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Informationen zum Dokument  BGer 1C_296/2019  Materielle Begründung
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BGer 1C_296/2019 vom 29.10.2019
 
 
1C_296/2019
 
 
Urteil vom 29. Oktober 2019
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Chaix, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli,
 
nebenamtlicher Bundesrichter Weber,
 
Gerichtsschreiber Mattle.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________ Immobilien AG,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Felix Huber,
 
gegen
 
B.________ Krankenversicherung AG,
 
Beschwerdegegnerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Berz,
 
Bausektion der Stadt Zürich,
 
c/o Amt für Baubewilligungen,
 
Lindenhofstrasse 19, Postfach, 8021 Zürich.
 
Gegenstand
 
Baubewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
 
des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer,
 
vom 17. April 2019 (VB.2019.00018).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Am 7. November 2017 erteilte die Bausektion der Stadt Zürich der B.________ Krankenversicherung AG die baurechtliche Bewilligung für die Umnutzung von Büros zu Wohnungen und die Erstellung von Balkonanbauten auf dem Grundstück Kat.-Nr. AU5984 an der X.________strasse "..." in Zürich. Am 30. November 2018 wies das Baurekursgericht einen u.a. von der A.________ Immobilien AG dagegen erhobenen Rekurs ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies die von der A.________ Immobilien AG gegen diesen Rekursentscheid erhobene Beschwerde am 17. April 2019 ab.
1
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 29. Mai 2019 beantragt die A.________ Immobilien AG, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 17. April 2019 und der Beschluss der Bausektion vom 7. November 2017 seien aufzuheben, soweit damit die Bewilligung für Balkonanbauten erteilt wurde. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und die B.________ Krankenversicherung AG beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Bausektion der Stadt Zürich stellt Antrag auf Beschwerdeabweisung.
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C. Mit Verfügung vom 2. Juli 2019 hat der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Gesuch um aufschiebende Wirkung abgewiesen.
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D. Am 22. August 2019 hat die A.________ Immobilien AG weitere Bemerkungen eingereicht und ihren Antrag auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde erneuert. Ihrer Eingabe legt sie Pläne für eine energetische Fassadensanierung mit Balkonanbau des Grundstücks X.________strasse "..." vom 18. Juli 2019 bei.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Gegen den angefochtenen, kantonal letztinstanzlichen Endentscheid im Bereich des Baurechts steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (vgl. Art. 82 ff. BGG; BGE 133 II 353 E. 2 S. 356). Die Beschwerdeführerin ist zur Beschwerdeführung legitimiert, da sie am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat und als unmittelbare Nachbarin vom Bauvorhaben besonders betroffen ist (vgl. Art. 89 Abs. 1 BGG; BGE 140 II 214 E. 2.3 S. 219).
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1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht und kantonale verfassungsmässige Rechte (Art. 95 lit. a und c BGG). Die Anwendung des sonstigen kantonalen Rechts überprüft das Bundesgericht jedoch nur auf Vereinbarkeit mit dem Bundesrecht, namentlich mit dem Willkürverbot gemäss Art. 9 BV (vgl. BGE 142 II 369 E. 2.1 S. 372 mit Hinweisen).
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Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide grundsätzlich nur auf Rechtsverletzungen hin, die von den Beschwerdeführern geltend gemacht und begründet werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Erhöhte Anforderungen an die Begründung gelten, soweit die Verletzung von Grundrechten gerügt wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 142 I 99 E. 1.7.1 f. S. 106 mit Hinweisen).
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Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2. Bei den von der Beschwerdeführerin am 22. August 2019 eingereichten Plänen für eine energetische Fassadensanierung mit Balkonanbau des Grundstücks X.________strasse "..." vom 18. Juli 2019 handelt es sich um echte Noven, die erst nach dem Urteil der Vorinstanz vom 17. April 2019 entstanden sind. Sie sind im vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtige n (Art. 99 BGG; Johanna Dormann, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 43 zu Art. 99 BGG; Lorenz Kneubühler, Die Verfahrensgrundsätze des BGG, ZBJV 155/2019 S. 475/A. 27).
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Erwägung 3
 
3.1. Das Baugrundstück ist gemäss revidierter Bau- und Zonenordnung der Stadt Zürich (BZO 2016; AS 700.100) der sechsgeschossigen Wohnzone W6 zugeteilt (zuvor der fünfgeschossigen Wohnzone W5). Es ist Teil einer 1968 bewilligten und 1970 abgeänderten Arealüberbauung. An der Nordwestfassade sollen vom 1. bis 5. Obergeschoss je ein Balkon und an der Südostfassade je zwei Balkone angebaut werden. Die geplanten, an den Ecken abgerundeten, Balkone haben eine Länge von 3.07 Metern und eine Breite von 2 Metern.
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3.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Bauvorhaben halte die gestalterischen Vorgaben von § 71 des Planungs- und Baugesetzes (des Kantons Zürich) vom 7. September 1975 (PBG; LS 700.1) nicht ein. Die Vorinstanz hält fest, dass § 71 Abs. 1 PBG, welcher die Anforderungen an Arealüberbauungen mit unbestimmten Rechtsbegriffen umschreibe, der Baubehörde einen von der Rekursinstanz zu respektierenden Beurteilungsspielraum eröffne.
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3.3. Gemäss der Praxis der Zürcher Gerichte, die das Bundesgericht geschützt hat (Urteil 1C_53/2013 vom 7. Mai 2013 E. 5), kann sich die kommunale Behörde auf ihren geschützten Beurteilungsspielraum berufen, wenn sie davon tatsächlich Gebrauch macht und ihre Abwägung der massgeblichen Elemente in einer ausreichenden Begründung spätestens im Rekursverfahren darlegt.
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3.4. Die Bausektion der Stadt Zürich hat bereits im Baubewilligungsentscheid vom 7. November 2017 in lit. b festgehalten, dass die Gesamtwirkung der Balkonanbauten dem Anspruch auf eine besonders gute Gestaltung genüge. Im Rahmen ihrer Vernehmlassung vom 17. Januar 2018 an das Baurekursgericht hat sie in Ziff. 2.3 ausführlich begründet, dass die vorgehängten Balkone die Sprache des Bestandes aufnehmen würden und sich damit und durch ihre zurückhaltende, dem Baukörper untergeordnete Gestaltung, sehr gut in die gesamte Häuserzeile einfügten, auch wenn sie nur für einen Abschnitt davon vorgesehen seien. Die abgerundeten Ecken stellten ein in der Architektur seit der Moderne verbreitetes Element dar.
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3.5. Die kommunale Behörde muss ihr Ermessen pflichtgemäss ausüben. Sie hat dabei von Sinn und Zweck der anzuwendenden Regelung auszugehen und neben dem Willkürverbot auch das Rechtsgleichheitsgebot, das Verhältnismässigkeitsprinzip und das übergeordnete Gesetzesrecht zu beachten (BGE 145 I 52 E. 3.6 S. 59). Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass sich die Vorinstanz in ihrem Entscheid mit ihrer Kritik eines nicht hinzunehmenden Gegensatzes zwischen der orthogonalen Grundgestaltung der Überbauung und den geplanten Balkonen mit den abgerundeten Ecken nicht auseinandergesetzt habe. Die Beschwerdeführerin lässt in diesem Zusammenhang jedoch den von der Vorinstanz zu beachtenden Spielraum der Gemeinde ausser Acht. Vielmehr bezweckt sie mit ihrer Argumentationsweise eine umfassende Würdigung des Entscheides der Gemeinde. Jedoch hat die Gemeinde im Rahmen ihres Baubewilligungsentscheides wie auch in ihrer Vernehmlassung zuhanden der Baurekurskommission detailliert aufgezeigt, dass sich die vorgehängten Balkone nach ihrer Auffassung sehr gut in die gesamte Häuserzeile einfügen. Die Vorinstanz hat ihrerseits - unter Berücksichtigung des kommunalen Spielraums - nachvollziehbar dargelegt, dass die Gestaltung der Balkone sorgfältig auf das nicht auffällige Gebäude abgestimmt wurde.
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Wenn die Beschwerdeführerin geltend macht, die Vorinstanz habe lediglich festgehalten, die Wahrnehmung der Überbauung werde durch die geplanten Balkonanbauten als Ganzes nicht negativ beeinflusst, so verkennt sie, dass die Vorinstanz insoweit nur die Ausführungen des Baurekursgerichtes zitierte und diese als nicht zu beanstanden qualifizierte. Massgebend ist für das Bundesgericht jedoch die wohlbegründete Beurteilung durch die Vorinstanz, dass die Gestaltung der Balkone sorgfältig auf das nicht auffällige Gebäude abgestimmt seien und dass deren Bewilligung jedenfalls im Ermessen der Behörden gelegen habe.
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3.6. Die Beschwerdeführerin vermag auch nicht aufzuzeigen, dass sich die von der Gemeinde vorgenommene Beurteilung nicht am Willkürverbot, dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz, dem Rechtsgleichheitsgebot und dem übergeordneten Gesetzesrecht orientiert hat. Vielmehr setzt die Beschwerdeführerin ihre eigene Betrachtungsweise bezüglich der Balkonanbauten als massgebend voraus, ohne schlüssig darzulegen, dass nur diese Betrachtungsweise den genannten Grundsätzen genüge. Daher kann der Vorinstanz auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorgeworfen werden, wenn sie sich mit dieser Argumentationsweise der Beschwerdeführerin nicht weiter auseinandersetzte, denn die Vorinstanz hatte bei ihrem Entscheid die richterliche Zurückhaltung bei der Überprüfung unbestimmter Rechtsbegriffe zu beachten.
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3.7. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, dass von den bewilligten Balkonanbauten eine negative präjudizielle Wirkung ausgehe, so hat die Vorinstanz zutreffend dargelegt, dass auch bei zukünftigen Gesuchen die Gestaltungsanforderungen einzuhalten sind. Unter Hinweis auf eine allfällige präjudizielle Wirkung kann nicht die zulässige Weiterentwicklung einer bestehenden Gestaltung verhindert werden. Die Bausektion der Stadt Zürich hat im Rahmen ihrer Vernehmlassung an das Baurekursgericht darauf hingewiesen, dass Balkone in Obergeschossen zu einer besseren Wohnqualität beitragen, soweit sie nicht auf lärmige Strassen ausgerichtet sind. Dabei hat die Bausektion der Stadt Zürich dieses Kriterium bei der Arealüberbauungsqualität ebenfalls als wesentliches Element qualifiziert. Die Nützlichkeit der Erstellung von Balkonen stellt die Beschwerdeführerin nicht in Abrede, sondern letztlich nur deren Ausgestaltung.
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Die Vorinstanz hat anhand von Fotografien, welche die Baurekurskommission anlässlich ihres Augenscheines erstellte, festgehalten, dass auch an Nachbargebäuden Balkone vorhanden sind. Diese Feststellung ist, wenn Foto 3 des Augenscheines der Baurekurskommission konsultiert wird, zutreffend. So sind auf der südöstlichen Seite der X.________strasse verschiedene Ausgestaltungen von vorgehängten Balkonen zu finden. Die Vorinstanz hat diesbezüglich lediglich festgehalten, dass die geplanten Balkone nicht als quartierunüblich störende Fremdkörper in Erscheinung träten. Es ist nicht erkennbar, warum diese Feststellung, die sich an den entsprechenden Fotografien des Augenscheines der Baurekurskommission orientieren konnte, rechtsfehlerhaft sein soll. Dabei ist auf Foto 7 erkennbar, dass auch in der Überbauung selber schon vorgehängte Balkone vorhanden sind, die sich lediglich durch die geraden Ecken von den geplanten Balkonen mit gerundeten Ecken unterscheiden.
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Insgesamt ist somit weder eine willkürliche Anwendung von § 71 PBG noch eine offensichtliche fehlerhafte Würdigung des Sachverhaltes auszumachen. Da sich die Vorinstanz auch hinreichend mit den Argumenten der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums der Gemeinde auseinandersetzte, ist auch keine Verweigerung des rechtlichen Gehörs gegeben.
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4. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. Das am 22. August 2019 erneuerte Gesuch um aufschiebende Wirkung wird mit dem Entscheid in der Sache gegenstandslos. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 und 5, Art. 65 BGG). Überdies hat sie die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (vgl. Art. 68 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, der Bausektion der Stadt Zürich und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 29. Oktober 2019
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Chaix
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle
 
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