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Informationen zum Dokument  BGer 5A_725/2018  Materielle Begründung
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BGer 5A_725/2018 vom 16.05.2019
 
 
5A_725/2018
 
 
Urteil vom 16. Mai 2019
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter von Werdt, Schöbi,
 
Gerichtsschreiber Zingg.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Betreibungsamt Region Solothurn.
 
Gegenstand
 
Rückzahlung von Kinderzulagen (Existenzminimumsberechnung),
 
Beschwerde gegen das Urteil der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn vom 27. August 2018 (SCBES.2018.67).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Am 17. Juli 2018 erhob A.________, vertreten durch seinen Vater B.________, Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn. Er verlangte, ihm seien die zu Unrecht gepfändeten Kinderzulagen von November 2013 bis April 2014 zurückzubezahlen.
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Mit Urteil vom 27. August 2018 trat die Aufsichtsbehörde auf die Beschwerde nicht ein.
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B.
 
Am 8. September 2018 (Postaufgabe) erhob B.________ im Namen von A.________ gegen das Urteil der Aufsichtsbehörde Beschwerde an das Bundesgericht. Mit Verfügung vom 10. September 2018 forderte das Bundesgericht A.________ auf, die Beschwerde eigenhändig zu unterzeichnen. Am 13. September 2018 (Postaufgabe) reichten A.________ und B.________ eine von beiden unterschriebene neue Fassung der Beschwerdeschrift ein.
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Das Bundesgericht hat die Akten beigezogen, aber keine Vernehmlassungen eingeholt.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in Zivilsachen ist grundsätzlich zulässig (Art. 72 Abs. 2 lit. a, Art. 74 Abs. 2 lit. c, Art. 75, Art. 90, Art. 100 Abs. 2 lit. a BGG; vgl. allerdings unten E. 3).
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1.2. In Zivilsachen können die Parteien vor Bundesgericht nur von dazu berechtigten Anwältinnen und Anwälten vertreten werden (Art. 40 Abs. 1 BGG). B.________ ist folglich nicht zur Vertretung seines volljährigen Sohnes A.________ berechtigt. A.________ (fortan: Beschwerdeführer) ist demgemäss vom Bundesgericht aufgefordert worden, die Beschwerde eigenhändig zu unterzeichnen (Art. 42 Abs. 5 BGG). Allerdings hat er nicht das zurückgesandte Exemplar der Beschwerde, sondern eine neu erstellte Fassung derselben unterschrieben. Geändert wurden einzig die Unterschriftenzeile und die Darstellung der Beschwerde, nicht jedoch ihr Inhalt. Die Beschwerde kann demnach behandelt werden.
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1.3. Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Die beschwerdeführende Partei hat in gezielter Auseinandersetzung mit den für das Ergebnis des angefochtenen Entscheides massgeblichen Erwägungen plausibel aufzuzeigen, welche Rechte bzw. Rechtsnormen die Vorinstanz verletzt haben soll (BGE 140 III 86 E. 2 S. 88 f.; 140 III 115 E. 2 S. 116).
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Die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen sind für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG kann die Feststellung des Sachverhalts nur gerügt werden, wenn die Sachverhaltsfeststellung offensichtlich unrichtig - d.h. willkürlich (Art. 9 BV; BGE 135 III 127 E. 1.5 S. 130 mit Hinweis) - ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann. Bei der Rüge der offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht prüft in diesem Fall nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen; auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18; 140 III 264 E. 2.3 S. 266).
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Die Begründung muss in der Beschwerde an das Bundesgericht selber enthalten sein und es genügt nicht, auf andere Rechtsschriften oder die Akten zu verweisen (BGE 143 II 283 E. 1.2.3 S. 286; 138 III 252 E. 3.2 S. 258; 133 II 396 E. 3.1 S. 400). Soweit der Beschwerdeführer auf die ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen verweist, ist darauf nicht einzugehen.
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Erwägung 2
 
Die Aufsichtsbehörde hat erwogen, Leistungen der Familienausgleichskassen wie Kinderzulagen dürften nach Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG nicht gepfändet werden. Dies schliesse deren Einrechnung im Einkommen eines Schuldners aber nicht aus. Die Unpfändbarkeit einer Leistung habe nur zur Folge, dass diese selbst nicht gepfändet werden dürfe, nicht aber, dass der Schuldner neben diesen noch einen seinem Notbedarf entsprechenden Teil seines übrigen Einkommens beanspruchen könne. Vorliegend seien in der Existenzminimumsberechnung vom 29. Januar 2014 die Kinderzulagen von Fr. 400.-- noch nicht berücksichtigt worden. Die Unpfändbarkeitsbestimmung sei aber nicht verletzt worden. So habe der Beschwerdeführer beispielsweise im Januar 2014 von der Arbeitslosenkasse nach Abzug der Pfändungsquote einen Betrag von Fr. 1'517.-- ausbezahlt erhalten, womit die Fr. 400.-- für die Kinderzulagen nicht tangiert worden seien. Allerdings sei durch die fehlende Einrechnung sein Existenzminimum verletzt worden. Der Eingriff sei jedoch nicht so stark gewesen, dass von der Nichtigkeit der Existenzminimumsberechnung gesprochen werden könne. Die betreffende Berechnung wäre nur anfechtbar gewesen. Da aber die Beschwerdefrist von zehn Tagen längst abgelaufen sei, sei auf die Beschwerde nicht einzutreten.
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Im Übrigen würden bei der Festlegung des Existenzminimums nur Auslagen berücksichtigt, deren regelmässige Bezahlung nachgewiesen sei. Es sei demnach nicht zu beanstanden, wenn das Betreibungsamt Zahlungs- bzw. Überweisungsbelege für die Überweisung der Kinderzulagen verlangt habe, selbst wenn ihm das Scheidungsurteil vorgelegen hätte, wonach die Kinderzulagen an die Mutter der Kinder zu überweisen seien.
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Erwägung 3
 
Die Beschwerde im Sinne von Art. 17 ff. SchKG erfordert einen aktuellen und praktischen Verfahrenszweck. Sie ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer damit im Falle ihrer Gutheissung eine vollstreckungsrechtlich wirksame Berichtigung des gerügten Verfahrensfehlers erreichen kann (Art. 21 SchKG; BGE 120 III 107 E. 2 S. 108 f.; 105 III 101 E. 2 S. 104; 99 III 58 E. 2 S. 60 f.; Urteil 7B.20/2005 vom 14. September 2005 E. 1, nicht publ. in: BGE 131 III 652). Dies setzt in der Regel voraus, dass das Zwangsvollstreckungsverfahren noch im Gang ist. Allerdings kann das aktuelle und praktische Interesse auch dann noch gegeben sein, wenn das Zwangsvollstreckungsverfahren bereits abgeschlossen ist (z.B. bei der Beschwerde gegen einen Verlustschein).
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Dem angefochtenen Urteil lässt sich dazu nichts entnehmen. Insbesondere hat die Aufsichtsbehörde keine Feststellungen darüber getroffen, ob das fragliche Zwangsvollstreckungsverfahren oder die allenfalls mehreren Zwangsvollstreckungsverfahren abgeschlossen worden sind oder nicht. Es fehlen auch Feststellungen darüber, ob allenfalls zu Unrecht gepfändete Beträge dem Beschwerdeführer noch zurückerstattet werden könnten.
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Angesichts des Ausgangs des Verfahrens kann auf Weiterungen zu diesem Punkt verzichtet werden. Soweit der Beschwerdeführer die Rückerstattung von angeblich zu Unrecht gepfändeten Beträgen anstrebt, ist immerhin daran zu erinnern, dass die Beschwerde nach Art. 17 ff. SchKG nicht dazu dient, einen allfälligen Schadenersatzprozess nach Art. 5 SchKG vorzubereiten (BGE 120 III 107 E. 2 S. 109).
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Erwägung 4
 
4.1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die Existenzminimumsberechnung habe keinen Hinweis auf die zehntägige Beschwerdefrist enthalten.
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4.2. Das SchKG schreibt den Betreibungsämtern nicht vor, ihre Verfügungen mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Ausdrücklich vorgeschrieben ist eine Rechtsmittelbelehrung nur für die Entscheide der Aufsichtsbehörden (Art. 20a Abs. 2 Ziff. 4 SchKG; BGE 142 III 643 E. 3.2 S. 647 mit Hinweisen). Die Existenzminimumsberechnung als solche stellt allerdings ohnehin keine anfechtbare Verfügung dar (BGE 65 III 68 S. 70). Die Berechnung des Existenzminimums ist bloss die Begründung, ob und in welchem Umfang eine Einkommens- oder Verdienstpfändung erfolgt (BGE 127 III 572 E. 3b S. 574; 73 III 114 S. 115 f.). Gegenstand der Beschwerde ist die Pfändung als solche. Dem Schuldner ist die Existenzminimumsberechnung zusammen mit der Pfändung mitzuteilen (BGE 100 III 12 E. 2 S. 15).
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Vorliegend ergibt sich anhand der Akten, dass die Existenzminimumsberechnung vom 29. Januar 2014, auf welche die Aufsichtsbehörde einzig konkret eingeht, tatsächlich keinen Hinweis auf die Beschwerdefrist enthielt. Allerdings gehört diese Existenzminimumsberechnung zu einer Pfändungsurkunde vom selben Datum. Diese enthält am Schluss eine Rechtsmittelbelehrung mit dem Hinweis auf die zehntägige Beschwerdefrist. Laut der Pfändungsurkunde ist diese Urkunde dem Beschwerdeführer ebenfalls am 29. Januar 2014 eröffnet worden.
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Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, er habe die Pfändungsurkunde damals nicht erhalten. Er hat diese Urkunde vielmehr im vorliegenden Verfahren der Aufsichtsbehörde selber eingereicht. Nach seinen Ausführungen in der kantonalen Beschwerde hat er ausserdem auf dem Betreibungsamt vorgesprochen, worauf der Fehler auf Juni 2014 korrigiert worden sei. Damit ist davon auszugehen, dass die Pfändungsurkunde dem Beschwerdeführer in der ersten Hälfte 2014 zugegangen ist. Die Beschwerdefrist gegen die Pfändungsurkunde ist somit längstens abgelaufen.
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Der Beschwerdeführer bezieht sich nicht ausdrücklich auf eine bestimmte Existenzminimumsberechnung bzw. eine bestimmte Pfändungsurkunde. Er macht geltend, keine Berechnung habe eine Rechtsmittelbelehrung enthalten, womit er sich offenkundig auf mehrere Existenzminimumsberechnungen bezieht. Da er von der Aufsichtsbehörde auch die Rückerstattung von Kinderzulagen aus dem Jahr 2013 verlangt hatte, ist in der Tat davon auszugehen, dass weitere Existenzminimumsberechnungen bzw. Pfändungsurkunden neben der soeben behandelten vom 29. Januar 2014 existieren. Es besteht jedoch kein Anlass, vorliegend auch noch auf andere Existenzminimumsberechnungen und Pfändungsurkunden als die soeben behandelte einzugehen. Es läge am Beschwerdeführer, die konkret beanstandeten Existenzminimumsberechnungen ausdrücklich zu benennen. Zudem ist wie gesagt eine Rechtsmittelbelehrung auf den Verfügungen des Betreibungsamts ohnehin nicht erforderlich. Dass die weiteren Existenzminimumsberechnungen bzw. Pfändungsurkunden dem Beschwerdeführer gar nicht eröffnet worden wären, macht er nicht geltend.
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Erwägung 5
 
5.1. Auf die zutreffenden Erwägungen der Aufsichtsbehörde hinsichtlich der Bestimmung der pfändbaren Quote, wenn der Schuldner sowohl unpfändbares Einkommen nach Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG und beschränkt pfändbares nach Art. 93 SchKG bezieht, kann verwiesen werden (oben E. 2 am Anfang; BGE 134 III 182 E. 5 S. 184 f.). Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass die Kinderzulagen entgegen den Erwägungen der Aufsichtsbehörde tatsächlich gepfändet worden wären.
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5.2. Hingegen bringt er hinsichtlich der von der Aufsichtsbehörde festgestellten Verletzung des Existenzminimums vor, er sei durch die fehlende Einberechnung der Kinderzulagen genötigt worden, sein neu aufgebautes Leben wieder aufzugeben. Er will damit offenbar geltend machen, die Verletzung des Existenzminimums sei entgegen der Beurteilung durch die Aufsichtsbehörde stark gewesen. Er belegt dies jedoch nicht und führt nicht aus, inwiefern er sein Leben stark habe einschränken müssen. Auf seine Sachverhaltsdarstellung kann nicht eingegangen werden (Art. 97 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer vermag demnach nicht aufzuzeigen, dass offensichtlich derart krass in sein Existenzminimum eingegriffen worden wäre, dass er in eine absolut unhaltbare Lage geraten wäre und demnach von der Nichtigkeit der Pfändung ausgegangen werden müsste (Art. 22 SchKG; BGE 105 III 48 S. 49; 97 III 7 E. 2 S. 11; Urteil 7B.229/2005 vom 20. März 2006 E. 6). Im Übrigen geht er nicht darauf ein, dass er gegenüber dem Betreibungsamt seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht genügte, da er nicht nachgewiesen hatte, die Kinderzulagen tatsächlich an die Kindsmutter weiterzuleiten.
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Erwägung 6
 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann.
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Erwägung 7
 
Umständehalber rechtfertigt es sich ausnahmsweise, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 16. Mai 2019
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Escher
 
Der Gerichtsschreiber: Zingg
 
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