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Informationen zum Dokument  BGer 2C_711/2019  Materielle Begründung
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BGer 2C_711/2019 vom 01.11.2019
 
 
2C_711/2019
 
 
Urteil vom 1. November 2019
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Bundesrichterin Hänni,
 
Gerichtsschreiber Businger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Ebnöther,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Zürich,
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.
 
Gegenstand
 
Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (Wiedererwägung); unentgeltliche Rechtspflege,
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich,
 
2. Abteilung, vom 19. Juli 2019 (VB.2019.00471).
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. A.________ (geboren 1956) ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Abstammung. Er reiste 1982 in die Schweiz ein, ersuchte erfolglos um Asyl und erhielt zuerst eine Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen und im Jahr 2002 die Niederlassungsbewilligung. Seine seit 1997 von ihm geschiedene Ehefrau und die gemeinsamen Töchter (geboren 1990 und 1991) erlangten im Jahr 2004 das Schweizer Bürgerrecht. Nachdem A.________ mehrfach straffällig geworden und u.a. wegen versuchter vorsätzlicher Tötung mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bestraft worden war, widerrief das Migrationsamt des Kantons Zürich am 13. Mai 2015 seine Niederlassungsbewilligung und wies ihn aus der Schweiz weg. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos; zuletzt wies das Bundesgericht die Beschwerde mit Urteil 2C_53/2016 vom 23. Juni 2016 ab. Am 8. Januar 2016 reichte A.________ ein neues Asylgesuch ein, welches am 17. August 2018 abgewiesen wurde. Zurzeit ist die Beschwerde vor Bundesverwaltungsgericht hängig.
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1.2. Am 31. Dezember 2018 ersuchte A.________ um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Das Migrationsamt des Kantons Zürich trat auf das Gesuch am 20. Februar 2019 nicht ein. Den dagegen erhobenen Rekurs wies die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich am 13. Juni 2019 ab. Das daraufhin angerufene Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies am 19. Juli 2019 das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit ab und setzte A.________ eine Frist von 20 Tagen zur Leistung eines Kostenvorschusses an, weil er der Zürcher Justiz noch Kosten von Fr. 129'794.25 schulde.
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1.3. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 21. August 2019 beantragt A.________ dem Bundesgericht, ihm sei für das verwaltungsgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Zudem sei ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten, aber keine Vernehmlassungen eingeholt.
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Erwägung 2
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Es kann offengelassen werden, ob sich der Beschwerdeführer in vertretbarer Weise auf einen Aufenthaltsanspruch beruft und die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist oder ob lediglich die subsidiäre Verfassungsbeschwerde zur Verfügung steht. Denn der Beschwerdeführer rügt die Verletzung eines verfassungsmässigen Rechtes (Art. 29 Abs. 3 BV), die bei beiden Beschwerdearten zu den zulässigen Beschwerdegründen zählt. Soweit der Beschwerdeführer zudem eine Verletzung von Art. 65 VwVG rügt, ist anzumerken, dass diese Bestimmung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung findet (Art. 1 Abs. 3 VwVG), sondern § 16 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 (VRG/ZH; LS 175.2) massgebend ist. Nachdem der Beschwerdeführer nicht vorbringt, dass § 16 VRG/ZH über die verfassungsrechtliche Garantie von Art. 29 Abs. 3 BV hinausgeht, ist darauf nicht näher einzugehen.
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2.2. Angefochten ist ein Zwischenentscheid, mit dem das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen und ihm Frist zur Leistung eines Kostenvorschusses angesetzt worden ist unter Androhung des Nichteintretens. Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG liegt deshalb ohne Weiteres vor (BGE 126 I 207 E. 2a S. 210).
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Erwägung 3
 
3.1. Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand (Art. 29 Abs. 3 BV). Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f. mit Hinweisen).
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3.2. Das Verwaltungsgericht hat erwogen, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Straffälligkeit rechtskräftig aus der Schweiz weggewiesen worden sei. Eine Neubeurteilung eines allfälligen Aufenthaltsanspruches setze voraus, dass der Wegweisung Folge geleistet worden sei und sich der Betroffene im Ausland bewährt habe. Der Beschwerdeführer mache nicht geltend, dass er die Schweiz verlassen und sich im Ausland bewährt habe, weshalb die Beschwerde prima facie als offensichtlich aussichtslos erscheine.
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3.3. Was der Beschwerdeführer gegen diese Würdigung vorbringt, überzeugt nicht:
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3.3.1. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung können ausländerrechtliche Entscheide nicht immer wieder infrage gestellt werden. Ein neues Bewilligungsgesuch ist nur dann materiell zu behandeln, wenn sich der Sachverhalt oder die Rechtslage (bei Dauersachverhalten) entscheidwesentlich geändert haben (BGE 136 II 177 E. 2.2.1 S. 181). In Konkretisierung dieses allgemeinen Grundsatzes bejaht das Bundesgericht bei Ausländern, die wegen ihrer Straffälligkeit weggewiesen worden sind, einen Anspruch auf Neubeurteilung, wenn sich der Betroffene nach seiner Ausreise während fünf Jahren wohlverhalten hat, wobei in begründeten Fällen auch eine kürzere Frist ausreichend ist (Urteil 2C_650/2017 vom 9. Januar 2018 E. 2.3).
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3.3.2. Der Beschwerdeführer ist mit Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 2016 rechtskräftig weggewiesen worden. Aufgrund seines bereits im Januar 2016 eingereichten und nach wie vor hängigen Asylgesuchs hat er die Schweiz in der Folge nicht verlassen müssen. Es kann im vorliegenden Fall offengelassen werden, ob bei einem Ausländer, der sich nach der rechtskräftigen (ausländerrechtlichen) Wegweisung aufgrund eines Asylverfahrens weiterhin in der Schweiz aufhalten darf, ebenfalls eine fünfjährige Bewährungszeit im Ausland gilt, oder ob die rechtmässig in der Schweiz verbrachte Zeitspanne anzurechnen ist. Denn der Beschwerdeführer erfüllt so oder anders die fünfjährige Bewährungsfrist nicht, nachdem er sein neues Bewilligungsgesuch bereits Ende 2018 und damit rund 2,5 Jahre nach seiner Wegweisung gestellt hat. Nachdem er das neue Gesuch hauptsächlich mit dem (weiteren) Zeitablauf seit seiner Straffälligkeit begründet, sind auch keine Gründe ersichtlich, die eine kürzere Bewährungsfrist rechtfertigen würden.
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3.3.3. Weiter ist der Vorwurf des Beschwerdeführers unberechtigt, dass im rechtskräftig abgeschlossenen ausländerrechtlichen Verfahren sein Anspruch auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK nur oberflächlich geprüft worden sei, weshalb es ihm freistehe, diese Frage erneut aufzuwerfen. Das Verwaltungsgericht hat sich im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung eingehend mit Art. 8 EMRK befasst und erwogen, dass zweifelhaft sei, ob sich der Beschwerdeführer auf den Anspruch auf Achtung des Privatlebens berufen könne. Es hat die Frage offengelassen, weil es die Wegweisung so oder anders als verhältnismässig taxiert hat (vgl. E. 4.3 des Urteils vom 2. Dezember 2015). Dass der Beschwerdeführer, wie er selber einräumt, diese Ausführungen nicht substanziiert vor Bundesgericht gerügt hat, führt nicht zu einem Anspruch auf Neubeurteilung. Denn neue Bewilligungsgesuche dürfen nicht dazu missbraucht werden, um prozessuale Versäumnisse in früheren Verfahren zu korrigieren.
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3.4. Zusammenfassend liegt die rechtskräftige Wegweisung des Beschwerdeführers noch keine fünf Jahre zurück und ist sein Anspruch auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK im damaligen Verfahren eingehend geprüft worden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht die Beschwerde im neuen Bewilligungsverfahren als aussichtslos beurteilt und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen hat.
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Erwägung 4
 
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen (Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG). Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. November 2019
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Businger
 
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