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Informationen zum Dokument  BGer 9C_317/2019  Materielle Begründung
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BGer 9C_317/2019 vom 24.09.2019
 
 
9C_317/2019
 
 
Urteil vom 24. September 2019
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
 
Gerichtsschreiber Fessler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
SWICA Krankenversicherung AG,
 
Regionaldirektion Bern,
 
Monbijoustrasse 16, 3001 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Krankenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
 
vom 9. April 2019 (VSBES.2018.246).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. A.________ ist seit 1. Januar 2006 bei der SWICA Krankenversicherung AG obligatorisch krankenpflegeversichert. Daneben unterhält er verschiedene Zusatzversicherungen. Bis 2010 gewährte ihm der Versicherer auf den jährlich bezahlten Prämien einen Abzug von 2 % Skonto, wie in dem am 30. August 2005 unterzeichneten Antragsformular vermerkt. Ab 2011 betrug der Skonto 0.5 %. In seiner E-Mail vom 16. Januar 2018 an die SWICA Krankenversicherung AG stellte sich A.________ auf den Standpunkt, der Skonto-Zinssatz sei zu Unrecht gesenkt und ihm dadurch Fr. 712.65 vorenthalten worden. Diesen Betrag zuzüglich eines Verzugszinses von Fr. 35.65 werde er in der nächsten Abrechnung zur Verrechnung bringen.
1
A.b. Mit Schreiben vom 20. Februar 2018 mahnte die SWICA Krankenversicherung AG A.________ für zu wenig bezahlte Prämien in der Höhe von Fr. 109.45. In der Folge überwies der Versicherte den Betrag von Fr. 175.90, ohne eine Rechtspflicht anzuerkennen. Mit Verfügung vom 9. Mai 2018 und Einspracheentscheid vom 27. August 2018 verneinte der Versicherer einen Rückforderungsanspruch.
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B. Die "Beschwerde und Klage" des A.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 9. April 2019 ab, soweit es darauf eintrat.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, der Entscheid des kantonalen Versicherungsgerichts vom 9. April 2019 sei aufzuheben, die Summe von Fr. 748.30 plus Zins zu 5 % seit 1. Januar 2018 sei anzuerkennen und mit Bezügen zu verrechnen, die Summe von Fr. 179.50 (richtig: Fr. 175.90) plus Zins zu 5 % seit 29. März 2018 sei zurückzuerstatten.
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Die SWICA Krankenversicherung AG, unter Verweisung auf ihre vorinstanzlichen Eingaben und den angefochtenen Entscheid, und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Das kantonale Versicherungsgericht ist auf die "Beschwerde und Klage" gegen den Einspracheentscheid vom 27. August 2018, soweit die Zusatzversicherungen betreffend, wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit nicht eingetreten, was der Beschwerdeführer nicht bestreitet. Insoweit ist der angefochtene Entscheid in (formelle) Rechtskraft erwachsen.
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2. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. wegen Verletzung von Bundesrecht erhoben werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig (willkürlich; BGE 142 II 433 E. 4.4 S. 444) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG; zur Rüge- und Begründungspflicht der Parteien: Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176; 133 II 249 E. 1.4.1 und E. 1.4.2 S. 254).
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3. Streitgegenstand bildet die Frage, ob der Beschwerdeführer als Folge der seines Erachtens unzulässigen Senkung des Skonto-Zinssatzes von 2 % auf 0.5 % auf den jährlichen Prämienvorauszahlungen seit 2011 einen Rückforderungsanspruch gegen die Beschwerdegegnerin hat. Der geltend gemachte Betrag von Fr. 924.20, zuzüglich Zins von 5 % auf Fr. 748.30 seit 1. Januar 2018 und Fr. 175.90 seit 29. März 2018, umfasst auch die Prämien für die Zusatzversicherungen, welche indessen ausser Acht zu bleiben haben (E. 1).
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4. Das kantonale Versicherungsgericht hat die Zulässigkeit der Verrechnung künftiger Prämien oder Kostenbeteiligungen mit einer allfälligen Rückforderung verneint. Dies entspricht der Rechtsprechung (Urteil K 7/06 vom 12. Januar 2007 E. 3.2 in: SVR 2007 KV Nr. 14 S. 53, und Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 114/03 vom 22. Juli 2005 E. 8 in: SVR 2006 KV Nr. 11 S. 32; vgl. auch Art. 125 Ziff. 3 OR, welcher im öffentlichen Recht bei Fehlen einer anders lautenden Regelung sinngemäss anwendbar ist [Urteil 6B_194/2008 E. 8.1 mit Hinweisen, in: RtiD 2009 I pag. 56]). Daran hat der seit 1. Januar 2012 geltende Art. 105c KVV (AS 2011 3527), wonach der Versicherer die Versicherungsleistungen nicht mit geschuldeten Prämien oder Kostenbeteiligungen verrechnen darf, nichts geändert (vgl. auch Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 607 Rz. 656). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann aus dieser Verordnungsvorschrift nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass es ihm als Versicherungsnehmer erlaubt sei, seine Ansprüche zu verrechnen. Vielmehr ist insofern von einem qualifizierten Schweigen des Verordnungsgebers auszugehen, da es einem allgemeinen Rechtsgrundsatz entspricht, dass gleichartige und fällige Geldforderungen zwischen den gleichen Rechtsträgern verrechenbar sind, sofern dies nicht durch besondere gesetzliche Regelungen ausgeschlossen ist (BGE 132 V 127 E. 6.1.1 S. 135 mit Hinwiesen; Urteil 2C_589/2011 vom 17. November 2011 E. 3.3).
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5. In tatsächlicher Hinsicht steht fest (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG), dass im Versicherungsantrag vom 30. August 2005, welchen der Beschwerdeführer zusammen mit einem Berater der Beschwerdegegnerin ausgefüllt hatte, als gewünschte Art der Prämienzahlung "jährlich" angekreuzt und daneben handschriftlich "2 % Skonto" vermerkt wurde. Bis und mit 2010 wurde bei den Jahresrechnungen ein entsprechender Abzug vorgenommen. Ab 2011 galt ein Skonto-Zinssatz von 0.5 %.
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6. Das kantonale Versicherungsgeric ht hat die Anpassung des Skonto-Zinssatzes nach unten als zulässig erachtet, was es im Wesentlichen wie folgt begründet hat: Die im Gesetz nicht vorgesehene Gewährung eines Skonto-Abzugs bei jährlicher Prämienvorauszahlung sei so lange nicht zu beanstanden, als der der Krankenversicherung für ihre Aufgabenwahrnehmung zur Verfügung stehende Netto-Betrag nicht kleiner sei als bei monatlicher Zahlung. Andernfalls würde es sich um eine im Gesetz nicht vorgesehene Prämienreduktion zu Gunsten einer einzelnen Gruppe von Versicherten handeln. Selbst wenn von einer wirksam zustande gekommenen Skonto-Zinssatz-Vereinbarung zwischen den Parteien in der Höhe von 2 % ab 1. Januar 2006 auszugehen wäre, könnte sie nicht unbeschränkt über Jahre hinweg in gleicher Höhe Gültigkeit haben. Da der Skontosatz die ökonomischen Vorteile des Versicherers bei jährlicher Prämienvorauszahlung widerspiegeln soll, müsse er jederzeit der Finanzmarktlage anpassbar sein. In analoger Weise setze der Versicherer jedes Jahr die den finanziellen Umständen entsprechenden Prämien fest. Ein auf Jahre im Voraus festgelegter Skonto-Zinssatz wäre daher nicht zulässig. Zudem, so das kantonale Versicherungsgericht weiter, bestehe nach KVG kein Anspruch auf Skonto. Biete der Versicherer bei jährlicher Prämienvorauszahlung einen solchen an, so habe er nach dem Prinzip der Rechtsgleichheit allen Versicherten denselben Zinssatz zu gewähren. Eine individuelle Vereinbarung eines Skonto-Abzugs und damit indirekt auch über die Prämienhöhe sei im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht zulässig und hätte keine Rechtswirkung. Der Skonto-Zinssatz von 2 % sei somit kein Vertragsbestandteil gewesen, weshalb dessen Senkung auf 0.5 % zum 1. Januar 2011 nicht zu beanstanden sei.
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7. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die Beschwerdegegnerin auf 2011 den Skonto-Zinssatz anpassen durfte. Ausgehend von einem synallagmatischen Vertragsverhältnis hätte der Versicherer jedoch beispielsweise im Rahmen der Prämienankündigung diese Änderung bekanntgeben und auf die Möglichkeit, den Versicherer zu wechseln, hinweisen müssen. Das habe sie nicht getan und damit gegen Art. 7 Abs. 2 Satz 2 KVG verstossen. Abgesehen davon habe die Beschwerdegegnerin nicht belegt und das kantonale Versicherungsgericht nicht geprüft, ob sich die Verhältnisse ab 2011 derart geändert hätten, dass eine Senkung des Skonto-Zinssatzes von 2 % auf 0.5 % notwendig und gerechtfertigt gewesen war. Die Visana Gruppe jedenfalls gewähre auch heute noch bei jährlicher Zahlung einen Skonto von 2 %.
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Erwägung 8
 
8.1. Nach Art. 90 KVV sind die Prämien im Voraus und in der Regel monatlich zu bezahlen. Diese Verordnungsbestimmung steht einer jährlichen Vorauszahlung der Prämie unter Gewährung eines Skonto-Abzugs nicht entgegen. Schranke bildet unter anderem das verfassungsmässige Gleichbehandlungsgebot, indem jeder versicherten Person bei jährlicher Vorauszahlung der Prämie derselbe prozentuale Skonto-Abzug zu gewähren ist.
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8.2. Es kann offenbleiben, ob das durch die Gewährung eines Skonto-Abzugs bei jährlicher Prämienvorauszahlung bestimmte vertragliche Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist. Ebenso braucht nicht entschieden zu werden, ob der Versicherer einseitig den Skonto-Zinssatz senken darf und ob er die Anpassung zusammen bzw. spätestens mit der Ankündigung der Prämien für das kommende Jahr bekanntzugeben hat, damit die betreffende Person gegebenenfalls die Art der Prämienzahlung ändern oder sogar den Versicherer wechseln kann, wie der Beschwerdeführer vorbringt   (E. 7). So oder anders muss er sich entgegenhalten lassen, dass er die auf das Jahr 2011 erfolgte Senkung des Skonto-Zinssatzes von 2 % auf 0.5 % erstmals im Januar 2018 beanstandete. Im Umstand, dass er sich über Jahre nicht gegen diese Vertragsänderung gewehrt hatte, ist ein konkludentes Akzeptieren zu erblicken (zur Anwendbarkeit des Obligationenrechts im Bereich der sozialen Krankenversicherung Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 171/98 vom 28. Februar 2001 E. 2 c/aa, in: SVR 2002 KV Nr. 2 S. 5).
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8.3. Nach dem Gesagten verletzt der angefochtene Entscheid kein (Bundes-) Recht. Die Beschwerde ist unbegründet.
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9. Ausgangsgemäss wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 24. September 2019
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Pfiffner
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler
 
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