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Informationen zum Dokument  BGer 1B_240/2019  Materielle Begründung
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BGer 1B_240/2019 vom 26.09.2019
 
 
1B_240/2019
 
 
Urteil vom 26. September 2019
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Chaix, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Muschietti,
 
Gerichtsschreiber Forster.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, Mellingerstrasse 2a, 5400 Baden.
 
Gegenstand
 
Ueberwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs,
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau, Einzelrichter, vom 10. Mai 2019 (ZM.2019.96).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Staatsanwaltschaft Baden führt eine Strafuntersuchung gegen noch unbekannte Täterschaft wegen vorsätzlicher Tötung von A.________, begangen am 5. Mai 2019. Am 9. Mai 2019 verfügte die Staatsanwaltschaft Randdatenerhebungen (Art. 273 StPO) auf dem (auf das Opfer lautenden) Festnetzanschluss am Wohnort des Opfers sowie auf dem Mobiltelefonanschluss des Schwiegersohnes des Opfers, je rückwirkend auf sechs Monate (9. November 2018 bis 9. Mai 2019). Mit Verfügung vom 10. Mai 2019 bewilligte das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, Einzelrichter (ZMG), die rückwirkende Randdatenerhebung auf dem genannten Festnetzanschluss; die Überwachung des genannten Mobiltelefonanschlusses verweigerte das ZMG hingegen.
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B. Gegen die ablehnende Verfügung des ZMG vom 10. Mai 2019 gelangte die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau mit Beschwerde vom 16. Mai 2019 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung der angefochtenen Verfügung, soweit darin die rückwirkende Randdatenerhebung (Teilnehmeridentifikation) auf dem genannten Mobiltelefonanschluss verweigert wurde. Das ZMG verzichtete am 27. Mai 2019 auf eine Stellungnahme.
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Erwägungen:
 
1. Die Oberstaatsanwaltschaft ist zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG i.V.m. Art. 381 Abs. 1-2 StPO); auch die Sachurteilsvoraussetzungen des drohenden nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteils (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) und der kantonalen Letztinstanzlichkeit des Nichtbewilligungsentscheides (Art. 80 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 274 und Art. 279 Abs. 3 StPO) sind erfüllt (BGE 142 IV 196 E. 1.5.2 S. 200; 137 IV 340 E. 2.2.2 S. 343, E. 2.3 S. 344-346). Die Oberstaatsanwaltschaft macht geltend, dass die streitige Nichtgenehmigung der Überwachung die Untersuchung eines Kapitalverbrechens beeinträchtigen und zu einem empfindlichen Beweisverlust bei der Ermittlung der Täterschaft führen könnte. Die übrigen Eintretensvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind ebenfalls erfüllt und geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass.
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2. Die Vorinstanz begründet ihren (Teil-) Nichtbewilligungsentscheid damit, dass die gesetzlichen Voraussetzungen einer rückwirkenden Randdatenerhebung auf dem fraglichen mobilen Drittanschluss nicht erfüllt seien. Weder gebe es Anhaltspunkte, wonach eine beschuldigte Person bzw. die unbekannte Täterschaft auf diesen Anschluss angerufen hätte, noch behaupte die Staatsanwaltschaft, dass die betroffene Drittperson für die Täterschaft bestimmte Mitteilungen entgegengenommen oder von dieser stammende Mitteilungen an weitere Personen weitergeleitet hätte. Der blosse Umstand, dass andere Untersuchungsmassnahmen bisher keine Hinweise auf die Täterschaft generiert hätten, rechtfertige die rückwirkende Überwachung des Drittanschlusses nicht.
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3. Die Oberstaatsanwaltschaft rügt, der angefochtene Nichtbewilligungsentscheid verletze Art. 273 i.V.m. Art. 270 lit. b StPO. Beim fraglichen Mobiltelefonanschluss handle es sich um denjenigen des Schwiegersohnes des Opfers. Der Anschluss werde von der Ehefrau des Schwiegersohnes (einer Tochter des Opfers) mitbenutzt. Es bestünden "ganz offensichtlich konkrete Anhaltspunkte" dafür, dass die bisher unbekannte Täterschaft die Tochter des Opfers angerufen haben könnte. Von einem Journalisten stamme ein "Hinweis", wonach die Witwe des Opfers einer anderen Person mitgeteilt habe, "dass ihr Ehemann ihr vor seinem Tod gesagt habe, durch wen er angegriffen" worden sei. Gemäss dieser dritten Person habe die Witwe auch geäussert, sie werde die Strafbehörden darüber nicht informieren. Aufgrund der "engen Verbundenheit unter den direkten Familienangehörigen" sei davon auszugehen, dass die Witwe ihre angeblichen Kenntnisse zur Täterschaft den Familienmitgliedern, namentlich ihren Söhnen und der Tochter, mitgeteilt habe. Die Ehefrau des von der streitigen Überwachung betroffenen Schwiegersohnes habe bei ihrer Einvernahme als Auskunftsperson (am 13. Mai 2019) zu Protokoll gegeben, dass sie nichts zur mutmasslichen Täterschaft sagen könne und nicht wisse, wer ihren Vater getötet haben könnte. Da entgegen dieser Aussage "davon auszugehen" sei, dass die Tochter des Opfers die Identität des Täters kenne, liege - laut Oberstaatsanwaltschaft - auch "die Vermutung nahe", dass "der Täter sie telefonisch kontaktiert und ihr möglicherweise sogar gedroht" habe, "um sie von der Bekanntgabe seiner Identität abzuhalten", oder um sich bei ihr "darüber zu erkundigen, ob sein Name nach wie vor den Strafverfolgungsbehörden verheimlicht" werde. Weiter sei es "vorstellbar", dass er sie kontaktiert habe, "um sich über ihre Aussagen bei ihren möglicherweise bereits durchgeführten Einvernahmen zu erkundigen, um dadurch den aktuellen Stand der Ermittlungen zu erfahren oder um ihr Weisungen und Instruktionen zu den noch bevorstehenden Einvernahmen zu erteilen".
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Erwägung 4
 
4.1. Besteht der dringende Verdacht, ein Verbrechen oder ein Vergehen (oder eine Übertretung nach Artikel 179septies StGB) sei begangen worden, und sind die Voraussetzungen nach Artikel 269 Absatz 1 lit. b und lit. c StPO erfüllt, so kann die Staatsanwaltschaft die Randdaten des Fernmeldeverkehrs der überwachten Person gemäss Artikel 8 lit. b des Bundesgesetzes vom 18. März 2016 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) verlangen (Art. 273 Abs. 1 StPO, in der seit dem 1. März 2018 in Kraft gesetzten Fassung). Zu den (rückwirkend oder aktiv erhebbaren) Randdaten des Fernmeldeverkehrs gehören die Daten, aus denen hervorgeht, mit wem, wann, wie lange und von wo aus die überwachte Person Verbindung hat oder gehabt hat, sowie die technischen Merkmale der entsprechenden Verbindung (Art. 8 lit. b BÜPF). Schon nach bisherigem Recht fiel insbesondere die rückwirkende Teilnehmeridentifikation unter die Randdatenerhebung nach Artikel 273 StPO (vgl. BGE 139 IV 98 E. 4.2 S. 99; 137 IV 340 E. 5.2 S. 347).
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4.2. Überwachungsmassnahmen nach Artikel 273 StPO setzen grundsätzlich voraus, dass die Schwere der untersuchten Straftat die Überwachung rechtfertigt (Art. 269 Abs. 1 lit. b StPO) und die bisherigen Untersuchungshandlungen erfolglos geblieben sind oder die Ermittlungen sonst aussichtslos wären oder unverhältnismässig erschwert würden (Art. 269 Abs. 1 lit. c StPO). Auch die Randdatenerhebung bedarf (wie die inhaltliche Überwachung, Art. 272 Abs. 1 StPO) der Genehmigung durch das ZMG (Art. 273 Abs. 2 StPO). Sie kann (unabhängig von der Dauer der Überwachung) bis zu 6 Monate rückwirkend (seit der Überwachungsanordnung) verlangt werden (Art. 273 Abs. 3 StPO; vgl. BGE 142 IV 34 E. 4.1 S. 36).
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4.3. Artikel 270 lit. b StPO regelt die Überwachung der Fernmeldeanschlüsse von (nicht beschuldigten) Auch rückwirkende Randdatenerhebungen nach Artikel 273 StPO können zu einem Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen führen (Art. 13 BV). Zwar werden hier keine Kommunikationsinhalte behördlich überwacht und erfolgt (im Gegensatz zur inhaltlichen Gesprächsüberwachung oder zur aktiven Randdatenerhebung in Echtzeit) in der Regel keine geheime Untersuchungsmassnahme. Deswegen gilt der Eingriff nach der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich als deutlich weniger einschneidend. Auch hier ist jedoch den oben genannten gesetzlichen Schranken und Eingriffsvoraussetzungen ausreichend Rechnung zu tragen (BGE 142 IV 34 E. 4.3.2 S. 38 f. mit Hinweisen).
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4.4. Der Wortlaut der Artikel 273 Abs. 1 StPO und Artikel 8 lit. b BÜPF erlaubt nur Erhebungen darüber, wann und mit welchen Personen oder Anschlüssen die überwachte Person über den Fernmeldeverkehr Verbindung gehabt hat (oder - im hier nicht gegebenen Fall der aktiven Randdatenerhebung - noch Verbindung hat). Die Randdatenerhebung bei Dritten (nach Art. 273 i.V.m. Art. 270 lit. b StPO) setzt somit eine 
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5. Der von der streitigen Überwachung (nach Art. 273 i.V.m. Art. 270 lit. b StPO) betroffene Schwiegersohn und die mit ihm verheiratete Tochter des Opfers lebten bzw. leben nicht im gleichen Haushalt mit dem Opfer und dessen Witwe. Ebenso wenig hielten sie sich (gemäss den bisherigen Untersuchungsergebnissen) zum Tatzeitpunkt in der Nähe des Tatortes auf. Die Tochter hat zudem bereits unterschriftlich in die rückwirkende "Vollauswertung" ihres eigenen Mobiltelefons eingewilligt, weshalb bei ihr (insofern) keine Überwachung oder Beschlagnahme verfügt werden musste. Gegen den Schwiegersohn und dessen Ehefrau bestehen auch keine konkreten Indizien, wonach sie kolludieren bzw. den Strafbehörden untersuchungsrelevante Informationen verheimlichen könnten. Die These der Staatsanwaltschaft, wonach die Täterschaft (zwischen dem 9. November 2018 und 9. Mai 2019) auf den Mobiltelefonanschluss des Schwiegersohnes des Opfers angerufen haben könnte, erscheint in mehrfacher Hinsicht spekulativ. Die Ansicht der Vorinstanz, wonach es nicht ausreichend wahrscheinlich erscheint, dass über den betroffenen Mobiltelefonanschluss (des Schwiegersohnes) eine untersuchungsrelevante Kommunikationsverbindung zu anderen Personen oder Fernmeldeanschlüssen aufgenommen worden sein könnte, hält vor dem Bundesrecht stand.
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6. Die Beschwerde ist abzuweisen. Gerichtskosten sind nicht zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).
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Ein Aufschalten des vorliegenden Entscheides in anonymisierter Form im Internet oder eine Abgabe an die Medien erfolgt erst nach vorheriger Rücksprache mit der untersuchungsleitenden Staatsanwaltschaft Baden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3. Dieses Urteil wird der Staatsanwaltschaft Baden sowie der Oberstaatsanwaltschaft und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 26. September 2019
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Chaix
 
Der Gerichtsschreiber: Forster
 
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