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Informationen zum Dokument  BGer 8C_102/2019  Materielle Begründung
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BGer 8C_102/2019 vom 14.05.2019
 
 
8C_102/2019
 
 
Urteil vom 14. Mai 2019
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
 
Gerichtsschreiber Wüest.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Regionales Arbeitsvermittlungszentrum St. Gallen, Geltenwilerstrasse 16/18, 9001 St. Gallen, vertreten durch das Amt für Wirtschaft und Arbeit, Rechtsdienst, Davidstrasse 35, 9001 St. Gallen,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Arbeitslosenversicherung (Arbeitsmarktliche Massnahme),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
 
vom 14. Dezember 2018 (AVI 2017/72).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der 1989 geborene A.________ arbeitete zuletzt für die B.________ AG als "Night Supervisor" (Auditor) in einem Hotel. Das Arbeitsverhältnis wurde durch die Arbeitgeberin per 31. August 2017 aufgelöst. Am 7. Juli 2017 meldete er sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum St. Gallen (RAV) zur Arbeitsvermittlung an. In der Folge stellte er beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons St. Gallen (AWA) ein Gesuch um Förderung der selbstständigen Erwerbstätigkeit durch Taggelder während der Planungsphase (Gesuch vom 24. August 2017). Seine Geschäftsidee bestand aus zwei Tätigkeitsfeldern: dem Mining (Schürfen) von etablierten Kryptowährungen und dem Import/ Export spezialisierter IT-Hardware für das Mining von Kryptowährungen. Auf Anweisung des RAV nahm A.________ am 27. September 2017 an der Beurteilung seiner Geschäftsidee durch das Beratungsunternehmen C.________ teil (vgl. Projektbeurteilung vom 27. September 2017). Mit Verfügung vom 2. Oktober 2017 wies das RAV das Gesuch um Gewährung von Taggeldern zur Vorbereitung der selbstständigen Erwerbstätigkeit ab, da der Versicherte über keinerlei Startkapital verfüge und es sich bei seiner Geschäftsidee um ein Spekulationsprojekt handle. Die dagegen erhobene Einsprache wies das RAV ab (Einspracheentscheid vom 9. November 2017).
1
B. Die hiergegen geführte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen - nach Durchführung eines doppelten Schriftenwechsels - mit Entscheid vom 14. Dezember 2018 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________ die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Eventualiter sei die Sache zur korrekten Feststellung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
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D. Mit Verfügung vom 4. April 2019 weist das Bundesgericht das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ab.
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E. In einer weiteren Eingabe vom 2. Mai 2019 erläutert A.________ erneut seinen Standpunkt.
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Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt. Es wird kein Schriftenwechsel durchgeführt.
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Erwägungen:
 
1. Auf Ergänzungen der Beschwerdeschrift kann nur eingetreten werden, wenn sie innert der Beschwerdefrist (vgl. Art. 100 Abs. 1 BGG) erfolgen, was für die Eingabe vom 2. Mai 2019 nicht zutrifft. Sie bleibt demnach unberücksichtigt. Dies gilt auch in Bezug auf das neu gestellte Begehren um Durchführung einer mündlichen Verhandlung (vgl. Urteil 8C_24/2018 vom 27. Juni 2018 E. 1 mit Hinweisen). Es ist zudem nicht ersichtlich, inwiefern von einer öffentlichen Verhandlung ein Erkenntnisgewinn erwartet werden könnte (vgl. BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148; 124 V 90 E. 4b S. 94), zumal das Bundesgericht an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt grundsätzlich gebunden ist (vgl. nachfolgende E. 2). Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers trifft es sodann nicht zu, dass ihm das Bundesgericht in der Verfügung vom 4. April 2019 betreffend Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege die Möglichkeit einer zusätzlichen Stellungnahme eingeräumt hätte.
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2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Dabei legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung kann es von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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Erwägung 3
 
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie in Bestätigung des Einspracheentscheids des RAV vom 9. November 2017 einen Anspruch des Beschwerdeführers auf Taggelder zur Vorbereitung der selbstständigen Erwerbstätigkeit verneint hat. Nicht zum Streitgegenstand gehört die Übernahme des Verlustrisikos einer gewährten Bürgschaft im Rahmen von Art. 71a Abs. 2 AVIG, hat doch der Beschwerdeführer dieses Gesuch im Einspracheverfahren nicht weiter verfolgt, weshalb sich auch die Vorinstanz nicht damit befasste (vgl. E. 2.6 des angefochtenen Entscheids). Ebenfalls nicht zur Beurteilung steht vorliegend ein allfälliger Schadenersatzanspruch des Beschwerdeführers gegenüber dem Beschwerdegegner, weil dieser die Aufnahme einer Selbstständigkeit verhindert habe, fehlt es doch auch hier an einem Anfechtungsobjekt.
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3.2. Das kantonale Gericht hat die einschlägigen Bestimmungen betreffend Unterstützung zur Förderung der selbstständigen Erwerbstätigkeit (Art. 71a und 71b AVIG sowie Art. 95b AVIV) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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4. Die Vorinstanz stellte fest, dass nicht nur das Mining von Kryptowährungen, sondern auch das vom Beschwerdeführer vorgesehene Erbringen von IT-Leistungen in direktem Zusamenhang mit der Nutzung von digitalen Währungen stehe, welche sich durch eine grosse Volatilität kennzeichnen würden. Nach Angaben des Beschwerdeführers erfolge die Vergütung für die IT-Dienstleistungen unmittelbar in Kryptowährungen und werde alsbald in Schweizer Franken umgetauscht. Durch diese Art der Bezahlung werde aber die grundsätzliche Spekulation mit der digitalen Währung gerade nicht ausgeschlossen. Die Chancen und Risiken der Kryptowährungen seien im Übrigen allgemein bekannt. So sei etwa der Kurs des Bitcoins Ende 2017 auf fast 20'000.- US-Dollar gestiegen und bereits wenige Monate später auf ca. 6'000.- US-Dollar abgestürzt. Das Szenario des Beschwerdeführers gehe von einem stetigen Aufwärtstrend aus, was in einem so schwankungsanfälligen Umfeld illusorisch oder zumindest auf lange Sicht nicht stabil genug erscheine. Das kantonale Gericht erkannte deshalb, die im Wert stark schwankenden und der Spekulation zugänglichen Kryptowährungen könnten grundsätzlich nicht Basis einer stabilen und tragfähigen unternehmerischen Tätigkeit sein, welche im Rahmen von Art. 71a AVIG zu fördern sei. Davon abgesehen habe der Versicherte die wirtschaftliche Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit seines Unternehmenskonzeptes nicht belegen können. Es bleibe unsicher, ob die Tätigkeit existenzsichernd wäre.
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5. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, verfängt nicht, wie sich aus dem Folgenden ergibt:
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5.1. Soweit der Beschwerdeführer dem Sinn nach eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend macht, weil ihm die Vorinstanz keine Gelegenheit zur Stellungnahme zur Duplik des Beschwerdegegners gegeben habe, ist ihm entgegenzuhalten, dass ihm die Vorinstanz die Duplik des Beschwerdegegners inklusive Beilage mit Schreiben vom 12. Februar 2018 zur Kenntnis gebracht hatte. Zwar enthielt das Schreiben den Hinweis, ein weiterer Schriftenwechsel sei nicht vorgesehen. Bis zur Eröffnung des angefochtenen Entscheids vom 14. Dezember 2018 vergingen aber rund zehn Monate. Dem nicht unbeholfenen Beschwerdeführer wäre es durchaus möglich und zumutbar gewesen, in dieser langen Zeitspanne eine Stellungnahme zur Duplik einzureichen oder sich zumindest nach dem weiteren Verfahrensgang und zur Möglichkeit einer weiteren Stellungnahme zu erkundigen (vgl. BGE 138 I 484 E. 2.4 am Ende S. 487).
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5.2. Was den von der Vorinstanz erwähnten Zeitungsartikel betrifft, so mag zwar stimmen, dass der Online-Link nicht zum gewünschten Ziel führt. Der Artikel wäre aber über eine einfache Eingabe in einer Web-Suchmaschine einfach auffindbar gewesen. Dem technisch versierten Beschwerdeführer wäre dies ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen. Eine Verletzung von Art. 29 BV - soweit die Rüge überhaupt den Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG genügt - ist nicht erkennbar.
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5.3. Hinsichtlich der gerügten Gehörsverletzung durch den Beschwerdegegner ist festzuhalten, dass rechtsprechungsgemäss eine nicht besonders schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs ausnahmsweise als geheilt gelten kann, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Unter dieser Voraussetzung ist darüber hinaus - im Sinne einer Heilung des Mangels - selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des Gehörs von einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz abzusehen, wenn sie zu einem prozessualen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem (der Anhörung gleichgestellten) Interesse der betroffenen Partei an einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (BGE 133 I 201 E. 2.2 S. 204, 132 V 387 E. 5.1 S. 390 mit Hinweis). Da die Vorinstanz über volle Kognition verfügte und zudem einen zweiten Schriftenwechsel veranlasste, ist eine allfällige - hier jedenfalls nicht schwerwiegende - Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Beschwerdegegner als geheilt anzusehen.
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5.4. Sodann bringt der Beschwerdeführer vor, Schwankungen der Kryptowährungen seien für ein Mining-Unternehmen unerheblich. Zum Beweis legt er einen im Internet abrufbaren Artikel zum Thema Mining auf. Dieser muss aber ausser Acht gelassen werden, da er bereits im vorinstanzlichen Verfahren ohne Weiteres hätte vorgebracht werden können und der Beschwerdeführer nicht darlegt, inwiefern erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gab, dieses neue Beweismittel einzureichen (unechtes Novum; Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. Urteil 8C_428/2018 vom 18. September 2018 E. 5.1). Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die neuen Berechnungen zum prognostizierten Unternehmensverlauf (echte Noven). Mit seinen übrigen Vorbringen zur Unterscheidung zwischen dem Handel mit Kryptowährungen und dem Mining vermag der Beschwerdeführer ebenfalls nicht aufzuzeigen, inwiefern die Feststellung der Vorinstanz, wonach die Bezahlung in Kryptowährung erfolge, was die Spekulation gerade nicht ausschliesse (vgl. E. 4 hiervor), offensichtlich unrichtig sein soll (vgl. E.2 hiervor). In diesem Zusammenhang kann er auch aus der "Projektbeurteilung des Beratungsunternehmen C.________" vom 27. September 2017 nichts zu seinen Gunsten ableiten, wird doch auch darin ausdrücklich festgehalten, dass es sich bei Kryptowährungen wie Bitcoin um Spekulationsobjekte handle. Wenn also das kantonale Gericht zum Schluss gelangte, die wertmässig stark schwankenden und der Spekulation zugänglichen Kryptowährungen könnten grundsätzlich nicht Basis einer stabilen und tragfähigen unternehmerischen Tätigkeit sein, welche im Rahmen von Art. 71a AVIG zu fördern sei, so verletzt dies nicht Bundesrecht.
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5.5. Ferner hat die Vorinstanz zu Recht darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer auch im Gerichtsverfahren keinen verbindlichen Darlehensvertrag eines Geldgebers aufgelegt habe. Ebenso wenig habe er sonstige konkrete Belege eingereicht, woraus ersichtlich wäre, wieviel Geld er tatsächlich als Startkapital vorweisen könnte. Soweit der Beschwerdeführer vor Bundesgericht erneut behauptet, es seien Geldgeber vorhanden gewesen, übt er appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, worauf nicht weiter einzugehen ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253; 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit Hinweisen).
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5.6. Da von zusätzlichen Abklärungen keine entscheidrelevanten Ergebnisse zu erwarten waren, durfte das kantonale Gericht darauf verzichten. Dies verstösst weder gegen den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) noch gegen den Grundsatz der Waffengleichheit (Art. 6 EMRK) noch gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör bzw. Beweisabnahme (Art. 29 Abs. 2 BV; antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; Urteil 8C_352/2017 vom 9. Oktober 2017 E. 6.3).
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6. Die offensichtlich unbegründete Beschwerde wird im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG - ohne Durchführung des Schriftenwechsels mit summarischer Begründung unter Verweis auf den kantonalen Entscheid (Art. 102 Abs. 1 und Art. 109 Abs. 3 BGG) - erledigt.
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7. Als unterliegende Partei hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung I, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 14. Mai 2019
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Der Gerichtsschreiber: Wüest
 
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