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Informationen zum Dokument  BGer 8C_861/2018  Materielle Begründung
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BGer 8C_861/2018 vom 14.06.2019
 
 
8C_861/2018
 
 
Urteil vom 14. Juni 2019
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
 
Gerichtsschreiberin Schüpfer.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Keiser,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 9. November 2018 (62/2016/12).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der 1958 geborene A.________ arbeitet seit 2013 bei der B.________ AG und ist gestützt auf dieses Arbeitsverhältnis bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 8. Juli 2015 stolperte er bei der Arbeit über ein Armierungseisen und verletzte sich beim Sturz an der linken Schulter. Die Suva erbrachte Heilbehandlung und entrichtete Taggeld. Gestützt auf eine kreisärztliche Beurteilung des Dr. med. C.________, Facharzt für Chirurgie FMH, vom 20. Oktober 2015 stellte die Unfallversicherung ihre Taggeldleistungen mit Verfügung vom 21. Oktober 2015 per 30. September 2015 ein. In der Begründung führte sie an, spätestens ab dem 3. September 2015 bestehe zwischen dem Gesundheitsschaden und dem Unfall vom 8. Juli 2015 kein natürlicher Kausalzusammenhang mehr. Die Heilbehandlungskosten für eine am 4. September 2015 durchgeführte Operation könnten nicht übernommen werden. Die dagegen geführte Einsprache, mit welcher eine medizinische Stellungnahme des Dr. med. D.________, Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie FMH, eingereicht wurde, wies die Suva nach erneuter Vorlage bei Kreisarzt Dr. med. C.________ ab (Einspracheentscheid vom 29. Juli 2016).
1
B. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 9. November 2018 ab.
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei festzustellen, dass die Suva über den 30. September 2015 hinaus leistungspflichtig sei. Eventualiter sei die Sache zur Einholung eines Gutachtens zurückzuweisen.
3
Die Suva schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit und die Vorinstanz verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht im Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 138 I 274 E. 1.6 S. 280).
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Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Beschwerde richtet sich gegen die vom kantonalen Gericht geschützte Leistungseinstellung zufolge fehlendem natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom 8. Juli 2015 und den verbliebenen Beschwerden.
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2.2. Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers (Art. 6 UVG) unter anderem vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und eingetretenem Schaden (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen) richtig wiedergegeben. Ebenso hat es die Grundsätze betreffend den Beweiswert ärztlicher Berichte (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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Hervorzuheben ist, dass bei Entscheiden gestützt auf versicherungsinterne ärztliche Beurteilungen, die im Wesentlichen oder ausschliesslich aus dem Verfahren vor dem Sozialversicherungsträger stammen, strenge Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen sind. Bestehen auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der ärztlichen Feststellungen, ist eine versicherungsexterne medizinische Begutachtung im Verfahren nach Art. 44 ATSG oder ein Gerichtsgutachten anzuordnen (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229; 135 V 465 E. 4 S. 467 ff.; 122 V 157 E. 1d S. 162 f.; Urteil 8C_73/2017 vom 6. Juli 2017 E. 4.2, in: SVR 2017 UV Nr. 46 S. 158).
9
3. Vorinstanzlich umstritten war zunächst die Frage nach dem genauen Unfallhergang und dessen Geeignetheit, einen Riss der Supraspinatussehne zu verursachen. Während der Kreisarzt der Suva gestützt auf den Wortlaut in der Unfallmeldung der Arbeitgeberin vom 7. Juli 2015 von einem Sturz auf die Schulter ausging, machte der Beschwerdeführer geltend, er habe versucht, den Fall mit dem linken Arm aufzufangen und sei mit der Hand am Boden abgerutscht, wobei es ihm den Arm nach vorne gerissen habe. Die Vorinstanz stellte diesbezüglich fest, angesichts der Tatsache, dass der Versicherte bereits beim ersten Arztbesuch angegeben habe, auf den linken Arm gestürzt zu sein, sei von diesem Unfallablauf auszugehen. Indessen sei trotzdem nicht erstellt, dass zwischen der Rotatorenmanschettenruptur und dem versicherten Unfall ein natürlicher Kausalzusammenhang bestehe, weil es auch bei diesem Unfallmechanismus zu keiner Rotations- oder Abspreizbewegung mit Zugbelastung gekommen sei. Der Verletzungsmechanismus sei nicht geeignet gewesen, einen Supraspinatussehnenriss auszulösen. Auch die Ausführungen des behandelnden Arztes, Dr. med. E.________, Facharzt für orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, und des Dr. med. D.________ vermöchten an den Ausführungen des Kreisarztes keine Zweifel zu erwecken.
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4. Der Beschwerdeführer macht geltend, das kantonale Gericht habe zu Unrecht nicht erkannt, dass die Ausführungen des Dr. med. D.________ an den versicherungsinternen Beurteilungen des Kreisarztes Dr. med. C.________ zumindest geringe Zweifel zu erwecken vermöchten. Entsprechend sei der Kausalzusammenhang durch ein externes Gutachten abzuklären.
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5. Alle involvierten Ärzte sind sich einig, dass im Bereich der linken Rotatorenmanschette erhebliche degenerative Veränderungen vorgelegen hatten. Unstimmigkeit besteht indessen hinsichtlich der Frage, ob der Gesundheitsschaden, welcher schliesslich zur Operation vom 4. September 2015 führte, zumindest durch den Unfall mitverursacht wurde.
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5.1. Ausschlaggebende Bedeutung kommt dabei nach den medizinischen Ausführungen dem Unfallhergang zu. In diesem Zusammenhang ist der Erkenntnis des kantonalen Gerichts zu folgen. Die Sachverhaltsfeststellung, wonach der Beschwerdeführer seinen Sturz mit dem linken Arm aufgefangen habe, ist weder aktenwidrig noch willkürlich. Die Parteien bringen denn auch keine entsprechenden Rügen vor. Es entspricht zudem einer Erfahrungstatsache, dass bei einem Sturz reflexartig die Arme zur Abfederung des Aufpralls nach vorne gerissen werden. Dies insbesondere dann, wenn - wie vorliegend - keine Lasten getragen werden. Hingegen ist mit der Vorinstanz auch der vom Beschwerdeführer nachträglich gegenüber Dr. med. D.________ geschilderte Unfallhergang, wonach die Hand auf dem Boden abgerutscht und der Arm nach vorne/oben gerissen worden sei, nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad belegt.
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Erwägung 5.2
 
5.2.1. Zur relevanten Streitfrage, inwieweit der Unfall vom 8. Juli 2015 den Vorzustand verschlimmert habe, machte Dr. med. D.________ - im Gegensatz zu Dr. med. C.________, der einen Status quo sine per 3. September 2015 postulierte - keine konkreten Angaben. Er legte dar, der Vorzustand habe vor dem Ereignis zu keinen manifesten Einschränkungen oder Beschwerden geführt. Damit entspreche der bei der Leistungseinstellung vorliegende Zustand nicht dem effektiv symptomlosen Status quo ante. Indessen genügt es nicht, ohne weitere Begründung darauf hinzuweisen, dass vor dem Unfall keine manifesten Einschränkungen oder Beschwerden vorlagen und damit ein Status quo ante nicht erreicht sei. Wie das kantonale Gericht zu Recht ausführte, läuft diese von Dr. med. D.________ vertretene Auffassung auf die beweisrechtlich nicht zulässige Formel "post hoc ergo propter hoc" hinaus, wonach eine gesundheitliche Schädigung schon dann als durch den Unfall verursacht gilt, weil sie nach diesem aufgetreten ist. Aus den diesbezüglichen Ausführungen lässt sich daher nichts zu Gunsten des Standpunktes des Versicherten entnehmen.
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5.2.2. Das kantonale Gericht macht - abstellend auf die vom Kreisarzt der Suva angeführte Literatur - Ausführungen darüber, dass eine isolierte Verletzung der Rotatorenmanschette eine Ausnahme darstelle. Von einem zur Schädigung geeigneten Verletzungsmechanismus werde dann ausgegangen, wenn das Schultergelenk unmittelbar vor der Einwirkung muskulär fixiert gewesen sei und plötzlich eine passive Bewegung, die überfallartig eine Dehnungsbelastung bewirken könne, hinzugekommen sei. Die Vorinstanz hält weitergehende medizinische Abklärungen nicht für nötig, weil sie den dem Unfallereignis vom 8. Juli 2015 zugrunde liegenden Verletzungsmechanismus für nicht geeignet erachtet, einen Supraspinatussehnenriss auszulösen. Sie stellt damit eigene medizinische Überlegungen an. Es ist indessen nicht Aufgabe des Gerichts, fachfremde Schlussfolgerungen zu ziehen. Vielmehr hat es darzustellen, weshalb eine bestimmte ärztliche Stellungnahme überzeugender ist als eine andere und Feststellungen darüber zu treffen, ob es aufgrund dessen eine bestimmte Sachverhaltsdarstellung als überwiegend wahrscheinlich erachtet oder nicht. Dabei gilt das in Erwägung 2.2 Dargelegte.
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5.2.3. Vorliegend widersprechen sowohl Dr. med. D.________ als auch Dr. med. E.________ der kreisärztlichen Beurteilung. Letzterer weist auf die im MRI (Magnetresonanz-Bild) gezeigte korrekt erhaltene Muskulatur an der Supraspinatussehne hin. Die schmerzhafte Abduktionshemmung und das Kraftdefizit, welche nach dem Unfall aufgetreten seien, seien eindeutig auf die transmurale Ruptur der Supraspinatussehne zurückzuführen. Ohne die beim Unfall erlittene Verletzung wäre die Operation vom 4. September 2015 nicht notwendig gewesen. Demgegenüber begründet Kreisarzt Dr. med. C.________ seine Beurteilung praktisch ausschliesslich mit Zitaten aus der medizinischen Literatur, ohne auf den konkreten Fall des Beschwerdeführers einzugehen.
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5.3. Aus der dargelegten Aktenlage ergibt sich, dass insbesondere der Bericht des Dr. med. E.________ vom 22. September 2015 zumindest geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der versicherungsinternen ärztlichen Aktenbeurteilung zu begründen vermag. Um zu beurteilen, ob der Sturz vom 8. Juli 2015 zumindest eine Teilursache für die am 4. September 2015 durchgeführte Operation und der ab dem 30. September 2015 noch bestehenden Gesundheitsschädigung gesetzt hatte, ist eine sorgfältige Prüfung durch einen unabhängigen medizinischen Sachverständigen notwendig. Die Sache wird daher an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie nach Einholung eines Gerichtsgutachtens über die Beschwerde neu entscheide. Sie wird dabei dafür zu sorgen haben, dass der Experte vom Unfallhergang ausgeht, wie er im angefochtenen Entscheid als am wahrscheinlichsten festgestellt wurde.
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6. Die Rückweisung der Sache an den Versicherungsträger oder an das vorinstanzliche Gericht zu erneuter Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271 mit Hinweisen). Demgemäss sind die Gerichtskosten der Beschwerdegegnerin zu überbinden. Ferner hat sie dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer eine Parteientschädigung auszurichten.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 9. November 2018 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
3. Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 14. Juni 2019
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer
 
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