuer (vgl. Art. 58 Abs. 1 lit. a DBG), gilt dieser Grundsatz nach der Rechtsprechung auch für die kantonalen Steuern (Urteile 2C_102/2018 vom 15. November 2018 E. 6, in: StE 2019 B 72.14.1 Nr. 32; 2C_1218/2013 vom 19. Dezember 2014 E. 7.2, nicht publ. in: BGE 141 II 83). Bezüglich der Kapitalsteuer ergibt sich dies bereits aus dem Begriff der "offenen Reserven", wie er in Art. 29 Abs. 1 lit. a und lit. b StHG und § 79 Abs. 1 StG/ZH verwendet wird. "Offen" sind diese Reserven, weil sie in der Handelsbilanz als Eigenkapital ausgewiesen werden. Es handelt sich hierbei um einen Sammelbegriff, der mit Ausnahme des Grund- und Stammkapitals alle Teile des in der Handelsbilanz ausgewiesenen Eigenkapitals bzw. Reinvermögens umfasst (vgl. BGE 73 I 62 E. 2 S. 74; ZWAHLEN/LISSI, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, StHG, 3. Aufl. 2017, N. 10 f. zu Art. 29/29a StHG). Dazu gehören als negative Reserven auch die gesetzlich vorgesehenen Minusposten (Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. d und lit. e OR). Zusammen mit dem einbezahlten Grund- und Stammkapital, den in der Handelsbilanz nicht ausgewiesenen stillen Reserven und dem in Art. 29a StHG angesprochenen verdeckten Eigenkapital entsprechen die offenen Reserven dem Reinvermögen der juristischen Person (Bruttovermögen minus Verbindlichkeiten; vgl. BGE 93 I 609 E. 5.a S. 615; zur Verrechnung von negativen und positiven Posten des Eigenkapitals vgl. Urteil 2C_259/2008 vom 6. November 2008 E. 2.5.2, in: StE 2009 B 73.12 Nr. 9, StR 64/2009 S. 491).
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Erwägung 4
 
Sowohl das Massgeblichkeitsprinzip als auch die wirtschaftliche Realität sprechen nach dem Gesagten dafür, den negativen Eigenkapitalposten für eigene Kapitalanteile nach Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. e OR für die Bemessung der Kapitalsteuer zum Abzug zu bringen. Das Kantonale Steueramt hält aber Art. 4a des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer (VStG; SR 642.21) sowie die Verweisungen hierauf in Art. 20 Abs. 1 lit. c des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11), Art. 7 Abs. 1bis StHG und § 20 Abs. 1 lit. c StG/ZH für steuerrechtliche Korrekturvorschriften, die geböten, von der Handelsbilanz abzuweichen.
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4.1. Neben der Bekämpfung der Steuerhinterziehung bezweckt die Verrechnungssteuer in erster Linie die Sicherung der geschuldeten Kantons- und Gemeindesteuern des Empfängers der steuerbaren Leistung. Alleine gegenüber im Ausland ansässigen Empfängern und inländischen Steuerdefraudanten kommt ihr ein Fiskalzweck zu (BGE 136 II 525 E. 3.3.1 S. 533; 125 II 348 E. 4 S. 352 f.; Urteile 2C_123/2016 vom 21. November 2017 E. 3.2, in: StR 73/2018 S. 231; 2C_333/2007 / 2C_407/2007 vom 22. Februar 2008 E. 7.3, in: RDAF 2009 II S. 162, StR 63/2008 S. 475). Trotz dieses Sicherungszwecks ist es indessen nicht zwingend, dass sich das Objekt der Verrechnungssteuer in ihrem Geltungsbereich mit jenem der Kantons- und Gemeindesteuern vollständig deckt und damit die verrechnungssteuerlich belasteten Betreffnisse beim Anteilsinhaber auch tatsächlich den Kantons- und Gemeindesteuern unterliegen (BGE 118 Ib 317 E. 2 S. 322 f.), auch wenn dies aus Effizienzüberlegungen wünschenswert sein mag und mittlerweile dank der Steuerharmonisierung für die meisten Konstellationen auch verwirklicht sein dürfte. Folglich verschafft das (harmonisierte) kantonale Steuerrecht keine gesetzliche Grundlage für die Erhebung der Verrechnungssteuer (Urteil 2C_123/2016 vom 21. November 2017 E. 4.2.3, in: StR 73/2018 S. 231). Genau so wenig können die Normen des Verrechnungssteuerrechts die Bemessungsgrundlage der kantonalen Steuern in eine Richtung korrigieren, die im kantonalen Steuerrecht bzw. im StHG selbst keinen Niederschlag gefunden hat. Das gilt selbstredend nicht nur für die kantonalen Steuern des Anteilsinhabers, deren Sicherung die Verrechnungssteuer bezweckt, sondern umso mehr für die kantonalen Steuern der ausrichtenden Gesellschaft. Sie ist zwar zur Ablieferung der Verrechnungssteuer verpflichtet (vgl. Art. 10 Abs. 1 VStG), hat die Steuerlast aber auf ihre Anteilsinhaber zu überwälzen (vgl. Art. 14 Abs. 1 VStG). Folglich entfaltet die Verrechnungssteuer in Bezug auf die Gesellschaft selbst weder eine Fiskal-, noch eine Sicherungsfunktion.
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4.2. Während also aus der verrechnungssteuerlichen Regelung alleine keine Korrekturvorschrift für die Bemessung der Kapitalsteuer des Kantons Zürich gewonnen werden kann, bleibt zu prüfen, ob aus den Verweisungen darauf in Art. 20 Abs. 1 lit. c DBG, Art. 7 Abs. 1bis StHG und § 20 Abs. 1 lit. c StG/ZH Rückschlüsse für die Kapitalsteuer bei der Gesellschaft gezogen werden können. Dazu sind vorab die Regelungen des Rückkaufs eigener Kapitalanteile im Verrechnungs- und im Einkommenssteuerrecht und ihr geschichtlicher Hintergrund darzustellen.
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4.2.1. Ursprünglich galt der Rückkauf eigener Kapitalanteile grundsätzlich verrechnungs- und einkommenssteuerlich als Teilliquidation (vgl. Urteil vom 2. März 1973 E. 3, in: ASA 42 S. 319). Die Verwaltungspraxis gewährte eine einjährige Toleranzfrist, nach welcher rückwirkend die Verrechnungssteuer und in der Folge bei den natürlichen Personen, welche die verkauften Kapitalanteile im Privatvermögen gehalten hatten, die Einkommenssteuer ausgelöst wurde (vgl. für eine Übersicht der Lehrmeinungen dazu ERNST GIGER, Der Erwerb eigener Aktien, 1995, S. 164 f.). Die Aktienrechtsreform von 1991/1992 sollte an diesem Regime nach Ansicht des Bundesrats nichts ändern, obschon der Rückkauf eigener Kapitalanteile nunmehr ausdrücklich zulässig sein würde (vgl. Botschaft 1983, BBl 1983 II S. 806 Ziff. 208.23). Die Lehre nahm diese steuerlichen Folgen jedoch zunehmend als zu streng wahr und bezeichnete sie zuweilen als prohibitiv für den zivilrechtlich nunmehr zulässigen Rückkauf eigener Kapitalanteile, insbesondere soweit Publikumsgesellschaften und Privatanleger betroffen waren (vgl. Botschaft 1997, BBl 1997 II 1197 f. Ziff. 251; PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl. 1996, N. 410a ff.; MARKUS DESAX, Vereitelt der Fiskus das neue Aktienrecht?, in: NZZ vom 24. Juni 1992, S. 37; PETER LOCHER, Steuerrechtliche Folgen der Revision des Aktienrechtes, ASA 61 S. 110 f.; MARKUS NEUHAUS, Unternehmensbesteuerung nach neuem Aktienrecht, ST 1993 S. 876).
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4.2.2. Nachdem in der Verwaltungspraxis bereits gewisse Erleichterungen gewährt worden waren (vgl. dazu Botschaft 1997, BBl 1997 II S. 1198 Ziff. 251), wurde im Rahmen der Unternehmenssteuerreform I die heute gültige verrechnungssteuerliche Regelung des Erwerbs eigener Aktien in Art. 4a VStG eingeführt. Danach wird die Verrechnungssteuer weiterhin umgehend erhoben, wenn der Rückkauf im Rahmen oder im Hinblick auf eine Kapitalherabsetzung erfolgt (Art. 4a Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 VStG). Kauft eine Gesellschaft hingegen eigene Kapitalanteile, ohne ihr Kapital herabsetzen zu wollen, löst dies die Verrechnungssteuer erst aus, wenn die gesetzlich vorgesehenen Haltefristen überschritten werden, die Gesellschaft vor Ablauf der Haltefrist doch noch eine Herabsetzung des Kapitals beschliesst oder vor Ablauf der Haltefrist liquidiert wird (Art. 4a Abs. 2 VStG [Haltefrist von 6 Jahren] sowie Art. 4a Abs. 1 und Abs. 2 VStG i.V.m. Art. 659 und 783 OR [Haltefrist von 2 Jahren], jeweils i.V.m. Art. 12 Abs. 1bis VStG; vgl. BGE 136 II 33 E. 2.2.2 S. 37; Urteil 2C_928/2014 vom 9. Juni 2015 E. 3.2, in: StR 71/2016 S. 700; vgl. auch Art. 4a Abs. 2 VStG, wonach diese Fristen unter gewissen, hier nicht einschlägigen Voraussetzungen stillstehen). Rechtsprechung und Lehre bezeichnen diese Rechtsfolge als mittelbare oder suspensiv bedingte Teilliquidation (vgl. BGE 136 II 33 E. 2.2.2 S. 37 mit Hinweisen; Urteil 2C_928/2014 vom 9. Juni 2015 E. 3.2, in: StR 71/2016 S. 700; ERNST GIGER, Steuerfragen beim Erwerb eigener Aktien, ST 1998 S. 660).
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4.2.3. Anders als für die Verrechnungssteuer hatte der Bundesrat für die Einkommenssteuer vorgeschlagen, die Folgen der Teilliquidation bei den Anteilsinhabern mit Kapitalanteilen im Privatvermögen unmittelbar eintreten zu lassen, dem Anteilsinhaber aber im Falle der rechtzeitigen Wiederveräusserung durch die Gesellschaft die Revision zu ermöglichen (vgl. Botschaft 1997, BBl 1997 S. 1209). Das Parlament beschloss stattdessen, mittels der Verweisungen in Art. 20 Abs. 1 lit. c DBG und § 20 Abs. 1 lit. c StG/ZH die Folgen der Teilliquidation analog der Verrechnungssteuer auch für die Einkommensbesteuerung beim Anteilsinhaber aufzuschieben, wenn er seine Kapitalanteile im Privatvermögen gehalten hat. Nach überzeugender Lehrmeinung bedeutet dies, dass der Anteilsinhaber beim Verkauf von Kapitalanteilen aus dem Privatvermögen zunächst einen steuerfreien Kapitalgewinn nach Art. 16 Abs. 3 DBG und § 16 Abs. 3 StG/ZH erzielt. Mit anderen Worten wird also ein Verkauf an eine Drittperson fingiert und werden die Privatanleger provisorisch so gestellt, als hätten sie ihre Kapitalanteile an eine Drittperson verkauft. Überschreitet die Gesellschaft jedoch die Haltefrist gemäss Art. 4a Abs. 2 VStG, wird der Kapitalgewinn ex nunc in einen steuerbaren Vermögensertrag gemäss Art. 20 Abs. 1 lit. c DBG und § 20 Abs. 1 lit. c StG/ZH umqualifiziert (vgl. ERNST GIGER, Steuerfragen beim Erwerb eigener Aktien, ST 1998 S. 660; ähnlich auch OBERSON/MERLINO, Le traitement fiscal du rachat par une société de ses propres actions, in: Thévenoz/Bovet [Hrsg.], Journée 1999 de droit bancaire et financier, S. 97 ff.).
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4.2.4. Diese verrechnungs- und einkommenssteuerliche Behandlung des Erwerbs eigener Aktien weicht von der wirtschaftlichen Realität ab (vgl. oben E. 3.1). Entgegen dem Kantonalen Steueramt fusst sie allerdings auch nicht auf einer zivilrechtlichen Betrachtungsweise, treten die Steuerfolgen doch bereits mit Ablauf der Haltefristen und nicht etwa erst mit der zivilrechtlichen Kapitalherabsetzung bzw. Liquidation der Kapitalgesellschaft ein. Vielmehr handelt es sich um eine pragmatische Sonderlösung eines spezifisch verrechnungssteuerlichen Problems, die vom Parlament teilweise auf die Einkommenssteuer ausgedehnt wurde.
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4.2.5. Aus steuersystematischen Überlegungen liegt es an sich nahe, denselben Vorgang beim Anteilsinhaber und bei der Kapitalgesellschaft nicht unterschiedlich zu behandeln (vgl. Urteile 2C_495/2018 vom 7. Mai 2019 E. 4.3, in: StE 2019 B 97.11 Nr. 29; 2C_853/2017 vom 13. Dezember 2017 E. 3.5.1, in: StE 2018 B 97.41 Nr. 30). Allerdings ist nicht zu übersehen, dass der Harmonisierungsgesetzgeber wie auch der Kanton Zürich es gerade unterlassen haben, in die Regelung der Kapitalsteuer eine mit Art. 7 Abs. 1bis StHG und § 20 Abs. 1 lit. c StG/ZH vergleichbare Norm einzufügen. Hinzu kommt, dass die Einkommenssteuerfolgen der Teilliquidation effektiv nur für einen Teil der Anteilsinhaber aufgeschoben werden. Anteilsinhaber, für die das Buchwertprinzip gilt (natürliche Personen, die ihre Kapitalanteile im Geschäftsvermögen halten, und juristische Personen), unterliegen für die bei der Rückgabe von Kapitalanteilen an die Kapitalgesellschaft erzielten Mehrwerte umgehend der Einkommens- bzw. Gewinnsteuer (vgl. ERNST GIGER, Steuerfragen beim Erwerb eigener Aktien, ST 1998 S. 662). Aber selbst bei den natürlichen Personen mit Kapitalanteilen im Privatvermögen wird der mit der Rückgabe dieser Kapitalanteile verbundene Mittelzufluss steuerlich nicht ignoriert, sondern bloss vorläufig ein steuerfreier Kapitalgewinn fingiert (vgl. auch oben E. 4.2.3). Auch die Vermögens- und Kapitalsteuern erfassen die Rückgabe der Kapitalanteile bei den Anteilsinhabern unmittelbar, soweit die gelösten Mittel am massgebenden Stichtag noch vorhanden sind (vgl. Art. 17 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 4 StHG sowie § 51 Abs. 1 und § 85 Abs. 1 StG/ZH). Es ist somit entgegen dem Kantonalen Steueramt nicht methodendualistisch, für die Kapitalsteuer die im Steuerrecht übliche und wirtschaftlich zutreffende Sichtweise anzuwenden und die verrechnungs- und teilweise einkommenssteuerliche Sonderlösung nicht auf die Kapitalsteuer zu erstrecken.
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4.3. Vor diesem Hintergrund erscheint der steuersystematische Zusammenhang zwischen der Verrechnungssteuer und der Einkommenssteuer bei einem Teil der Anteilsinhaber einerseits und der Kapitalsteuer bei der Kapitalgesellschaft andererseits als zu schwach, um Art. 20 Abs. 1 lit. c DBG, Art. 7 Abs. 1bis StHG und § 20 Abs. 1 lit. c StG/ZH als Korrekturvorschriften für die Kapitalsteuer erscheinen zu lassen und das Massgeblichkeitsprinzip gemäss Art. 29 Abs. 1 StHG und § 79 Abs. 1 StG/ZH zu durchbrechen.
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Erwägung 5
 
Nichts zu seinen Gunsten kann das Kantonale Steueramt schliesslich aus der Entstehungsgeschichte des neuen Rechnungslegungsrechts ableiten. Wohl trifft es zu, dass der Bundesrat die Erwartung äusserte, dass die Vorlage steuerneutral ausfallen werde (Botschaft 2007, BBl 2008 S. 1626). Diese Äusserung ist aber vor dem Umstand zu sehen, dass entgegen früheren Bestrebungen (vgl. Expertenkommission "Rechnungslegungsrecht", Vorentwürfe und Begleitbericht zu einem Bundesgesetz über die Rechnungslegung und Revision [RRG] und zu einer Verordnung über die Zulassung von Abschlussprüfern [VZA] vom 29. Juni 1998, S. 68 Ziff. 2.1; Groupe de réflexion "Gesellschaftsrecht", Schlussbericht vom 24. September 1993, S. 9 f.) auf tiefgreifende Änderungen der handelsrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften verzichtet wurde, welche die Aufgabe oder zumindest Aufweichung des Massgeblichkeitsprinzips erforderlich gemacht hätten (Bundesamt für Justiz, Begleitbericht zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom 2. Dezember 2005, S. 35). War die vom Bundesrat in Aussicht gestellte Steuerneutraltität dergestalt mit dem Massgeblichkeitsprinzip verknüpft, lässt sich nicht sagen, ob der historische Gesetzgeber das Ziel der Steuerneutralität höher gewichtete als die Integrität des Massgeblichkeitsprinzips. Vielmehr ist mit der Vorinstanz zu konstatieren, dass die historische Auslegung von Art. 959 Abs. 2 OR kein Argument für die Durchbrechung des Massgeblichkeitsprinzips liefert.
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Erwägung 6
 
Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz weder das Harmonisierungsrecht verletzt, noch kantonales Recht in bundesrechtswidriger Weise angewandt, indem sie den negativen Eigenkapitalposten in der Handelsbilanz der Beschwerdegegnerin mit den übrigen offenen Reserven verrechnet und damit in Abzug vom steuerbaren Eigenkapital gebracht hat. Das angefochtene Urteil erweist sich als bundesrechtskonform.
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Erwägung 7
 
Die Beschwerde ist unbegründet und abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat der Kanton Zürich, der in seiner Eigenschaft als Abgabegläubiger Vermögensinteressen im Sinne von Art. 66 Abs. 4 BGG verfolgt, die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 65 i.V.m. Art. 66 Abs. 1 BGG). Der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdegegnerin steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 11 Reglement vom 31. März 2006 über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht [SR. 173.110.210.3]).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 6'000.-- werden dem Kanton Zürich auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. November 2019
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Seiler
 
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