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Informationen zum Dokument  BGer 1B_114/2019  Materielle Begründung
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BGer 1B_114/2019 vom 02.04.2019
 
 
1B_114/2019
 
 
Urteil vom 2. April 2019
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Chaix, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Fonjallaz,
 
Gerichtsschreiber Dold.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl,
 
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8036 Zürich,
 
vertreten durch die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Büro für amtliche Mandate, Florhofgasse 2, Postfach, 8090 Zürich.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; amtliche Verteidigung,
 
Beschwerde gegen die Verfügung und den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 22. Februar 2019 (UP190004).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl führt gegen A.________ ein Strafverfahren wegen falscher Anschuldigung und weiterer Delikte. Anlässlich der ersten staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 5. Dezember 2018 ersuchte A.________ um die Gewährung der amtlichen Verteidigung. Mit Verfügung vom 25. Januar 2019 wies die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich das Gesuch ab.
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Eine von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 22. Februar 2019 ab. Gleichzeitig verweigerte es mit Präsidialverfügung die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen sowie subsidiärer Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht vom 8. März 2019 beantragt A.________, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei ihm für das Strafverfahren ein amtlicher Verteidiger zu bestellen.
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Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über die Gewährung der amtlichen Verteidigung in einem Strafverfahren. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG). Es handelt sich um einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 133 IV 335 E. 4 S. 338; Urteil 1B_66/2015 vom 12. August 2015 E. 1, in: Pra 2015 Nr. 107 S. 872; je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer, der im Strafverfahren beschuldigt wird und dessen Gesuch um amtliche Verteidigung abgewiesen wurde, ist zur Beschwerdeführung befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde in Strafsachen ist einzutreten.
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1.2. Mit der Beschwerde in Strafsachen kann auch die Verletzung von Verfassungsrecht gerügt werden (Art. 95 BGG). Damit besteht kein Raum für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 BGG).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Verteidigung ist in den Art. 128 ff. StPO geregelt. In besonders schwer wiegenden Straffällen ist sie unter bestimmten Voraussetzungen - etwa wenn die Untersuchungshaft mehr als 10 Tage gedauert hat oder eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr in Aussicht steht (Art. 130 lit. a und b StPO) - notwendig, d.h. der beschuldigten Person muss auf jeden Fall ein Verteidiger zur Seite gestellt werden. Bestimmt sie keinen Wahlverteidiger, muss ihr diesfalls zwingend ein amtlicher Verteidiger bestellt werden (Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO). In Bagatellfällen besteht dagegen grundsätzlich kein Anspruch auf amtliche Verteidigung (Art. 132 Abs. 2 StPO). Steht für den Fall einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von über 4 Monaten, eine Geldstrafe von über 120 Tagessätzen oder gemeinnützige Arbeit von mehr als 480 Stunden in Aussicht, liegt jedenfalls kein Bagatellfall mehr vor (Art. 132 Abs. 3 StPO). In den dazwischen liegenden Fällen relativer Schwere ist eine amtliche Verteidigung anzuordnen, wenn der Beschuldigte nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung seiner Interessen geboten erscheint (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Letzteres ist dann der Fall, wenn der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Probleme aufwirft, denen der Beschuldigte allein nicht gewachsen ist (Art. 132 Abs. 2 StPO). Mit dieser Regelung der amtlichen Verteidigung wird die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK für den Bereich des Strafprozessrechts umgesetzt (BGE 143 I 164 E. 3.5 S. 174 mit Hinweis).
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2.2. Daraus, aber auch aus dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 3 StPO ("jedenfalls dann nicht"), folgt, dass nicht automatisch von einem Bagatellfall auszugehen ist, wenn die im Gesetz genannten Schwellenwerte nicht erreicht sind. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Formulierung von Abs. 2 durch die Verwendung des Worts "namentlich" zum Ausdruck bringt, dass nicht ausgeschlossen ist, neben den beiden genannten Kriterien (kein Bagatellfall; tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre) weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Mithin ist eine Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalls notwendig, die sich einer strengen Schematisierung entzieht. Immerhin lässt sich festhalten, dass je schwerwiegender der Eingriff in die Interessen der betroffenen Person ist, desto geringer sind die Anforderungen an die erwähnten tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten, und umgekehrt (zum Ganzen: BGE 143 I 164 E. 3.5 S. 174 f. mit Hinweisen).
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2.3. Das Obergericht legt dar, dem Beschwerdeführer werde vorgeworfen, er habe gegenüber der Stadtpolizei angegeben, dass der inzwischen verstorbene B.________ das Auto "VW Caddy" unter Missachtung eines audienzrichterlichen Verbots parkiert habe, obwohl er gewusst habe, dass dies nicht stimmte. Die Stadtpolizei gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer selbst das Auto im betreffenden Ort parkiert habe. Dabei handle es sich um einen sehr einfachen Sachverhalt. Es stünden die Straftatbestände der falschen Anschuldigung (Art. 303 Ziff. 2 StGB) und die Missachtung eines gerichtlichen Verbots (Art. 258 ZPO) im Raum. Der ursprüngliche Vorwurf des Überlassens eines Motorfahrzeugs an eine nichtführungsberechtigte Person (Art. 95 Abs. 1 lit. e SVG) dürfte dagegen wegfallen, was dem Beschwerdeführer am Ende der polizeilichen Einvernahme vom 26. April 2018 mitgeteilt worden sei. Da er nicht vorbestraft sei, sei im Fall der Verurteilung nicht mit einer Freiheitsstrafe von mehr als vier Monaten oder einer Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen zu rechnen. Vor diesem Hintergrund sei von einem Bagatellfall auszugehen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer selbst Jurist sei und sich differenziert ausdrücken könne. Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, denen er nicht gewachsen wäre, seien nicht zu erwarten. Die Verteidigung sei somit zur Wahrung seiner Interessen nicht geboten und es könne offenbleiben, ob er nicht über die erforderlichen Mittel verfüge.
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Erwägung 2.4
 
2.4.1. Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung des recht-lichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV), weil das Obergericht von drei Straftatbeständen ausgehe, die Oberstaatsanwaltschaft jedoch nur die falsche Anschuldigung diskutiert habe.
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2.4.2. Was dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird, geht aus der polizeilichen Einvernahme vom 26. April 2018 und der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 5. Dezember 2018 ohne Weiteres hervor. Offenbar nahm die Polizei zunächst an, der Beschwerdeführer habe das erwähnte Auto B.________ überlassen gehabt, obwohl dieser über keinen Führerausweis mehr verfügte. An der Einvernahme konnte der Beschwerdeführer B.________ auf dem ihm vorgelegten Fotobogen jedoch nicht identifizieren, obwohl er zuvor angegeben hatte, es handle sich um einen Jasskumpel und er kenne ihn seit 30 Jahren. Es wurde ihm deshalb abschliessend mitgeteilt, es müsse davon ausgegangen werden, dass er das Fahrzeug selber parkiert habe, womit der Straftatbestand des Überlassens eines Motorfahrzeugs an eine nichtführungsberechtigte Person entfalle.
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2.4.3. Indem das Obergericht dem Beschwerdeführer diese Umstände erläuterte, welche ihm ohnehin bereits bekannt waren, verletzte es das rechtliche Gehör nicht. Es war der Beschwerdeführer selbst gewesen, der darauf hingewiesen hatte, dass es nicht lediglich um den Vorwurf der falschen Anschuldigung gehe. Er war damit in der Lage, seinen Standpunkt vorzutragen, ohne dass ihm das Obergericht vorgängig hätte mitteilen müssen, welche Straftatbestände zur Diskussion stehen.
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2.5. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, entgegen der Darstellung des Obergerichts gehe es nicht um eine Widerhandlung im Sinne von Art. 258 ZPO, sondern um Ungehorsam gegen amtliche Verfügung gemäss Art. 292 StGB. Falsche Anschuldigung gemäss Art. 303 Ziff. 2 StGB werde mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht, dasselbe gelte für das Überlassen eines Motorfahrzeugs an eine nichtführungsberechtigte Person gemäss Art. 95 Abs. 1 lit. e SVG. Hinzu komme die Busse nach Art. 292 StGB. Es handle sich somit nicht um eine Bagatelle. Hinzu komme, dass mehrere Personen involviert seien, mit komplizierten Beweiserhebungen zu rechnen und zudem der Gerichtsstand bestritten sei. Er habe dem Obergericht beantragt, ein ärztlich-psychologisches Gutachten einzuholen, was dieses in willkürlicher Weise abgelehnt habe. Die Ausführungen im angefochtenen Entscheid zu den möglichen Schwierigkeiten des Verfahrens seien rein spekulativ, sei doch bereits klar, dass sehr anspruchsvolle Rechtsschriften verfasst werden müssten. Spekulativ und aktenwidrig sei auch die Annahme, der Vorwurf der Verletzung von Art. 95 Abs. 1 lit. e SVG würde wegfallen. Eine Einstellung sei in dieser Hinsicht noch nicht erfolgt.
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2.6. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Annahme, der Vorwurf der Verletzung von Art. 95 Abs. 1 lit. e SVG würde wegfallen, nicht zu beanstanden ist. Gestützt auf die erwähnte polizeiliche Befragung ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer nicht gleichzeitig die falsche Anschuldigung einer Drittperson und das rechtswidrige Überlassen eines Motorfahrzeugs an dieselbe vorgeworfen werden kann. Da aus dem Protokoll auch hervorgeht, dass er die betreffende Person nicht identifizieren konnte, ist nicht ersichtlich, inwiefern die Feststellung der Vorinstanz aktenwidrig sein sollte. Damit steht im Wesentlichen die falsche Anschuldigung zur Diskussion, da Art. 258 ZPO bzw. der nach Auffassung des Beschwerdeführers anwendbare Art. 292 StGB lediglich eine Busse vorsehen. Angesichts des Umstands, dass der Beschwerdeführer nicht vorbestraft ist, ist im Fall der Verurteilung bloss eine leichte Strafe zu erwarten. Da der Sachverhalt zudem einfach gelagert ist und der Beschwerdeführer sogar über eine juristische Ausbildung verfügt, ist eine amtliche Verteidigung nicht erforderlich. Daran ändert nichts, dass er den Gerichtsstand bestreitet. Schliesslich durfte das Obergericht, ohne in Willkür zu verfallen, von der Einholung eines Gutachtens absehen, da der Beschwerdeführer keine konkreten Hinweise auf eine Einschränkung seiner geistigen Fähigkeiten geben konnte.
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3. Aus dem Ausgeführten folgt, dass auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten und die Beschwerde in Strafsachen abzuweisen ist.
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Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann wegen Aussichtslosigkeit der Vorbringen nicht entsprochen werden (vgl. Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
 
2. Die Beschwerde in Strafsachen wird abgewiesen.
 
3. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
4. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
5. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 2. April 2019
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Chaix
 
Der Gerichtsschreiber: Dold
 
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