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Informationen zum Dokument  BGer 8C_91/2019  Materielle Begründung
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BGer 8C_91/2019 vom 16.04.2019
 
 
8C_91/2019
 
 
Urteil vom 16. April 2019
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
 
Gerichtsschreiberin Polla.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Rufener,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Prozessvoraussetzung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
 
vom 18. Dezember 2018 (IV 2018/77).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. Mit Verfügung vom 18. Juli 2014 sprach die IV-Stelle des Kantons St. Gallen dem 1974 geborenen A.________ ab 1. Januar 2012 eine ganze Rente der Invalidenversicherung bei einem Invaliditätsgrad von 94 % zu, nachdem sie bereits früher für berufliche und medizinische Massnahmen aufgekommen war und ein Gesuch um Kapitalhilfe mit Schreiben vom 31. Januar 2013 abgelehnt hatte. In der Zeit zwischen August 2014 und Mai 2015 ersuchte A.________ mehrfach um berufliche Massnahmen, insbesondere um Kapitalhilfe. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 wies die IV-Stelle den Rechtsvertreter des Versicherten darauf hin, dass sie auf ein neues Leistungsbegehren nur eintreten werde, wenn A.________ eine relevante Änderung der wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Situation glaubhaft machen könne. Mit Verfügung vom 25. Juni 2015 trat die IV-Stelle auf das im Mai 2015 eingereichte Gesuch um berufliche Massnahmen (Kapitalhilfe) nicht ein. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die dagegen geführte Beschwerde mit Entscheid vom 7. Juli 2016 ab, soweit es darauf eintrat. Auf eine hiergegen erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil vom 4. Oktober 2016 mangels sachbezogener Begründung nicht ein.
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A.b. Am 17. Juli 2017 teilte die IV-Stelle dem Versicherten einen unveränderten Anspruch auf eine ganze Invalidenrente mit. Da eine relevante Sachverhaltsänderung nicht glaubhaft gemacht sei, trat sie auf ein im Januar 2018 sinngemäss gestelltes Gesuch um Gewährung von beruflichen Eingliederungsmassnahmen - ohne vorgängiges Vorbescheidverfahren - nicht ein (Verfügung vom 19. Januar 2018).
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B. Die dagegen geführte Beschwerde hiess das Versicherungsgericht gut, soweit es darauf eintrat. Es hob die Verfügung vom 19. Januar 2018 auf und verpflichtete die IV-Stelle, auf die Anmeldung vom Januar 2018 einzutreten. Es wies die Sache zur materiellen Behandlung derselben an die IV-Stelle zurück.
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C. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. Die Angelegenheit sei zur Durchführung des Vorbescheidverfahrens an sie zurückzuweisen.
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A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Ferner ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren) Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 141 V 206 E. 1.1 S. 208 mit Hinweisen).
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1.2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG) sowie gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren (Art. 92 Abs. 1 BGG). Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig, sofern - alternativ - der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Rückweisungsentscheide, mit denen eine Sache wie im vorliegenden Fall zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, sind grundsätzlich Zwischenentscheide, die nur unter den genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden können (BGE 140 V 282 E. 2 S. 283 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 138 V 271).
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Erwägung 2
 
2.1. Der Eintretensgrund von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt hier ohne weiteres ausser Betracht und wird auch nicht geltend gemacht.
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2.2. Mit Blick auf das in Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG festgehaltene Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils gilt es folgende Konstellationen zu unterscheiden: Dient die Rückweisung einzig noch der Umsetzung des vom kantonalen Gericht Angeordneten und verbleibt dem Versicherungsträger somit kein Entscheidungsspielraum mehr, handelt es sich materiell nicht - wie bei Rückweisungsentscheiden sonst grundsätzlich der Fall - um einen Zwischenentscheid, gegen den ein Rechtsmittel letztinstanzlich bloss unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig ist, sondern um einen sowohl von der betroffenen versicherten Person wie auch von der Verwaltung anfechtbaren Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG. Enthält der Rückweisungsentscheid demgegenüber Anordnungen, die den Beurteilungsspielraum der Verwaltung zwar nicht gänzlich, aber doch wesentlich einschränken, stellt er einen Zwischenentscheid dar. Dieser bewirkt in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die rechtsuchende Person ihn später zusammen mit dem neu zu fällenden Endentscheid wird anfechten können (vgl. Art. 93 Abs. 3 BGG). Anders verhält es sich für den Versicherungsträger, da er durch den Entscheid gezwungen wird, eine seines Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Während er sich ausserstande sähe, seinen eigenen Rechtsakt anzufechten, wird die versicherte Person im Regelfall kein Interesse haben, einem zu ihren Gunsten lautenden Endentscheid zu opponieren. Der kantonale Rückweisungsentscheid könnte mithin nicht mehr korrigiert werden. Der irreversible Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG wird in diesen Fällen deshalb regelmässig bejaht. Das gilt aber nur, soweit der Rückweisungsentscheid materiellrechtliche Vorgaben enthält, welche die untere Instanz bei ihrem neuen Entscheid befolgen muss. Erschöpft sich der Rückweisungsentscheid darin, dass eine Frage ungenügend abgeklärt und deshalb näher zu prüfen ist, ohne dass damit materiellrechtliche Anordnungen verbunden sind, so entsteht der Behörde, an die zurückgewiesen wird, kein nicht wieder gutzumachender Nachteil. Die Rückweisung führt lediglich zu einer das Kriterium nicht erfüllenden Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens (BGE 140 V 282 E. 4.2 S. 285 mit Hinweisen).
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2.3. Zur Begründung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils führt die IV-Stelle einzig an, ein solcher liege vor, indem die Vorinstanz ohne Prüfung der Glaubhaftmachung die angefochtene Verfügung vom 19. Januar 2018 aufhebe und durch einen Eintretensentscheid ersetze. Hierin lässt sich jedoch kein nicht wieder gutzumachenden Nachteil erkennen und es ist auch sonstwie nicht ersichtlich, inwiefern dieses Eintretenserfordernis erfüllt sein soll. Die Beschwerdeführerin wird lediglich angewiesen, auf die Sache einzutreten und das Leistungsbegehren materiell zu behandeln. Der Rückweisungsentscheid enthält keine verbindlichen Anweisungen über die materiellrechtliche Behandlung des Falles (E. 2.2 hievor), weshalb der Beurteilungsspielraum der IV-Stelle nicht eingeschränkt wird (vgl. SVR 2009 IV Nr. 14 S. 35, 9C_898/2007 E. 2.1). Die Eintretensvoraussetzung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist daher ebenfalls zu verneinen, weshalb auf die Beschwerde der IV-Stelle gegen den kantonalen Entscheid vom 18. Dezember 2018 nicht einzutreten ist.
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3. Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat dem Beschwerdegegner überdies eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). Damit wird sein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsvertreter des Beschwerdegegners für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'400.- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 16. April 2019
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla
 
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