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Informationen zum Dokument  BGer 1B_39/2019  Materielle Begründung
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BGer 1B_39/2019 vom 20.03.2019
 
 
1B_39/2019
 
 
Urteil vom 20. März 2019
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler,
 
Gerichtsschreiber Dold.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dominic Nellen,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, Allgemeine Hauptabteilung.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren;
 
unentgeltliche Rechtspflege für die Privatklägerschaft,
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht,
 
vom 13. November 2018 (470 18 288 (D 243)
 
MU1 2017 4573 / SMO GRA).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Gegen B.________ läuft im Kanton Basel-Landschaft ein Strafverfahren wegen einfacher Körperverletzung, Tätlichkeiten, Verleumdung, Beschimpfung, Drohung und Nötigung. Am 19. Juli 2017 konstituierte sich A.________ als Privatkläger und am 7. August 2018 ersuchte er um die unentgeltliche Rechtspflege. Mit Verfügung vom 28. August 2018 gewährte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft die unentgeltliche Rechtspflege in Bezug auf Vorschuss- und Sicherheitsleistungen sowie die Verfahrenskosten (Art. 136 Abs. 2 lit. a und b StPO), nicht jedoch in Bezug auf die Bestellung eines Rechtsbeistands (Art. 136 Abs. 2 lit. c StPO).
1
Eine von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Beschluss vom 13. November 2018 ab.
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B.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 21. Januar 2019 beantragt A.________, der Beschluss des Kantonsgerichts sei aufzuheben und ihm sei für das Strafverfahren Rechtsanwalt Dominic Nellen als unentgeltlicher Rechtsbeistand beizuordnen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Staatsanwaltschaft hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Zwischenentscheid, der geeignet ist, für den Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu bewirken. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen offen (vgl. Art. 78 Abs. 1, Art. 80 und Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Zur Rüge, ihm sei im vorinstanzlichen Verfahren zu Unrecht die unentgeltliche Prozessführung verweigert worden, ist der Beschwerdeführer nach Art. 81 Abs. 1 BGG unabhängig seiner Legitimation in der Sache berechtigt (vgl. BGE 136 IV 29 E. 1.9 S. 40; Urteil 1B_370/2015 22. März 2016 E. 1; je mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen einzutreten.
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Erwägung 2
 
2.1. Art. 136 StPO konkretisiert den in Art. 29 Abs. 3 BV verankerten verfassungsmässigen Anspruch auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für die Privatklägerschaft im Strafprozess (Urteil 1B_310/2017 vom 26. Oktober 2017 E. 2.4.1 mit Hinweisen). Dieser ist nach Art. 136 Abs. 1 StPO die unentgeltliche Rechtspflege für die Durchsetzung ihrer Zivilansprüche ganz oder teilweise zu gewähren, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (lit. a) und die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (lit. b). Die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands setzt nach Art. 136 Abs. 2 lit. c StPO überdies voraus, dass dies zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist.
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2.2. Im vorliegenden Fall ist einzig strittig, ob der Beschwerdeführer zur Wahrung seiner Rechte auf die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands angewiesen ist. Das Kantonsgericht hält dazu fest, dass der Beschwerdeführer fremdsprachig sei, reiche für sich allein nicht aus. Zum einen bestehe die Möglichkeit des Beizugs eines Dolmetschers, zum anderen sei der Beschwerdeführer am 19. Juli 2017 durch die Solothurner Polizei sogar ohne Dolmetscher einvernommen worden, wobei er zu Protokoll gegeben habe, keine Übersetzung zu benötigen. Die Sache sei rechtlich nicht besonders komplex, es seien Bagatelldelikte zu beurteilen und es obliege dem Beschwerdeführer als Privatkläger einzig, den Schaden insbesondere durch Vorlegen von Rechnungen oder Schätzungen zu beziffern und zu belegen. Konkret könne er Rechnungen bzw. Quittungen für medizinische Behandlungen wegen der einfachen Körperverletzung vorweisen. Es sei nicht belegt, dass eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit vorliege, zumal er im Zeitpunkt des Vorfalls bereits arbeitslos gewesen sei. Die Knieverletzung sei vorübergehender Art, eine Genugtuung setze jedoch eine dauerhafte Beeinträchtigung voraus. Der Umstand, dass gleichzeitig zwei Verfahren laufen, in denen der Beschwerdeführer einmal als Privatkläger und einmal als Beschuldigter auftrete, begründe ebenfalls keine besondere rechtliche Komplexität. Der Sachverhalt bleibe überschaubar. Eine anwaltliche Vertretung sei deshalb nicht erforderlich.
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2.3. Der Beschwerdeführer macht dagegen geltend, er habe deutlich grössere Mühe, sich schriftlich auszudrücken und die Verfügungen und Schreiben der Behörden zu lesen, zu verstehen und adäquat darauf zu reagieren. Es gehe zudem keineswegs um Bagatelldelikte. Die Deliktsfolgen seien für ihn sehr einschneidend (Knieoperation, Verlust des Sicherheitsgefühls durch gezielten Psychoterror und Stalking, Angst vor gesellschaftlicher Ächtung) und führten zusammen mit dem gegen ihn laufenden Strafverfahren zu einer hohen psychischen Belastung. Er beabsichtige, neben Schadenersatz auch Genugtuung geltend zu machen und weitere Anträge zu stellen (Fernhalteverfügung, Kontaktverbot, Unterlassungsanordnung etc.). Zudem sei eine Vielzahl von Delikten zu prüfen, die schwierige Abgrenzungsfragen aufwerfen würden. Schliesslich komme hinzu, dass es ihm aufgrund der psychischen Belastung immer noch nicht möglich sei, dem Beschuldigten gegenüberzutreten oder räumlich getrennt an einer allfälligen Einvernahme teilzunehmen.
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2.4. Die Strafuntersuchung stellt in der Regel eher bescheidene juristische Anforderungen an die Wahrung der Mitwirkungsrechte von Geschädigten. Es geht im Wesentlichen darum, allfällige Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche anzumelden sowie an Verhören von Beschuldigten und allfälligen Zeugen teilzunehmen und gegebenenfalls Ergänzungsfragen zu stellen. Eine durchschnittliche Person sollte daher in der Lage sein, ihre Interessen als Geschädigter in einer Strafuntersuchung selbst wahrzunehmen (BGE 123 I 145 E. 2b/bb S. 147; Urteil 1B_450/2015 vom 22. April 2016 E. 2.3; je mit Hinweisen). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Verbeiständung dennoch notwendig ist, berücksichtigt das Bundesgericht neben dem Alter, der sozialen Lage, den Sprachkenntnissen sowie der physischen und psychischen Verfassung des Geschädigten insbesondere auch die Schwere und Komplexität des Falls. Der Umstand, dass im Strafverfahren der Untersuchungsgrundsatz (Art. 6 StPO) gilt, schliesst die Notwendigkeit einer Rechtsverbeiständung nicht zum Vornherein aus (BGE 123 I 145 E. 2b/cc S. 147 f.; Urteil 1B_450/2015 vom 22. April 2016 E. 2.3; je mit Hinweisen).
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2.5. Der Umstand, dass gegen den Beschwerdeführer im gleichen Zusammenhang ebenfalls ein Strafverfahren hängig ist, stellt ihn im vorliegenden Verfahren, in dem er als Privatkläger auftritt, vor keine massgeblichen zusätzlichen Schwierigkeiten. Zudem erscheint der Fall weder von besonderer Schwere noch Komplexität. Das Kantonsgericht hat festgestellt, dass die Knieverletzung, welche sich der Beschwerdeführer bei der Auseinandersetzung mit dem Beschuldigten zuzog, vorübergehender Natur sei, was in der Beschwerde nicht bestritten wird. Die Behauptung, dass es ihm die hohe psychische Belastung verunmögliche, dem Beschuldigten gegenüberzutreten, belegt der Beschwerdeführer nicht. Es handelt sich dabei um ein unzulässiges neues Vorbringen (Art. 99 Abs. 1 BGG). Falls die Behauptung zutrifft, ist zudem nicht ersichtlich, weshalb sich der Beschwerdeführer nicht auch ohne anwaltliche Unterstützung darauf berufen können sollte. Aus dem von der Vorinstanz erwähnten Protokoll der Einvernahme des Beschwerdeführers als Auskunftsperson geht hervor, dass er sich ohne Übersetzung problemlos ausdrücken konnte. Ein ebenfalls in den Akten befindliches E-Mail vom 20. Juli 2017 zeigt zwar, dass seine Schreibkompetenz deutlich schlechter ist, doch auch dieses E-Mail ist trotz Rechtschreibfehlern ohne Weiteres verständlich. Vor diesem Hintergrund ist dem Beschwerdeführer zuzumuten, Schadenersatz und Genugtuung ohne anwaltliche Hilfe geltend zu machen. Dass er darüber hinaus eine Fernhalteverfügung, ein Kontaktverbot, eine (nicht weiter spezifizierte) Unterlassungsanordnung und noch mehr beantragen will, bringt der Beschwerdeführer ebenfalls in unzulässiger Weise erstmals im bundesgerichtlichen Verfahren vor, weshalb darauf nicht einzugehen ist (Art. 99 Abs. 1 BGG). Insgesamt hat das Kantonsgericht aus diesen Gründen kein Bundesrecht verletzt, indem es die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung verneinte.
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Erwägung 3
 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
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Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
2.2. Rechtsanwalt Dominic Nellen wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
 
3. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. März 2019
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Merkli
 
Der Gerichtsschreiber: Dold
 
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