VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 6B_477/2019  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 6B_477/2019 vom 08.08.2019
 
 
6B_477/2019
 
 
Urteil vom 8. August 2019
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiberin Schär.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________, vertreten durch Advokat Patrick Frey,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Erste Staatsanwältin, Grenzacherstrasse 8, 4132 Muttenz,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln; Verwertbarkeit von Beweismitteln,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, vom 9. Oktober 2018 (460 18 134).
 
 
Sachverhalt:
 
A. X.________ wird vorgeworfen, am 15. Dezember 2016 auf der Autobahn A2 in Pratteln bei einer Geschwindigkeit von 97 km/h auf einer Strecke von ca. 500 Metern den minimalen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug pflichtwidrig nicht eingehalten zu haben.
1
B. Das Strafgericht Basel-Landschaft sprach X.________ am 23. Januar 2018 der groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 50.--.
2
C. X.________ erhob Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil. Die Staatsanwaltschaft erhob Anschlussberufung. Am 9. Oktober 2018 hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft die Berufung von X.________ teilweise gut. Die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft wies es ab. Es sprach X.________ der groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 50.--.
3
D. X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des Kantonsgerichts vom 9. Oktober 2018 sei aufzuheben und er sei vollumfänglich freizusprechen. Weiter beantragt er die Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolge im kantonalen Verfahren. In prozessualer Hinsicht beantragt X.________, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen und er ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
4
Der Präsident der Strafrechtlichen Abteilung wies das Gesuch um aufschiebende Wirkung mit Verfügung vom 14. Mai 2019 ab.
5
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Abstandsmessung sei nicht verwertbar. Die Polizei habe für die Messung ein ziviles Polizeifahrzeug mit Solothurner Kontrollschildern verwendet. Die Kontrollschilder seien nirgends rechtmässig angemeldet gewesen. Der Umstand, dass das entsprechende Fahrzeug im Kanton Basel-Landschaft auf eine "BL-Nummer" eingelöst gewesen sei, vermöge daran nichts zu ändern. Für die gewählte Vorgehensweise gebe es keine gesetzliche Grundlage. Die Polizei habe eingestanden, dass das Vorgehen lediglich auf einer mündlichen Abmachung der Polizei Basel-Landschaft mit der Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Solothurn beruhe. Eine mündliche Abmachung könne jedoch eine fehlende gesetzliche Grundlage nicht ersetzen. Somit sei das Legalitätsprinzip verletzt. Die Polizei Basel-Landschaft habe durch die Verwendung falscher Kontrollschilder zudem gegen Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG verstossen. Somit sei die Beweiserhebung nicht nur ohne gesetzliche Grundlage, sondern auch in strafbarer Weise erfolgt. Da es sich beim Vorwurf der groben Verkehrsregelverletzung nicht um eine schwere Straftat handle, seien die erhobenen Beweise gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO unverwertbar.
6
1.2. Die Vorinstanz erwägt, für den Einsatz von "Tarnkontrollschildern" ergebe sich weder aus dem Bundesrecht noch aus dem kantonalen Polizeigesetz eine rechtliche Grundlage. Somit verletze die Vorgehensweise der Polizei Basel-Landschaft das Legalitätsprinzip. Zudem sei auch der Verhältnismässigkeitsgrundsatz verletzt, denn es sei nicht nachvollziehbar, weshalb ein Verkehrsteilnehmer bloss aufgrund des Kontrollschilds des Kantons Basel-Landschaft das zivile Fahrzeug der beiden Polizisten als Patrouillenfahrzeug identifizieren sollte. Sollte ein Verkehrsteilnehmer tatsächlich aktiv nach einer zivilen Patrouille Ausschau halten, so wäre es wesentlich naheliegender, dass er die beiden Polizisten aufgrund ihrer Uniformen als Mitglieder des Polizeikorps erkannt hätte. Es wäre der Polizei Basel-Landschaft offengestanden, ein ziviles Fahrzeug mit nicht uniformierten Polizeiangehörigen einzusetzen, was die Erkennbarkeit durch die Verkehrsteilnehmer vollends verunmöglicht hätte. Die Polizei Basel-Landschaft hätte somit über ausreichende Möglichkeiten verfügt, um die Identifizierung einer Patrouillenfahrt erfolgreich zu verhindern. Die zusätzliche Verwendung eines getarnten Kontrollschilds erweise sich insofern als offensichtlich entbehrlich, unnötig und unverhältnismässig. Dennoch scheide ein Beweisverwertungsverbot in casu von vornherein aus. Art. 141 Abs. 2 StPO setze nämlich voraus, dass die fraglichen Beweiserhebungen unmittelbar auf das rechtswidrige Verhalten der Strafbehörden selber zurückzuführen sei. Dies sei vorliegend gerade nicht der Fall. Im Gegenteil betreffe das verpönte Verhalten der Polizei Basel-Landschaft lediglich die äusseren Begleitumstände der Verkehrskontrolle. Mithin habe die Verwendung der getarnten Kontrollschilder die konkrete Beweiserhebung in Form der durchgeführten Abstandsmessung in keiner Weise ermöglicht, gefördert oder begünstigt. Demzufolge fehle es an einem sachlichen Konnex zwischen der Beweiserhebung als solcher und dem geächteten Verhalten des Staates, weshalb Letzteres nicht zu einer Unverwertbarkeit des fraglichen Beweises führen könne. Die Vorinstanz berücksichtigt den Verstoss gegen das Legalitätsprinzip sowie den Verhältnismässigkeitsgrundsatz im Rahmen der Strafzumessung zu Gunsten des Beschwerdeführers, indem sie das Strafmass reduziert.
7
1.3. Nach Art. 141 Abs. 2 StPO dürfen Beweise, welche die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich. Gemäss Abs. 3 derselben Bestimmung sind Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, verwertbar.
8
1.4. Zentrales Element der vorinstanzlichen Begründung bildet die Erwägung, das Beweisverwertungsverbot komme nicht zum Tragen, da das verpönte Verhalten der Polizei lediglich die äusseren Begleitumstände der Verkehrskontrolle betroffen habe und die Beweiserhebung nicht unmittelbar auf das rechtswidrige Verhalten der Strafbehörden selber zurückzuführen sei.
9
Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Die beschwerdeführende Partei hat in gezielter Auseinandersetzung mit den für das Ergebnis des angefochtenen Entscheides massgeblichen Erwägungen aufzuzeigen, welche Rechte bzw. Rechtsnormen die Vorinstanz verletzt haben soll (BGE 142 I 99 E. 1.7.1 S. 106; 140 III 86 E. 2 S. 88 f.; 140 III 115 E. 2 S. 116; je mit Hinweisen).
10
Der Beschwerdeführer macht lediglich geltend, das Verwenden von "Tarnkontrollschildern" sei verboten und daher seien die Beweise in strafbarer Weise erlangt worden. Mit dem von der Vorinstanz erwähnten Erfordernis eines sachlichen Konnexes zwischen der Beweiserhebung als solcher und dem geächteten Verhalten des Staates befasst sich der Beschwerdeführer nicht. Insofern erfüllt die Beschwerde die soeben genannten Begründungsanforderungen nicht, weshalb darauf grundsätzlich nicht eingetreten werden kann.
11
Die Beschwerde wäre aber auch in der Sache abzuweisen. Zwar wirft das Vorgehen der basellandschaftlichen Polizei zweifellos Fragen auf, was bereits die Vorinstanz festgestellt hat. Ein Beweisverwertungsverbot hat das Vorgehen dennoch nicht zur Folge. Diesbezüglich kann in Anwendung von Art. 109 Abs. 3 BGG auf die zutreffenden rechtlichen Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden. Demnach gilt ein Beweismittel nur dann als in strafbarer Weise erhoben, wenn es durcheine strafbare Handlung erlangt wurde (vgl. SABINE GLESS, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 64 zu Art. 141 StPO). Mit anderen Worten muss die strafbare Handlung die Beweiserhebung erst ermöglicht haben. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Beweismittel bei einer Hausdurchsuchung ohne gültigen Durchsuchungsbefehl zutage gefördert wird (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts [BBl 2006 1183 Ziff. 2.4.1.1]; siehe auch FRANZ RIKLIN, StPO Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung [...], 2. Aufl. 2014, Vorbemerkungen zu Art. 140-141 StPO, N. 4). Die Beanstandungen des Beschwerdeführers betreffen vorliegend einen Begleitumstand der Beweiserhebung. Die Beweiserhebung an sich steht allerdings nicht in direktem Zusammenhang mit der Verletzung einer Strafnorm oder ist auf diese zurückzuführen. Es spricht somit nichts gegen die Verwertbarkeit der erhobenen Beweise. Der vorinstanzliche Entscheid verletzt kein Bundesrecht.
12
2. Der Beschwerdeführer beantragt die Neuverteilung der Kosten des kantonalen Verfahrens. Der Antrag wird mit dem beantragten Freispruch begründet. Es bleibt jedoch beim vorinstanzlichen Schuldspruch, weshalb auf den Antrag nicht einzutreten ist.
13
3. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
14
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 8. August 2019
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Schär
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).