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Informationen zum Dokument  BGer 8C_240/2019  Materielle Begründung
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BGer 8C_240/2019 vom 09.08.2019
 
 
8C_240/2019
 
 
Urteil vom 9. August 2019
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Lucia A. Kräuchi,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
beco Berner Wirtschaft, Arbeitslosenkasse Kanton Bern, Lagerhausweg 10, 3018 Bern,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Arbeitslosenversicherung (Insolvenzentschädigung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 14. März 2019 (200 19 37 ALV).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. A.________ (geb. 1989) war ab 1. Februar 2016 als "First Officer" und ab 12. Januar 2018 zusätzlich als "Deputy Nominated Person Flight Operations" für die B.________ AG tätig. Der betreffende Arbeitsvertrag war am 27. Januar 2016, der Zusatzvertrag am 14. Februar 2018 unterzeichnet worden. Das Arbeitsverhältnis endete zufolge Kündigung seitens des Arbeitnehmers per Ende Mai 2018. Nebst dem Arbeitsvertrag hatte A.________ am 27. Januar 2016 eine separate Rückzahlungsvereinbarung hinsichtlich der auf der Basis eines zinslosen Darlehens erfolgten Finanzierung des zu absolvierenden Typeratings (Initial Training) unterzeichnet.
1
Gemäss Lohnabrechnung vom 25. Mai 2018 wurden A.________ vom letzten Nettolohn Fr. 7'932.50 für "Rückzahlung Typerating" abgezogen und lediglich Fr. 1'688.25 ausbezahlt. In der Folge leitete er die Betreibung hinsichtlich der Ausstände ein und stellte - nach Ausbleiben eines Rechtsvorschlags - am 9. August 2018 das Fortsetzungsbegehren. Am 6. September 2018 wurde der Konkurs über die B.________ AG eröffnet, woraufhin A.________ am 5. Oktober 2018 seine Forderung eingab. Ferner beantragte er gleichentags bei der Arbeitslosenversicherung Insolvenzentschädigung für Lohnausstände in der Höhe von Fr. 7'932.50 betreffend den Monat Mai 2018.
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A.b. Nach einzelnen Abklärungen lehnte die Arbeitslosenkasse des Kantons Bern (beco Berner Wirtschaft) den geltend gemachten Insolvenzentschädigungsanspruch ab (Verfügung vom 13. November 2018). Begründend hielt sie fest, mit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei das zur Finanzierung des Typeratings arbeitgeberseitig gewährte Darlehen vereinbarungsgemäss zur Rückzahlung fällig geworden. Einen Teil davon habe die Arbeitgeberin mit den restlichen Lohnansprüchen verrechnet. Die geforderten Lohnansprüche bildeten einen Teil des geschuldeten Darlehens; sie stellten keinen massgebenden Lohn nach AVIG dar und könnten daher nicht über die Insolvenzentschädigung gedeckt werden. Daran hielt die Kasse mit Einspracheentscheid vom 4. Dezember 2018 fest, wobei sie vermerkte, dass der Versicherte sämtliche Lohnansprüche für Mai 2018 "faktisch ausbezahlt erhalten" habe.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wie das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 14. März 2019 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, sein Anspruch auf Insolvenzentschädigung für die Zeit von 1. bis 30. Mai 2018 sei in Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheide gemäss Antrag vom 5. Oktober 2018 zu bestätigen. Eventuell sei das Beschwerdeverfahren bzw. das Verfahren betreffend Insolvenzentschädigung zu sistieren bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids über die Rückzahlungspflicht der Kosten seines Typeratings.
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Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Stellungnahme.
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Erwägungen:
 
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
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2. Im Streit liegt die Frage, ob das kantonale Gericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf Insolvenzentschädigung für Lohnausstände von Fr. 7'932.50 betreffend den Monat Mai 2018 - wie von der Verwaltung verfügt - in bundesrechtskoformer Weise verneinen durfte.
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Erwägung 3
 
3.1. Beitragspflichtige Arbeitnehmer von Arbeitgebern, die in der Schweiz der Zwangsvollstreckung unterliegen oder in der Schweiz Arbeitnehmer beschäftigen, haben nach Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG Anspruch auf Insolvenzentschädigung, wenn gegen ihren Arbeitgeber der Konkurs eröffnet wird und ihnen in diesem Zeitpunkt Lohnforderungen zustehen. Die Insolvenzentschädigung ist eine Lohnausfallversicherung bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Sie bezweckt für eine beschränkte Zeit den Schutz der Lohnguthaben sowie die Sicherung des Lebensunterhaltes des Arbeitnehmers und damit die Vermeidung sozialer Härten (BGE 144 V 427 E. 3.1 S. 429; vgl. Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, Rz. 585 S. 2441 mit weiteren Hinweisen). Damit wird der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Arbeitnehmer Rechnung getragen, dies namentlich mit Blick auf ihre Vorleistungspflicht (Art. 323 Abs. 1 OR) und den bloss unvollkommenen Schutz durch Sicherstellung (Art. 337a OR) sowie Konkursprivileg (Art. 219 SchKG). Darüber hinaus soll mittels Bevorschussung die zeitgerechte Auszahlung der Lohnforderungen (für geleistete Arbeit) sichergestellt werden: Die Arbeitnehmer, die gemeinhin auf ein regelmässiges Einkommen angewiesen sind, sollen nicht bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens zuwarten müssen, um dann allenfalls nur einen Teil ihrer Lohnforderung beglichen zu erhalten (Nussbaumer, a.a.O.; Stöckli/Gächter, in: Basler Kommentar SchKG II, 2. Aufl. 2010, Vorb. Art. 51-58 AVIG, N. 1 f.; Boris Rubin, Commentaire de la loi sur l'assurance-chômage, 2014, N. 1 ff. Rem. 51 ss).
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3.2. Die Kasse darf gemäss Art. 74 AVIV eine Insolvenzentschädigung nur ausrichten, wenn der Arbeitnehmer seine Lohnforderung glaubhaft macht. Mit dieser Bestimmung werden - zwecks Vermeidung von Verzögerungen (vgl. Rubin, a.a.O., N. 15 zu Art. 51 AVIG; Urs Burgherr, Die Insolvenzentschädigung, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers als versichertes Risiko, Diss. Zürich 2004, S. 114) - die Beweisanforderungen bezüglich der Lohnforderung herabgesetzt. Es braucht nicht im Sinne des Regelbeweismasses die Überzeugung der Verwaltung begründet zu werden, dass die Lohnforderung überwiegend wahrscheinlich besteht. Vielmehr genügt es, dass für den geltend gemachten rechtserheblichen Sachumstand wenigstens gewisse Anhaltspunkte vorhanden sind, auch wenn durchaus noch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, bei eingehender Abklärung werde sich der behauptete Sachverhalt nicht erstellen lassen (BGE 144 V 427 E. 3.3 S. 430 f.).
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Art. 74 AVIV erschöpft sich in der Regelung des Beweismasses. Eine Beweisführungslast wird damit dem gesuchstellenden Versicherten nicht auferlegt (so sinngemäss auch BGE 144 V 427 E. 3.2 S. 429). Die Kasse hat dessen Angaben im Rahmen des Möglichen zu prüfen (Stöckli/Gächter, a.a.O., N. 7 f. zu Art. 52 AVIG; vgl. ferner Burgherr, a.a.O., S. 114).
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3.3. Mit der Ausrichtung der Entschädigung gehen gemäss Art. 54 Abs. 1 AVIG die Lohnansprüche des Versicherten im Ausmass der bezahlten Entschädigung und der von der Kasse entrichteten Sozialversicherungsbeiträge samt dem gesetzlichen Konkursprivileg auf die Kasse über. Diese darf auf die Geltendmachung nicht verzichten, es sei denn, das Konkursverfahren werde durch das Konkursgericht eingestellt (Art. 230 SchKG).
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Demgemäss tritt die Arbeitslosenkasse, gleichsam als Korrelat zu ihrer Pflicht, die Insolvenzentschädigung für bloss glaubhaft gemachte Lohnforderungen rasch und unbürokratisch auszuzahlen (Nussbaumer, a.a.O., Rz. 635 S. 2459), durch gesetzliche Subrogation im Umfang der von ihr entrichteten Insolvenzentschädigung voll in die Rechte der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern ein. Die Rechtsstellung der Kasse entspricht derjenigen der Arbeitnehmer, deren Lohnforderungen sie anstelle der Arbeitgeber mit gesetzlichem Rückgriffsrecht auf diese bzw. auf die Konkursmasse befriedigt (vgl. BGE 112 V 55 E. 2c S. 63; ferner: Stöckli/Gächter sowie Rubin, je a.a.O., N. 1 zu Art. 54 AVIG; von diesem Autor nunmehr auch: Assurance-chômage et service public de l'emploi, 2019, Rz. 766 ff.).
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Der Arbeitnehmer muss die Insolvenzentschädigung in Abweichung von Artikel 25 Absatz 1 ATSG zurückerstatten, soweit die Lohnforderung im Konkurs oder in der Pfändung abgewiesen oder aus Gründen nicht gedeckt wird, die der Arbeitnehmer absichtlich oder grobfahrlässig herbeigeführt hat, ebenso soweit sie vom Arbeitgeber nachträglich erfüllt wird (Art. 55 Abs. 2 AVIG).
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4. Das kantonale Gericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer von der Arbeitgeberin zur Finanzierung des Typeratings ein zinsloses Darlehen erhalten habe. Gemäss der insofern massgeblichen Rückzahlungsvereinbarung sei eine Rückerstattung des Darlehens (pro rata temporis) bis spätestens 36 Monate ab erfolgreichem Absolvieren des Trainings vorgesehen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis ohne begründeten Anlass beende, durch grobe Fahrlässigkeit Grund zur Kündigung gebe, oder wenn es gemäss Art. 337 OR zur fristlosen Auflösung komme. Der Beschwerdeführer habe das Arbeitsverhältnis vor Ablauf von drei Jahren seit Absolvierung des Typeratings von sich aus gekündigt. Ob ihn deshalb bezüglich des Darlehens im Sinne des Vereinbarten eine Rückzahlungspflicht treffe, sei indessen nicht im Rahmen des sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens zu klären, wo es bloss zu prüfen gelte, ob die Voraussetzungen gemäss Art. 51 ff. AVIG erfüllt seien. In dieser Hinsicht sei gestützt auf die Lohnabrechnung ohne Weiteres davon auszugehen - so das kantonale Gericht -, dass die Arbeitgeberin den Lohn für April (richtig: Mai) 2018 samt Abgeltung von Ferien- und Off-Tage-Guthaben im Zeitpunkt des Insolvenzentschädigungsbegehrens zwar nicht bestritten, aber auch nicht ausbezahlt habe. Dies jedenfalls nicht in Form einer Überweisung, sondern bloss, aber immerhin (wie von der Verwaltung ausgedrückt) faktisch. Denn die ehemalige Arbeitgeberin habe den an sich bestehenden Lohnanspruch für die fragliche Periode mit dem ihres Erachtens noch bestehenden Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens verrechnet. Ob zu Recht, sei (wie erwähnt) nicht im vorliegenden Verfahren zu klären. Hier sei entscheidend, dass mit dem arbeitgeberseitig gewählten Vorgehen die Lohnforderung nicht ungedeckt geblieben, sondern auf andere Weise "beglichen" worden sei; daher bestehe mangels einer Lohnforderung im Zeitpunkt der Konkurseröffnung kein Anspruch auf Insolvenzentschädigung. Dementsprechend sei auch nicht abzuwarten, bis ein rechtskräftiger Entscheid über die Rückzahlungspflicht vorliege; unabhängig vom Ergebnis habe ein solcher keinen Einfluss auf die insolvenzentschädigungsrechtliche Beurteilung.
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Erwägung 5
 
5.1. Der Vorinstanz ist insoweit beizupflichten, als sie ihrer Beurteilung einen grundsätzlich bestehenden Lohnanspruch des Beschwerdeführers für geleistete Arbeit im Mai 2018 zugrunde legte. Des weiteren hat sie gleichermassen richtig erkannt, dass der Lohn nicht etwa bereits vorbezogen, sondern seitens der Arbeitgeberin verrechnungsweise beglichen worden sei. So gesehen erübrigen sich weitere Ausführungen zu den Überlegungen der Verwaltung, die in diesem Zusammenhang eher missverständlich erwogen hatte, die geforderten Lohnansprüche bildeten einen Teil des geschuldeten Darlehens und stellten keinen massgebenden Lohn nach AVIG dar.
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Erwägung 5.2
 
5.2.1. Die Vorinstanz liegt sodann in rechtlicher Hinsicht auch dort richtig, wo sie - ausgehend von ihren verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen - im Vorgehen der Arbeitgeberin bezogen auf den Mailohnanspruch des Beschwerdeführers eine Verrechnung erblickte, der sie wesensgemäss schuldtilgende Wirkung beimass (vgl. BGE 136 III 437 E. 3.4 S. 444; Urteile 4A_285/2011 vom 1. September 2011 E. 3.1 sowie 4A_353/2007 vom 14. März 2008 E. 2.2; im Übrigen statt vieler: Wolfgang Peter, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 6. Aufl. 2015, N. 26 zu Art. 120 OR; Viktor Aepli, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1991, N. 11 zu Art. 120 OR). In diesem Zusammenhang beruft sich der Beschwerdeführer allerdings seinerseits zu Recht auf die Verrechnungsschranke gemäss Art. 125 Ziff. 2 OR, wobei ihm kein Nachteil daraus erwächst, dass er dies - zumindest in expliziter Form - erstmals im bundesgerichtlichen Verfahren tut (Art. 106 Abs. 1 BGG; vgl. immerhin S. 1 des Schreibens an die Arbeitgeberin vom 15. Juni 2018 und Einsprache vom 15. November 2018; Urteil 8C_788/2017 vom 14. März 2018 E. 5.2 mit Hinweisen). Demgemäss können wider den Willen des Gläubigers durch Verrechnung nicht getilgt werden: Verpflichtungen, deren besondere Natur die tatsächliche Erfüllung an den Gläubiger verlangt, wie Unterhaltsansprüche und Lohnguthaben, die zum Unterhalt des Gläubigers und seiner Familie unbedingt erforderlich sind. Eine noch speziellere Regelung dazu findet sich zudem in Art. 323b Abs. 2 OR, wonach der Arbeitgeber (gemäss Art. 361 OR beidseitig zwingend) Gegenforderungen mit der Lohnforderung (vorbehältlich hier nicht interessierender Ausnahmen) nur soweit verrechnen darf, als diese pfändbar ist. Abreden, die dem zuwider laufen, sind nichtig (Portmann/Rudolph, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 3 zu Art. 361 OR). Nichts anderes gilt für den Verstoss gegen Art. 125 Ziff. 2 OR: Eine im Sinne dieser Bestimmung erklärte Verrechnung ist rechtlich unwirksam bzw. nichtig (vgl. Aepli, a.a.O., N. 77 zu Art. 125 OR; Corinne Zellweger-Gutknecht, Berner Kommentar, 2012, N. 227 zu Art. 125 OR, je mit Hinweisen). Diese Nichtigkeit wirkt von Anfang an ("ex tunc"), absolut und unheilbar; sie ist von Amtes wegen stets zu berücksichtigen und von jedermann, jederzeit anrufbar (vgl. BGE 129 III 209 E. 2.2 S. 213 mit Hinweisen; statt vieler: Huguenin/Meise, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 54 zu Art.19/20 OR mit Hinweisen).
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5.2.2. Im Schrifttum wird darauf verwiesen, dass an der Glaubhaftmachung einer Forderung im Sinne von Art. 74 AVIV nichts ändere, wenn der insolvente Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer verrechnungsweise Gegenforderungen geltend mache (Burgherr, a.a.O., S. 116). Dabei beruft sich dieser Autor auf Urteil C 362/98 des damaligen Eidg. Versicherungsgerichts (heute: sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) vom 18. Februar 2000 (vgl. SZS 2001 S. 92 sowie AJP 2001 S. 445), das eine entsprechende Aussage in E. 4 enthält, die ihrerseits mit Urteil C 108/88 vom 1. Februar 1990 (ARV 1990 Nr. 8 S. 53 f. E. 2) unterlegt wird. Diesem Urteil lag freilich eine Konstellation zugrunde, in der die Verrechnung erst lange nach Konkurseröffnung erfolgt war (E. 3). Daher und angesichts der mit der Verrechnung einher gehenden Tilgungswirkung (E. 5.2.1 hiervor) scheint zweifelhaft, ob die eingangs genannte Auffassung in ihrer absoluten Form stand hält und die von der Verrechnung betroffene Forderung als glaubhaft gemacht gelten kann.
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5.2.3. Wie es sich im Einzelnen damit verhält, braucht hier nicht entschieden zu werden, nachdem vorliegendenfalls aufgrund von Art. 125 Ziff. 2 OR sowie Art. 323b Abs. 2 OR eine Verrechnung, falls überhaupt, nur - aber immerhin - beschränkt im Rahmen der Pfändbarkeit (Art. 93 SchKG) rechtswirksam erfolgen konnte (Peter, a.a.O., N. 9 zu Art. 125 OR; Aepli, a.a.O., N. 73 f. zu Art. 125 OR, je mit Hinweis unter anderem auf BGE 88 II 311; vgl. ferner Portmann/Rudolph, a.a.O., N. 3 zu Art. 323b OR). Das hätte nach dem soeben Erwogenen auch die Arbeitslosenkasse von Amtes wegen beachten müssen.
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5.3. Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass im massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheids eine der Insolvenzentschädigung gemäss Art. 51 ff. AVIG zugängliche Lohnforderung zumindest im Bestand glaubhaft gemacht war. Was deren Höhe angeht, bemisst sich diese nach Massgabe der Pfändbarkeit (E. 5.2.3 hiervor). Anders gewendet: Die seitens der Arbeitgeberin erklärte Verrechnung bleibt zwingend unwirksam, soweit die Lohnforderung des Beschwerdeführers nicht pfändbar ist. Hinsichtlich dieser Bemessung besteht keine Beweisführungslast des Beschwerdeführers (E. 3.2 hiervor), aber selbstredend eine Mitwirkungspflicht.
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6. Damit ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen und die Sache an den Beschwerdegegner zur weiteren Abklärung hinsichtlich der Lohnhöhe und der übrigen Anspruchsvoraussetzungen zurückzuweisen. Soweit hilfsweise die Aussetzung des Insolvenzentschädigungsverfahrens bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids über die Rückzahlungspflicht beantragt wird, besteht dazu kein Anlass, wie schon die Vorinstanz richtig erkannt hat. Die Auszahlung der Insolvenzentschädigung setzt hinsichtlich Lohnforderung nicht den Nachweis des materiellen Bestands, sondern lediglich Glaubhaftmachung voraus (ARV 1990 Nr. 8 S. 53 f. E. 2, C 108/88; Urteil C 362/98 vom 18. Februar 2000 E. 4). Sollte die Forderung im Konkurs der Arbeitgeberin abgewiesen werden, greift Art. 55 Abs. 2 AVIG (E. 3.3 hiervor).
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7. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Dem Prozessausgang entsprechend - die Rückweisung der Sache zur Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt praxisgemäss für die Frage der Kosten- und Entschädigungsfolgen als volles Obsiegen (BGE 141 V 281 E. 11.1 S. 312 mit Hinweis) -, hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat dem Beschwerdeführer überdies eine Parteientschädigung zu entrichten, die in Anbetracht des identischen Parallelverfahrens dem Aufwand angemessen reduziert wird (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 14. März 2019 und der Einspracheentscheid des beco Berner Wirtschaft vom 4. Dezember 2018 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung ans beco Berner Wirtschaft zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
 
3. Der Beschwerdegegner hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1800.- zu entschädigen.
 
4. Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 9. August 2019
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch
 
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