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Informationen zum Dokument  BGer 2C_691/2018  Materielle Begründung
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BGer 2C_691/2018 vom 16.08.2019
 
 
2C_691/2018
 
 
Urteil vom 16. August 2019
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Zünd,
 
Bundesrichterin Aubry Girardin,
 
Gerichtsschreiber Quinto.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Zollinger,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Zürich,
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.
 
Gegenstand
 
Aufenthaltsbewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 20. Juli 2018 (VB.2017.00738).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.________ (geb. 1983), türkische Staatsangehörige, heiratete am 18. September 2012 in ihrer Heimat den Schweizer B.________ (geb. 1962) und reiste am 2. Februar 2013 mit ihren aus einer früheren bzw. im März 2012 geschiedenen Ehe stammenden Kindern C.________ und D.________ (geb. 2004 respektive 2006) in die Schweiz ein. Sie und ihre Kinder erhielten eine Aufenthaltsbewilligung des Kantons Zürich, welche zuletzt bis zum 1. Februar 2016 verlängert wurde.
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B.
 
Mit Verfügung vom 13. Oktober 2016 wies das Migrationsamt des Kantons Zürich (Migrationsamt) das Gesuch von A.________ um Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung bzw. derjenigen ihrer Kinder wegen einer Scheinehe ab und wies sie und ihre Kinder per 12. Dezember 2016 aus der Schweiz weg. Der dagegen erhobene Rekurs erwies sich gemäss Entscheid der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom 20. Oktober 2017 als erfolglos, wobei als neue Ausreisefrist der 12. Februar 2018 festgesetzt wurde. Die gegen den Entscheid eingereichte Beschwerde wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. Juli 2018 abgewiesen. Gemäss diesem haben A.________ und ihre beiden Kinder die Schweiz binnen eines Monats ab der Zustellung eines den Wegweisungspunkt nicht ändernden bundesgerichtlichen Endentscheides zu verlassen.
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C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 23. August 2018 beantragt A.________ (Beschwerdeführerin), ihre Aufenthaltsbewilligung und diejenige ihrer Kinder sei zu verlängern. Eventualiter sei von der Wegweisung abzusehen. Subeventualiter sei die Sache zurückzuweisen. Ausserdem sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Schliesslich beantragt die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
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Mit Präsidialverfügung vom 27. August 2018 hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
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D.
 
Da sich das vorinstanzliche Urteil wegen fehlender Textpassagen als unvollständig erwies, wurde ersteres mit Verfügung des Instruktionsrichters vom 22. Mai 2019 zwecks Verbesserung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Nach Eingang des vollständigen vorinstanzlichen Urteils und Einräumung einer Frist zur Einreichung einer allfälligen Beschwerdeergänzung sowie Fristverlängerung (Verfügungen des Instruktionsrichters vom 29. Mai 2019 und 2. Juli 2019) verzichtete die Beschwerdeführerin auf eine Beschwerdeergänzung, da sich keine neuen Rügepunkte ergeben hätten.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Die Beschwerdeführerin beruft sich in vertretbarer Weise auf Art. 42 Abs. 1 AIG, wonach eine ausländische Ehegattin eines Schweizers Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung hat, wenn sie mit diesem zusammenwohnt. Ob die Bewilligungsvoraussetzungen gegeben sind, ist allerdings eine Frage der materiellen Beurteilung und keine Eintretensfrage (BGE 139 I 330 E. 1.1 S. 332). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario; Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 BGG).
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Erwägung 2
 
2.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die geltend gemachten Rechtsverletzungen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5 S. 144). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136 II 304 E. 2.5 S. 314). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Berichtigung oder Ergänzung der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ist von Amtes wegen (Art. 105 Abs. 2 BGG) oder auf Rüge hin (Art. 97 Abs. 1 BGG) möglich. Von den tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Urteils weicht das Bundesgericht jedoch nur ab, wenn diese offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 135 E. 1.6 S. 144 f.).
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2.2. Zur Sachverhaltsfeststellung gehört auch die auf Indizien gestützte Beweiswürdigung. Die Sachverhaltsfeststellung bzw. Beweiswürdigung erweist sich als willkürlich gemäss Art. 9 BV, wenn sie offensichtlich unhaltbar oder aktenwidrig ist, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 265 f.; Urteile 2C_1072/2014 vom 9. Juli 2015 E. 1.4; 2C_310/2014 vom 25. November 2014 E. 1.2). Eine entsprechende Rüge ist substanziiert vorzubringen; auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsfeststellung bzw. Beweiswürdigung geht das Gericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 139 II 404 E. 10.1 S. 444 f.).
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Erwägung 3
 
3.1. Der Anspruch nach Art. 42 Abs. 1 AIG erlischt, wenn er rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird, namentlich um Vorschriften dieses Gesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen über die Zulassung und den Aufenthalt zu umgehen (Art. 51 Abs. 1 lit. a AIG). Hierunter fällt unter anderem die sog. Ausländerrechtsehe oder Scheinehe. Eine solche liegt nicht bereits dann vor, wenn 
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3.2. Ob dies der Fall ist bzw. ob im Sinne falscher Angaben die Migrationsbehörde über den fehlenden Willen zur Aufnahme einer tatsächlichen, ehelichen Lebensgemeinschaft getäuscht wurde, entzieht sich in der Regel dem direkten Beweis und ist nur durch Indizien zu erstellen. Grundsätzlich muss die Migrationsbehörde die Ausländerrechtsehe nachweisen. Dass eine solche vorliegt, darf dabei nicht leichthin angenommen werden. Die Behörde muss den Sachverhalt von Amtes wegen möglichst zuverlässig abklären; indessen wird der Untersuchungsgrundsatz durch die Mitwirkungspflicht der Parteien relativiert (Art. 90 AuG, ab 1. Januar 2019 AIG). Diese kommt naturgemäss bei Tatsachen zum Tragen, die eine Partei besser kennt als die Behörden und die ohne ihre Mitwirkung gar nicht oder nicht mit vernünftigem Aufwand erhoben werden könnten. Das gilt insbesondere, wenn bereits gewichtige Hinweise auf eine Ausländerrechtsehe hindeuten; dann darf und muss von den Eheleuten erwartet werden, dass sie auch von sich aus Umstände vorbringen und belegen, um die in eine andere Richtung weisenden Indizien zu entkräften (Urteile 2C_782/2018 vom 21. Januar 2019 E. 3.2.1 und 3.2.4 mit zahlreichen Hinweisen; 2C_279/2017 vom 25. September 2017 E. 3.1; 2C_936/2016 vom 17. März 2017 E. 2.3). Lässt die Indizienlage keinen klaren und unzweideutigen Schluss zu, ist das Vorliegen einer Ausländerrechtsehe nicht erstellt (Urteil 2C_782/2018 vom 21. Januar 2019 E. 3.2.5).
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Erwägung 4
 
4.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Beweiswürdigung der Vorinstanz sei nicht nachvollziehbar bzw. die Fakten seien willkürlich gewürdigt worden, womit sie eine willkürliche Beweiswürdigung bzw. Sachverhaltsfeststellung rügt. Der Umstand, dass sie und ihre Kinder als türkische Staatsangehörige nur über die Ehe mit einer in der Schweiz anwesenheitsberechtigten Person eine hiesige Aufenthaltsbewilligung hätten erlangen können, sei kein Indiz für eine Scheinehe. Dasselbe gelte für leicht unterschiedliche Angaben zu den Umständen des Kennenlernens, sei die Befragungssituation doch ungewohnt für die Ehegatten und lägen die Ereignisse doch schon lange zurück. Auch aus dem Umstand, dass der Ehemann den Namen des Kindes der Beschwerdeführerin nicht auf Anhieb gewusst habe, stattdessen aber den Namen des leiblichen Vaters, sowie dass sie (die Beschwerdeführerin) zunächst nicht über die gesundheitlichen Probleme ihres Ehemannes Auskunft gegeben habe, lasse sich nichts Nachteiliges ableiten.
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4.2. Dem ist entgegen zu halten, dass die Vorinstanz sich keineswegs, was verpönt wäre, alleine auf ausländerrechtliche Motive für den Eheschluss abstützt, sondern eine Vielzahl von Widersprüchen aufgrund der polizeilichen Befragungen der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten (vom Januar 2016) anführt. Wenn die Beschwerdeführerin angibt, sie hätte ihren späteren Ehemann anfangs 2012 kennen gelernt, er dagegen den 25. Juli 2012 als entsprechendes, ungefähres Datum angibt, wobei sie erklärt, sie hätten sich während zehn Tagen nur zwei bis dreimal in einem Restaurant getroffen, während ihr Ehemann von fast täglichen Treffen während drei Wochen berichtet, wobei sie den Tag zusammen verbracht hätten, so sind dies nicht leicht, sondern erheblich unterschiedliche Angaben. Ausserdem ist davon auszugehen, dass die Umstände des Kennenlernens, welche immerhin zu einem Eheschluss führten, auch vier Jahre später noch präsent sind. Im Weiteren hat der Ehemann nicht bloss "den Namen des Kindes" der Beschwerdeführerin nicht auf Anhieb gewusst, denn die Beschwerdeführerin hat zwei Kinder und ihr Ehemann war auch nicht in der Lage, deren Alter zu nennen, obwohl er seit drei Jahren an derselben Wohnadresse gemeldet war wie die Beschwerdeführerin und ihre Kinder. Auch aufgrund des Umstandes, dass der Ehemann seit einem Unfall im Jahr 2011 nicht mehr arbeitsfähig ist und wegen der gesundheitlichen Probleme auf einen "IV-Bescheid" wartet, hätte erwartet werden können, dass die Beschwerdeführerin, gefragt nach allfälligen gesundheitlichen Problemen des Ehemannes, umgehend entsprechend Auskunft gegeben hätte, denn ein solcher Umstand ist existentiell. Im Übrigen hat die Befragung weitere, teilweise erhebliche Widersprüche zu Tage gefördert, etwa dass gemäss Ehemann an der Trauung Goldringe ausgetauscht wurden, wobei im Ring der Beschwerdeführerin seine Initialen eingraviert gewesen seien, während gemäss letzterer keine Ringe ausgetauscht wurden oder dass sie (die Ehegatten) gemäss Ehemann seit der Hochzeit nur ein Mal gemeinsam Ferien in der Türkei verbracht hätten, während die Beschwerdeführerin mit ihrem Ehemann jedes Jahr drei bis vier Wochen Sommerferien in der Türkei verbracht haben will.
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4.3. Die vorinstanzliche Beweiswürdigung, wonach zahlreiche, gewichtige Indizien für eine Schein- bzw. Ausländerrechtsehe vorliegen, ist vor diesem Hintergrund nicht offensichtlich unhaltbar bzw. willkürlich, sondern bundesrechtskonform. Demzufolge ist von einer Scheinehe auszugehen, weshalb entgegen der Beschwerdeführerin keine Verletzung von Art. 42 Abs. 1 AIG vorliegt.
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Erwägung 5
 
5.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Die Beziehung zwischen ihr und ihrem Ehemann werde tatsächlich gelebt. Sie beruft sich damit sinngemäss auf das Recht auf Achtung des Familienlebens. Bei einer Scheinehe liegt jedoch gerade keine echte und tatsächlich gelebte Beziehung und somit kein schützenswertes Familienleben vor (Urteile 2C_999/2011 vom 11. Juli 2012 E. 4.4.1 mit Hinweisen). Art. 8 EMRK ist deshalb nicht verletzt.
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5.2. Im Weiteren macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Rechts auf "Privatsphäre" geltend. Sofern damit sinngemäss das in Art. 8 EMRK enthaltene Recht auf Achtung des Privatlebens gerügt wird, genügt die Begründung nicht den Anforderungen der Rügepflicht. Die Beschwerdeführerin legt nicht im Einzelnen dar, weshalb und inwiefern dieses Recht verletzt sein soll, weshalb darauf nicht einzutreten ist.
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Erwägung 6
 
Für die schliesslich von der Beschwerdeführerin erhobenen Rüge der Verletzung der Begründungspflicht aufgrund fehlender Textpassagen (mangelhafte Seitenumbrüche) beim vorinstanzlichen Urteil bleibt nach Einholung des vollständigen, vorinstanzlichen Urteils und Einräumung der Möglichkeit einer Beschwerdeergänzung kein Raum.
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Erwägung 7
 
7.1. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen.
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7.2. Die Beschwerdeführerin ist zwar bedürftig, doch erschien ihre Beschwerde von Vornherein als aussichtslos, weshalb ihr für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege nicht gewährt werden kann (Art. 64 Abs. 1 BGG). Entsprechend hat sie die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 65, Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 16. August 2019
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Quinto
 
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