VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 9C_411/2019  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 9C_411/2019 vom 12.07.2019
 
 
9C_411/2019
 
 
Urteil vom 12. Juli 2019
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiber Fessler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Géraldine Hert,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Hilfsmittel),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. April 2019 (IV.2018.00369).
 
 
Sachverhalt:
 
A. 
1
A.a. A.________ ist seit einer Rückenoperation im Jahre 1988 auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Invalidenversicherung leistete jeweils Kostengutsprache im gesetzlichen Rahmen. 2008 erfolgte die ersatzweise Abgabe eines Elektro-Hilfsantriebs ("Rollstuhlzuggerät Swiss-Trac, Typ SWT 1"). 2011 wurde der Aktivrollstuhl Meyra X3 durch das Modell "Küschall Compact" ersetzt. Bereits 2002 war der Versicherten zum Zwecke der selbständigen Besorgung des Haushalts (leihweise) ein Spezialrollstuhl Modell "Pro Activ" abgegeben worden.
2
A.b. Im Oktober 2017 ersuchte A.________ um Abgabe eines Rollstuhlzuggeräts Swiss-Trac "SWT 1S" samt Zubehör, u.a. eine Transport- und Schutztasche für SWT Klappschienen, als Ersatz für den "SWT 1", dessen Motor defekt sei und der an verschiedenen Stellen starken Verschleiss zeige. Die Kosten zu Lasten der Invalidenversicherung wurden mit Fr. 13'652.30 beziffert. Gestützt auf die fachtechnische Beurteilung der SAHB-Hilfsmittelberatung sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom 6. März 2018 einen Kostenbeitrag von Fr. 12'685.70 zu.
3
B. Die Beschwerde von A.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. April 2019 ab.
4
C. A.________ hat Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht mit dem Rechtsbegehren, Gerichtsentscheid und Verwaltungsverfügung seien aufzuheben; die IV-Stelle sei zu verpflichten, ihr den Kostenbeitrag für den beantragten Swiss-Trac "SWT 1S" in der Höhe von Fr. 13'652.30 zu erteilen; eventualiter sei die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
5
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. wegen Verletzung von Bundesrecht erhoben werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig (willkürlich; BGE 142 II 433 E. 4.4 S. 444) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG).
6
Wegen der grundsätzlichen Bindung des Bundesgerichts an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt haben nach dem angefochtenen Entscheid eingetretene Tatsachen ausser Acht zu bleiben (echte Noven; BGE 140 V 543 E. 3.2.2.2 S. 548). Es betrifft dies im vorliegenden Fall die ins Recht gelegte E-Mail vom 24. Mai 2019. Unzulässig ist sodann das erstmalige Vorbringen der Beschwerdeführerin, und zwar auch soweit den Zeitraum vor dem angefochtenen Entscheid betreffend, sie absolviere an der Behindertenkonferenz in Zürich Schulungen (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Ebenso nicht zu hören ist ihr Einwand, seit einiger Zeit habe sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert und sie habe vermehrt Probleme mit dem Transfer ins umgebaute Auto und dem Verladen des Rollstuhls (vgl. auch E. 5.2 hinten).
7
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann - im Rahmen der den Parteien obliegenden Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 sowie Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176; 133 II 249 E. 1.4.1 und E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen) - die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252; 132 II 257 E. 2.5 S. 262; Urteil 9C_362/2019 vom 21. Juni 2019 E. 1.2).
8
2. Streitgegenstand bildet die leihweise Abgabe eines Elektro-Hilfsantriebs (Rollstuhlzuggerät Swiss Trac "SWT 1S") für den Rollstuhl Modell "Küschall Compact" samt einer Transport- und Schutztasche für SWT Klappschienen (Kosten: Fr. 13'652.30) als Hilfsmittel. Dabei steht der Anspruch als solcher ausser Frage. Umstritten ist der von der Vorinstanz bestätigte Kostenbeitrag der Invalidenversicherung von Fr. 12'685.70 gemäss der Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 6. März 2018. Dieser Betrag entspricht den Kosten für den "SWT 1" ohne Transport- und Schutztasche für SWT Klappschienen. Die Modelle "SWT 1" und "SWT 1S" unterscheiden sich, soweit hier von Bedeutung, im Wesentlichen in der erreichbaren Geschwindigkeit von 6 km/h bzw. 9 km/h.
9
3. Die für die Beurteilung der Streitsache massgebenden Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung werden im angefochtenen Entscheid richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen (vgl. auch BGE 135 I 161 E. 3 und 4.1 S. 163 ff.).
10
4. 
11
4.1. Die Vorinstanz hat erwogen, das zur Diskussion stehende Zuggerät (Swiss Trac "SWT 1S") für einen Rollstuhl (Modell "Küschall Compact") sei der Sache nach funktionell als Elektrorollstuhl im Sinne von Ziff. 9.02 HVI-Anhang zu behandeln. Im Vergleich zur aktuellen Ausstattung im Wert von Fr. 18'227.- (Fr. 5'541.50 ["Küschall Compact] + Fr. 12'685.70 [Swiss Trac "SWT 1"]) käme die Anschaffung eines Elektrorollstuhls für die Fortbewegung im Aussenbereich günstiger. Die Anrufung der Austauschbefugnis durch die Beschwerdeführerin ziele daher ins Leere. Nach der Rechtsprechung beziehe sich die Notwendigkeit des Hilfsmittels auf die konkrete Situation, in welcher die versicherte Person lebe. Insoweit sei die Eingliederung indessen auch mit der langsameren Variante des Swiss Trac "SWT 1" gewährleistet, welche mit 6 km/h eine Fortbewegung in zügigem Schritttempo ermögliche. Somit habe die Beschwerdegegnerin nicht, wie von der Beschwerdeführerin beantragt, die Kosten für den Swiss Trac "SWT 1S" zu übernehmen. Sodann diene die Transport- und Schutztasche für SWT Klappschienen nicht der Sicherung der Ladung zwecks Vermeidung von Schäden an diesen selbst oder an anderen Gegenständen, womit eine Vergütung der Kosten ausser Betracht falle.
12
4.2. Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass die Rechtsfigur der Austauschbefugnis nicht anwendbar sein soll und sie nicht gestützt darauf Anspruch auf die (leihweise) Abgabe eines Swiss Trac "SWT 1S" habe. Die Vorinstanz lasse unberücksichtigt, dass ein Elektrorollstuhl Folgekosten nach sich zöge, da das Fahrzeug umgebaut und in der Wohnung Anpassungen vorgenommen werden müssten, und überdies die Benützung des Treppenlifts in der Wohnung und des Lifts im Haus ungeeignet und unzweckmässig wäre. Mit einem um 3 km/h stärkeren Swiss Trac "SWT 1S" könnte sie sodann ihren Alltag und ihre Verpflichtungen im Rollstuhlclub X.________ effizienter gestalten. Ebenfalls würden die Dekubitusgefahr sowie die Gefahr einer Erkrankung reduziert, was hohen Krankheits- und Behandlungskosten vorbeuge. Die verglichen mit dem Swiss Trac "SWT 1" lediglich um Fr. 966.60 höheren Kosten für den Swiss Trac "SWT 1S" stünden in einem vernünftigen Verhältnis zum Erfolg der Eingliederungsmassnahme. Ebenfalls bestreitet die Beschwerdeführerin die vorinstanzlichen Erwägungen betreffend die Übernahme der Kosten der (speziellen) Reisetasche.
13
Auf die Vorbringen der Beschwerdeführerin und die Darlegungen der Vorinstanz braucht aus den nachstehenden Gründen nicht näher eingegangen zu werden (E. 1.2).
14
 
Erwägung 5
 
5.1. Die Versicherte ist seit Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. 2008 war ihr ersatzweise ein Swiss Trac "SWT 1" zum "Meyra X3" abgegeben worden, welcher 2011 durch den "Küschall Compact" ersetzt wurde (Sachverhalt lit. A.a). Der streitige Anspruch auf die (leihweise) Abgabe eines Swiss Trac "SWT 1S" ist somit im Rahmen des auf Eingliederungsmassnahmen analog anwendbaren Art. 17 ATSG (i.V.m. Art. 1 Abs. 1 IVG und Art. 2 ATSG) betreffend die Revision der Invalidenrente und anderer Dauerleistungen zu beurteilen (BGE 135 I 161 E. 4.2 S. 165 mit Hinweis; Meyer/Reichmuth, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3. Aufl. 2014, N. 140 zu Art. 30-31 IVG). Voraussetzung ist somit, dass der Sachverhalt, welcher der Leistungszusprechung zu Grunde liegt, sich nachträglich in anspruchserheblicher Weise verändert hat (vgl. Art. 17 Abs. 2 ATSG).
15
5.2. Das Gesuch um leihweise Abgabe eines Swiss Trac "SWT 1S" wurde damit begründet, der Motor des 2008 benützten "SWT 1" sei defekt, und das Gerät zeige an verschiedenen Stellen starken Verschleiss (Sachverhalt lit. A.b). Darin kann indessen kein Revisionsgrund erblickt werden, so wenig wie etwa in der Festsetzung des Zeitpunkts der revisionsweisen Überprüfung einer zugesprochenen Rente (Meyer/Reichmuth, a.a.O., N. 37 zu Art. 30-31 IVG mit Hinweis auf BGE 109 V 258 E. 4 S. 261). In den Akten finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich seither bis zur vorinstanzlich angefochtenen Verfügung, welche den gerichtlichen Prüfungszeitraum begrenzt (BGE 129 V 1 E. 1.2 S. 4), die Umstände, namentlich der Gesundheitszustand oder das berufliche oder soziale Umfeld erheblich verändert hätten (vgl. BGE 135 I 161 E. 4.2 S. 165 und E. 6 S. 167). Daraus folgt, dass lediglich Anspruch auf die ersatzweise Abgabe eines (neuen gebrauchsfähigen) Swiss Trac "SWT 1" besteht, wie die Vorinstanz im Ergebnis richtig entschieden hat. Die Beschwerde ist somit unbegründet.
16
6. Ausgangsgemäss wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
17
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 12. Juli 2019
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Pfiffner
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).