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Informationen zum Dokument  BGer 6B_1245/2018  Materielle Begründung
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BGer 6B_1245/2018 vom 20.05.2019
 
 
6B_1245/2018
 
 
Urteil vom 20. Mai 2019
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Oberholzer,
 
Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiber Traub.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Kenad Melunovic Marini,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
 
2. A.________,
 
Beschwerdegegnerinnen.
 
Gegenstand
 
Mehrfache Vergewaltigung, versuchte sexuelle Nötigung usw.; Strafzumessung; Landesverweisung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 16. Oktober 2018 (SB170394-O/U/ad).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Das Bezirksgericht Winterthur verurteilte X.________ wegen mehrfacher Vergewaltigung, versuchter sexueller Nötigung und mehrfacher sexueller Belästigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zu einer Busse von Fr. 500.--. Es sprach eine Landesverweisung für acht Jahre aus. Das Gericht verpflichtete X.________, der Privatklägerin Ersatz für Erwerbsschaden, eine Entschädigung gestützt auf das Gleichstellungsgesetz und Genugtuung zu bezahlen. Zudem stellte es dem Grundsatz nach eine Schadenersatzpflicht bezüglich deliktskausaler Kosten von Therapien und ärztlichen Behandlungen fest (Urteil vom 2. Juni 2017).
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B. X.________ erhob Berufung. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 16. Oktober 2018 das erstinstanzliche Urteil.
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C. X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt Freispruch vom Vorwurf der mehrfachen Vergewaltigung und der versuchten sexuellen Nötigung. Er sei lediglich mit einer Busse von Fr. 500.-- zu belegen. Für die zu Unrecht ausgestandene Untersuchungs- und Sicherheitshaft von 128 Tagen sei er zu entschädigen. Auf eine Landesverweisung sei zu verzichten. Die Zivilforderungen der Privatklägerin seien auf den Zivilweg zu verweisen. Eventuell sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Erwägungen:
 
1. 
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1.1. Der Beschwerdeführer anerkennt, mit der Privatklägerin, einer bei ihm als Betreiber eines Coiffeursalons angestellten Auszubildenden, im Oktober 2016 im Keller seines Geschäfts dreimal den Geschlechtsverkehr ausgeübt zu haben. Er stellt jedoch den Einsatz nötigender Mittel in Abrede und wehrt sich folglich gegen den Schuldspruch wegen mehrfacher Vergewaltigung (Art. 190 StGB) und versuchter sexueller Nötigung (Art. 189 StGB). Er rügt eine Verletzung des Anklageprinzips. Die Vorinstanz begründe die Nötigung damit, er habe die Privatklägerin unter psychischen Druck gesetzt. Als weiteres Nötigungsmittel habe er, immer nach Ansicht der Vorinstanz, Gewalt eingesetzt, indem er sich auf die körperlich unterlegene Privatklägerin gelegt und sie mit seinem Gewicht auf das Bett gedrückt habe. Diese entscheidungswesentlichen Sachverhalte seien nicht in der Anklageschrift enthalten. Wenn die Vorinstanz die Nötigungsvarianten des "Unter psychischen Druck-Setzens" und der Gewalt dennoch bejahe, verletze sie Art. 189 und 190 StGB (vgl. Art. 9 und Art. 379 in Verbindung mit Art. 350 Abs. 1 StPO).
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1.2. Die Anklageschrift bezeichnet möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Der Beschwerdeführer gibt die Anklageschrift in wesentlichen Teilen wieder und macht geltend, sie enthalte nicht genügend Sachverhaltselemente, die sein Verhalten gegenüber der Privatklägerin als Nötigung - in Form psychischen Drucks (vgl. BGE 131 IV 107) - zur Duldung des Beischlafs (Art. 190 Abs. 1 StGB) resp. zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung (Art. 189 Abs. 1 StGB) auswiesen. Die Vorinstanz begründe ihren Schuldspruch über den angeklagten Sachverhalt hinaus im Wesentlichen damit, er habe den Willen der Privatklägerin (zum Widerstand) gebrochen, indem er bewusst den Umstand ausgenützt habe, dass sie das dritte und letzte Lehrjahr in seinem Betrieb habe beenden wollen. Ohne Entsprechung in der Anklageschrift bleibe auch der vorinstanzliche Befund, er habe auf einen Überraschungseffekt und "eine gewisse Naivität" der Privatklägerin gesetzt, um die prozessgegenständlichen Übergriffe verüben zu können. Dagegen beantworte das kantonale Gericht ebenso wenig die Frage, weshalb sich die rund 20-jährige Privatklägerin nicht einfach habe entfernen können, noch diejenige, wie er jeweils überhaupt in die Lage resp. Position kommen konnte, den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Für den vorinstanzlichen Schluss, er habe ihren Willen gebrochen, sei das aber von zentraler Bedeutung. Schliesslich beschreibe weder die Anklage noch die Vorinstanz, weshalb die Privatklägerin beim zweiten und dritten Übergriff darauf vertrauen und hoffen durfte, er werde den Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen nicht wiederholen, und wie er diesen Umstand ausgenutzt haben solle.
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1.3. Die Einwendungen betreffend den Anklagegrundsatz (BGE 141 IV 132 E. 3.4.1 S. 142) sind unbegründet: Einleitend wird in der Anklageschrift vom 24. April 2017 hervorgehoben, es sei für die Privatklägerin sehr wichtig gewesen, durch ihre weitere Tätigkeit im Geschäft des Beschwerdeführers den Lehrabschluss zu erlangen, nachdem sie die ersten zwei Lehrjahre in einem andern Coiffeursalon verbracht hatte, welchen sie aus persönlichen Gründen verlassen hatte. Der Beschwerdeführer habe gewusst, dass es für sie nicht einfach gewesen wäre, einen anderen Lehrbetrieb für das dritte Lehrjahr zu finden (Anklageschrift, S. 2). Weitere Schilderungen in der Anklageschrift sind vor diesem Hintergrund zu verstehen, so etwa, der Beschwerdeführer habe schamlos ausgenützt, dass die unsichere Privatklägerin es nicht gewagt habe, ihm zu widersprechen resp. sich seinen "Anweisungen" zu widersetzen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die diesbezüglichen vorinstanzlichen Feststellungen vom angeklagten Sachverhalt nicht mehr gedeckt sein sollten. Unter dem Blickwinkel des Anklagegrundsatzes bietet die 
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2. Der Beschwerdeführer wendet sich auch inhaltlich gegen die Bejahung der Nötigungsmittel, namentlich desjenigen der körperlichen Gewalt. Er beruft sich auf die Rechtsprechung, wonach der Einsatz von (körperlicher) Gewalt zum Nötigungsmittel wird, wenn die betreffende Kraftaufwendung notwendig ist, um eine entgegenstehende Willensbetätigung des Opfers zu überwinden (vgl. Urteil 6B_494/2012 vom 21. Februar 2013 E. 2.2). Der Widerstand des Opfers müsse gebrochen oder ausgeschaltet, nicht nur unterlaufen oder umgangen werden. Unter geltendem Recht stelle eine sexuelle Handlung, die unter Ausnützung von Verblüffung oder Schrecken ausgeführt werde, keine Nötigung mehr dar. Anders als die Vorinstanz meine, könne er daher nicht schon dadurch (die Nötigung begründende) Gewalt angewendet haben, indem er sich mit seinem Gewicht auf die Privatklägerin legte. Dies habe dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs gedient, nicht dem Brechen oder Ausschalten ihres Willens.
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Die in Art. 189 und 190 StGB (nicht abschliessend) aufgeführten Nötigungsmittel (drohen, Gewalt anwenden, unter psychischen Druck setzen, zum Widerstand unfähig machen) können im Einzelfall nicht nur alternativ oder kumulativ zum Tragen kommen. Eine Nötigung kann auch (erst) in Form einer Kombination von zwei oder mehreren Mitteln verwirklicht sein. So genügt denn auch (z.B. je nach erzeugtem psychischem Druck) dasjenige Mass an (körperlicher) Gewalt, das nötig war, um das konkrete Opfer gefügig zu machen (vgl. PHILIPP MAIER, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 22 zu Art. 189 StGB mit Hinweis). Der Beschwerdeführer hat seine soziale Dominanz eingesetzt, darüber hinaus teils die Überraschung der jungen Privatklägerin und teils ihre - u.a. aus der Zwangslage, das letzte Lehrjahr beenden zu müssen, heraus zu verstehende - Unfähigkeit, sich dezidiert zu wehren, ausgenützt  under hat bei den sexuellen Übergriffen jeweils körperlichen Zwang angewendet. Mit Blick darauf spielt es letztlich keine Rolle, ob der Einsatz des Körpergewichts  allein genügt hätte, um allfällige Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers (BGE 128 IV 106 E. 3b S. 113) auszuschalten (vgl. Urteil 6B_1149/2014 vom 16. Juli 2015 E. 5.1.3). Die genannten Elemente heben den vorliegenden Fall im Übrigen von der Ausnützung einer Notlage, hier einer durch das Arbeitsverhältnis begründeten Abhängigkeit (Art. 193 Abs. 1 StGB), ab.
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3. Hinsichtlich der separaten Verurteilung wegen versuchter sexueller Nötigung macht der Beschwerdeführer geltend, die Vorinstanz habe den Versuch einer analen Penetration während eines Geschlechtsverkehrs zu Unrecht als selbständige strafbare Handlung gewertet. Die Handlung beruhe auf dem gleichen Willensakt wie die Handlungen, die zur Verurteilung wegen Vergewaltigung geführt hätten, und erscheine aufgrund des sehr engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs objektiv gesehen als Teil eines einheitlichen Geschehens.
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Der als versuchte sexuelle Nötigung taxierte Vorgang ereignete sich laut Anklageschrift zwischen zwei vaginalen Penetrationen, die als Vergewaltigung zu qualifizieren sind. Auch unter Berücksichtigung der in der Anklageschrift geschilderten unmittelbaren Abfolge der einzelnen Handlungen erscheint die versuchte anale Penetration nicht als dergestalt mit dem vollendeten Hauptdelikt verbundenes Geschehen, dass von einer natürlichen Handlungseinheit auszugehen wäre und sie daher nicht eigenständig strafbar wäre. Dass mehrere strafbare Handlungen auf denselben Willensentschluss zurückgehen, genügt nicht, um eine Handlungseinheit anzunehmen, welche die Anwendung von Art. 49 StGB ausschliessen würde (Urteil 6B_1248/2017 vom 21. Februar 2019 E. 4.7 m.H.; vgl. BGE 132 IV 49 E. 3.1.1.3 S. 54).
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4. Weitere Teile des vorinstanzlichen Dispositivs sind ausschliesslich mit Blick auf die beantragten Freisprüche von den Vorwürfen der mehrfachen Vergewaltigung und der versuchten sexuellen Nötigung angefochten. Nachdem sich die Verurteilung des Beschwerdeführers hinsichtlich dieser Tatbestände als rechtens erwiesen hat, bleibt es ohne Weiteres bei den vorinstanzlichen Erkenntnissen betreffend Landesverweisung und Zivilforderungen.
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5. Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. Mai 2019
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Jacquemoud-Rossari
 
Der Gerichtsschreiber: Traub
 
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