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Informationen zum Dokument  BGer 1C_642/2018  Materielle Begründung
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BGer 1C_642/2018 vom 10.04.2019
 
 
1C_642/2018
 
 
Urteil vom 10. April 2019
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Chaix, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Karlen,
 
Gerichtsschreiber Uebersax.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch
 
Rechtsanwalt Dr. Hansheiri Inderkum,
 
gegen
 
Regierungsrat des Kantons Uri.
 
Gegenstand
 
Reglement über den Schutz der Gewässer im Gebiet Uri Nord zwischen dem Urnersee und Erstfeld; Erlass und Inkrafttreten,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 9. November 2018 (OG V 18 35).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Am 25. September 2012/13. März 2013 genehmigte der Regierungsrat des Kantons Uri das Schutz- und Nutzungskonzept Erneuerbare Energien im Kanton Uri (SNEE). Das Konzept bestimmt unter anderem bei der Wasserkraftnutzung, welche Gewässer künftig grundsätzlich nutzbar sind, und legt davon ausgeschlossene Schutzzonen oder -landschaften fest. Nicht aufgeführte Gewässer dürfen, mit Ausnahme von Kleinstwasserkraftwerken und ähnlichen Anlagen, künftig nicht mehr genutzt werden.
1
Mit Publikation im Amtsblatt Nr. 8 vom 26. Februar 2016 legte der Regierungsrat das Reglement über den Schutz der Gewässer im Gebiet Uri Nord zwischen dem Urnersee und Erstfeld öffentlich auf. Dagegen erhob A.________ Einsprache mit dem Antrag, das Reglement nicht zu erlassen. Dieses verstosse gegen das Schutz- und Nutzungskonzept. Hintergrund der Einsprache ist ein seit Januar 2010 hängiges Konzessionsgesuch von A.________ für ein Kleinwasserkraftwerk, mit denen der Balmerbach, der Niemerstafelbach und die beiden Bäche zwischen Vorderen und Hinteren Rustigen genutzt werden sollen. Diese vier Bäche sollen nunmehr jedoch nach Art. 2 Abs. 1 des Reglements als Objekt Nr. 3 unter Schutz gestellt werden. Mit Beschluss vom 23. August 2016 wies der Regierungsrat die Einsprache ab, soweit er darauf eintrat.
2
Dagegen erhob A.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Obergericht des Kantons Uri. Dieses beurteilte das angefochtene Reglement mit Entscheid vom 24. November 2017 als Erlass, trat deswegen auf die Beschwerde nicht ein und überwies die Sache zuständigkeitshalber dem Bundesgericht. Der Entscheid blieb unangefochten. Mit Urteil 1C_652/2017 vom 20. August 2018 trat das Bundesgericht seinerseits auf die ihm überwiesene Beschwerde nicht ein und wies die Streitsache zur weiteren Behandlung zurück an das Obergericht. Im Wesentlichen begründete es das damit, die Rechtsnatur des angefochtenen Akts sei zwar auf den ersten Blick nicht eindeutig; es handle sich beim Reglement aber um eine anfechtbare Allgemeinverfügung mit generell-konkretem Inhalt und nicht um einen Erlass, weshalb das Obergericht für die dagegen erhobene Beschwerde zuständig gewesen wäre und nicht ein beim Bundesgericht einzig anfechtbarer kantonal letztinstanzlicher Entscheid vorliege.
3
B. Am 6. September 2018 nahm das Obergericht das Verfahren wieder auf. Mit Entscheid vom 9. November 2018 trat es auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneut nicht ein. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Rechtsmittelweg sei nach der Rückweisung durch das Bundesgericht an sich wieder offen und es sei von einem anfechtbaren Hoheitsakt auszugehen; A.________ sei durch das angefochtene Reglement jedoch nicht unmittelbar aktuell betroffen, weshalb er zur Beschwerdeerhebung nicht legitimiert sei.
4
 
C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 7. Dezember 2018 an das Bundesgericht beantragt A.________, das Urteil des Obergerichts aufzuheben, eventuell die Sache zu neuer Beurteilung an dieses zurückzuweisen. Er macht unter Einreichung neuer Unterlagen im Wesentlichen geltend, als Betreiber eines bereits bestehenden Kleinkraftwerks und mit Blick auf sein Projekt für ein zweites solches Wasserkraftwerk im fraglichen Schutzgebiet vom strittigen Reglement sehr wohl betroffen und daher zur Beschwerde berechtigt zu sein. In prozessualer Hinsicht ersuchte A.________ darum, das bundesgerichtliche Verfahren zu sistieren, um mit dem Regierungsrat Gespräche über die beantragte Konzession führen zu können.
5
Die Justizdirektion des Kantons Uri wandte sich für den Regierungsrat am 14. Januar 2019 gegen den Sistierungsantrag und verzichtete auf Ausführungen zur Sache. Das Obergericht vertrat in seiner Vernehmlassung vom 21. Dezember 2018 die Auffassung, die von A.________ eingereichten Unterlagen seien unbeachtlich und verwies in bestätigendem Sinne auf seinen Entscheid, ohne einen förmlichen Antrag zu stellen. Am 8. Februar 2019 äusserte sich A.________ nochmals zur Sache.
6
D. Mit Verfügung vom 18. Januar 2019 wies der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Sistierungsgesuch ab und ordnete die Fortführung des bundesgerichtlichen Verfahrens an.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht grundsätzlich offen steht (Art. 82 ff. BGG).
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1.2. Streitgegenstand bildet einzig die Frage, ob der Beschwerdeführer vor dem Obergericht zur Beschwerde legitimiert war, was dieses verneinte.
9
1.3. Der Beschwerdeführer war am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und ist vom angefochtenen Nichteintretensentscheid besonders berührt (vgl. Art. 89 Abs. 1 BGG). Unabhängig davon, ob er in der Sache zur Beschwerdeerhebung berechtigt wäre, ist er jedenfalls legitimiert, den Nichteintretensentscheid der Vorinstanz anzufechten, da es insoweit um seine prozessualen Parteirechte geht (sog. "Star-Praxis"; BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen).
10
1.4. In rechtlicher Hinsicht kann mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
11
1.5. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich, ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
12
 
Erwägung 2
 
Der Beschwerdeführer reichte vor Bundesgericht neue Unterlagen ein, was das Obergericht für unzulässig hält. Nach Art. 99 BGG dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Der Beschwerdeführer hält dafür, diese Voraussetzung sei hier erfüllt. Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben, da über die Beschwerde auch ohne Berücksichtigung der neu eingereichten Unterlagen entschieden werden kann. Der Sachverhalt ist mit Blick auf die einzig zu entscheidende Legitimationsfrage ausreichend erstellt.
13
 
Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 89 Abs. 1 BGG und leitet daraus eine Verletzung von Bundesrecht ab. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens muss sich unter anderem am Verfahren vor allen kantonalen Vorinstanzen als Partei beteiligen können, wer zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt ist (Art. 111 Abs. 1 BGG). Ob die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind, prüft das Bundesgericht frei (BGE 135 II 145 E. 5 S. 149 f.).
14
3.2. Gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde legitimiert, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit dazu erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Die Befugnis zur Beschwerde setzt ein aktuelles und praktisches Interesse an der Gutheissung der gestellten Rechtsbegehren voraus. Die rechtsuchende Partei muss eine im konkreten Fall eingetretene Verletzung ihrer Rechte geltend machen. Ob ein aktuelles Interesse gegeben ist, beurteilt sich nach den Wirkungen und der Tragweite einer allfälligen Gutheissung der Beschwerde (vgl. BGE 131 I 153 E. 1.2 S. 157).
15
3.3. Das Obergericht verneinte die aktuelle Betroffenheit des Beschwerdeführers, wozu dieser gegenteiliger Auffassung ist. Im vorliegenden Fall bildet eine Allgemeinverfügung Gegenstand des Rechtsstreites. Allgemeinverfügungen werden hinsichtlich ihrer Anfechtbarkeit und namentlich mit Blick auf die Legitimationsvoraussetzungen wie Verfügungen behandelt. Aufgrund des offenen Adressatenkreises bestimmt sich die Beschwerdebefugnis nach den für Drittpersonen geltenden Kriterien. Ausgeschlossen bleibt die Popularbeschwerde. Der Beschwerdeführer muss daher stärker als jedermann betroffen sein und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehen. Auch Drittbetroffene sind beschwerdeberechtigt, wenn sie durch die in der Allgemeinverfügung enthaltenen Anordnungen in ihren rechtlichen und tatsächlichen Interessen besonders betroffen sind und ein aktuelles und praktisches Interesse an deren Aufhebung oder Änderung haben (vgl. BGE 136 II 539 E. 1.1 S. 542 f.; Urteile des Bundesgerichts 1C_250/2015 vom 2. November 2015 E. 1.1, 2C_585/2009 vom 31. März 2010 E. 2.3 und 1C_160/2012 vom 10. Dezember 2012 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 139 II 145; BERNHARD WALDMANN, in: Niggli et al. [Hrsg.], Bundesgerichtsgesetz, Basler Kommentar, 3. Aufl., 2018, Art. 189, N. 18c).
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3.4. Die strittige Allgemeinverfügung richtet sich nicht direkt oder spezifisch an den Beschwerdeführer. Er betreibt aber schon heute ein Wasserkraftwerk im erfassten Gebiet. Selbst wenn ihm die bisher konzessionierte Nutzung im Sinne einer Besitzstandsgarantie weiterhin erlaubt bleiben sollte, schränkt das neue Reglement die bis anhin grundsätzlich zulässigen Nutzungsmöglichkeiten ein. Es ist nicht bekannt, ob es überhaupt noch jemand anderen in vergleichbarer Lage gibt, der oder die ebenfalls im Schutzgebiet ein Kraftwerk betreibt. Selbst wenn dies zutreffen sollte, könnte es sich nur um eine kleine Minderheit handeln. So oder so wäre der Beschwerdeführer bereits mit Blick auf das bestehende Kraftwerk mehr als die Allgemeinheit vom strittigen Reglement betroffen. Der Beschwerdeführer verfolgt überdies ein Projekt für ein zweites Kraftwerk. Ob sich dieses eventuell auch unter dem strittigen Reglement realisieren liesse, wie die Vorinstanz als Möglichkeit annimmt, ist für die Legitimationsfrage unerheblich. Der Beschwerdeführer ist bereits Nutzer im vorgesehenen Schutzgebiet und es kann genauso gut von der theoretischen Möglichkeit ausgegangen werden, dass er die bisherige Nutzung zusätzlich vergrössern oder durch weitere Kraftwerke in einer Art und Weise ergänzen möchte, die zwar mit den bisherigen Nutzungsmöglichkeiten im Einklang stünden, aber mit dem strittigen Reglement nicht mehr zu vereinbaren wären. Entscheidend ist hier einzig, dass durch die vom Beschwerdeführer angefochtenen Schutzmassnahmen die bisherigen Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt werden und der Beschwerdeführer als bereits etablierter Nutzer der Wasserkraft mehr als die Allgemeinheit vom strittigen Reglement betroffen ist. Der Beschwerdeführer hat ein Interesse daran, die Rechtmässigkeit der Allgemeinverfügung prüfen zu lassen, nicht zuletzt weil ihm das auch eine bessere Einschätzung der Rechtmässigkeit und damit der Chancen des hängigen oder eines künftigen Konzessionsgesuchs ermöglichen würde. Bei einer Gutheissung seiner Anträge blieben im Übrigen die bisherigen Nutzungsmöglichkeiten weiter bestehen oder würden allenfalls weniger stark eingeschränkt als dies das Reglement vorsieht. Wieweit die heutige Nutzung und die Pläne des Beschwerdeführers durch die Allgemeinverfügung tatsächlich limitiert werden und ob dies rechtlich zulässig ist oder nicht, ist nicht im Rahmen der Legitimationsfrage, sondern bei der materiellen Überprüfung der Rechtmässigkeit des Reglements zu entscheiden. Ohnehin noch keine Rolle spielt hier die Frage der rechtlichen Zulässigkeit des konkreten Erweiterungs- oder Neubauprojekts des Beschwerdeführers, worüber erst und einzig in einem entsprechenden Konzessionsverfahren zu befinden wäre. Der Beschwerdeführer wäre demnach in der Sache nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerdeerhebung ans Bundesgericht legitimiert, weshalb ihm gestützt auf Art. 111 Abs. 1 BGG auch die Beschwerdeberechtigung vor dem Obergericht zusteht.
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Erwägung 4
 
Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid muss aufgehoben werden. Die Sache geht zurück an das Obergericht zur weiteren Behandlung.
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Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Uri hat den obsiegenden Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (vgl. Art. 68 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri vom 9. November 2018 wird aufgehoben. Die Streitsache wird zur weiteren Behandlung an das Obergericht des Kantons Uri zurückgewiesen.
 
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3. Der Kanton Uri hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Regierungsrat des Kantons Uri und dem Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 10. April 2019
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Chaix
 
Der Gerichtsschreiber: Uebersax
 
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