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Informationen zum Dokument  BGer 1B_106/2019  Materielle Begründung
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BGer 1B_106/2019 vom 10.05.2019
 
 
1B_106/2019, 1B_107/2019
 
 
Urteil vom 10. Mai 2019
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Chaix, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Muschietti,
 
Gerichtsschreiber Uebersax.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A. A.________ und B. A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Stefan Keller, Obergericht des Kantons Obwalden, Poststrasse 6, 6060 Sarnen,
 
Beschwerdegegner,
 
1B_106/2019
 
Corinne Imhof, Kantonspolizei Obwalden,
 
Polizeiposten, Dorfstrasse 1, 6390 Engelberg,
 
1B_107/2019
 
Jürg Boller, Staatsanwaltschaft Obwalden, Polizeigebäude Foribach, Postfach 1561, 6061 Sarnen.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Ausstandsbegehren,
 
Beschwerden gegen die Entscheide des Obergerichts des Kantons Obwalden vom 6. Februar 2019
 
(AB 18/029/ABO; AB 18/030/ABO).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Am 12. Juni 2017 reichten A.A.________ und B.A.________ bei der Staatsanwaltschaft Obwalden je eine Strafanzeige gegen Corinne Imhof, Kantonspolizei Obwalden, und Jürg Boller, Staatsanwaltschaft Obwalden, wegen Freiheitsberaubung, Nötigung, Androhung von Folter sowie räuberischer Erpressung ein. Die Staatsanwaltschaft Obwalden traf dazu am 4. August 2017 zwei Nichtanhandnahmeverfügungen. Mit Eingabe per Fax vom 2. und nicht unterzeichneter schriftlicher Eingabe vom 5. April 2018 erhob A.A.________ dagegen Beschwerde beim Obergericht Obwalden. Am 24. April 2018 reichte A.A.________ eine auch von B.A.________ unterschriebene ergänzende Rechtsschrift vom 20. April 2018 mit Beilagen ein.
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Mit Beschlüssen vom 13. Juni 2018 trat das Obergericht auf die Beschwerden nicht ein, da sich die Beschwerdeführer im Strafverfahren nicht als Privatkläger konstituiert hätten und daher nicht beschwerdelegitimiert seien. Dagegen erhoben A.A.________ und B.A.________ jeweils Beschwerde beim Bundesgericht, das die Verfahren am 20. November 2018 vereinigte und die Beschwerden guthiess und die Angelegenheiten an das Obergericht zurückwies (Urteil 6B_722/2018, 6B_723/2018). Zur Begründung führte das Bundesgericht im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführer hätten nie die Gelegenheit erhalten, sich als Privatkläger zu konstituieren, weshalb ihnen die entsprechenden Parteirechte noch einzuräumen und die Streitsachen zur neuen Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen seien.
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B. Am 3. Dezember 2018 stellten A.A.________ und B.A.________ in beiden Verfahren ein Ausstandsbegehren gegen den Obergerichtspräsidenten II Stefan Keller. Mit Entscheiden vom 6. Februar 2019 wies das Obergericht die Ausstandsbegehren in den Verfahren gegen Corinne Imhof (Entscheid AB 18/029/ABO) und Jürg Boller (AB 18/030/ABO) ab.
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C. A.A.________ und B.A.________ führen gegen diese Entscheide je Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht mit dem sinngemässen Antrag, die Entscheide aufzuheben und den beantragten Ausstand des Obergerichtspräsidenten anzuordnen; eventuell seien die Streitsachen zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen.
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Stefan Keller schliesst ohne weitere Ausführungen auf Abweisung der Beschwerden. Das Obergericht stellt jeweils Antrag auf Abweisung, soweit auf die Beschwerden einzutreten sei. Jürg Boller beantragt in seinem Verfahren die Abweisung der Beschwerde, währenddem Corinne Imhof in ihrem Verfahren keine Stellungnahme eingereicht hat.
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Mit Eingaben vom 13. April 2019 äusserten sich A.A.________ und B.A.________ in beiden Verfahren nochmals zur Sache.
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Erwägungen:
 
1. Die zwei Beschwerden hängen inhaltlich und prozessual eng miteinander zusammen, weshalb es sich rechtfertigt, die beiden bundesgerichtlichen Verfahren 1B_106/2019 und 1B_107/2019 zu vereinigen und gemeinsam zu erledigen (vgl. Art. 71 BGG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP).
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2. 
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2.1. Bei den angefochtenen Entscheiden handelt es sich um selbständig mit Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht anfechtbare kantonal letztinstanzliche Zwischenentscheide über den Ausstand eines Gerichtsmitglieds der Vorinstanz (vgl. Art. 78, 80 und 92 BGG).
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2.2. Die beiden Beschwerdeführer haben jeweils am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und verfügen über ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung bzw. Änderung der angefochtenen Entscheide. Sie sind daher zur Beschwerdeerhebung legitimiert (vgl. Art. 81 BGG). Dass in den Beschwerdeschriften jeweils nur A.A.________ ausdrücklich als Beschwerdeführer bezeichnet wird, schadet nicht, da B.A.________ nicht nur im Rubrum der Beschwerdeschriften ebenfalls aufgeführt wird, sondern die Beschwerden auch selbst unterzeichnet hat.
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3. 
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3.1. Mit der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf Rechtsverletzungen hin, die von den Beschwerdeführern geltend gemacht und begründet werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeführer müssen sich wenigstens kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzen. Rein appellatorische Kritik ohne Bezug zum angefochtenen Entscheid genügt nicht. Erhöhte Anforderungen an die Begründung gelten, soweit die Verletzung von Grundrechten gerügt wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176; 135 III 127 E. 1.6 S. 130; 133 II 249 E. 1.4 S. 254 f.; je mit Hinweisen).
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3.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine offensichtlich unrichtige bzw. willkürliche Sachverhaltsfeststellung liegt vor, wenn diese widersprüchlich oder aktenwidrig ist oder auf einem offensichtlichen Versehen beruht bzw. klarerweise den tatsächlichen Verhältnissen widerspricht (vgl. etwa BGE 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62).
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3.3. Die eingereichten Beschwerdebegründungen sind weitgehend appellatorischer Natur und nur schwer verständlich. Es ist lediglich teilweise erkennbar, was genau die Beschwerdeführer dem Obergerichtspräsidenten vorwerfen, dessen Ausstand sie verlangen. Das gilt immerhin für die Behauptung, er hätte unwahre Angaben gemacht und sich auf entsprechende falsche Tatsachen abgestützt. Eine weitere erkennbare Rüge bezieht sich auf den Beizug einer Praktikantin als Gerichtsschreiberin. Soweit die Beschwerdeführer darüber hinaus Ausstandsgründe anrufen und dabei geltend machen wollten, die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen seien falsch, genügen ihre Ausführungen den Anforderungen an eine ausreichende Beschwerdebegründung nicht. Es kann daher nur im nachfolgenden beschränkten Umfang auf die Beschwerden eingetreten werden.
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4. 
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4.1. Art. 56 StPO zählt verschiedene Gründe auf, die zum Ausstand von in einer Strafbehörde tätigen Personen führen. Nach dem vom Beschwerdeführer angerufenen Art. 56 lit. f StPO trifft dies namentlich aus anderen (als den in lit. a-e der gleichen Bestimmung genannten) Gründen zu, insbesondere wenn die in der Strafverfolgung tätige Person wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand befangen sein könnte. Art. 56 StPO konkretisiert die Verfassungsbestimmung von Art. 30 Abs. 1 BV sowie Art. 6 EMRK. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen. Dass ein Richter gegen eine bestimmte Person entscheidet, rechtfertigt für sich allein noch keinen Ausstand. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Solche Umstände können entweder in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein (BGE 131 I 113 E. 3.4 S. 116). Bei der Anwendung von Art. 56 lit. f StPO ist entscheidendes Kriterium, ob bei objektiver Betrachtungsweise der Ausgang des Verfahrens noch als offen erscheint. Wird der Ausstandsgrund aus materiellen oder prozessualen Rechtsfehlern abgeleitet, so sind diese nur wesentlich, wenn sie besonders krass sind und wiederholt auftreten, sodass sie einer schweren Amtspflichtverletzung gleichkommen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken; andernfalls begründen sie keinen hinreichenden Anschein der Befangenheit (zum Ganzen etwa Urteil des Bundesgerichts 1B_101/2017 vom 7. Juni 2017 E. 2.1).
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4.2. Die Beschwerdeführer werfen dem Obergerichtspräsidenten in erster Linie Unwahrheiten vor. Er habe namentlich behauptet, sie hätten sich nicht an die einschlägigen Fristen gehalten. Ihre Eingaben, insbesondere diejenige vom 20. April 2018, hätten sie aber rechtzeitig eingereicht. Das belege die Voreingenommenheit des Obergerichtspräsidenten.
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Mit an die Beschwerdeführer gerichtetem Schreiben vom 3. April 2018 führte der Obergerichtspräsident in Ziff. 3 aus, ihre Anfang April 2018 eingereichten Eingaben gegen die Nichtanhandnahmeverfügungen vom 4. August 2017 erschienen prima vista als verspätet; es bedürfe daher einer Erklärung, weshalb die Beschwerdeführung noch zulässig sei. Mit Einschreiben vom 11. April 2018 hielt der Obergerichtspräsident fest, die Beschwerdeführer hätten in ihrer inzwischen am 5. April 2018 aufgegebenen neuen Eingabe unter anderem den in Ziff. 3 erwähnten Punkt unbeantwortet gelassen und setzte den Beschwerdeführern eine neue Frist für die notwendigen Verbesserungen. Darauf reagierten die Beschwerdeführer mit Eingaben vom 24. April 2018. Die Beschwerdeführer stellen sich nunmehr auf den Standpunkt, sie hätten die ihnen gesetzten Fristen gewahrt, weshalb der Vorwurf der Verspätung fehl gehe. Der Obergerichtspräsident stellte indessen nicht fest, sie hätten die von ihm gesetzten richterlichen Fristen nicht eingehalten, sondern vielmehr, sie hätten sich nicht zur von ihm gestellten Frage geäussert, weshalb sie erst im April 2018 gegen die Nichtanhandnahmeverfügungen vom August 2017 vorgegangen seien. Dies steht nicht im Widerspruch zu den Akten, findet sich doch in den damaligen Eingaben der Beschwerdeführer keine Erklärung für diese verzögerte Reaktion. Die entsprechende Feststellung ist weder offensichtlich unrichtig noch geeignet, eine Voreingenommenheit des Obergerichtspräsidenten zu belegen. Dass das Bundesgericht später entschied, die Beschwerdeführer hätten ihre Parteirechte mangels Einbezugs ins Verfahren gar nicht früher vornehmen können, und ihre entsprechenden Beschwerden am 20. November 2018 guthiess (Urteil 6B_722/2018, 6B_723/2018), ändert daran nichts. Genau diese Umstände hätten die Beschwerdeführer in Beantwortung der ihnen gestellten Frage klären können. Selbst wenn sich der Obergerichtspräsident insofern getäuscht haben sollte, führt der Umstand, dass ein Gerichtsentscheid wie hier durch eine höhere Instanz aufgehoben wird, bei einer Rückweisung für sich allein nicht zur Ausstandspflicht aller bisher beteiligten Gerichtspersonen, wie das Obergericht in den angefochtenen Entscheiden zu Recht erwog. Besonders krasse oder wiederholte materielle oder prozessuale Rechtsfehler des Obergerichtspräsidenten sind nicht ersichtlich, weshalb kein Ausstandsgrund vorliegt.
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4.3. Schliesslich legen die Beschwerdeführer nicht ausreichend dar und es ist auch nicht erkennbar, inwiefern die von ihnen auch noch kritisierte Einsetzung einer juristischen Praktikantin als Gerichtsschreiberin einen Ausstandsgrund des Obergerichtspräsidenten belegen oder sonstwie einen groben Verfahrensmangel darstellen sollte. Ein solcher Beizug von Praktikanten ist an den erst- und zweitinstanzlichen Gerichten der Schweiz durchaus üblich und gilt als zulässig.
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5. Die Beschwerden erweisen sich als unbegründet und sind abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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Bei diesem Verfahrensausgang werden die Beschwerdeführer unter Solidarhaft kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 und 5, Art. 65 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die bundesgerichtlichen Verfahren 1B_106/2019 und 1B_107/2019 werden vereinigt.
 
2. Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
3. Die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern unter Solidarhaft auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, Corinne Imhof, Jürg Boller und dem Obergericht des Kantons Obwalden schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 10. Mai 2019
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Chaix
 
Der Gerichtsschreiber: Uebersax
 
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